L 23 SO 67/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 90 SO 5436/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 SO 67/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungs-verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten für den Zeitraum vom 01. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung die Bewilligung eines Mehrbedarfes wegen Erwerbsminderung und wegen kostenaufwendiger Ernährung sowie die Auszahlung von 5 509,88 EUR.

Der 1944 geborene Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 90 und im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G". Er bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und erhielt von dem Beklagten seit Jahren ergänzende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz BSHG. Im Zeitraum Januar 2003 bis Dezember 2004 wurden ihm 7 160,60 EUR für Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie einmaliger Beihilfen nach dem BSHG ausgezahlt.

Auf seinen Antrag vom 31. Dezember 2002 bewilligte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 13. Juni 2005 für den Zeitraum vom 01. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 rückwirkend laufende Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Grundsicherungsgesetz (GSiG) in Höhe von monatlich 224,03 EUR für das Jahr 2003 und 224,17 EUR monatlich für das Jahr 2004. Der Beklagte teilte zugleich mit, dass die sich insgesamt ergebende "Nachzahlung" von 5 509,88 EUR dem Träger der Sozialhilfe erstattet werde, weil der Kläger im selben Zeitraum zeit- und zweckgleiche Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erhalten habe. Bei der Berechnung der Höhe der Grundsicherung setzte der Beklagte einen Regelsatz für Haushaltsvorstände zzgl. einer Erhöhung von 15 v. H., abzüglich einer Energiepauschale und zzgl. eines Mehrbedarfs wegen Gehbehinderung "G"/"aG" in Höhe von 59,20 EUR monatlich für das Jahr 2004 und 58,60 EUR monatlich für das Jahr 2003 ein.

Mit dem hiergegen am 12. Juli 2005 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass Sozialleistungen wegen Erwerbsunfähigkeit und Kostenaufwand Ernährung nicht als erhaltene Leistungen angerechnet werden dürften. Die Summe dieser monatlichen Beträge stehe ihm als Nachzahlung für den Zeitraum vom 01. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 zu. Es handele sich um den Betrag von 58,65 EUR monatlich wegen Erwerbsunfähigkeit und 36,62 EUR monatlich wegen Kostenaufwand Ernährung. Im Übrigen sei mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 11. März 2002 festgestellt worden, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung (Merkzeichen "G") bereits seit Dezember 1997 vorlägen. Es sei ihm daher eine Nachzahlung ab dem 01. Dezember 1997 auszuzahlen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2005 zurück. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, der Träger der Grundsicherung sei verpflichtet, dem Träger der Sozialhilfe die Leistungen zu erstatten, die er bei rechtzeitiger Gewährung der Leistungen nach dem GSiG nicht hätte gewähren müssen. Die Hilfe zum Lebensunterhalt umfasse neben dem Regelsatz und den Kosten der Unterkunft auch die nach § 23 BSHG einzuräumenden Mehrbedarfe. Der Träger der Sozialhilfe habe einen Anspruch auf Erstattung der von ihm nach dem BSHG gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt geltend gemacht und deren Höhe mit 7 160,60 EUR spezifiziert. Da die nach dem GSiG bewilligte Leistung geringer als die nach dem BSHG gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt gewesen sei, habe eine Erstattung des gesamten Betrages an den Träger der Sozialhilfe erfolgen müssen. Der Anspruch auf Leistungen nach dem GSiG sei gemäß § 107 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch SGB X als erfüllt anzusehen.

Der Kläger hat am 28. Oktober 2005 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben und die Auszahlung eines Zuschlages für kostenaufwendige Ernähung sowie eines Mehrbedarfs wegen Gehbehinderung bereits ab Dezember 1997 geltend gemacht und ferner einen Bescheid des Beklagten vom 16. November 2005 zur Akte gereicht, mit dem dieser die Übernahme von Stromschulden des Klägers abgelehnt hatte und auch die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Stromschulden begehrt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Februar 2006 abgewiesen. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, soweit der Mehrbedarf wegen Vorliegens einer erheblichen Gehbehinderung für Zeiträume von Januar 2003 bis Dezember 2004 begehrt werde, sei die Klage unzulässig, weil das Bezirksamt für diese Zeiträume einen Mehrbedarf bei der Berechnung berücksichtigt habe, so dass der Kläger insoweit nicht beschwert sei. Da er nicht geltend machen könne, in seinen Rechten verletzt zu sein, fehle ihm insoweit die Klagebefugnis. Soweit Zeiträume vor dem 01. Januar 2003 im Streit seien, sei die Klage unbegründet, da das GSiG erst am 01. Januar 2003 in Kraft getreten sei und Leistungen nach diesem Gesetz vorher nicht hätten erbracht werden können. Ein Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung sei in § 3 GSiG im Gegensatz zu den Regelungen des BSHG nicht vorgesehen. Soweit der Kläger mit der Klage die Übernahme von Stromkosten begehre, handele es sich um eine nicht zulässige Klageänderung. Dass der Kläger die Auszahlung des sich aus dem Bescheid vom 13. Juni 2005 ergebenden Nachzahlungsbetrages begehre, könne seinen Schriftsätzen nicht entnommen werden.

Der Kläger hat gegen das ihm am 07. März 2006 zugestellte Urteil am 03. April 2006 Berufung eingelegt, mit der er die Verurteilung des Beklagten begehrt, den so genannten "Nachzahlungsbetrag" von 5 509,88 EUR an ihn auszuzahlen sowie ihm für den Zeitraum 01. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004 wegen des Merkzeichens "G" monatlich 58,85 EUR und wegen kostenaufwendiger Ernährung monatlich 36,62 EUR zu bewilligen und diesen Betrag an ihn auszuzahlen.

Er ist der Auffassung, dass eine Erstattung der Nachzahlung nach dem GSiG an den Träger der Sozialhilfe unzulässig sei, soweit Zuschläge wegen Krankheit und Schwerbehinderung betroffen seien. Die Zuschläge nach § 23 Abs. 1 und Abs. 4 BSHG seien zusätzlich zur Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt worden und dürften daher nicht als Hilfe zum Lebensunterhalt gewertet werden. Eine Rückerstattung der Zuschläge an den Träger der Sozialhilfe scheide aus. Der Kläger trägt ferner vor, dass der Bund dem Land Berlin für Betroffene wegen Schwerbehindertheit mit Merkzeichen "G" zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt habe und der Beklagte daher nicht berechtigt sei, ihm – dem Kläger - die sich aus der Bewilligung dieser Zuschläge und aus der Erhöhung des Sozialregelsatzes auf 345,00 EUR resultierende Nachzahlung vorzuenthalten. Der gesamte Betrag der Nachzahlung sei daher an ihn auszuzahlen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2006 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2005 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 5.509,88 EUR nachzuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Grundsicherungsvorgang Gz. ) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz noch auf Auszahlung eines Betrages von 5 509,88 EUR.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch der den Leistungszeitraum vom 01. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 regelnde Bescheid des Beklagten vom 13. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2005. Soweit der Kläger erstinstanzlich auch eine Nachzahlung für davor liegende Zeiträume begehrt hat, verfolgt er dieses Anliegen im Berufungsverfahren nicht mehr. Auch den erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch auf Übernahme von Stromschulden verfolgt der Kläger im Berufungsverfahren ausdrücklich nicht mehr.

Der Beklagte hat mit dem Bescheid vom 13. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2005 die dem Kläger nach dem Grundsicherungsgesetz zustehenden Leistungen zutreffend ermittelt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen nach dem GSiG.

Gemäß § 3 GSiG umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung

1. den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz

- hier den Regelsatz eines Haushaltsvorstandes i. H. v. 293,00 EUR im Jahr 2003 und 296,00 EUR im Jahr 2004 -

zzgl. 15 v. H. des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes nach dem Zweiten Abschnitt des Bundessozialhilfegesetzes

- diesen Betrag hat der Beklagte für das Jahr 2003 mit monatlich jeweils 43,95 EUR und für das Jahr 2004 mit monatlich 44,40 EUR richtig berechnet -,

2. die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung

- Fehler bei der Ermittlung dieser Beträge sind nicht erkennbar und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht -,

3. die Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entsprechend § 13 BSHG

- im Falle des Klägers waren Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung bereits durch die ihm gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgegolten -,

4. einen Mehrbedarf von 20 v. H. des maßgebenden Regelsatzes nach Nr. 1 bei Besitz eines Ausweises nach § 4 Abs. 5 des Schwerbehindertengesetzes mit dem Merkzeichen "G".

Auch diesen Betrag hat der Beklagte mit monatlich 59,20 EUR im Jahr 2004 (20 % von 296,00 EUR) und 58,60 EUR im Jahr 2003 (20 % von 293,00 EUR) zutreffend ermittelt. Der vom Kläger insoweit genannte Betrag von 58,85 EUR ist nicht nachvollziehbar. Soweit dieser Betrag den im Jahr 2004 berücksichtigten Zuschlag von 59,20 EUR unterschreitet, ist die Klage bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Der Beklagte hat auch zu Recht bei der Bedarfsberechnung nach den Vorschriften des GSiG einen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung nicht berücksichtigt. Denn einen solchen Mehrbedarf, der nach den Rechtsvorschriften des BSHG (§ 23 Abs. 4 BSHG) anzuerkennen war, war im Grundsicherungsgesetz nicht vorgesehen. Insofern fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

Zwar stand dem Kläger ein Anspruch auf den so genannten Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung wegen Krankheit als ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 4 BSHG neben den Leistungen der Grundsicherung zu, allerdings nur in dem Umfang in dem der Bedarf durch Leistungen nach dem GSiG nicht gedeckt war (vgl. Bayerisches LSG, Urteil v. 12. Dezember 2005 – L 11 SO 17/05, JURIS; VG Düsseldorf, Urteil v. 26. November 2004 – 20 K 4948/03, JURIS). Die danach dem Grunde nach vom Sozialhilfeträger vorzunehmende Prüfung, ob zu den Leistungen nach dem GSiG ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG zu bewilligen war, weil ansonsten ein notwendiger Bedarf ungedeckt geblieben wäre (§ 2 Abs. 1 BSHG), ist vorliegend der Sache nach durch den Träger der Grundsicherung im Erstattungsbescheid erfolgt. Der Kläger hat bedarfsdeckende Leistungen wegen kostenaufwendiger Ernährung im streitigen Zeitraum vom Träger der Sozialhilfe erhalten.

Ein Anspruch des Klägers auf Auszahlung der im Bescheid vom 13. Juni 2005 begrifflich unzutreffend als "Nachzahlungs"betrag bezeichneten Summe von 5 509,88 EUR besteht ebenfalls nicht. Gemäß § 107 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - gilt der Anspruch des Berechtigten - hier des Klägers - gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger - hier den Beklagten als Träger der Grundsicherung - als erfüllt, wenn ein Erstattungsanspruch (§ 104 SGB X) besteht. Diese Voraussetzungen lagen hier vor.

Nach § 104 SGB X ist für den Fall, dass wie hier ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hatte, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hatte, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nach Absatz 3 dieser Vorschrift richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Dies bedeutet, dass der erstattungspflichtige Träger nicht mehr erstatten muss als er bei rechtzeitiger Leistung aufzuwenden gehabt hätte (Roos in von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Aufl. § 104 Rn. 19). Auf diese Weise wird der Rechtszustand wieder hergestellt, der bestanden hätte, wenn der vorrangige Leistungsträger von Anfang an geleistet hätte (Roos, a. a. O., m. w. N.). Der Beklagte als vorrangig verpflichteter Träger der Grundsicherungsleistungen hatte danach dem nachrangig verpflichteten Leistungsträger, dem Träger der Sozialhilfe, die von diesem gewährten Leistungen bis zur Höhe der nach dem Grundsicherungsgesetz zu gewährenden Leistungen zu erstatten. Der Beklagte hat daher zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid die Auszahlung des Gesamtbetrages der Leistungen der Grundsicherung für den Leistungszeitraum vom 01. Januar 2003 bis zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 5 509,88 EUR abgelehnt und darauf verwiesen, dass der Betrag gemäß § 104 SGB X dem Träger der Sozialhilfe erstattet werde. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid des Beklagten Bezug genommen (§ 153 Abs. 1 i. V. m. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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