Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 69/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 215/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darüber, ob der Klägerin eine höhere Erwerbsminderungsrente zusteht.
Die Beklagte bewilligte der am 00.00.1950 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 18.10.2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, beginnend ab dem 01.06.2002 zunächst befristet bis zum 31.03.2004. Bei der Berechnung der Rente legte sie anstatt persönlicher Entgeltpunkte von 21,0500 nur 19,9133 zugrunde, da sie den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,054 auf 0,946 minderte und die persönlichen Entgeltpunkte damit multiplizierte. Aufgrund eines Anerkenntnisses nach einem gerichtlichen Verfahren gewährte die Beklagte der Klägerin die volle Erwerbsminderungsrente über den 31.03.2004 hinaus bis zum 30.09.2007 weiter, wobei sie bei der Rentenberechnung weiterhin von dem verminderten Zugangsfaktor von 0,946 und Entgeltpunkten von 19,9133 ausging.
Am 11.09.2006 und am 16.01.2007 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Höhe und Neuberechnung der Rente unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R).
Mit Bescheid vom 25.01.2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, die Rente werde in richtiger Höhe gezahlt.
Den dagegen am 29.01.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf den Wortlaut des § 77 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Im übrigen sei gleichzeitig mit der Neuregelung des § 77 SGB VI die Zurechnungszeit verlängert worden. Daher halte sie die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG für falsch.
Hiergegen richtet sich die am 23.04.2007 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.
Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2007 unter ent- sprechender Abänderung der Bewilligungsbescheide vom 18.10.2002 und 30.09.2005 zu verurteilen, ihr ungekürzte Rente unter Berück- sichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn, hilfsweise ab Stellung des Überprüfungsantrags zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Streitakte S 0 RA 00/00 des Sozialgerichts Aachen verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Rentenbescheide und Zahlung einer höheren (abschlagsfreien) Rente. Denn die Beklagte ist bei der Berechnung der Rente in Anwendung von § 77 SGB VI in Verbindung mit § 264 c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI zutreffend von einem verminderten Zugangsfaktor, nämlich einem Wert von 0,946 ausgegangen.
Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Der Wortlaut dieser Regelung ist eindeutig. Danach sind die bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zugrunde zu legenden Entgeltpunkte über den Zugangsfaktor zu reduzieren, wenn die Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird. Wegen § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist sicher gestellt, dass der Zugangsfaktor maximal um 10,8 %, nämlich 36 Monate x 0,003 reduziert wird (so bereits SG Aachen, Urteil vom 09.02.2007, S 8 R 96/06 sowie Urteil vom 09.08.2007, S 8 R 48/07, ebenso nunmehr SG Aachen, Urteile vom 15.05.2007, S 13 R 18/07 und S 13 (4) R 55/07 sowie Urteil vom 29.06.2007, S 6 R 319/06, SG Augsburg, Urteil vom 23.04.2007, S 3 R 26/07, SG Köln, Urteil vom 12.04.2007, S 29 (25) R 337/06 und SG Altenburg, Urteil vom 22.03.2007, S 14 KN 64/07).
Der Rechtsauffassung des 4. Senats des BSG, wonach der Zugangsfaktor bei vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Renten wegen Erwerbsminderung nicht zu reduzieren ist, steht zunächst der eindeutige Wortlaut des § 77 Abs. 2 SGB VI entgegen. "Vor Vollendung des 63. Lebensjahres" (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) umfasst bereits von der Sprachregelung auch die Zeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres. § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI stellt dies noch einmal klar, indem dort ausdrücklich von den Fällen die Rede ist, in denen die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, wonach die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt, bedeutet dagegen nicht, dass die vorzeitige Inanspruchnahme vor Vollendung des 60. Lebensjahres die Minderung des Zugangsfaktors ausschließt (a.A. BSG, Urteil vom 16.05.2006 a.a.O. und nunmehr auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NW, Urteil vom 25.04.2007, L 8 R 185/06). Vielmehr steht dieser Satz im Kontext mit § 77 Abs. 3 SGB VI. Nach dessen Satz 1 bleibt für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgeblich. Ohne die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI würde der bereits für die Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres geminderte Zugangsfaktor auch im Rahmen einer ggf. erst Jahrzehnte später zu bewilligenden Altersrente Anwendung finden; dies ergibt sich aus § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Um dieses, vom Gesetzgeber nicht gewünschte Ergebnis zu vermeiden, ist die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI aufgenommen worden (so auch SG Aachen, Urteile vom 15.05.2007, S 13 R 18/07 und S 13 (4) R 55/07 und Urteil vom 29.06.2007, S 6 R 319/06).
Auch die Entstehungsgeschichte der maßgeblichen Regelungen des § 77 SGB VI (eingeführt durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 – BGBl. I S. 1827 – und in Kraft getreten am 01.01.2001) spricht für diese Auslegung. In der Begründung zum Gesetzesentwurf hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass eine Neuregelung erforderlich sei, um Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken. Daher werde die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten in der Weise angeglichen, dass der Zugangsfaktor für jeden Monat des Rentenbeginns vor dem 63. Lebensjahr um 0,3 %, höchstens um 10,8 % gemindert werde (BT-Drucksache 14/4230 S. 1, 24 und 26 zu Nr. 16). Zwar können solche Ausweichreaktionen (worauf das BSG im genannten Urteil hinweist) nur bei den Versicherten stattfinden, die das 60. Lebensjahr bereits vollendet haben. Dennoch hat der Gesetzgeber generell zum Ziel gehabt, Vorteile eines längeren Rentenbezugs durch einen verminderten Zugangsfaktor auszugleichen (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 16). Der Gesetzesbegründung ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein solcher verminderter Zugangsfaktor lediglich für Versicherte gelten soll, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. In der Gesetzesbegründung hätte sonst nicht ausdrücklich auf den Höchstabschlag von 10,8 % hingewiesen werden müssen. Denn bei Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres käme ohnehin kein höherer Abschlag als 10,8 % in Betracht.
Im Übrigen wurde mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gleichzeitig mit der Bestimmung zur Absenkung des Zugangsfaktors die Anrechnung der Zurechnungszeiten dergestalt verändert, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr nunmehr voll (anstatt wie bisher nur zu einem Drittel) als Zurechnungszeit angerechnet wird. Der Versicherte wird damit so gestellt, als ob er entsprechend der Bewertung seiner Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr weiter gearbeitet hätte. Bei Inanspruchnahme einer Altersrente zu diesem Zeitpunkt müsste er einen Abschlag von 18% hinnehmen. Bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich jedoch bei einem Eckrentner eine gegenüber dem geltenden Recht nur um 3,3 % (Rentenfall bis zum Lebensalter 56 Jahre und 8 Monate) bzw. um maximal 10,8 % niedrigere Rente (BT-Drucksache 14/4230 S. 24). Würde man – wie das BSG – eine Absenkung der Erwerbsminderungsrente über den Zugangsfaktor erst ab Inanspruchnahme ab dem 60. Lebens-jahr für zulässig erachten hätte dies faktisch eine Rentenerhöhung für die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommenen Erwerbsminderungsrenten zur Folge. Genau das Gegenteil hat der Gesetzgeber, wie sich aus der Gesetzesbegründung eindeutig ergibt, jedoch gewollt.
Verfassungsrechtliche Bedenken an der Regelung des § 77 SGB VI hat die Kammer nicht. Insbesondere besteht kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz (GG). Insofern verweist die Kammer auf die umfangreichen Ausführungen der 6. Kammer des SG Aachen im Urteil vom 29.06.2007 (S 6 R 319/06), denen sie sich vollumfänglich anschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darüber, ob der Klägerin eine höhere Erwerbsminderungsrente zusteht.
Die Beklagte bewilligte der am 00.00.1950 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 18.10.2002 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, beginnend ab dem 01.06.2002 zunächst befristet bis zum 31.03.2004. Bei der Berechnung der Rente legte sie anstatt persönlicher Entgeltpunkte von 21,0500 nur 19,9133 zugrunde, da sie den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,054 auf 0,946 minderte und die persönlichen Entgeltpunkte damit multiplizierte. Aufgrund eines Anerkenntnisses nach einem gerichtlichen Verfahren gewährte die Beklagte der Klägerin die volle Erwerbsminderungsrente über den 31.03.2004 hinaus bis zum 30.09.2007 weiter, wobei sie bei der Rentenberechnung weiterhin von dem verminderten Zugangsfaktor von 0,946 und Entgeltpunkten von 19,9133 ausging.
Am 11.09.2006 und am 16.01.2007 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Höhe und Neuberechnung der Rente unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R).
Mit Bescheid vom 25.01.2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, die Rente werde in richtiger Höhe gezahlt.
Den dagegen am 29.01.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf den Wortlaut des § 77 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Im übrigen sei gleichzeitig mit der Neuregelung des § 77 SGB VI die Zurechnungszeit verlängert worden. Daher halte sie die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG für falsch.
Hiergegen richtet sich die am 23.04.2007 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.
Sie beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2007 unter ent- sprechender Abänderung der Bewilligungsbescheide vom 18.10.2002 und 30.09.2005 zu verurteilen, ihr ungekürzte Rente unter Berück- sichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn, hilfsweise ab Stellung des Überprüfungsantrags zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Streitakte S 0 RA 00/00 des Sozialgerichts Aachen verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Rentenbescheide und Zahlung einer höheren (abschlagsfreien) Rente. Denn die Beklagte ist bei der Berechnung der Rente in Anwendung von § 77 SGB VI in Verbindung mit § 264 c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI zutreffend von einem verminderten Zugangsfaktor, nämlich einem Wert von 0,946 ausgegangen.
Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Der Wortlaut dieser Regelung ist eindeutig. Danach sind die bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zugrunde zu legenden Entgeltpunkte über den Zugangsfaktor zu reduzieren, wenn die Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird. Wegen § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist sicher gestellt, dass der Zugangsfaktor maximal um 10,8 %, nämlich 36 Monate x 0,003 reduziert wird (so bereits SG Aachen, Urteil vom 09.02.2007, S 8 R 96/06 sowie Urteil vom 09.08.2007, S 8 R 48/07, ebenso nunmehr SG Aachen, Urteile vom 15.05.2007, S 13 R 18/07 und S 13 (4) R 55/07 sowie Urteil vom 29.06.2007, S 6 R 319/06, SG Augsburg, Urteil vom 23.04.2007, S 3 R 26/07, SG Köln, Urteil vom 12.04.2007, S 29 (25) R 337/06 und SG Altenburg, Urteil vom 22.03.2007, S 14 KN 64/07).
Der Rechtsauffassung des 4. Senats des BSG, wonach der Zugangsfaktor bei vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Renten wegen Erwerbsminderung nicht zu reduzieren ist, steht zunächst der eindeutige Wortlaut des § 77 Abs. 2 SGB VI entgegen. "Vor Vollendung des 63. Lebensjahres" (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI) umfasst bereits von der Sprachregelung auch die Zeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres. § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI stellt dies noch einmal klar, indem dort ausdrücklich von den Fällen die Rede ist, in denen die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt. § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, wonach die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt, bedeutet dagegen nicht, dass die vorzeitige Inanspruchnahme vor Vollendung des 60. Lebensjahres die Minderung des Zugangsfaktors ausschließt (a.A. BSG, Urteil vom 16.05.2006 a.a.O. und nunmehr auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NW, Urteil vom 25.04.2007, L 8 R 185/06). Vielmehr steht dieser Satz im Kontext mit § 77 Abs. 3 SGB VI. Nach dessen Satz 1 bleibt für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgeblich. Ohne die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI würde der bereits für die Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres geminderte Zugangsfaktor auch im Rahmen einer ggf. erst Jahrzehnte später zu bewilligenden Altersrente Anwendung finden; dies ergibt sich aus § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Um dieses, vom Gesetzgeber nicht gewünschte Ergebnis zu vermeiden, ist die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI aufgenommen worden (so auch SG Aachen, Urteile vom 15.05.2007, S 13 R 18/07 und S 13 (4) R 55/07 und Urteil vom 29.06.2007, S 6 R 319/06).
Auch die Entstehungsgeschichte der maßgeblichen Regelungen des § 77 SGB VI (eingeführt durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 – BGBl. I S. 1827 – und in Kraft getreten am 01.01.2001) spricht für diese Auslegung. In der Begründung zum Gesetzesentwurf hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass eine Neuregelung erforderlich sei, um Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegenzuwirken. Daher werde die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten in der Weise angeglichen, dass der Zugangsfaktor für jeden Monat des Rentenbeginns vor dem 63. Lebensjahr um 0,3 %, höchstens um 10,8 % gemindert werde (BT-Drucksache 14/4230 S. 1, 24 und 26 zu Nr. 16). Zwar können solche Ausweichreaktionen (worauf das BSG im genannten Urteil hinweist) nur bei den Versicherten stattfinden, die das 60. Lebensjahr bereits vollendet haben. Dennoch hat der Gesetzgeber generell zum Ziel gehabt, Vorteile eines längeren Rentenbezugs durch einen verminderten Zugangsfaktor auszugleichen (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 16). Der Gesetzesbegründung ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein solcher verminderter Zugangsfaktor lediglich für Versicherte gelten soll, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. In der Gesetzesbegründung hätte sonst nicht ausdrücklich auf den Höchstabschlag von 10,8 % hingewiesen werden müssen. Denn bei Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres käme ohnehin kein höherer Abschlag als 10,8 % in Betracht.
Im Übrigen wurde mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gleichzeitig mit der Bestimmung zur Absenkung des Zugangsfaktors die Anrechnung der Zurechnungszeiten dergestalt verändert, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr nunmehr voll (anstatt wie bisher nur zu einem Drittel) als Zurechnungszeit angerechnet wird. Der Versicherte wird damit so gestellt, als ob er entsprechend der Bewertung seiner Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr weiter gearbeitet hätte. Bei Inanspruchnahme einer Altersrente zu diesem Zeitpunkt müsste er einen Abschlag von 18% hinnehmen. Bei Inanspruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich jedoch bei einem Eckrentner eine gegenüber dem geltenden Recht nur um 3,3 % (Rentenfall bis zum Lebensalter 56 Jahre und 8 Monate) bzw. um maximal 10,8 % niedrigere Rente (BT-Drucksache 14/4230 S. 24). Würde man – wie das BSG – eine Absenkung der Erwerbsminderungsrente über den Zugangsfaktor erst ab Inanspruchnahme ab dem 60. Lebens-jahr für zulässig erachten hätte dies faktisch eine Rentenerhöhung für die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommenen Erwerbsminderungsrenten zur Folge. Genau das Gegenteil hat der Gesetzgeber, wie sich aus der Gesetzesbegründung eindeutig ergibt, jedoch gewollt.
Verfassungsrechtliche Bedenken an der Regelung des § 77 SGB VI hat die Kammer nicht. Insbesondere besteht kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz (GG). Insofern verweist die Kammer auf die umfangreichen Ausführungen der 6. Kammer des SG Aachen im Urteil vom 29.06.2007 (S 6 R 319/06), denen sie sich vollumfänglich anschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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