S 8 AS 61/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 61/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 35/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 06.06.2007 in der Fassung des Bescheides vom 14.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2008 sowie der Bescheide vom 13.02.2006, 20.07.2006, 16.08.2006 und 17.10.2006 verurteilt, dem Kläger für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II in Höhe von 124,00 EUR monatlich zu gewähren. Die Berufung wird nicht zugelassen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger für den Zeitraum vom 01.08.2006 bis 31.10.2006 höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beanspruchen kann.

Der am 00.00.1980 geborene Kläger steht seit dem 01.01.2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Für den Kläger wurde durch die Familienkasse Bielefeld Kindergeld gezahlt. Für den Zeitraum Juli 2005 bis Juli 2006 wurde das Kindergeld an den Vater des Klägers, Herrn B B gezahlt. Ab August bis Dezember 2006 wurde das Kindergeld direkt an den Kläger als Abzweigungsempfänger ausgezahlt.

Mit Bescheiden vom 18.08.2S 8 AS 61/08005 und 19.01.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger sowie den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2005 bis 28.02.2006. Mit Bescheid vom 13.02.2006 bewilligte sie Leistungen für den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 31.08.2006, mit Änderungsbescheid vom 20.07.2006 wurden höhere Leistungen für August 2006 bewilligt. Mit Bescheiden vom 16.08.2006 und 17.10.2006 wurden Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2006 bis 28.02.2007 bewilligt. Für den Zeitraum von September 2005 bis Oktober 2006 rechnete die Beklagte hierbei monatlich das für den Kläger von der Familienkasse gewährte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR als Einkommen auf seinen Leistungsanspruch an. Ab November 2006 wurde kein Kindergeld mehr als Einkommen angerechnet.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 19.04.2007 hob die Familienkasse Bielefeld die Festsetzung des Kindergeldes für den Kläger ab Juli 2005 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG nicht vorlägen. Eine Ausbildung werde nach Aktenlage nicht bzw. nicht mehr angestrebt. Der Kläger sei somit nicht mangels Ausbildungsplatz gehindert, eine Berufsausbildung zu beginnen oder fortzusetzen. Nach den Daten der für die Ausbildungsstellenvermittlung zuständigen Stelle werde der Kläger dort nicht bzw. nicht mehr als Bewerber um eine berufliche Ausbildungsstelle geführt. Eigene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz seien nicht bzw. nicht ausreichend nachgewiesen. Kindergeld sei für den Zeitraum von Juli 2005 bis Dezember 2006 in Höhe von 2.772,00 EUR überzahlt worden. Das Kindergeld bis einschließlich Juli 2006 sei vom Vater des Klägers, das Kindergeld von August bis Dezember 2006 vom Kläger als Abzweigungsempfänger zurückzuzahlen. Den Widerspruch vom 22.05.2007 wies die Familienkasse mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2008 zurück.

Am 29.05.2007 beantragte der Kläger die Neuberechnung der Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 31.12.2006. Zur Begründung führte er aus, dass nunmehr infolge der Aufhebung der Kindergeldbewilligung ihm für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 31.12.2007 Leistungen ohne Anrechnung des Kindergeldes zu gewähren seien.

Mit Bescheid vom 06.06.2007 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Da der Kläger von Juli 2005 bis Dezember 2006 das Kindergeld tatsächlich erhalten habe, sei es gemäß § 11 SGB II auf seinen Bedarf anzurechnen. Die nachträgliche Rückforderung des Kindergeldes durch die Familienkasse ändere nichts daran, da das Kindergeld von Juli 2005 bis Dezember 2006 tatsächlich monatlich zur Verfügung gestanden habe. Bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II-Leistungen seien immer die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bedürftigkeit zu berücksichtigen. Das bedeute, dass bei der Berechnung der Leistungen das jeweils tatsächlich vorhandene Einkommen angerechnet werden müsse. Eine nachträgliche Rückforderung der Familienkasse habe keinen Einfluss auf die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bewilligung von Arbeitslosengeld II in der Vergangenheit, da das Kindergeld damals ausgezahlt worden sei. Die Rückforderung der Familienkasse könne daher nicht übernommen werden, auch ein Löschen des Kindergeldeinkommens für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.12.2006 sei nicht möglich.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 02.07.2007 Widerspruch ein. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe das Kindergeld dem Kläger nicht mehr rechtmäßig zur Verfügung gestanden, so dass nachträglich eine Neuberechnung der Leistung auf das Arbeitslosengeld II vorzunehmen sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Bewilligung Kindergeld tatsächlich gezahlt worden sei. Eine andere rechtliche Beurteilung sei für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden und damit nicht hinnehmbar. Erschwerend komme noch hinzu, dass er rechtlich zu einer Rückzahlung verpflichtet werde, obwohl er in tatsächlicher Hinsicht nicht bereichert sei. Dieses Ergebnis sei evident unbillig und könne mit dem Sozialstaatsprinzip nicht vereinbart werden.

Am 14.02.2008 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid bezüglich der Zeiträume vom 01.07.2005 bis 31.10.2006. Für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 31.07.2006 hielt sie an einer Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen nicht mehr fest. Das angerechnete Kindergeld in Höhe von 2.002,00 EUR werde für den genannten Zeitraum nachgezahlt. Die Änderung erfolge aufgrund der Tatsache, dass in dem fraglichen Zeitraum das Kindergeld nicht an den Kläger selbst, sondern an den Vater B B ausgezahlt worden sei. Das Kindergeld sei somit Einkommen des Vaters und nicht auf den Bedarf des Klägers anrechenbar. Für den Zeitraum vom 01.08.2006 bis 31.10.2006 hielt die Beklagte jedoch an der Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen fest. Die Bewilligungsbescheide für den fraglichen Zeitraum änderte sie jedoch dahingehend ab, dass bei der Anrechnung von Kindergeld als Einkommen für die Zeit vom 01.08.2006 bis 31.10.2006 nunmehr der Freibetrag in Höhe von 30,00 EUR monatlich gewährt werde, sodass nunmehr lediglich noch 124,00 EUR monatlich als Einkommen angerechnet wurden und eine Nachzahlung von 90,00 EUR für diesen Zeitraum erfolgte. Eine komplette Aufhebung der Kindergeldanrechnung für diesen Zeitraum sei nicht möglich, da das Kindergeld tatsächlich an den Kläger ausgezahlt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2008 wies die Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers nach Erteilung des Änderungsbescheides als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 12.03.2008 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Er beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2007 in der Fassung des Bescheides vom 14.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2008 sowie die Bescheide vom 13.02.2006, 20.07.2006, 16.08.2006 und 17.10.2006 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Monate August, September und Oktober 2006 weitere Leistungen in Höhe von 124,00 EUR monatlich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf ihre Ausführungen im Bescheid und im Widerspruchsbescheid.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 15.07.2008 haben die Beteiligten übereinstimmend den Erlass eines Urteils ohne mündliche Verhandlung beantragt.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben. Der übereinstimmende Antrag der Beteiligten im Erörterungstermin vom 15.07.2008 auf Erlass eines Urteils ohne mündliche Verhandlung beinhaltet auch deren Einverständnis mit einer solchen Entscheidung.

Die zulässige Klage ist begründet.

Dabei hat die Kammer den Antrag des Klägers dahingehend verstanden, dass lediglich noch die Auszahlung der weiterhin angerechneten 124,00 EUR monatlich begehrt wird.

Der Kläger ist beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der Bescheid vom 06.06.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2008 rechtswidrig ist.

Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die Bescheide vom 13.02.2006, 20.07.2006, 16.08.2006 und 17.10.2006 insoweit gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen, als dass hierin Kindergeld in Höhe von - nach Erteilung des teilweisen Abhilfebescheides vom 14.02.2008 - noch 124 EUR monatlich für die Monate August bis Oktober 2006 als Einkommen im Rahmen der Leistungsbewilligung angerechnet wird.

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass desselben das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Zeitraum zu Unrecht das Kindergeld in Höhe von 124,00 EUR monatlich als Einkommen des Klägers gemäß § 11 SGB II angerechnet.

Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sind als Einkommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Rente oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu berücksichtigen. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II ist der Kinderzuschlag nach § 6 a des Bundeskindergeldgesetzes als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird.

Umfasst werden vom Einkommensbegriff des SGB II also sämtlich Geldzahlungen sowie weitere Leistungen, die nicht Geldleistungen sind, aber einen Geldwert haben. Einnahmen in Geld sind dabei nicht nur Einnahmen in Form von Bargeld, sondern auch unbare Zahlungen mittels Überweisung oder Scheck. Nicht als Einkommen anzusehen sind dagegen Einkünfte, die von vornherein mit einer Rückzahlungspflicht verbunden sind - beispielsweise aus einem Darlehen -, da solche nicht endgültig zur Verwendung zur Verfügung stehen und deshalb nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zur Bestreitung des Lebensunterhaltes auch nicht verwendet werden können (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 11 Rn. 29; Söhngen in juriPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 11 Rn. 42; zur Arbeitslosenhilfe BSG v. 13.06.1985, Az.: 7 RAr 27/84). Entscheidungserheblich ist, ob im Zeitpunkt des Zuflusses die Rückzahlungsverpflichtung eindeutig festgestellt werden kann (LSG NRW v. 11.12.2008, Az.: L 7 AS 62/08).

Hier war das dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum ausgezahlte Kindergeld bereits mit einer Rückzahlungsverpflichtung belastet. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Kläger bereits keinen Anspruch mehr auf Kindergeld. Gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 2 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) hat ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, einen Anspruch auf Kindergeld, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird, sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Arbeitsleistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes liegt, eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann oder ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr absolviert. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger nicht vor. Insbesondere war er nicht mehr um die Aufnahme einer Berufsausbildung bemüht. Dies hat zur Folge, dass gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 EStG die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben war. Es handelt sich bei der Entscheidung über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung um eine gebundene Entscheidung; Ermessen stand der Familienkasse insoweit nicht zu. Mit dieser Rückzahlungsverpflichtung war das im Zeitraum August bis Oktober 2006 ausgezahlte Kindergeld bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung belastet und stand daher dem Kläger unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Deckung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung. Unerheblich ist, dass die Familienkasse die Rückzahlungsverpflichtung erst durch einen späteren, nach Ablauf der streitgegenständlichen Bewilligungszeiträume erlassenen Bescheid konkretisiert hat.

Soweit die Beklagte einwendet, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum das Kindergeld tatsächlich zur Bedarfsdeckung verwenden konnte, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Argumentation der Beklagten liegt letztlich der für das Bundessozialhilfegesetz entwickelte Grundsatz "Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit" zugrunde. Dieser ist jedoch auf das SGB II nicht übertragbar. Dem Grundsatz lag die Erwägung zugrunde, dass die Sozialhilfe als eine ausschließlich auf die Gegenwart bezogene, gleichsam täglich neu regelungsbedürftige Hilfe ausgestaltet sei (BVerwG v. 13.11.2003, Az.: 5 C 26/02). Hiervon unterscheiden sich die Leistungen nach dem SGB II. Diese stellen auf Dauer angelegte Sozialleistungen dar, die mittels eines Dauerverwaltungsaktes für einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten bewilligt werden.

Die Berufung wird nicht zugelassen. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da die Klageforderung die Berufungssumme von 750,00 EUR nicht übersteigt. Sie beträgt lediglich 372,00 EUR. Die Rechtssache hat aber keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG und weicht auch nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichts oder höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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