L 7 KA 458/98

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27/5 Ka 1159/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 KA 458/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
und L 7 KA 459, 460, 478, 480, 497 und 507/98
I. Auf die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 1998 abgeändert. Der Widerspruchsbescheid vom 5. März 1997 bleibt insoweit aufgehoben, als dieser die Honorarkürung in Bezug auf die Leistungsnummer 4 EBM betrifft und die Beklagte wird verpflichtet, den Widerspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Im übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zur Hälfte zu erstatten. Die Klägerin hat dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zur Hälfte zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in Bezug auf die Leistungsnummer 4 und der Leistungsgruppe 8 Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM) in den Quartalen I und II/95 in Höhe von 17.270 DM streitig.

Die Klägerin ist als Kinderärztin mit einer Praxis in X-Stadt niedergelassen und seit März 1980 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Jahr 1993 schloß sie erfolgreich eine Zusatzausbildung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ab. 90 % ihrer Patienten sind ausländischer Herkunft. Die Klägerin spricht mehrere Sprachen.

Die Praxis der Klägerin entwickelte sich in den streitigen Quartalen im Vergleich zur Vergleichsgruppe (Kinderärzte) wie folgt:

- I/95 II/95
Fallzahl Kl. 557 488
VG 1210 1126
Abweichung in % - 53,97 - 56,66
Fallkosten in DM Kl. 107,60 128,80
VG 80,17 70,21
Abweichung in DM 27,43 58,59
% 34 83
Leistungsnummer 4
Fallkosten (Anzahl je 100 Fälle) Kl. 15,66 (131) 11,73 (98)
VG 2,05 (17) 2,11 (18)
ausf. Ärzte 309 311
Mehrkosten in % 664 456
DM 13,61 9,62
Leistungsgruppe L 8 (800er Reihe) (Sonderleistungen)
Fallkosten Kl. 65,68
VG 19,07 315
Mehrkosten in DM 46,61
Kl. = Klägerin VG = Vergleichsgruppe

Der Prüfungsausschuß der Ärzte und Krankenkassen (Prüfungsausschuß) führte auf Antrag der Beigeladenen und des Beklagten eine Wirtschaftlichkeitsprüfung der ersten beiden Quartale des Jahres 1995 durch und setzte mit Bescheid vom 06. November 1995 für das Quartal I/95 eine Honorarkürzung im Bereich der Leistungsnummer 4 EBM von 10 DM pro Fall (insgesamt 5.570 DM) fest. Darüber hinaus setzte er mit Bescheid vom 08. Februar 1996 eine weitere Honorarkürzung für das Quartal II/95 im Bereich der Leistungsnummer 4 EBM in Höhe von 5 DM pro Fall (insgesamt 2.440 DM) und für den Bereich der Leistungsgruppe 8 in Höhe von 20 DM pro Fall (insgesamt 9.260 DM) fest.

Gegen beide Bescheide erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung verwies sie auf den hohen Ausländeranteil ihrer Praxis. Auch habe sich die damit verbundene Problematik durch die Zunahme der Betreuung von Patienten aus "den Krisengebieten” weiter verschärft.

Nach Verbindung beider Widerspruchsverfahren ließ der Beklagte die Abrechnungsunterlagen durch den Kinderarzt Dr. B. prüfen und führte am 06. November 1996 eine Prüfsitzung in Anwesenheit der Klägerin durch.

Er wies im Anschluß die Widersprüche der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 05. März 1997 zurück. Zur Begründung führte er aus, die festgestellten Fallkosten seien weder unter den Gesichtspunkten der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nachvollziehbar, noch seien die Mehrkosten auf Praxisbesonderheiten oder kausale Einsparungen zurückzuführen. Es hätten sich vielmehr Einsparungen erzielen lassen, ohne die Diagnostik oder die Therapie zu gefährden. Aufgrund eines statistischen Vergleichs in beiden Quartalen nach Durchschnittswerten sei im Bereich der Leistungsnummer 4 ein offensichtliches Mißverhältnis festzustellen. Bezogen auf die Leistungsnr. 4 sei im Quartal I/95 eine Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 13,61 DM pro Fall (= 663,9 % absolut) und im Quartal II/95 um 9,62 DM pro Fall (= 455,92 % absolut) ausgewiesen.

Auch im Bereich der Sonderleistungen (Leistungsgruppe 8) sei im Quartal II/95 ein offensichtliches Mißverhältnis festzustellen. Zwar erbringe die Klägerin Leistungen dieser Gruppe, die von weniger als 50 % der in der Fachgruppe erfaßten Kollegen in Ansatz gebracht werden würden (dies betreffe die Nr. 342, 820, 825, 826 und 830 EBM). Diese Leistungen würden den Fallkostendurchschnitt der Klägerin um 7,45 DM gegenüber 0,19 DM pro Fall der Vergleichsgruppe belasten. Auch nach Bereinigung des Fallwertes der Klägerin um diesen Mehrbedarf von 7,26 DM pro Fall ergebe sich für das Quartal II/95 in der Leistungsgruppe 8 eine Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts in Höhe von 39,35 DM, bzw. 206,3 % absolut pro Fall. Ein Herausrechnen der Leistungen der Klägerin nach den Nrn. 840, 841, 845, 846 und 847 EBM könne nicht erfolgen, da dies fachgruppentypische Leistungen seien. Somit könne auch in diesem Leistungsbereich ein statistischer Fallkostenvergleich nach Durchschnittswerten durchgeführt werden.

Weiter führt der Beklagte aus, er habe sich mit dem statistischen Vergleich nicht begnügt, sondern im Vorfeld der Prüfsitzung einen Fachkollegen der Klägerin mit der Durchsicht der Abrechnungsunterlagen beauftragt. Diese Durchsicht habe keine weiteren Praxisbesonderheiten oder kompensatorische Einsparungen ergeben. Auch seien keine Hinweise auf ein besonderes gelagertes Klientel oder auf einen überproportionalen Anteil schwerer Fälle festgestellt worden. Die zu betreuenden Patienten zeigten die üblichen Symptome und Diagnosen, die ein Kinderarzt üblicherweise behandele. Psychopathologische Krankheitsbilder bildeten eher die Ausnahme. Auch sei der Hinweis zu geben, daß die von der Klägerin in hohen Umfang wahrgenommenen sozialen Aufgaben nicht die eines Kinderarztes seien, sondern anderen Stellen oblägen. Im Hinblick auf die Häufigkeit des Ansatzes der Nr. 4 EBM sei darauf hinzuweisen, daß auf den Behandlungsunterlagen eine Vielzahl von Diagnosen angegeben seien, die sich zum Teil auf die Geburtssymptomatik beziehe. Auch die Wiederholung der Hauptdiagnose sei nicht nachvollziehbar. Weiter führt der Beklagte aus, Nr. 4 EBM werde insgesamt zu engmaschig bei Kontrolluntersuchungen in Ansatz gebracht. Dies sei in Anbetracht der Hauptdiagnose oftmals nicht nachvollziehbar. Eine Umwandlung der von der Klägerin erbrachten Leistungen von Nr. 4 nach Nr. 8 oder Nr. 61 EBM sei nicht möglich, da auch dort leichte Mehraufwendungen festzustellen seien. Hinsichtlich der Sonderleistungen habe sich gezeigt, daß insbesondere der Ansatz der Leistungen Nrn. 825, 840, 841, 846, 847 und 950 EBM ursächlich für die Mehraufwendungen seien. Die Nr. 825 EBM werde von der Klägerin 29 mal pro 100 Fälle in Ansatz gebracht gegenüber 1 mal pro 100 Fälle der Fachgruppe, Nr. 845 EBM 5 gegenüber 1 mal pro 100 Fälle, Nr. 846 EBM 38 gegenüber 2 pro 100 Fälle und bei Nr. 847 EBM 13 gegenüber 4 pro 100 Fälle. In vielen Fällen sei der Ansatz der Nr. 1 EBM ausreichend. Auch sei anzunehmen, daß der Leistungsinhalt der kinder- und jugendpsychiatrischen Leistungen bei Säuglingen und Kleinkindern nicht durchgeführt werden könne. Auch habe sich die Angabe der Klägerin nicht bestätigt, daß sie vermehrt Kinder mit Asthma bronchiale oder Neurodermitis behandele. Der Klägerin sei nach der Honorarkürzung ein Mehraufwand hinsichtlich der Leistungsnr. 4 EBM von 150 % absolut über dem Vergleichsgruppendurchschnitt belassen worden. Damit wolle man evtl. Gegebenheiten der Praxis der Klägerin Rechnung tragen. Ihr verbleibe in dem Quartal I/95 ein Mehrbetrag gegenüber der Fachgruppe von 3,61 DM pro Fall (dies entspreche einer Überschreitung von 176,1 % absolut) und im Quartal II/95 ein Mehrbetrag von 4,62 DM (dies entspreche einer Überschreitung von 219 % absolut). Im Bereich der Sonderleistungen verbleibe der Klägerin ein Mehrbetrag von 19,35 DM pro Fall (dies entspreche einer Überschreitung von 101,5 % absolut). Gegen den ihr am 07. März 1997 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 07. April 1997 Klage vor dem Sozialgericht in Frankfurt a.M. erhoben.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14. Januar 1998 den Widerspruchsbescheid vom 05. März 1997 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Widerspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Widerspruches, da der Beklagte nicht nachgewiesen habe, weshalb die Leistungen nach Nr. 4 EBM unwirtschaftlich seien. Diese Leistung beinhalte die Beratung, einschließlich symptombezogener klinischer Untersuchungen. Es handele sich um eine diagnostische Leistung, die ohne Einfluß des Arztes vom Patienten eingefordert werde. Der Arzt habe den Patienten bei seinem Besuch zu untersuchen, soweit der Arzt nicht bereits aus den Schilderungen des Patienten oder aus der bloßen Inaugenscheinnahme erkennen könne, daß eine ernsthafte Erkrankung nicht vorliege. Der Arzt habe auf die Untersuchungsanforderung des Patienten nur dann einen Einfluß, wenn er den Patienten erneut einbestelle. Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht, daß ihre Patienten mit ausländischer Herkunft aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten ihre Praxis öfters aufsuchten. Demgegenüber werde in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid nicht ausgeführt, daß die Klägerin ihre Patienten öfters einbestellt habe. Auch enthalte der Prüfbericht dazu keine Anhaltspunkte. Auch sei der fachkundig besetzten Kammer bekannt, daß diese Patienten die Praxis eines Arztes häufiger aufsuchten. Der Kammer sei ebenfalls bekannt, daß im Einzugsgebiet der Praxis der Klägerin insbesondere wirtschaftlich schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen wohnten. Hinzu komme, daß die Klägerin, da sie Kinder behandele, nicht allein aufgrund eines Gesprächs mit den Kindern auf den aktuellen Gesundheitszustand schließen könne. Von daher sei es der Kammer nicht nachvollziehbar, weshalb ausschließlich aufgrund eines statistischen Vergleichs bei dieser im wesentlichen diagnostischen Leistung auf die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Klägerin geschlossen werden könne. Auch sei der Widerspruchsbescheid insoweit widersprüchlich, als zunächst das Bestehen von Praxisbesonderheiten verneint, jedoch über die Grenze des offensichtlichen Mißverhältnisses hinaus ein weiterer Überschreitungswert von 50 % der Klägerin belassen worden sei, um allen "eventuellen Gegebenheiten der Praxis” Rechnung zu tragen. Hierbei werde nicht deutlich, ob Praxisbesonderheiten anerkannt worden seien oder im Rahmen der Ermessensausübung von einer weiteren Reduzierung abgesehen worden sei. Nach Auffassung der Kammer müsse dies jedoch in der Begründung des Widerspruchsbescheides eindeutig zum Ausdruck kommen. Auch sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Honorarkürzung allein auf Nr. 4 EBM beschränkt werde. Addiere man die Leistungen nach den Nr. 4, 8 und 61 EBM, so habe die Klägerin im Quartal I/95 292 Untersuchungen gegenüber 161 Untersuchungen der Vergleichsgruppe erbracht. Der Beklagte habe jedoch der Klägerin eine Überschreitung von 100 bzw. 150 % zugestanden. Demgegenüber seien die Kürzungen im Bereich der Leistungsgruppe 8 im Quartal II/95 nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe den statistischen Kostenvergleich unter Beachtung der vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze durchgeführt. Bei den beanstandeten Leistungen handele es sich um therapeutische Maßnahmen, deren Erbringung von der Klägerin abhingen. Dies habe auch die Befragung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung ergeben. Der Kammer sei auch danach nicht nachvollziehbar, weshalb die Patienten der Klägerin vermehrt einer psychiatrischen Behandlung bedurft hätten.

Gegen das ihnen am 11., 12., und 13. März 1998 zugestellte Urteil haben der Beklagte und die Beigeladenen zu 1.), 2.), 4.), 5.), 7.) und 8.) am 6., 8., 9. und 14. April 1998 Berufung eingelegt.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Begründung des Widerspruchsbescheides erfülle alle Kriterien des § 35 Sozialgesetzbuch, 10. Buch (SGB X). Hinsichtlich der Leistungen nach Nr. 4 EBM handele es sich um eine absolut fachgruppentypische Leistung, die eine Überschreitung von 663,90 % bzw. 455,92 % gegenüber des Fachgruppendurchschnitts ergeben habe. Bei den Sonderleistungen sei eine Überschreitung von 244 % absolut (Werte Quartal II/95) festzustellen gewesen. Auch habe der Fachreferent hinsichtlich des Ansatzes der Nr. 4 EBM erhebliche Einsparungsmöglichkeiten gesehen. Auch sei aus der Begründung des Widerspruchsbescheides zu erkennen, daß keine Praxisbesonderheiten anerkannt, sondern lediglich Ermessenserwägungen bei der Kürzung vorgenommen worden seien.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) bis 8) beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist daraufhin, daß der Begriff der Wirtschaftlichkeit auch den Zeitfaktor enthalte. Dieser sei gebunden an die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes in seinem Umfeld. Nur durch einen hohen Zeitaufwand verbunden mit einer geringen Scheinzahl könne sie die Familienprobleme, die zu somatischen Erkrankungen ihrer Patienten führten, bearbeiten. Des weiteren sei zu berücksichtigen, daß eine frühzeitige Behandlung von Kindern die Kosten der späteren viel teureren Behandlung als Erwachsene erspare. Weiter führt sie aus, der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liege in der Kinder- und Jugendpsychotherapie. Ihre ausländischen Patienten (ca. 94 %) seien in unterschiedlichem Umfang integriert. In ihrer Praxis könnten folgende Sprachen abgedeckt werden: Englisch, Französisch, Italienisch, Persisch, Kurdisch, Arabisch und Serbisch. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liege in der Kompensierung von Integrationsdefiziten, soweit sie medizinische Auswirkungen verursachten. Dies bedeute einen engen Patienten-Arzt-Kontakt und die Überwachung der Therapie. Auch arbeite sie mit der Gesprächstherapie. Da sie sich z.B. auf die Mitarbeit und die Beobachtungsgabe der Mütter und Eltern nicht verlassen könne, müsse sie z.B. einen Säugling bei entsprechendem Krankheitsbild fortlaufend untersuchen, wenn er ihr vorgestellt werde, auch drei oder vier Tage hintereinander. Bei Eltern aus schwierigen sozialen Verhältnissen fehle es oft an deren Mitarbeit.

Der Senat hat die Akten des Beklagten (2 Bände) beigezogen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen zu 1), 2), 4), 5), 7) und 8) ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gem. § 151; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Sie ist jedoch nur zum Teil begründet.

Auf die Berufung war der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 1998 im Hinblick auf die streitige Honorarkürzung im Bereich der Leistungsgruppe 8 abzuändern. Insoweit war die Klage der Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 05. März 1997 abzuweisen. Demgegenüber war der Widerspruchsbescheid insoweit aufzuheben und der Beklagte war zu verpflichten über den Widerspruch der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden, als dieser die Honorarkürzung der Leistungsnummer 4 EBM betrifft.

Der Senat ist ebenso wie das Sozialgericht Frankfurt am Main zu dem Ergebnis gekommen, daß die Honorarkürzung des Beklagten im Bereich der Leistungsgruppe 8 für das Quartal II/95 nicht zu beanstanden ist.

Nach § 106 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) in der hier maßgeblichen Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I. S. 2266) überwachen die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung. Dies wird nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGB V durch die arztbezogene Prüfung u.a. der ärztlichen Leistungen nach Durchschnittswerten vollzogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Der Beklagte hat unter Beachtung dieser Grundsätze zutreffend eine Überschreitung im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses festgestellt. Anhand der Durchsicht der beanstandeten Abrechnungsunterlagen und des Vertrags der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung konnte der Senat nicht feststellen, daß dieser Mehraufwand durch eine Praxisbesonderheit hervorgerufen oder mit kompensatorischen Einsparungen gerechtfertigt werden könnte. Die Abrechnungsunterlagen enthalten keinen Hinweis darauf, daß die Patienten aufgrund der dokumentierten Krankheitsbilder besonders vermehrt einer psychologischen Behandlung bedürften. Für diese Annahme reichen auch die Aufzeichnungen der Klägerin auf den Abrechnungsunterlagen nicht aus.

Auch wenn der Senat im Ergebnis zu der gleichen Überzeugung wie das Sozialgericht Frankfurt gekommen ist, war der Tenor des Urteils des Sozialgerichts abzuändern. Denn aus dem Tenor des Urteils geht nicht hervor, daß es zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der angefochtene Widerspruchsbescheid hinsichtlich der Honorarkürzung der Leistungsgruppe 8 des Quartals II/95 rechtmäßig ist. Die Klage war deshalb insoweit abzuweisen.

Im übrigen war die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1), 2), 4), 5), 7) und 8) zurückzuweisen. Der Senat ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Widerspruchsbescheid des Beklagten hinsichtlich der Honorarkürzung der Leistungsnummer 4 in den Quartalen I und II/95 rechtsfehlerhaft ist.

Wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 15. März 1995 (Az. 6 RKa 8/94) ausgeführt hat, beruht das Ergebnis des statistischen Kostenvergleichs nach Durchschnittswerten auf dem Grundsatz der Vergleichbarkeit des zu prüfenden Arztes mit der Vergleichsgruppe. Dieser Rechtsprechung hat sich der Senat bereits mit mehreren Urteilen angeschlossen (zuletzt Urteil vom 25. März 1998, Az.: L 7 KA 1100/96, für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnung von Arzneimitteln). Maßstab für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit des zu prüfenden Arztes ist der durchschnittliche Behandlungsaufwand der Vergleichsgruppe. Ausgangspunkt der statistischen Vergleichsprüfung ist die Grundannahme, daß die Vergleichsgruppe unter Einbeziehung des zu prüfenden Arztes im Schnitt vergleichbare Patienten hat und deshalb im Schnitt die gleichen Behandlungskosten anfallen. Um die Aussagekraft der statischen Prüfung zu erhalten, ist jedoch die Vergleichbarkeit Voraussetzung.

Der Senat ist zu der Überzeugung gekommen, daß die Kinderarztpraxis der Klägerin mit einem Anteil von 90 % Ausländern mit einer Vergleichsgruppe von Kinderarztpraxen mit "normal hohem Ausländeranteil” nicht vergleichbar ist. Dieser Auffälligkeit hätte der Beklagte durch die Bildung einer besonderen Vergleichsgruppe Rechnung tragen müssen. Allein die Höhe der Kürzung im Rahmen der Ermessensausübung zu bemessen und dabei "allen eventuellen Gegebenheiten der Praxis” gerecht zu werden, war vorliegend nicht ausreichend.

Es steht zwar grundsätzlich in der Wahlfreiheit der Prüfgremien, ob sie eine Praxisbesonderheit durch die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe oder im Rahmen einer statistischen allgemeinen Vergleichsgruppe anerkennen und berücksichtigen. Ein Anspruch auf die Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe besteht jedoch nur nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß eine Ungleichbehandlung mit anderen Normadressaten gerechtfertigt ist (BVerfGE 55, 72, 89 ff.; BVerfGE 71, 146, 154 ff.; BVerfGE 72, 141, 150 ff.; BVerfGE 79, 87, 89 ff.; Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht Rdnr. 522).

Nach Überzeugung des Senats weicht die Praxis der Klägerin mit einem Ausländeranteil von 90 % in den streitigen Quartalen in einem Maße von anderen Kinderarztpraxen ab, die einen Vergleich nicht mehr zulassen. Wie dem Senat aufgrund seiner Besetzung, insbesondere mit einem Arzt als ehrenamtlichem Richter, bekannt und dies in der mündlichen Verhandlung dargelegt worden ist, können insbesondere ausländische Patienten einen in bestimmten Situationen höheren ärztlichen Betreuungs- und Behandlungsaufwand als andere Patienten benötigen. Wie die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, sieht sie den Grund für den Mehraufwand der Leistungsnummer 4 darin begründet, daß sie sich auf die Beobachtungsgabe der Eltern ihrer Patienten nicht verlassen könne und deren, auf ihre schwierigen sozialen Verhältnisse beruhende, fehlende Mitarbeit.

Um einen statistischen Vergleich zu ermöglichen, kann die Klägerin jedoch nicht erwarten, daß in die Vergleichsgruppe nur Kinderärzte mit einem gleich hohen Ausländeranteil aufgenommen werden. Dabei geht der Senat nicht davon aus, daß die Kinderarztpraxen der Vergleichsgruppe ebenfalls einen Ausländeranteil von 90 % haben müssen. Der Senat neigt dazu, es als ausreichend anzusehen, wenn die Kinderarztpraxen im Bereich der Beigeladenen zu 1) einen deutlich überwiegenden Ausländeranteil von etwa 70 % aufweisen.

Die Entscheidung des erkennenden Senats hält sich im Rahmen der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Bildung von Vergleichsgruppen wie auch zur Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die maßgeblichen Strukturmerkmale für die Vergleichbarkeit von Praxen sind durch das sachverständig besetzte Prüfgremium zu würdigen und unterliegen gerichtlich nur einem eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum (BSG, Entsch. vom 19.03.1997 – 6 BKa 60/96). Dabei wird das Abstellen auf den Fallgruppendurchschnitt sowie den durchschnittlichen Behandlungsaufwand nicht in Frage gestellt (BSG, Urt. vom 09.03.1994 – 6 RKa 16/92 – USK 94131 sowie 6 RKa 17/92). Die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe kann zweckmäßig sein, wenn sie eine hinreichend große Anzahl von Ärzten umfaßt, die sich durch eine Behandlungsmethode (BSG, Entsch. vom 27.06.1996 – 6 BKa 56/95) in erheblicher Weise von Ärzten mit anderen Behandlungsarten unterscheiden; dabei kann die Klägerin für sich neben dem hohen Ausländeranteil auch den Schwerpunkt der Tätigkeit im Bereich der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie anführen. Die Bildung der Vergleichsgruppe steht zudem in Wechselwirkung zu den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, die stets neben dem statistischen Kostenvergleich eine intellektuelle Prüfung und Entscheidung verlangt, bei der die für die Frage der Wirtschaftlichkeit relevanten medizinisch-ärztlichen Gesichtspunkte in Rechnung zu stellen sind (vgl. BSG, Urt. vom 30.11.1994 – 6 RKa 23/93 – USK 94144). Die Prüfung nach Durchschnittswerten baut zwar auf einem statistischen Kostenvergleich auf, die statistische Betrachtung macht aber nur einen Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung aus. Der Gefahr, daß durch eine weitere Verfeinerung durch "Sparten- oder Einzelleistungsvergleiche” (vgl. BSG, Urt. vom 09.03.1994 – 6 RKa 17/92) kein ausreichend gesichertes Prüfverfahren mehr durchgeführt werden kann, kann aber auch dadurch begegnet werden, daß der hohe Ausländeranteil, auf den der erkennende Senat als Kriterium maßgeblich abstellt, im Rahmen der intellektuellen Prüfung bestimmend einbezogen wird. Auch dies rechtfertigt eine erneute Prüfung durch den Beklagten, dessen Entscheidung sich nicht mehr in dem ihm eingeräumten Entscheidungsrahmen hält.

Damit wird der Beklagte seine Entscheidung nach Maßgabe der Gründe des Senats und unter Berücksichtigung von Praxen mit dem angeführten hohen Ausländeranteil erneut zu treffen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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