L 7 AS 365/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 1824/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 365/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
München vom 19. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld (Alg) II für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2006 als Zuschuss streitig.

Die 1972 geborene Klägerin bezog bis 26.04.2006 Alg I in Höhe von täglich 30,64 EUR. Sie ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung, die von ihren Eltern, geboren 1947 bzw. 1948, bewohnt wird. Das Eigentum an der Wohnung wurde ihr von den Eltern aufgrund eines notariellen Überlassungsvertrages vom 20.10.2003 übertragen. Als Gegenleistung wurde die Einräumung des Nießbrauchsrechts der Eltern auf Lebensdauer, einzutragen in das Grundbuch, vereinbart. Weiterhin verpflichtete sich die Klägerin, den Grundbesitz ohne Zustimmung ihrer Eltern nicht zu veräußern oder zu belasten. Für den Fall des Verstoßes gegen diese Verpflichtung wurde ein Anspruch der Eltern auf Rückübertragung des Grundbesitzes, der durch Eintragung einer Vormerkung gesichert wurde, vereinbart.

Mit Bescheid vom 07.07.2006 bewilligte die Beklagte dem Grunde nach Alg II für die Zeit ab 01.04.2006 in Form eines Darlehens. Dieses werde zinslos gewährt und sei nach Verwertung des Vermögens in einer Summe zurückzuzahlen. Mit einem weiteren Bescheid vom 07.07.2006 wurden der Klägerin für April 2006 31,46 EUR und für die Monate Mai bis September 2006 monatlich 828,10 EUR bewilligt. Im Monat März 2006 übersteige das Einkommen die Bedarfe, so dass kein Anspruch bestehe. Die Leistungen würden als Darlehen gewährt.

Gegen die Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, die Leistung stehe ihr als Zuschuss zu. Die Eigentumswohnung sei rechtlich nicht verwertbar, da sie nur mit Einverständnis der Eltern belastet oder verwertet werden könne. Die Klägerin legte eine schriftliche Erklärung der Eltern vom 26.06.2006 vor, wonach diese weder jetzt noch in Zukunft einer Veräußerung oder Beleihung der Wohnung zustimmen würden, da dadurch ihre Altersvorsorge gefährdet wäre.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Leistungen seien gemäß § 9 Abs.4 SGB II als Darlehen zu gewähren, da die Eigentumswohnung als Vermögen zu berücksichtigen und deren sofortige Verwertung nicht möglich sei. Die Wohnung sei mit einem Verkehrswert von 122.000,00 EUR zu berücksichtigen.

Mit ihrer zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin weiterhin geltend gemacht, die Wohnung sei wegen des in dem Überlassungsvertrag vom 20.10.2003 geregelten Veräußerungs- und Belastungsverbotes nicht verwertbar. Die Übertragung der Eigentumswohnung sei lediglich im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge erfolgt, rein wirtschaftlich stehe sie noch im Vermögen der Eltern.

Das SG hat mit Urteil vom 19.10.2007 den Darlehensbescheid vom 07.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.2006 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Alg II und den Zuschlag als Zuschuss zu gewähren, und zwar für April 2006 in Höhe von 70,00 EUR und für die Monate Mai bis September 2006 in Höhe von monatlich je 989,00 EUR. Die Eigentumswohnung stelle zwar einen Vermögenswert dar, jedoch sei sie für die Klägerin nicht verwertbar. Die Klägerin könne über die Wohnung nicht verfügen, sie könne die Verfügungsbeschränkungen nicht beseitigen. Sie könne sie auch nicht vermieten und dadurch Einkommen erzielen, weil sie von den Nießbrauchsberechtigten bewohnt werde. Selbst bei einer Vermietung der Wohnung stünde der Mietzins nach § 1030 BGB den Eltern zu. Die Klägerin könne die Wohnung ohne die Zustimmung der Eltern weder veräußern noch belasten. Diese hätten ihre Zustimmung ausdrücklich abgelehnt. Für den Fall eines Verstoßes gegen dieses Verbot hätten die Eltern einen
Rückübertragungsanspruch, der mit einer Vormerkung im Grundbuch gesichert sei. Die Verfügungsbeschränkung erlösche erst mit dem Tod der Berechtigten. Sei der Zeitraum bis zu einer möglichen Verwertung, wie hier, nicht absehbar, liege kein verwertbares Vermögen vor. Deshalb lägen auch die Voraussetzungen für einen Sonderfall nach §§ 9 Abs.4, 23 Abs.5 SGB II nicht vor.

Die Klägerin habe Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von 345,00 EUR und Erstattung der Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von 483,10 EUR. Diese Bedarfsberechnung der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Bezüglich der Anrechnung des Arbeitslosengeldes für April 2006 sei zu Unrecht der Abzug der Pauschale für private Versicherungen in Höhe von 30,00 EUR nach § 3 Abs.1 Nr.1 Alg II-VO unterblieben. Zusätzlich stehe der Klägerin der befristete Zuschlag nach Bezug von Alg gemäß § 24 Abs.2 SGB II in Höhe von zwei Drittel des Unterschiedsbetrages zwischen dem zuletzt bezogenen Alg (909,20 EUR) und dem Alg II (gerundet 828,00 EUR) zu. Diese betrage 60,80 EUR pro Monat. Für den Monat April 2006 stehe der Klägerin für vier Tage ein Zuschlag in Höhe von 8,11 EUR zu, weshalb sich für April 2006 eine Leistung von 69,57 EUR, gerundet von 70,00 EUR, errechne. Für die Monate Mai bis September 2006 betrage die zustehende Leistung einschließlich Zuschlag insgesamt 888,90 EUR, gerundet 889,00 EUR.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die bemängelt, das SG habe im Tenor nicht zwischen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und den Leistungen zu den KdU unterschieden. Im Übrigen sei der Darlehensbescheid rechtmäßig. Die Erklärung der Eltern vom 26.06.2006 stehe einer Verwertbarkeit nicht entgegen, weil die Klägerin trotzdem grundsätzlich verfügungsberechtigt sei. Dass sich die Klägerin dem Risiko der Ausübung des Rückübertragungsanspruchs aussetzen würde, sei unerheblich, da die Geltendmachung dieses Anspruches einen Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 Abs.1 BGB darstelle und nichtig sei, weil sie allein dazu dienen würde, den berechtigten Zugriff der Beklagten als Träger von Sozialleistungen auf das Grundstück zu verhindern. Im Übrigen böten verschiedene Kreditinstitute Immobilieneigentürmen bei Eigentumsübertragung oder für eine Hypothek Darlehen an, die sie bis zu ihrem Tod nicht zurückzuzahlen brauchten. Zur Sicherung des Darlehens werde für das Kreditinstitut eine Hypothek auf die Immobilie eingetragen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.10.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Ihr sei eine Verwertung wegen der Verfügungsbeschränkungen und dem im Grundbuch eingetragenen Nießbrauchsrecht der Eltern auf absehbare Zeit nicht möglich.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den streitigen Zeitraum Alg II in der vom SG dargestellten Höhe zu bewilligen. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil und sieht gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Im Übrigen hat das SG die Regelleistung und die von der Beklagten zutreffend ermittelten KdU zugrunde gelegt und den Zuschlag nach § 24 SGB II korrekt berechnet. Substantiierte Einwendungen hat die Beklagte hiergegen auch nicht vorgebracht. Zu Unrecht rügt die Beklagte, dass das SG nicht die der Klägerin bereits gewährten Leistungen berücksichtigt habe. Denn das SG hat die Beklagte zur Leistungsgewährung verurteilt, was bedeutet, dass bei der Auszahlung der der Klägerin noch zustehenden Leistungen die bereits ausgezahlten Beträge naturgemäß zu berücksichtigen sind.

Zu Unrecht bemängelt die Beklagte, dass das SG im Tenor nicht zwischen der Regelleistung und den KdU unterschieden habe. Zum Einen ergibt sich aus den Entscheidungsgründen im Urteil des SG mit hinreichender Deutlichkeit, wie sich die der Klägerin zustehende Leistung zusammensetzt; zum Anderen ist die Beklagte als Arbeitsgemeinschaft im Sinne des § 44b SGB II ohnehin zur Auszahlung der gesamten Leistung verpflichtet, so dass eine Aufsplittung der vom jeweiligen Leistungsträger zu tragenden Leistungen unnötig erscheint.

Zu Recht hat das SG ebenfalls festgestellt, dass die Klägerin hilfebedürftig im Sinne der §§ 7 Abs.1 Nr.3, 9 SGB II ist, da sie über kein verwertbares Vermögen im Sinne des § 12 Abs.1 SGB II verfügt. Einer Verwertung steht die in dem Überlassungsvertrag vom 20.10.2003 vereinbare Verfügungsbeschränkung entgegen, wonach sich die Klägerin verpflichtete, den Grundbesitz ohne Zustimmung ihrer Eltern nicht zu veräußern und nicht zu belasten. Diese haben eindeutig erklärt, dass sie eine diesbezügliche Zustimmung nicht erteilen werden. Der Beklagten ist nicht darin zu folgen, dass die Klägerin trotz dieser Verfügungsbeschränkung über die Wohnung frei verfügen könnte. Denn für diesen Fall besteht der Rückübertragungsanspruch der Eltern, der durch eine Vormerkung gesichert ist. Für die Auffassung der Beklagten, diese Vereinbarung sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB nichtig, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Für die Eltern der Klägerin bestand keine rechtliche Verpflichtung, überhaupt das Eigentum an der Wohnung an diese zu übertragen; deshalb waren sie in jedem Fall berechtigt, die Eigentumsübertragung an die Bedingung zu knüpfen, dass die Wohnung auf Lebenszeit der Eltern von der Klägerin nicht veräußert oder belastet werde. Da die Nutzung dieser Wohnung für die Eltern eine Form der Altersvorsorge darstellt, ist diese Regelung nachvollziehbar und ein Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB nicht erkennbar.

Zu Recht hat das SG auch die Voraussetzung des § 9 Abs.4 SGB II als Rechtsgrundlage für eine Darlehensgewährung verneint. Denn der Klägerin ist nicht nur die sofortige Verwertung der Wohnung nicht möglich, sondern die Verwertung ist auf nicht absehbare Zeit, nämlich bis zum Tod beider Eltern, ausgeschlossen. Da der Zeitpunkt des Eintritts dieser Bedingung, die eine Verwertung ermöglichen würde, völlig ungewiss ist, ist eine Verwertbarkeit im Sinne des § 12 Abs.1 SGB II generell zu verneinen (BSG, Urteil vom 06.12.2007, B 14/7b AS 46/06 R). Der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, dass eine Verwertung in Form einer sog. Immobilienrente oder auf sonstige Weise möglich wäre, da sämtliche Formen der Verwertung an eine dingliche Sicherung geknüpft sind, die die Klägerin nicht selbständig, also autonom, herbeiführen kann. Wie bereits dargelegt, bedeutet dies einen vollständigen Verwertungsausschluss (BSG, a.a.O.).

Auch die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg II nach § 7 SGB II sind gegeben. Insbesondere ist die Klägerin erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs.1 Nr.2 SGB II.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 19.10.2007 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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