L 5 AS 81/07

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 11 AS 145/07
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 AS 81/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Elternteil, das ohne Partner mit einem volljährigen Kind zusammenlebt, ist allein stehend i.S.d. § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II.
2. Ein Unterhaltsanspruch ist – zumindest im Regelfall – nur in der Höhe als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II anzurechnen, in der er tatsächlich zur Auszahlung kommt.
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 5.7.2007 abgeändert. Unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2007 und der Bescheide vom 3.1.2007, 18.5.2007, 14.11.2007, 27.11.2007 und 5.2.2009 wird die Beklagte verurteilt, den Klägern Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt monatlich 837,46 EUR (Dezember 2006), 899,24 EUR (Januar 2007), 900,87 EUR (Februar bis April 2007), 900,87 EUR (Juni 2007), 906,79 EUR (Oktober 2007), 1.017,02 EUR (November 2007), 906,79 EUR (Dezember 2007 bis Januar 2008), 908,59 EUR (Februar 2008) und 484,58 EUR (März 2008) zu gewähren, wobei sich die den Klägern zu 1 3 jeweils einzeln zustehenden Ansprüche aus der Berechnung der Beklagten, Bl 140 ff GA ergeben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5.7.2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Anspruch der Kläger auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Zeit vom 1.12.2006 bis zum 16.3.2008.

Die 1965 geborene Klägerin zu 2 ist die Mutter der 1987 geborenen Klägerin zu 1 und des 1997 geborenen Klägers zu 3. Die Klägerin zu 1 besuchte eine Gesamtschule; der Kläger zu 3 ist ebenfalls Schüler. Der Vater der Klägerin zu 1 war aufgrund einer Unterhaltsvereinbarung verpflichtet, der Klägerin zu 1 Unterhalt in Höhe von 381, EUR monatlich zu gewähren. Gegen diesen Anspruch rechnete er in Höhe eines Teilbetrages von 256, EUR monatlich mit einem Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens auf, welches er, die Schwester der Klägerin zu 1 sowie die Großmutter der Klägerin zu 1 dieser am 14.9.2006 zur Anschaffung eines gebrauchten Kraftfahrzeugs gewährt hatten. Der Vater der Klägerin zu 1 zahlte der Klägerin zu 1 deshalb nur 125, EUR monatlich an Unterhalt aus. Der Vater des Klägers zu 3 erbrachte für diesen Unterhalt in Höhe von monatlich 247, EUR.

Der beigeladene Sozialhilfeträger gewährte der Klägerin zu 2, zugleich auch für den Kläger zu 3, Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bis einschließlich November 2006. Für die Zeit danach lehnte er Leistungen ab, da die Kläger eine Bedarfsgemeinschaft iSd § 7 SGB II bildeten und daher einen gegenüber dem Anspruch auf Sozialhilfe vorrangigen Anspruch nach dem SGB II hätten.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 14.12.2006 den am 28.11.2006 gestellten Antrag der Klägerin zu 1, dieser, der Klägerin zu 2 und dem Kläger zu 3 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, ab. Zur Begründung führte sie aus: Die Klägerin zu 1 sei nicht hilfebedürftig, da ihr Bedarf durch Kindesunterhalt und Kindergeld gedeckt sei. Die Beklagte legte dabei für die Klägerin zu 1 einen Regelsatz von 276, EUR sowie anteilige Unterkunftskosten von 160, EUR zugrunde. Das Gesamteinkommen der Klägerin zu 1 berechnete sie mit 505, EUR (Kindergeld 154, EUR; Kindesunterhalt 381, EUR abzüglich Versicherungspauschale von 30, EUR). Die "einkommensverbrauchenden Dispositionen" gemeint war der vom Vater der Klägerin zu 1 wegen der Aufrechnung mit dem Darlehensrückzahlungsanspruch nicht gezahlte Betrag von monatlich 256, EUR seien nicht zu Gunsten der Klägerin zu 1 zu berücksichtigen, dh dieser Betrag sei als Einkommen der Klägerin zu 1 anrechnungsfähig. Die fehlende Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1 führe zur sachlichen Zuständigkeit der Beigeladenen für die Kläger zu 2 und 3, da die Klägerin zu 2 nicht erwerbsfähig sei.

Das Sozialgericht (SG) Koblenz verpflichtete durch Beschluss vom 21.12.2006 die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung, den Klägern ab dem 13.12.2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 402, EUR monatlich bis längstens 31.5.2007 zu gewähren. Die Beklagte erteilte "in Ausführung des Bescheides des SG" einen Bescheid vom 3.1.2007 über Leistungen für die Zeit vom 13.12.2006 bis zum 30.5.2007. Sie erbrachte zur Vermeidung einer weiteren einstweiligen Anordnung über diesen Zeitpunkt hinaus Leistungen (Bescheid vom 18.5.2007 für die Zeit vom 1.6.2007 bis zum 30.11.2007, Bescheid vom 27.11.2007 für die Zeit vom 1.12.2007 bis 31.5.2008; vgl den Bescheid vom 14.11.2007 hinsichtlich Heiz und Nebenkosten für das Jahr 2006).

Zur Begründung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14.12.2006 trugen die Kläger ua vor: Nach § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II sei Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1 nicht erforderlich, um einen Anspruch gegen die Beklagte zugunsten der Kläger zu 2 und 3 zu begründen. Unabhängig davon sei die Klägerin zu 1 deshalb hilfebedürftig, weil sie lediglich 125, EUR monatlich anstelle des vereinbarten Unterhalts von 381, EUR monatlich von ihrem Vater erhalte. Sie habe das Darlehen zu einem Zeitpunkt aufgenommen, als sie noch keine Leistungen nach dem SGB II erhalten und auch nicht beabsichtigt habe, solche zu beantragen. Weiterhin sei der Beitrag zur Kfz Versicherung, der von ihrem Vater nicht übernommen worden sei, in Höhe von 61,78 EUR monatlich zu berücksichtigen. Der Klägerin zu 2 stehe als Hauptleistungsberechtigter eine Regelleistung von 345, EUR monatlich zu.

Durch Widerspruchsbescheid vom 29.1.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus: Die zur Haushaltsgemeinschaft gehörende Klägerin zu 1 sei nicht hilfebedürftig und bilde auch nicht zusammen mit den Klägern zu 2 und 3 eine Bedarfsgemeinschaft iSd SGB II. Ausgehend von einer monatlichen Regelleistung von 276, EUR und den Unterkunftskosten von 160, abzüglich Warmwasserherstellungskosten von monatlich 9,85 EUR ergebe sich für die Klägerin zu 1 ein Gesamtbedarf von 426,15 EUR. Dem stünden 289,22 EUR (Unterhaltsleistung von 381, EUR abzüglich der Versicherungspauschale von 30, EUR und der Kosten der Kfz-Haftpflichtversicherung) sowie das Kindergeld (soweit Hilfebedürftigkeit bestehe) von 136,93 EUR gegenüber, sodass der Gesamtbedarf der Klägerin zu 1 voll abgedeckt sei. Hinsichtlich der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung sei Voraussetzung für die Absetzbarkeit, dass die Klägerin zu 1) diese Kosten tatsächlich aufbringen müsse. Ausweislich der vorliegenden Kontoauszüge habe ihr Vater mit einer zweckgerichteten Zahlung von 300, EUR ("Auto, Steuer und Versicherung") am 7.11.2006 die Kfz-Haftpflichtbeiträge zumindest für die Zeit bis zum 31.12.2006 übernommen. Es könne jedoch im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob ihr Vater insoweit ein Darlehen erbracht habe, da sich auch unter Berücksichtigung der Haftpflichtversicherungsbeiträge keine Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1 ergebe. Demnach habe in der gesamten Haushaltsgemeinschaft kein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger gelebt, der leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen sei. Ansprüche der Kläger zu 2 und 3 auf Sozialgeld setzten das Vorhandensein mindestens eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen voraus und schieden daher aus.
Hiergegen haben die Kläger am 16.2.2007 Klage erhoben und ua vorgetragen: Die von dem Vater der Klägerin zu 1 aufgerechneten 256, EUR monatlich stünden dieser tatsächlich nicht zur Verfügung und seien daher kein anrechnungsfähiges Einkommen. Die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung von 61,78 EUR monatlich seien ab dem 1.12.2006 als Werbungskosten abzugsfähig, da der Vater der Klägerin zu 1 diese Beiträge nicht übernommen habe. Die Überweisung von 300, EUR am 7.11.2006 sei Bestandteil des aufgenommenen Darlehens gewesen, das zurückgezahlt werden müsse. Ferner sei der Beitrag der Klägerin zu 2 zur freiwilligen Kranken und Pflegeversicherung in Höhe von 124,13 EUR monatlich in analoger Anwendung des § 26 SGB II berücksichtigungsfähig.

Das SG hat durch Urteil vom 5.7.2007 den Bescheid vom 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2007 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern zu 1 und 2 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 434, EUR monatlich ab dem 1.12.2006 zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Kläger hätten einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 434, EUR monatlich ab dem 1.12.2006. Sie bildeten eine Bedarfsgemeinschaft iSd SGB II. Es könne offen bleiben, ob ein unter Zugrundelegung seines Einkommens selbst nicht hilfebedürftiger Erwerbsfähiger eine Bedarfsgemeinschaft, bestehend zusätzlich aus weiteren nicht erwerbsfähigen Haushaltsangehörigen, begründen könne, wenn sich unter Berücksichtigung der diesen Personen zuzurechnenden Einkommen und Bedarfe für die gesamte Haushaltsgemeinschaft ein Defizit ergebe. Die Beklagte sei jedenfalls deshalb leistungspflichtig, weil die Klägerin zu 1 eine erwerbsfähige hilfebedürftige Person iSd SGB II sei. Der vom unterhaltspflichtigen Vater der Klägerin zu 1 wegen des Anspruchs auf Rückzahlung des gewährten Darlehens einbehaltene Teil der Unterhaltsleistung sei zwar zu Lasten der Klägerin zu 1 als Einkommen zu berücksichtigen (abzüglich der Versicherungspauschale in Höhe von 30, EUR sowie der Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 61,78 EUR), da Leistungen zur Schuldentilgung grundsätzlich nicht einkommensmindernd angerechnet werden könnten. Die Klägerin zu 1 sei jedoch dennoch hilfebedürftig. Ihr Bedarf belaufe sich nämlich auf 492,68 EUR monatlich, da ihr eine Regelleistung von 345, EUR monatlich (ab 1.7.2007: 347, EUR monatlich) zustehe. Entgegen der Auffassung der Beklagten betrage die Regelleistung nicht gemäß § 20 Abs 2 Satz 2 SGB II lediglich 276, EUR. § 20 Abs 2 Satz 2 SGB II beziehe sich nach seinem Wortlaut nur auf "sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft", zu denen die Klägerin zu 1 nicht zähle, da nicht zumindest ein Angehöriger in der Bedarfsgemeinschaft vorhanden sei, der die Regelleistung in Höhe von 345, EUR beziehe, oder zwei Partner, die gemäß § 20 Abs 3 SGB II eine Regelleistung in Höhe von jeweils 311, EUR erhielten. Zur Regelleistung von 345, EUR seien die anteilmäßigen Unterkunftskosten von 160, EUR zu addieren. Abzuziehen seien die Kosten für die Warmwasserversorgung von 12,32 EUR, sodass für die Klägerin zu 1 ein Bedarf in Höhe von 492,68 EUR bestehe, der ihr Einkommen in Höhe von 443,22 EUR überschreite. Der Bedarf der Klägerin zu 2 setze sich zusammen aus dem Sozialgeld gemäß § 28 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB II in Höhe von 276, EUR und den anteiligen Unterkunftskosten in Höhe von 160, EUR abzüglich Warmwasserzubereitungskosten von 9,85 EUR, betrage also insgesamt 426,15 EUR. Der Kläger zu 3 habe Einkommen in Höhe von 401, EUR (Kindergeld von 154, EUR; Unterhalt von 247, EUR). Sein Bedarf belaufe sich auf 359,61 EUR (Sozialgeld von 207, EUR, anteilige Unterkunftskosten 160, EUR abzüglich Warmwasserkosten von 7,39 EUR). Da der Kläger zu 3 daher seinen Bedarf aus eigenem Einkommen decken könne, sei er nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Der von ihm nicht benötigte Anteil des Kindergeldes in Höhe von 41,39 EUR sei als Einkommen der Klägerin zu 2 zu berücksichtigen. Der Bedarf der Klägerinnen zu 1 und 2 belaufe sich somit auf 492,68 EUR + 426,15 EUR = insgesamt 918,83 EUR. Hiervon abzuziehen seien 443,22 EUR als Einkommen der Klägerin zu 1 und 41,39 EUR als Einkommen der Klägerin zu 2, sodass sich ein nicht gedeckter Gesamtbedarf von 434,22 EUR ergebe. Unter Berücksichtigung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs 2 SGB II habe die Beklagte daher den Klägerinnen zu 1 und 2 434, EUR monatlich ab dem 1.12.2006 zu gewähren. Die Verurteilung in diesem Umfang schließe nicht aus, dass die Beklagte zwischenzeitlich eingetretene, dem Gericht nicht bekannte Veränderungen oder sonstige Veränderungen wie beispielsweise die Erhöhung der Regelsätze ab dem 1.7.2007 bei der Leistungsgewährung zu berücksichtigen haben werde.

Gegen dieses ihr am 30.7.2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.8.2007 eingelegte Berufung der Beklagten. Die Kläger haben gegen das ihnen am 30.7.2007 zugestellte Urteil am 12.10.2007 Berufung eingelegt. Am 17.3.2008 ist die Klägerin zu 1 zu ihrem Freund nach H (außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Beklagten) verzogen. Die Beklagte hat durch Bescheid vom 18.4.2008 die Leistungsbewilligung nach dem SGB II, soweit sie die Klägerin zu 1 betrifft, für die Zeit ab dem 17.3.2008 aufgehoben. Durch Bescheid vom 5.2.2009 hat die Beklagte wegen zugeflossenen Einkommens in den Monaten Mai und Juli bis September 2007 die diesbezüglichen früheren Bescheide teilweise aufgehoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen, dass sich die Beklagte für den Fall, dass sich aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine neue Rechtslage hinsichtlich der Regelleistung für Kinder ergibt, die für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft die Bewilligung einer höheren Leistung zur Folge hätte, verpflichtet, die Bescheide von Amts wegen zu ändern.

Die Beklagte trägt vor: Der Auffassung des SG, über die Klägerin zu 1 könne für den vorliegend umstrittenen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft konstruiert werden, sei unzutreffend. Die Klägerin zu 1 sei nämlich nicht hilfebedürftig iSd SGB II gewesen. Die Klägerin zu 1 habe entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf eine Regelleistung von 345, EUR bzw ab dem 1.7.2007 von 347, EUR gehabt. Denn sie sei weder alleinstehend oder allein erziehend gewesen noch habe sie einen minderjährigen Partner gehabt (§ 20 Abs 2 Satz 1 SGB II). Obwohl § 20 SGB II den sozialhilferechtlichen Begriff des Haushaltsvorstandes (Hinweis auf § 3 Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII Regelsatzverordnung) nicht ausdrücklich aufgenommen habe, sei dennoch nach dem Regelungsinhalt der Vorschrift davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diesen Begriff in das Leistungsrecht des SGB II habe einfügen wollen. Als Haushaltsvorstand komme vorliegend die Klägerin zu 2 und nicht die Klägerin zu 1 in Betracht, da sie den Mietvertrag über die Wohnung und den Versorgungsvertrag mit den Stromlieferanten abgeschlossen habe sowie Eigentümerin des gemeinsam genutzten Hausrats und Versicherungsnehmerin von ggf abgeschlossenen Privathaftpflicht- und Hausratversicherungsverträgen gewesen sei. Es könne offenbleiben, ob die von der Klägerin zu 1 geltend gemachten Kfz-Haftpflichtbeiträge von deren Einkommen abzugsfähig seien, da sich auch unter Mitberücksichtigung dieser Beiträge keine Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu 1 zu ergebe. Sie halte an ihrer Auffassung fest, dass der aufgerechnete Teil des Unterhalts als Einkommen der Klägerin zu 1 anrechenbar sei. Die Klägerin zu 1 habe nicht davon ausgehen dürfen, dass ihr ein Sozialleistungsträger im Ergebnis ihr Auto bezahle. Auch unter dem Gesichtspunkt des § 33 SGB II sei es nicht zulässig, auf das Zuflussprinzip abzustellen, weil ansonsten ihr, der Beklagten, ein Schaden entstehen würde. Denn sie könne dem Vater der Klägerin zu 1 gegenüber keine auf sie übergegangene Forderung geltend machen, weil der bestehende Unterhaltsanspruch in Höhe von 381,-- EUR im Hinblick auf die Aufrechnung erfüllt worden sei. Sie, die Beklagte, übernehme die freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin zu 2 in analoger Anwendung des § 26 SGB II (s Bescheid vom 3.1.2007). Die Absetzung von vorhandenem Einkommen gemäß § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 Buchstabe a SGB II sei gegenüber der Verfahrensweise nach § 26 SGB II nachrangig. Die Möglichkeit der Absetzung von Einkommen wäre im Übrigen nur gegeben, soweit die Klägerin zu 2 über eigenes Einkommen verfügen würde; zu deren Gunsten sei aber nur ein Kindergeldanteil von 50,82 EUR zu berücksichtigen. Die Beklagte hat auf Aufforderung des Senats eine Berechnung der Höhe des Leistungsanspruchs unter Berücksichtigung bestimmter Vorgaben sowie Angaben der Klägerin zu 2 vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 5.7.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung der Kläger zurückzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG Koblenz vom 5.7.2007 sowie des Bescheides der Beklagten vom 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2007 und der Bescheide vom 3.1.2007, 18.5.2007, 14.11.2007, 27.11.2007 und 5.2.2009 zu verurteilen, ihnen Leistungen für die Zeit vom 1.12.2006 bis zum 16.3.2008 nach dem SGB II in der von der Beklagten Blatt 140 ff GA berechneten Höhe zu gewähren.

Die Kläger tragen vor: Die 256, EUR monatlich, die der Vater der Klägerin zu 1 wegen des Anspruchs auf Rückzahlung des Darlehens gegen ihren Unterhaltsanspruch aufgerechnet habe, seien nicht zu Lasten der Klägerin zu 1 als Einkommen anrechnungsfähig. Als Unterhalt seien vielmehr lediglich 125, EUR monatlich ansatzfähig. Für die Klägerin zu 2 müsse der volle Regelsatz in Ansatz gebracht werden.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und Vorbringen der Kläger an.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen, die abgeschlossene Prozessakte S 11 ER 315/06 AS (SG Koblenz) sowie die Prozessakte des vorliegenden Rechtsstreits verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143 f, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Demgegenüber ist der (auch nach Ablauf der Berufungsfrist zulässigen) Anschlussberufung (§ 202 SGG iVm § 524 Zivilprozessordnung ZPO ) der Kläger in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Die Kläger haben für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.12.2006 bis zum 16.3.2008 (außer für die Zeit vom 1.5. bis zum 31.5.2007 und 1.7. bis 30.9.2007 wegen der Berücksichtigung von Erwerbseinkommen) einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang; das angefochtene Urteil ist insoweit abzuändern. Dieser Anspruch beruht darauf, dass die Klägerin zu 1 in dem genannten Zeitraum leistungsberechtigt nach dem SGB II war und demzufolge auch die Kläger zu 2 und 3 anspruchsberechtigt nach diesem Gesetz waren.

1. Der Leistungsanspruch der Klägerin zu 1 nach dem SGB II ergibt sich allerdings nicht daraus, dass für sie von einem Anspruch auf eine Regelleistung von 100 vH auszugehen wäre. Entgegen der Auffassung des SG betrug die Regelleistung für die Klägerin zu 1 nicht gemäß § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II 100 vH, sondern nach § 20 Abs 2 Satz 2 SGB II nur 80 vH der Regelleistung. Wenn ein Elternteil ohne Partner mit einem oder mehreren volljährigen, unter 25jährigen Kindern eine Bedarfsgemeinschaft bildet, erhält das Elternteil den vollen Regelsatz (dazu unten 3.). Das Kind hat demgegenüber nur Anspruch auf 80 vH der Regelleistung (vgl Berendes, NZS 2008, 634, 636).

2. Die Klägerin zu 1 war jedoch deshalb im Zeitraum vom 1.12.2006 bis zum 16.3.2008 nach dem SGB II leistungsberechtigt, weil die Unterhaltsleistung ihres Vaters nur in Höhe der tatsächlich gezahlten Beträge als Einkommen (§ 11 SGB II) ansatzfähig war; der gegenteiligen Auffassung der Beklagten und des SG kann nicht gefolgt werden. Ebenso wie gepfändete Unterhaltsteile nicht als Einkommen angerechnet werden dürfen (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rn 129), sind auch Unterhaltsteile, gegen die der Unterhaltsschuldner aufgerechnet hat und die er deshalb dem Unterhaltsgläubiger nicht zahlt, nicht zu Lasten des Hilfebedürftigen als Einkommen anrechnungsfähig, weil sie diesem nicht als bereite Mittel zur Verfügung stehen. Die Rechtslage bei der Aufrechnung entspricht derjenigen bei der Pfändung (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 11 Rn 42a; Söhngen in jurisPR SGB II § 11 Rn 41; Brühl in LPK SGB II, § 11 Rn 12 mwN).

Dem steht nicht entgegen, dass die Aufrechnung des Vaters der Klägerin zu 1 mit einem Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens gegen den Unterhaltsanspruch unwirksam war (§ 394 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch BGB iVm § 850b Abs 1 Nr 2 ZPO; § 850b Abs 2 ZPO kam dem Vater der Klägerin nicht zugute, weil zu deren Gunsten die Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO eingriffen). Diese zivilrechtliche Beurteilung der Rechtslage im Verhältnis zwischen der Klägerin zu 1 und ihrem Vater führt nicht dazu, dass die Unterhaltsforderung in Höhe von 381, EUR in vollem Umfang als Einkommen angerechnet werden dürfte. Unschädlich ist, dass die Klägerin zu 1) ihrem Vater gegenüber die Unwirksamkeit der Aufrechnung nicht erforderlichenfalls klageweise geltend gemacht hat (aA für den Fall der Pfändung Hengelhaupt aaO, Söhngen aaO, Brühl aaO; vgl LSG Hamburg 9.2.2006 L 5 B 346/05 ER AS; wie hier wohl Mecke aaO). Die gegenteilige Rechtsauffassung trägt dem Zweck der SGB II Leistung Sicherung des lebensnotwendigen Bedarfs nicht hinreichend Rechnung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der nicht rechtskundig vertretene Hilfebedürftige, wie vorliegend die Klägerin zu 1, keine Kenntnis von der möglichen Rechtswidrigkeit der Pfändung bzw Aufrechnung und auch die Beklagte zu keinem Zeitpunkt Bedenken an der Wirksamkeit geäußert hat. Der SGB II Träger ist in solchen Fällen nicht schutzlos, weil ein Unterhaltsanspruch nach Maßgabe des § 33 SGB II dh bis zum Abschluss der Erstausbildung (§ 33 Abs 2 Satz 1 Nr 2 2. Halbsatz Buchstabe b SGB II) auf ihn übergeht. In solchen Fällen führt eine unwirksame Aufrechnung im Verhältnis zum Träger der Grundsicherung nicht zum Erlöschen des Anspruchs.

3. Die Klägerin zu 2 konnte für den streitgegenständlichen Zeitraum den vollen, nicht ermäßigten Regelsatz beanspruchen, wovon im Ergebnis auch die Beklagte ausgeht. Ein Elternteil, das ohne Partner mit einem volljährigen Kind zusammenlebt wie die Klägerin zu 2 ist als allein stehend iSd § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II anzusehen, weil sich dieser Begriff nur auf ein Leben ohne Partner beziehen kann, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen in § 20 Abs 2, 2a und 3 SGB II ergibt (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 20 Rn 71; im Ergebnis ebenso Berendes, NZS 2008, S. 634, 638; aA Behrend in Juris PK, § 20 Rn 28). Dies entspricht dem Regelungswillen des Gesetzgebers. Volljährige Kinder, die zusammen mit den Eltern im gleichen Haushalt leben, bildeten nach der ursprünglichen Fassung des § 7 Abs 3 SGB II keine Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern, sondern erhielten als allein stehende Personen iSd § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II die volle Regelleistung. Seit der zum 1.7.2006 in Kraft getretenen Erweiterung der Bedarfsgemeinschaft um Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuchs und anderer Gesetze vom 24.3.2006 (BGBl I 588) gehören dem Haushalt angehörige unverheiratete Kinder, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zur Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 4 SGB II). Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber mit dieser Neuregelung eine Herabsetzung der den Mitgliedern solcher Bedarfsgemeinschaften insgesamt zustehenden Regelsätze beabsichtigte. Die rechtliche Wertung des Senats folgt zudem aus der notwendigen verfassungskonformen Auslegung der einschlägigen Vorschriften (Berendes aaO), da anderenfalls Elternteile, die mit volljährigen Kindern zusammenleben, in mit Art 3 Abs 1 GG nicht konformer Weise gegenüber sonstigen Hilfeberechtigten benachteiligt würden.
4. Die Beiträge zur Kfz Haftpflichtversicherung sind hinsichtlich der Zeit ab dem 1.1.2007 vom Einkommen der Klägerin zu 1 abzugsfähig. Gemäß § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II sind vom Einkommen abzusetzen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit die Beträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund oder Höhe angemessen sind. Kfz-Haftpflichtversicherungen sind gesetzlich vorgeschrieben iSd § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II (Mecke in Eicher/Spellbrink aaO, § 11 Rn 107). Für den Monat Dezember 2006 ist demgegenüber eine Berücksichtigung des anteiligen Beitrages zur Kfz-Haftpflichtversicherung nicht möglich. Denn die Klägerin zu 1 hatte in diesem Monat hierfür keine Aufwendungen, weil ihr Vater den Beitrag für das Jahr 2006 getragen hat. Dem Umstand, dass diese Zahlung nach Angaben der Kläger als Darlehen erfolgt ist, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Durch die Abzugsfähigkeit von Werbungskosten vom Einkommen sollen nur die tatsächlich zur Verfügung stehenden Einnahmen als Einkommen berücksichtigt werden (Mecke aaO Rn 91). Daraus folgt, dass Beiträge zu notwendigen Versicherungen lediglich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen des Hilfeleistungen im betreffenden Zeitraum abzusetzen sind (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 11 Rn 151). Im Hinblick auf das Darlehen ihres Vaters, das sie nicht unmittelbar zurückzahlen musste, entstanden der Klägerin zu 1 solche Aufwendungen im Monat Dezember 2006 nicht.

5. Hinsichtlich der Beiträge zur freiwilligen Kranken und Pflegeversicherung der Klägerin zu 2 gilt: Bezieher von Arbeitslosengeld II (Alg II), die von der Versicherungspflicht in der Kranken und Pflegeversicherung befreit sind, erhalten nach § 26 Abs 2 Satz 1 SGB II einen Zuschuss zu den Beiträgen zur Kranken und Pflegeversicherung. Diesen Zuschuss hat die Beklagte der Klägerin zu 2 bereits bewilligt.

6. Ausgehend von diesen Vorgaben ergibt sich nach der Berechnung der Beklagten, deren Richtigkeit die Kläger nicht angezweifelt haben, ein monatlicher Leistungsanspruch nach dem SGB II von insgesamt 837,46 EUR (Dezember 2006), 899,24 EUR (Januar 2007), 900,87 EUR (Februar bis April 2007), 900,87 EUR (Juni 2007). 906,79 EUR (Oktober 2007), 1.017,02 EUR (November 2007), 906,79 EUR (Dezember 2007 bis Januar 2008), 908,59 EUR (Februar 2008) und 484,58 EUR (März 2008). Die Aufteilung dieser Beträge auf die Kläger ergibt sich aus der von der Beklagten vorgelegten Berechnung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Beklagte die Berücksichtigung des vollen Regelsatzes für die Klägerin zu 2 im Berufungsverfahren als zutreffend angesehen hat.
Rechtskraft
Aus
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