L 7 KA 941/98

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 28 Ka 871/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 KA 941/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1998 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechnungen des Klägers (Quartale 4/94 und 1/95 Primär- und Ersatzkassen) hinsichtlich der Leistung nach Nr. 74 BMÄ/E-GO.

Der Kläger betreibt (in Gemeinschaft mit einer Ärztin, die am Berufungsverfahren nicht beteiligt ist) eine frauenärztliche Praxis in F. mit der Besonderheit eines sog. Hormonlabors; in diesem führt er für Gynäkologen, praktische Ärzte und Hautärzte aus dem gesamten Bundesgebiet Hormonanalysen anhand von übersandten Blut- bzw. Serumproben durch. In den an die behandelnden Ärzte von dem Kläger übersandten Laborberichten finden sich neben den Laborwerten eine Diskussion dieser Werte, eine Diskussion möglicher Ursachen, sowie zumeist Therapieempfehlungen.

Nachdem der Kläger nach seiner Darstellung bis einschließlich Quartal 3/1994 unbeanstandet für die Unterrichtung der einsendenden Ärzte die Gebührenordnungsposition Nr. 74 BMÄ/E-GO abgerechnet hatte, beanstandete die Beklagte mit Bescheid vom 16. Mai 1995 im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung diese Gebührenordnungspositionen für das Quartal 4/1994 mit der Begründung, daß bei der alleinigen Untersuchung eines Körpermaterials die Nr. 74 BMÄ/E-GO nicht berechenbar sei, da keine Patientenuntersuchung vorausgegangen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 16. Juni 1995 Widerspruch eingelegt im wesentlichen mit der Begründung, wenn eine vorausgehende körperliche Untersuchung die Bedingung für die Abrechnung der Nr. 74 sei, komme lediglich noch die Ziffer 75 in Betracht für die Interpretation der Hormonanalyse in Bezug auf die angegebene Anamnese der Patientin, insbesondere da auch eine Therapieempfehlung erwartet werde.

Mit Bescheid vom 5. Juli 1995 berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnung des Klägers das Quartal 1/95 betreffend in gleicher Weise.

Hiergegen hat der Kläger am 12. Juli 1995 Widerspruch eingelegt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 1995 wies die Beklagte die Widersprüche hinsichtlich beider Quartale zurück. In der Begründung führte sie u.a. aus, daß durch die Änderung der Nr. 74 BMÄ/E-GO durch den Bewertungsausschuß ab 1. Juli 1992 ein kurzer ärztlicher Bericht über das Ergebnis einer Patientenuntersuchung berechnungsfähig sei, während nach der bis zum 30. Juni 1992 geltenden Leistungslegende eine kritische Stellungnahme und Empfehlungen zu Behandlungen als Abrechnungsvoraussetzungen aufgeführt worden seien. Ungeachtet der Änderung der Leistungslegende sei der ärztliche Bericht durch die kritische Auseinandersetzung mit dem Ergebnis einer Patientenuntersuchung gekennzeichnet. Die Abrechnung der Nr. 74 BMÄ/E-GO setze zwingend voraus, daß eine Patientenuntersuchung stattgefunden habe. Ein Bericht über eine Probenuntersuchung – die in den beanstandeten Fällen durchgeführt worden sei – sei nicht abrechnungsfähig, auch wenn er über eine Befundmitteilung hinausgehe. Ein Ansatz der Nr. 75 BMÄ/E-GO scheide ebenfalls aus. Bei der Nr. 75 BMÄ/E-GO könne es sich nur um einen Bericht handeln, der über den in der Nr. 74 BMÄ/E-GO enthaltenen Bericht hinausgehe. Sofern nicht sämtliche Leistungsmerkmale der Nr. 75 BMÄ/E-GO erfüllt seien, scheide eine Berechnungsfähigkeit dieser Leistung bereits nach den Allgemeinen Bestimmungen A 1 Satz 1 des BMÄ und der E-GO aus, wonach eine Leistung nur dann berechnungsfähig sei, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden sei.

Gegen den am 8. Januar 1996 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit am 8. Februar 1996 bei der Beklagten zugegangenem und erneut als Widerspruch bezeichnetem Schreiben sinngemäß Klage erhoben. Er hat im wesentlichen vorgetragen, er sei ein bundesweit bekannter gynäkologischer Endokrinologe, der ganz spezielle Untersuchungen durchführe und daher eine Vielzahl von Überweisungen in sein Hormonlabor erhalte. Anders als bei einem normalen Laborbefund beschränke er sich nicht auf die Befundmitteilung, sondern gebe detaillierte Informationen zur Interpretation der vorliegenden Problematik entsprechend der Hinweise auf dem beigefügten Anforderungsformular mit Angabe der vorliegenden gynäkologischen Problematik –durch Ankreuzen–, die durch zusätzliche schriftliche Angaben individueller Beschwerden oder Patientendaten komplettiert würden. Zumeist werde von ihm auch eine Interpretation der Hormonbefunde sowie eine Therapieempfehlung erbeten. Wegen seiner besonderen Kompetenz würden die Fragen der einsendenden Ärzte oftmals auf einem zusätzlichen Anforderungsformular gestellt und durch ergänzende schriftliche Angaben individueller Beschwerden oder Patientendaten, die für eine Interpretation von Bedeutung sein könnten, präzisiert. Damit erfülle er sämtliche erforderlichen Punkte der Nr. 75 BMÄ/E-GO. Seine Briefe seien keineswegs schriftliche Begleitberichte zu Probenuntersuchungen, sondern individuelle therapeutische Bewertungen in Ergänzung zum Laborbefund. Es werde auch keinesfalls in jedem Überweisungsfall die Nr. 75 angesetzt, sondern nur in denjenigen Fällen, in denen aufgrund der besonderen Fragestellung neben der Mitteilung des bloßen Befundes eine zusätzliche Interpretation mit Therapieempfehlung geboten sei.

Mit Urteil vom 29. April 1998 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen. In der Begründung hat es ausgeführt, die Abrechnung der Nr. 74 BMÄ/E-GO scheitere schon daran, daß in den streitbefangenen Fällen unstreitig ärztliche Patientenuntersuchungen nicht vorgenommen worden wären. Die Abrechnung nach Nr. 75 BMÄ/E-GO komme erst recht nicht in Betracht, da es sich dabei um einen über den Rahmen des Nr. 74 BMÄ/E-GO hinausgehenden Bericht handeln müsse, der wiederum eine Patientenuntersuchung voraussetze. Für die in Nr. 75 geforderte Anamnese- und Befundwiedergabe sei eine eigene Untersuchung unverzichtbar. Gegen das am 24. Juni 1998 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Juli 1998 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, sämtliche von der Beklagten gestrichenen Leistungen nach Nr. 74 BMÄ/E-GO seien nach Nr. 75 BMÄ/E-GO anzusetzen. Bei allen abgerechneten Briefen erfolge eine Interpretation der Hormondaten entsprechend der mitgeteilten anamnestischen Daten mit epikritischer Bewertung und Therapievorschlag. Diese Befunde seien jeweils auf Band diktiert, von den Schreibkräften als Brief niedergelegt, von ihm auf Richtigkeit gelesen, unterzeichnet und an den Überweiser übermittelt. Es handele sich dabei nicht um Briefe mit normalen Laborbefunden und standardisierten Textbausteinen, wie sie z.B. von Laborärzten an die Überweiser verschickt würden. Auf eine Patientenuntersuchung komme es bei Nr. 75 BMÄ/E-GO nicht an, eine apparative Untersuchung oder Laboruntersuchung könne vielmehr genügen. Der Erhebung einer Anamnese bedürfe es nicht, da diese dem überweisenden Arzt bekannt sei und der Zweck der Leistung nach Nr. 75 BMÄ/E-GO die Information der Ärzte untereinander sei. Die im Klammerzusatz verlangten Befunde erfaßten auch die Ergebnisse der Laboruntersuchungen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den von den einsendenden Fachärzten erhobenen Fremdbefunden sowie den eigenen Laborbefunden stelle die erforderliche epikritische Bewertung dar. Es handele sich auch um eindeutige Therapievorschläge und nicht nur vage Empfehlungen. Im übrigen komme es gerade nicht auf die Therapieempfehlungen an, wie sich aus dem Klammerzusatz "ggf. Therapievorschlag” ergebe.

Der Kläger hat verschiedene Beispiele seiner schriftlichen Berichte, sowie den Bericht eines Laborarztes vorgelegt. Der Kläger hat eine Abtretungserklärung der sich mit ihm in den streitbefangenen Quartalen in Gemeinschaftspraxis befindlichen Ärztin vom 15. Juni 1999 vorgelegt. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat erklärt, daß das Berufungsverfahren allein für den Kläger geführt werden solle.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1998 sowie die Bescheide der Beklagten vom 16. Mai 1995 und vom 5. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gestrichenen (beanstandeten) Leistungen nach Nr. 74 BMÄ/E-GO nach Nr. 75 BMÄ/E-GO zu honorieren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, entgegen der Annahme des Klägers komme eine Abrechenbarkeit der in Frage stehenden Leistungen nach Nr. 75 EBM ebensowenig wie – unstreitig – nach Nr. 74 EBM in Betracht. Die Gebührenordnungsposition Nr. 75 EBM stehe in einem inneren Sachzusammenhang mit den umliegenden Nrn. 74 und 78 EBM und setze eine bestimmte und speziell auf die Person des betreffenden Patienten bezogene Auskunft voraus. Der Umfang allein begründe die Berechnungsfähigkeit der Nr. 75 EBM nicht. Bei dem Brief ärztlichen Inhalts nach Nr. 75 EBM müsse es sich um einen über den Rahmen der Nr. 74 EBM hinausgehenden Bericht handeln, der damit ebenso zwingend eine Patientenuntersuchung unter Kontaktaufnahme mit dem Patienten voraussetze. Nach dem Klammerzusatz (Anamnese, Befunde, epikritische Bewertung, ggf. Therapieempfehlung) sei lediglich die Therapieempfehlung fakultativ, während auf die übrigen Hauptelemente keinesfalls verzichtet werden könne. Hinsichtlich der geforderten Epikrise genüge eine bloße Diagnose auf der Grundlage einer einmaligen Untersuchung nicht, sondern die erhobenen Untersuchungsbefunde müßten zueinander in Beziehung gesetzt werden. Es sei aber auch eine analoge Anwendung bestimmter Gebührennummern ausgeschlossen, um die Steuerungskompetenz des Bewertungsausschusses sicherzustellen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig.

Dabei geht der erkennende Senat davon aus, daß die Berufung Lediglich durch den Kläger und nicht zugleich auch durch seine Partnerin der Gemeinschaftspraxis eingelegt wurde. Denn diese ist in dem gesamten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht aktiv geworden, hat die in erster Instanz vorgelegte Prozeßvollmacht nicht unterschrieben und auf die Nachfrage des Gerichts an die Prozeßbevollmächtigten dem Kläger lediglich eine Abtretungserklärung unterschrieben mit dem in der mündlichen Verhandlung berichteten Hinweis, daß sie kein Kostenrisiko eingehen wolle. Bei dem für den Kläger negativen Ergebnis der Berufung kann es auch dahingestellt bleiben, welche Bedeutung dem erstinstanzlichen Urteil insoweit zukommt, als es die Partnerin des Klägers in das Rubrum mit aufgenommen hat.

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. April 1998 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 16. Mai 1995 und vom 5. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 1995 sind zu Recht ergangen. Ohne Rechtsfehler hat die Beklagte die von dem Kläger begehrte Honorierung der Erweiterung der schriftlichen Berichte über die Laborergebnisse von eingesandten Blut- und Serumproben nach Nr. 74 BMÄ/E-GO abgelehnt und im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung gestrichen, § 45 Abs. 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte, § 34 Abs. 4 Satz 2 Arzt-Ersatzkassenvertrag.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Honorierung der streitbefangenen schriftlichen Zusätze zu den Laborbefunden nach Nr. 74 BMÄ/E-GO. Ein "kurzer ärztlicher Bericht über das Ergebnis einer Patientenuntersuchung” kann bei der labormäßigen Befundung von Blut- oder Serumproben mangels Untersuchung des Patienten selbst nicht abgerechnet werden.

Die schriftlichen Ausführungen des Klägers in den streitbefangenen Fällen als Zusatz zu den Laborbefunden konnten jedoch auch nicht nach Nr. 75 BMÄ/E-GO honoriert werden als "Brief ärztlichen Inhalts in Form einer individuellen schriftlichen Information des Arztes an einen anderen Arzt über den Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Patienten (Anamnese, Befunde, epikritische Bewertung, ggf. Therapieempfehlung)”. Dabei ging der erkennende Senat davon aus, daß diese Frage bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war, da der Kläger bereits mit Schreiben vom 6. Februar 1995 eine entsprechende Honorierung begehrt und die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 1995 eine Honorierung nach Nr. 75 BMÄ/E-GO abgelehnt hat.

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine vorhergehende Untersuchung des Patienten auch im Falle der Nr. 75 BMÄ/E-GO erforderlich. Die Leistungen nach Nrn. 74, 75, 78 BMÄ/E-GO stehen in einem inneren Zusammenhang dergestalt, daß von der gering bewerteten Leistung nach Nr. 74 BMÄ/E-GO ausgehend zusätzliche Merkmale erfüllt sein müssen, damit die Nr. 75 BMÄ/E-GO abgerechnet werden kann. Dabei ist mindestens eine vorhergehende Patientenuntersuchung zwingend erforderlich, zu der auch eine Anamneseerhebung durch den untersuchenden Arzt gehört. Soweit der Kläger darauf verweist, daß er die Anamnese der Patienten von den einsendenden Ärzten mitgeteilt bekäme, jedenfalls teilweise, und er damit dieses Merkmal (Anamnese) erfülle, verkennt er, daß die Erhebung der Anamnese und deren Mitteilung an den anderen Arzt nach Nr. 75 BMÄ/E-GO vorausgesetzt werden und damit vom abrechnenden Arzt zu erbringen sind. Die Anamnese als ärztliche Leistung ist erst dann erbracht, wenn der Arzt die Vorgeschichte einer Krankheit selbst vom Patienten erfragt hat (vgl. Der Grosse Brockhaus, 18. Auflage – Anamnese –). Im Zusammenhang mit Nr. 75 BMÄ/E-GO muß also der Arzt zunächst bei einem Patientenkontakt die Vorgeschichte vom Patienten erfragen und die Zusammenfassung zum Inhalt des Briefes an den anderen Arzt machen, den er unterrichten will. Es wäre aber sinnwidrig, diese Voraussetzung als erfüllt anzusehen, wenn der Kläger, ohne die Patientin gesehen und befragt zu haben, dem einsendenden Arzt dessen Anamnese (im Anforderungsformular dem Kläger mitgeteilt) lediglich zurückschreibt.

Auf die evtl. Erfüllung der Voraussetzung "epikritische Bewertung” konnte es deshalb nicht mehr ankommen.

Ob die Hinweise des Klägers als Therapieempfehlung i.S. Nr. 75 BMÄ/E-GO zu werten sind, oder als vage Hinweise – wie es an einer Stelle des angefochtenen Urteils heißt –, ist bei der gezeigten Rechtslage ebenfalls nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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