L 10 Ar 997/96

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 Ar 327/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 Ar 997/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1996 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen Erstattungsbescheide, die die Beklagte auf der Grundlage des § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erlassen hat.

Die Klägerin ist ein Unternehmen der chemischen Industrie. In dem zu ihr gehörenden Werk K.-A. in W. war seit dem 1. Mai 1977 der am 15. September 1931 geborene G. B. (B.) als Chemiearbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 28. September 1992 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 11.856,– DM zugunsten des Arbeitnehmers mit Wirkung zum 31. März 1993 beendet. In der Arbeitsbescheinigung vom 5. März 1993 gab die Klägerin an, daß bei Ablehnung des Aufhebungsvertrages durch den Mitarbeiter eine fristgemäße Kündigung aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen worden wäre.

Am 3. März 1993 meldete sich B. mit Wirkung zum 1. April 1993 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diese Leistung bewilligte ihm die Beklagte ab 1. April 1993 in Höhe von wöchentlich 459,– DM, nachdem B. am 15. März 1993 die Möglichkeit des § 105 c AFG in Anspruch genommen hatte, das Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen zu beziehen. Seit dem 1. Oktober 1994 bezieht er eine Altersrente.

Nachdem die Beklagte der Klägerin Gelegenheit gegeben hatte, zu der beabsichtigten Geltendmachung eines Erstattungsanspruches nach § 128 AFG Stellung zu nehmen (Schreiben vom 10. Juli 1993), teilte sie ihr durch Bescheid vom 13. Oktober 1993 mit, die Klägerin sei dazu verpflichtet, der Bundesanstalt für Arbeit (BA) das an ihren ehemaligen Arbeitnehmer gezahlte Arbeitslosengeld sowie die hierauf entfallenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ab 1. April 1993 für längstens 624 Tage zu erstatten. Umstände für den Nichteintritt der Erstattungspflicht seien weder vorgetragen worden noch aus der Akte erkennbar. Trete hinsichtlich der festgestellten Erstattungspflicht eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ein, werde darüber in einem gesonderten Bescheid entschieden. Die fällig werdenden Erstattungsbeträge würden jeweils in gesonderten Abrechnungsentscheidungen – bezogen auf den kalendermäßig abgelaufenen Zeitraum von drei Monaten seit der Entstehung des Erstattungsanspruchs – mitgeteilt. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1993 teilte die Beklagte sodann mit, die Klägerin habe für den Abrechnungszeitraum vom 1. April 1993 bis 30. September 1993 insgesamt 17.487,88 DM (Arbeitslosengeld: 12.261,70 DM, Beiträge zur Krankenversicherung: 3.080,38 DM und Beiträge zur Rentenversicherung: 2.145,80 DM) zu erstatten. Der gegen den Bescheid vom 2. Dezember 1993 erhobene Widerspruch, mit dem die Klägerin auch die Aussetzung der Vollziehung des Erstattungsbescheides beantragte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1994). Am 1. Februar 1994 begehrte die Antragstellerin gegen die Vollziehung der Erstattungsforderung beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main einstweiligen Rechtsschutz (Aktenzeichen: S-19/Ar-352/94.A). Das Verfahren endete am 28. Juli 1995 durch Vergleich vor dem Landessozialgericht (Aktenzeichen: L-10/Ar-944/94.A).

Bereits am 31. Januar 1996 erhob die Klägerin Klage zum SG. Sie machte geltend, wenn ältere Arbeitnehmer auf der Grundlage freiwilliger Ausscheidensvereinbarungen freigesetzt würden, so entspreche diese Maßnahme in ihrem materiellen Gehalt einer sozial gerechtfertigten Kündigung. Eine Erstattungspflicht scheide vorliegend deshalb aus, weil sie eine unzumutbare Belastung im Sinne des § 128 Abs. 2 Ziffer 2 AFG darstellen würde. Wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf betriebsbedingten Umständen beruhe, die ältere wie jüngere Arbeitnehmer gleichermaßen treffen könnten, scheide die Auferlegung der Erstattung des Arbeitslosengeldes gerade der älteren freigesetzten Arbeitnehmer als willkürliche gesetzliche Differenzierung aus. Vorliegend habe die Beklagte keinerlei Prüfung wegen eines möglichen anderweitigen Sozialleistungsbezuges vorgenommen. Die Unterscheidung zwischen Grundlage- und Folgebescheid unterliege nicht der verwaltungstechnischen Gestaltungsfreiheit der Behörde.

Die Beklagte vertrat die Auffassung, die angegriffenen Bescheide entsprächen der Sach- und Rechtslage. Insbesondere sei den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprochen worden seitens der Arbeitsverwaltung.

Das SG hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G. B. im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 1995. Darüber hinaus hat das Sozialgericht Auskünfte bei der Bundesknappschaft eingeholt. Auf die Sitzungsniederschrift vom 12. Dezember 1995 sowie das Schreiben der Bundesknappschaft vom 22. Januar 1996 wird verwiesen.

Mit weiteren Bescheiden vom 22. Februar 1996 und 23. Februar 1996 machte die Beklagte auch die Erstattung für die Zeit vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1993 sowie vom 1. Januar 1994 bis zum 31. März 1994 in Höhe von insgesamt 17.215,60 DM geltend. Vorausgegangen war ein Schreiben der Beklagten an B. vom 26. Oktober 1995, worin diese um Auskünfte betr. die Erstattungspflicht der Klägerin bat.

Durch Urteil vom 30. April 1996 hat das SG die Klage sodann abgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 16. Juli 1996 zugestellte Urteil des SG am 31. Juli 1996 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und macht geltend, die Frage, ob die Lenkungs- und ersatzweise Entlastungsfunktion des neuen § 128 AFG ein Ziel darstelle, welches durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sei, könne nicht unter bloßen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten abgetan werden. Die aufgezeigten Verfahrensfehler seien von entscheidender Bedeutung. Die verfassungskonforme Auslegung des § 128 AFG gebiete die Anerkennung des Vorliegens von Befreiungstatbeständen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1994 und die Bescheide der Beklagten vom 22. Februar 1996 und vom 23. Februar 1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Dem Senat hat ein Gutachten von Prof. Dr. H. sowie ein Wirtschaftsprüfergutachten der C & L Treuhandvereinigung Deutsche Revision AG vom 18. Januar 1995 einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Mai 1996 vorgelegen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Urteil des SG vom 30. April 1996 ist rechtmäßig. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 13. Oktober 1993, 2. Dezember 1993 sowie der Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1994 sind ebensowenig zu beanstanden, wie die Bescheide vom 22. Februar 1996 und 23. Februar 1996. Die Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Erstattungsbeträge.

Die Bescheide vom 22. Februar 1996 und 23. Februar 1996 sind auch gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Nach der genannten Vorschrift wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist § 96 SGG weit auszulegen bzw. aus prozeßökonomischen Gründen auch dann entsprechend anzuwenden, wenn eine Änderung oder Ersetzung im Sinne des Gesetzeswortlautes nicht vorliegt. Die entsprechende Anwendung kommt im wesentlichen unter zwei Voraussetzungen in Betracht (BSG, SozR 1500 § 96 Nr. 13). Der Folgebescheid muß wenigstens den Streitstoff des bereits anhängigen Rechtsstreits beeinflussen bzw. berühren, so daß immerhin ein innerer Zusammenhang besteht oder der Grundgedanke des § 96 Abs. 1 SGG muß die Einbeziehung des Folgebescheides rechtfertigen. Die entsprechende Anwendung kommt deshalb vor allem in Betracht, wenn sich die Regelung im Folgebescheid auf den Streitstoff auswirken kann. So liegt es hier.

Der Klarstellung halber sei darauf hingewiesen, daß der Bescheid vom 13. Oktober 1993 nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Dieser Bescheid ist weder mit Widerspruch noch mit Klage angefochten worden. Unabhängig davon, daß der Bescheid somit gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestandskräftig geworden ist, ist festzustellen, daß der Kläger auch im sozialgerichtlichen Verfahren über den Streitgegenstand verfügen kann. Das Gericht darf dem Kläger nicht etwas zusprechen, was er nicht begehrt; über einen klar begrenzten Antrag kann es also nicht hinausgehen. Vorliegend ist die Beschränkung des Klagezieles eindeutig, klar, unmißverständlich und bedingungslos erkennbar, mithin wirksam auf den Bescheid vom 2. Dezember 1993, den Widerspruchsbescheid vom 3. Januar 1994 sowie die Bescheide vom 22. Februar 1996 und 23. Februar 1996 wirksam begrenzt.

Der Bescheid vom 2. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 1994 beruht auf der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung des § 128 AFG. Danach ist der Arbeitgeber der BA gegenüber zur Erstattung des Arbeitslosengeldes verpflichtet, wenn der Arbeitslose, der Arbeitslosengeld erhält, bei ihm mindestens 720 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt war, diese Beschäftigung innerhalb einer Frist von vier Jahren vor dem Tag der Arbeitslosigkeit lag und der arbeitslose frühere Arbeitnehmer zwischen 58 und 65 Jahren alt ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung sind nicht ersichtlich; die sie rechtfertigende gesetzgeberische Zielsetzung der Verhinderung sozial unzuträglicher Frühverrentungen hat nach wie vor Bestand. Eine besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit und damit für die Gewährung der zu erstattenden Leistungen trifft den Arbeitgeber auch unter veränderten konjunkturellen Bedingungen und auch dann, wenn ältere Arbeitnehmer im Rahmen von Sozialplänen "freigesetzt” werden. Soweit vorliegend von Bedeutung, hat der Gesetzgeber die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 1990 (BVerfGE 81, 156) in bezug auf die Vorgängervorschrift postulierten verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Neuregelung beachtet. Dazu gehört insbesondere, daß zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Erstattungspflicht nach § 128 AFG nunmehr auch das Fehlen eines Anspruchs des Arbeitslosen auf eine anderweitige Sozialleistung gehört (§ 128 Abs. 1 Satz 2 AFG).

Das Fehlen der Voraussetzungen zu dem Bezug einer anderen Sozialleistung, bei deren Zuerkennung kein Anspruch auf Auszahlung auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bestehen würde, hat die Beklagte in ausreichender Weise festgestellt und damit der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht (§ 20 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – SGB X –) genüge getan. Die BA hat – ausgehend von den Angaben des B. im Antrag auf Arbeitslosengeld – keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs auf eine anderweitige Sozialleistung gefunden. Auch die Angaben des ehemaligen Arbeitnehmers der Klägerin lassen nicht den Schluß zu, er erfülle die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2–4 AFG genannten Leistungen, oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Nur bei insoweit bestehenden Zweifeln wäre aber die Beklagte zu weitergehenden Ermittlungen verpflichtet. Insbesondere hat sie nicht in jedem Falle "automatisch” sowohl den Arbeitslosen, den Arbeitgeber und die Sozialversicherungsträger zu befragen. Dies wäre angesichts der BA obliegenden Massen-Verwaltung kaum praktikabel (vgl. Gagel, AFG, § 128 Rdnr. 132) und entspräche auch nicht den Intentionen des Gesetzgebers. Im Regierungsentwurf der Neuregelung des § 128 AFG ist ausdrücklich davon die Rede, daß die BA eine weitergehende Feststellungspflicht nur treffe, wenn begründete Anhaltspunkte für einen anderen Sozialleistungsanspruch sprächen. Die Voraussetzungen, etwa für die Erwerbsunfähigkeit des Arbeitslosen, seien nicht in jedem Fall zu prüfen; es genüge, wenn sie im Zusammenhang mit der Prüfung des Arbeitslosengeldes getroffen würden (BT-Drucksache 12/3211, S. 25). Für gesundheitliche Einschränkungen in der Person des ehemaligen Arbeitnehmers hat schließlich auch das Bundesverfassungsgericht eine besondere Ermittlungspflicht nur dann für geboten erachtet, wenn diesbezügliche Anhaltspunkte gegeben sind (BVerfGE a.a.O., 203).

Hat die Beklagte ihrer Amtsermittlungspflicht Genüge getan, so greift bereits aus diesem Grund die Rüge der mangelnden Anhörung nicht durch. Abgesehen davon ist, wie das SG zutreffend erkannt hat, ein etwaiger Anhörungsfehler durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden.

Die Beklagte ist auch nicht aufgrund eines der übrigen in § 128 Abs. 1 Satz 2 genannten Tatbestände von der Erstattungspflicht ausgenommen. Weder ist das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des B. beendet worden noch hat die Beklagte nachgewiesen, daß einer der Fälle des Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 7 von § 128 AFG gegeben ist. Die Beklagte beruft sich zwar auf § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG, wonach die Erstattungspflicht entfällt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat. Außerdem beruft sie sich auf § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AFG, der die Erstattungspflicht ausschließt, wenn der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Das zu B. bestehende Arbeitsverhältnis wurde nicht durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet, sondern durch einen Aufhebungsvertrag. Darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund berechtigt gewesen sein soll. Ihr Interesse an der Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vorliegend gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Begriffs des wichtigen Grundes. Auch wenn Arbeitnehmer im Rahmen eines Sozialplans "freigesetzt” werden, so beseitigt dies nicht die die Erstattungspflicht begründende Verantwortung des Arbeitgebers für die Freisetzung des Arbeitnehmers und damit für die Aufwendungen der Arbeitslosenversicherung. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend – aus gesundheitlichen Gründen nicht daran gehindert ist, die von ihm vertraglich übernommene Arbeit auf Dauer zu verrichten.

Die Erstattungspflicht entfällt auch nicht nach § 128 Abs. 2 Nr. 2 AFG. Es ist nämlich nicht nachgewiesen, daß die Erstattung für die Klägerin eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, weil durch die Erstattung der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären. Eine Unternehmensgefährdung hat die Antragstellerin selbst nicht behauptet; aus dem Vorhandensein eines "negativen Betriebsergebnisses” in einem begrenzten Zeitraum jedenfalls folgt eine solche Gefährdung noch nicht. Selbst wenn hierfür in verfassungskonformer Auslegung unzumutbare und auf Dauer unüberwindbare Belastungen ausreichen sollten, könnte davon vorliegend keine Rede sein. Zu beachten ist, daß die Klägerin in der Lage war, Dividenden auszuschütten und Abfindungen zu zahlen. Dies begründet aber auch ihre Erstattungspflicht nach § 128 AFG. Die Freisetzung älterer Arbeitnehmer mag zwar geeignet sein, die Arbeitsplätze der jüngeren Arbeitnehmer der Beklagten zu sichern. Dies rechtfertigt die Anwendung der zweiten Alternative des Abs. 2 von § 128 AFG aber nicht. Erst wenn die nach Durchführung des Personalabbaus bleibenden Arbeitsplätze durch die Erstattung des Arbeitslosengeldes gefährdet wären, könnte die die Klägerin grundsätzlich treffende Erstattungspflicht entfallen. Dieser Ursachenzusammenhang zwischen Erstattung einerseits und Arbeitsplatzgefährdung andererseits ist, auch nachdem die Klägerin das Gutachten eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers sowie dessen ergänzende Stellungnahme vorgelegt hat, nicht nachgewiesen.

Allerdings hat die C & L Treuhandvereinigung Deutsche Revision AG in ihren gutachterlichen Stellungnahmen das Vorliegen der Voraussetzungen von § 128 Abs. 2 Nr. 2 AFG bejaht. Dem kann der Senat jedoch nicht folgen. Die Schlußfolgerungen in den Gutachten bestehen unter der Prämisse, daß die gesetzliche Erstattungsregelung grundsätzlich kontraproduktiv ist. Die gesetzliche Erstattungsregelung könnte nur dann nicht arbeitsplatzhemmend wirken, wenn der Unternehmer bei seiner Absatzpreisgestaltung konkurrenzlos sei. Die Gutachter gehen davon aus, daß praktisch – von der Ausnahmesituation abgesehen – jede Erstattungsforderung nach § 128 AFG eine Gefährdung weiterer Arbeitsplätze zur Folge hat. Bei diesem Ausgangspunkt bliebe für die Erstattungsregelung aber kaum ein Anwendungsbereich mehr; mit den Vorstellungen des Gesetzgebers ist diese Auffassung, die in jeder Erstattung bereits eine Arbeitsplatzgefährdung sieht, nicht in Einklang zu bringen.

Die gutachterlichen Stellungnahmen lassen darüber hinaus offen, ob und in welchem Umfang Arbeitsplätze tatsächlich zwischenzeitlich aufgrund der Erstattungsforderungen wegfallen mußten. Ebenso fehlt eine Angabe darüber, ob es nicht möglich war, gefährdete Arbeitnehmer an Arbeitsplätze zu versetzen, die zu mit Gewinn arbeitenden Bereichen gehören.

Die Klägerin kann schließlich auch nicht damit gehört werden, daß Entscheidungen in getrennten Verwaltungsakten rechtswidrig seien. Bezogen auf den durch den Bescheid vom 2. Dezember 1993 geregelten Erstattungszeitraum (1. April 1993 bis 30. September 1993), ergeben sich keine Bedenken, daß die Beklagte zunächst einen Grundbescheid über alle Voraussetzungen der Erstattungspflicht und dann auf einer weiteren Stufe einen Abrechnungsbescheid über die, wie es in § 128 Abs. 1 AFG vorgeschrieben ist, im abgelaufenen Vierteljahr gezahlten erstattungspflichtigen Beträge erlassen hat. Beide Entscheidungen beruhen auf einer rechtlichen Bewertung, wie sie noch hinreichend zeitnah zum Ausscheiden des früheren Arbeitnehmers B. aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Angaben dem Antrag auf Arbeitslosengeld erfolgt ist. Damit dürften sich auch mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatsächlichen Grundlagen der Erstattungspflicht bei Erlaß des Abrechnungsbescheides nicht geändert haben. Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Arbeitsverwaltung – was in ihrem pflichtgemäßen Ermessen liegt – über die Erstattungspflicht nicht einheitlich, sondern in getrennten Verwaltungsakten entscheidet.

Schließlich bestehen auch gegen die Bescheide vom 22. Februar 1996 und 23. Februar 1996 keine Bedenken. Wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Begrenzung der Erstattungspflicht auf vierteljährliche Abrechnungszeiträume ist insoweit erforderlich, daß die BA nicht nur bei ihrer Entscheidung über den Grundbescheid, sondern auch jeweils über jede Abrechnungsentscheidung für das letzte Vierteljahr zu überprüfen hat, ob für die Erstattungspflicht bedeutsame Sozialleistungsansprüche entstanden sind oder nicht. Die anderweitige Berechtigung zum Bezug einer Sozialleistung im Sinne des § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG kann nämlich nicht nur zum Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts der Erstattungspflicht, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt eintreten; mit einem solchen Eintritt muß im Hinblick auf den betroffenen Personenkreis älterer, häufig leistungsgeminderter Arbeitnehmer sogar gerechnet werden.

Denn der erneute Eingriff in die Freiheitssphäre der Klägerin (Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz) ist nur zu rechtfertigen, wenn von der Beklagten zuvor ermittelt worden ist, daß die Voraussetzungen der Erstattungsforderung, für deren Vorliegen sie die Beweislast trägt, gegeben sind. Hierzu gehört, daß die Beklagte bei dem bei ihr im Leistungsbezug stehenden arbeitslosen früheren Arbeitnehmer Nachforschungen anstellt. Sie muß deshalb von sich aus tätig werden und ermitteln, ob ein anderweitiger Sozialleistungsanspruch des Arbeitslosen zwischenzeitlich begründet worden ist.

Dieser Überprüfungspflicht hat die Beklagte Genüge getan. Zum einen war ihr bereits aufgrund des Schreibens der Bundesknappschaft Bochum vom 15. September 1994 bekannt, daß der frühere Arbeitnehmer B. seit 1. Oktober 1994 in Rentenbezug stand. Zum anderen hat die Beklagte eine entsprechende Anfrage vom 26. Oktober 1995 betreffend die Erstattungspflicht des Arbeitgebers an den B. gerichtet, die dieser unter dem 9. November 1995 beantwortet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG erfüllt sind, die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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