L 13 VU 1/03 -26

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 9 VU 6/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VU 1/03 -26
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 13. November 2002 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 10. September 2003 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) wegen der Folgen einer zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung.

Die 1930 geborene Klägerin befand sich vom 2. Oktober 1959 bis zum 29. September 1962 zu Unrecht in Haft (Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 13. Juli 1995, 4 BRH 4940/92). Sie hatte ihrem an multipler Sklerose erkrankten Bruder etwa anderthalb Jahre vor dessen Selbstmord eine kleine Menge Natriumcynaid besorgt. Zum Zeitpunkt der Verhaftung studierte sie in Berlin (West) und war mit der Fertigung ihrer Diplomarbeit befasst. Sie wurde im Zusammenhang mit einem geplanten Besuch bei ihren Eltern in Tverhaftet.

Mit ihrem am 24. März 1997 gestellten Antrag auf Beschädigtenversorgung machte sie geltend, zunächst gehofft zu haben, dass sich die Verhaftung als Irrtum herausstellen werde. Während der anschließenden Zuchthausstrafe habe sie unter unmenschlichen Haftbedingungen gelitten und sei –vermutlich wegen einer Lebererkrankung - im Haftkrankenhaus Meusdorf behandelt worden. Von Oktober bis Dezember 1968 und Oktober bis Dezember 1972 sei sie stationär wegen einer Psychose behandelt worden. Sie verwies auf Kopien ihrer Sozialversicherungsausweise. Der Beklagte zog den Entlassungsbericht des Haftkrankenhauses M vom 13. Januar 1962, die Krankenunterlagen der Justizvollzugsanstalt H, die Unterlagen des Gesundheitsamtes P und die Behandlungsunterlagen des Allgemeinmediziners Dr. H aus der Zeit ab Oktober 1982 bei und holte einen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. K vom 29. Juni 1997 ein. Nachdem die Klägerin ihre Haftbedingungen nochmals eingehend beschrieben hatte, beauftragte der Beklagte Dr. G mit der Erstattung eines psychiatrischen Gutachten vom 27. April 1999, der unter Berücksichtigung eines psychologischen Gutachtens der Diplompsychologin D vom 1. April 1999 zu dem Ergebnis gelangte, es liege eine allenfalls sehr milde Depression vor. Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung ließen sich nicht festmachen. Die Klägerin habe in der Haftzeit und danach in den 60er Jahren eine vorübergehende Verschlimmerung der vorher bereits bestehenden psychischen/ begleitend psychosomatischen Störungen erlitten, die nicht zu einer anhaltenden schädigungsbedingten MdE geführt hätten. Nach Abklingen der Verschlimmerung liege eine eigengesetzliche Krankheitsentwicklung psychischer/psychosomatischerseits vor.

Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 1999 den Antrag der Klägerin ab. Sie habe keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung, weil die nunmehr vorliegenden mild ausgeprägten rezidivierenden depressiven Episoden nicht ursächlich auf die Haftbedingungen zurückzuführen seien.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Annahme eines pathologisch psychischen Geschehens vor der Haft beruhe auf Fehlinformationen aus Berichten der behandelnden Ärzte der DDR-Zeit. Damals habe sie keine Angaben über ihre Haftzeit machen dürfen. Deshalb habe die Ursachenforschung in ihrer Kindheit angesetzt. Sie habe weder eine gestörte Beziehung zu ihrer Mutter gehabt noch sei ihre Mutter psychisch krank gewesen. Ihre schwerwiegenden Verdauungsbeschwerden sowie die während der Haft erlittene Hepatitisinfektion seien nicht als Schädigungsfolgen berücksichtigt worden.

Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. Gvom 12. Oktober 2000 wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2000 zurück. Auch unter Berücksichtigung der ausführlichen Widerspruchsbegründung seien Schädigungsfolgen nicht nachgewiesen.

Mit ihrer dagegen vor dem Sozialgericht Potsdam erhobene Klage hat die Klägerin eine nochmalige Begutachtung angeregt, da sie sich Dr. G gegenüber aufgrund der einschüchternden Untersuchungssituation nicht habe äußern können. Das Sozialgericht hat u.a. bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Akteneinsicht in die Akte der Klägerin genommen und Kopien zur Gerichtsakte genommen, Gehaltsunterlagen von der Klägerin beigezogen und Dr. M mit der Erstattung eines nervenfachärztlichen Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Der Sachverständige ist in seinem unter Mitarbeit der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Merstatteten Gutachten vom 4. Februar 2002 zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin liege eine posttraumatische Belastungsstörung in leichter chronifizierter Form vor, die vor allem mit phobischen Ängsten, erhöhtem Misstrauen und vermehrter Reizbarkeit und Aggressivität einhergehe, die Klägerin in ihrer Kontaktfähigkeit einschränke und zu einer gewissen sozialen Isolierung geführt habe. Die Klägerin habe nur wenige befriedigende soziale Kontakte, es sei ihr nicht gelungen, eine Partnerschaft einzugehen und sie zeige sich im Umgang mit Behörden und Autoritätspersonen ängstlich eingeschränkt. Nur im Rahmen von Therapie- und Selbsthilfegruppen gelinge es ihr offensichtlich, über ihre traumatischen Hafterfahrungen zu sprechen, während sie sich in der Untersuchungssituation schwertue. Der Schlaf werde durch wiederkehrende Albträume mit thematischem Bezug zur Haftzeit beeinträchtigt. Außerdem bestehe eine erhöhte Somatisierungsneigung, vor allem in Form einer Reizdarmsymptomatik, deren Beginn sich bis in die Haftzeit zurückverfolgen lasse. Davon abzugrenzen sei eine bereits vorbestehende psychische Erkrankung in Form von rezidivierenden depressiven Episoden, deren Ursache in einer belasteten Kindheit zu finden sei. Die Beziehung zur Mutter sei offensichtlich gestört gewesen, was sich nur indirekt in der flachen und detailarmen Schilderungen der Mutter durch die Klägerin ablesen lasse. Auch wenn die Genese der depressiven Episoden in der Kindheit zu suchen sei, habe sich das Ausmaß und der Schweregrad der Depressionen durch die Inhaftierung verschlimmert. Gegenwärtig lasse sich nur eine milde bis mäßige Depressivität nachweisen. Während der von der Klägerin geschilderten depressiven Episoden müsse das Ausmaß der Depression als mindestens mittelschwer angenommen werden. Die leichte chronische posttraumatische Belastungsstörung mit Somatisierung sei mit einer MdE von 20 v.H., die rezidivierenden depressiven Episoden mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten, die Gesamt-MdE betrage 20 v.H.

Dem folgend hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 24. April 2002 als Schädigungsfolgen nach § 21 StrRehaG

- leichte chronische posttraumatische Belastungsstörung mit Somatisierung - rezidivierend depressive Episoden

mit einer MdE von 20 v.H. anerkannt.

Auf die Einwände der Klägerin hiergegen hat der Gutachter in einer ergänzenden Stellungnahme vom 30. September 2002 darauf verwiesen, dass die MdE-Bewertung auf der Grundlage der Anamnese, der subjektiven Angaben der Klägerin, des psychischen Befundes und einer ausführlichen psychologischen Testung erfolgt sei.

Durch Urteil vom 13. November 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Über die vom Beklagten anerkannten Schädigungsfolgen hinaus seien keine weiteren Gesundheitsstörungen anzuerkennen. Die Hepatitis sei folgenlos ausgeheilt, die Obstipation stelle keine eigene Schädigungsfolge, sondern eine Somatisierungsstörung dar. Die MdE-Bewertung des Gutachters entspreche den Vorgaben der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Anhaltpunkte) 1996. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, nahezu ununterbrochen an Depressionen zu leiden, die sich im Laufe der Jahre nicht gebessert hätten, so dass nicht nur eine leichte psychische Störung vorliege. Auch seien die Störungen des Verdauungssystems als eigenständige Schädigungsfolgen MdE-erhöhend zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 10. September 2003 hat der Beklagte eine Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins abgelehnt. Der berufliche Werdegang der Klägerin sei nicht durch Schädigungsfolgen beeinträchtigt worden, sondern durch das politische System der DDR gekennzeichnet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 13. November 2002 aufzuheben, den Bescheid vom 8. Juni 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2000, des Anerkenntnisses vom 24. April 2002 und des Bescheides vom 10. September 2003 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. März 1997 eine Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 10. September 2003 abzuweisen.

Nachdem zunächst Dr. Min einer weiteren Stellungnahme vom 28. Juni 2003 bei seiner Auffassung verblieben ist, hat der Senat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Prof. Dr. F vom 1. März 2005 eingeholt. Diesem gegenüber hat die Klägerin angegeben (S. 17 des Gutachtens), erst durch die stationäre mit anschließender ambulanter Psychotherapie habe sie sich stark genug gefühlt, ihr Diplom an der H-Universität nachzumachen. Des Weiteren hat sie geschildert, im Alter von 14 Jahren ein sexuell übergriffiges Erlebnis gehabt zu haben. Der Gutachter ist zu der Einschätzung gelangt, dass die in der DDR durchgeführten Therapien nur begrenzt erfolgreich hätten sein können, weil die Klägerin nicht über die Haftzeit habe sprechen dürfen. Aufgrund der Tendenz zur Isolierung und zur Misstrauenshaltung, möglicherweise mitgeprägt durch das Erleben sexuell beschämender Situationen im Kinderheim und in der Haftzeit, sei es nie zur Entwicklung von partnerschaftlichen Kontakten gekommen. Es sei schwierig, die sich verflechtenden traumatischen Ereignisse im Leben der Klägerin in ihren Auswirkungen zu differenzieren. Inwieweit auch ungelöste Beziehungskonflikte der frühkindlichen Situation bei der heutigen Symptomatik ursächlich eine Rolle spielten, seien bei der Idealisierungshaltung der Klägerin ihren Eltern gegenüber nicht zu explorieren. Es sei davon auszugehen, dass durch die öffentliche Beschäftigung mit der Thematik unrechtmäßiger DDR-Haft vieles an traumatisierenden Themen remobilisiert worden und nach Aufgabe der Berufstätigkeit ein wesentlicher stabilisierender Faktor verloren gegangen sei. Im gegenwärtigen Zeitpunkt finde sich eine eher regressiv- infantile Haltung bei hysteroider Grundstruktur mit zeitweilig skurril anmutenden Verhaltensmustern und paranoider Haltung. Diese würden möglicherweise durch einen beginnenden hirninvolutiven Prozess in ihrer Ausprägung weiter begünstigt. Es bestehe das Bild einer anhaltenden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Teil der Persönlichkeitsänderung seien die depressive Symptomatik und die geklagten psychosomatischen Beschwerden. Die traumatisierenden Erlebnisse der Flucht während der Jugendzeit seien durch die Haft retraumatisiert worden. Manifeste Gesundheitsstörungen seien erst nach der Haftzeit erkennbar. Die MdE sei mit 40 v.H. zu bewerten. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. März 2006 hat der Gutachter die abweichende Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung damit begründet, dass nach seiner Kenntnis Extrembelastungen, die junge Menschen beträfen, die in ihrer Persönlichkeitsbildung noch nicht ausreichend gefestigt seien, "eher eine andauernde Persönlichkeitsänderung mit sich" brächten. Die Einschränkungen in der individuellen und sozialen Lebensgestaltung seien etwa denen einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichzusetzen, die nach den Anhaltspunkten mit einer MdE von 30 bis 40 v.H. zu bewerten sei. Aufgrund der Schwere der Persönlichkeitsstörung werde eine MdE von 40 v.H. angenommen.

In einem Befundbericht vom 20. September 2006 hat Dr. P vom BB die Diagnose einer depressiven Verstimmung und chronischen posttraumatischen Belastungsstörung gestellt. Beide Leiden hat er als mittelschwer bezeichnet. Die Klägerin sei in ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfreiheit wesentlich eingeschränkt. Sie lebe zurückgezogen, habe nur wenige soziale Kontakte und leide unter ihrer Einsamkeit. Von ihren Mitmenschen fühle sie sich oft missverstanden und leicht angegriffen.

In einer weiteren Stellungnahme vom 29. Dezember 2006 ist Dr. Mzu dem Ergebnis gelangt, es sei aufgrund der abweichenden Angaben der Klägerin gegenüber Prof. Dr. F zu ihrer psychosexuellen Entwicklung eine weitere Vortraumatisierung festzustellen. Die weiter angegebenen seelischen Auffälligkeiten einer regressiv-infantilen Haltung ließen keinen Haftzusammenhang erkennen, sondern kennzeichneten eine klassische Neurose. Auch der möglicherweise bestehende Hirnabbau stehe nicht mit den Haftfolgen im Zusammenhang. Die MdE von 40 v.H. sei nicht plausibel, weil der Gutachter nicht den Versuch unternehme, zwischen Haftfolgen und den von ihm herausgearbeiteten vorbestehenden Störungen und Traumatisierungen zu differenzieren. Die Einordnung der psychischen Gesamtverfassung der Klägerin als eine mittelsschwere Störung stehe der Einschätzung, dass als Haftfolgen nur leichtere Störungen anzusehen seien, nicht entgegen.

Auf Antrag der Klägerin ist eine weitere Stellungnahme vom 3. Dezember 2007 von Prof. Dr. Feingeholt worden, der die Auffassung vertreten hat, dass es spekulativ sei, eine vor der Haft bestehende Persönlichkeitsstruktur von der nach der Haft bestehenden abzugrenzen. Die einzig verlässliche Größe sei die tatsächliche Lebensbewältigung zum Zeitpunkt vor der Haft, die der Klägerin möglich gewesen sei. Die Extrembelastung durch die Haft habe in sehr jungem Alter stattgefunden. Die Lebensweise der Klägerin rechtfertige die Diagnose einer anhaltenden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Da eine schwere Persönlichkeitsstörung vorliege, sei diese mit einer MdE von 40 v.H. zu bewerten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts) und der Versorgungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Versorgung wegen der gesundheitlichen Folgen der von ihr erlittenen Haft.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Gemäß § 21 Abs. 5 StrRehaG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.

Die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG - hier eine infolge der rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung erlittene gesundheitliche Schädigung und die gesundheitlichen Folgen der Schädigung (Gesundheitsstörung) – müssen demgegenüber nach den im sozialgerichtlichen Verfahren an die richterliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen voll bewiesen werden.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass Schädigungsfolgen die von dem Beklagten anerkannte chronische posttraumatische Belastungsstörung mit Somatisierung und rezidivierend depressiven Episoden sind, während er eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung nicht feststellen konnte.

Ausgangspunkt hierfür ist das Gutachten von Dr. M/ Dr. M, an dessen Verwertung der Senat nicht gehindert war. Denn das Gutachten ist nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Zwar hat die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht, Dr. M habe sie nur kurz persönlich untersucht, so dass er seiner zentralen Aufgabe nur unzureichend nachgekommen sei. Unabhängig von der Tatsache, dass diese Rüge verspätet vorgebracht worden sein dürfte, weil die Klägerin bei der der Gutachtenerstattung folgenden mündlichen Verhandlung diesen Vorwurf nicht erhoben hat, ist sie jedenfalls nicht nachvollziehbar, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 13. November 2002 vor dem Sozialgericht Potsdam lediglich darauf hingewiesen hatte, dass die Begutachtung unter Zeitdruck gestanden habe, nicht aber, dass diese überwiegend nicht von Dr. M vorgenommen worden sei.

Dr. M/Dr. M haben ihre Diagnose mit den von ihnen bei der Untersuchung erhobenen Befunden begründet, indem sie u.a. phobische Ängste, erhöhtes Misstrauen, vermehrte Reizbarkeit und Aggressivität, verbunden mit wiederkehrenden Albträumen mit thematischem Bezug zur Haftzeit, Auslösung der Erinnerungen an die Haftzeit durch bestimmte Geräusche und Gerüche angegeben haben. Diese Befunde haben die Gutachter mit den von ihnen durchgeführten psychologischen Tests in Übereinstimmung gebracht.

Die von ihnen gestellte Diagnose wird auch von dem mit der Beurteilung von Schädigungsfolgen vertrauten behandelnden Arzt Dr. Pgestellt.

Davon abweichend hat zwar Prof. Dr. F eine Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung diagnostiziert. Dem kann aber nicht gefolgt werden, weil der Gutachter diese abweichende Diagnose nicht überzeugend begründet. Während eine Begründung in dem Gutachten selbst fehlt, führt er in seiner Stellungnahme vom 28. März 2006 aus, dass nach seiner Kenntnis Extrembelastungen bei jungen Menschen eher eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach sich zögen. Demzufolge hat er die Diagnose nur anhand allgemeiner Erfahrungswerte gestellt, ohne Bezug auf das konkrete Krankheitsbild der Klägerin zu nehmen. Dies überzeugt insbesondere deshalb nicht, weil die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung bereits 28 Jahre alt war und in der Vergangenheit eine gewisse Selbständigkeit entwickelt hatte, da sie ihren Lebensmittelpunkt in Berlin (West) hatte. Diese Lebensphase hatte der Gutachter zugleich dahingehend bewertet, dass er zu diesem Zeitpunkt gerade keine Auffälligkeiten in der Biografie der Klägerin entdecken konnte. Denn er hat in seinem Gutachten ausgeführt (S. 27), dass eine angemessene Schul- und Lebensbewältigung stattgefunden habe. Demzufolge hat er keine Anhaltspunkte für seine Argumentation gegeben, dass die Klägerin trotz ihres Alters noch als "junger Mensch" anzusehen sei. Auch der Begründung der abweichenden Diagnose in seiner 2. Stellungnahme vom 3. Dezember 2007 kann nicht gefolgt werden. Dort vertritt er die Auffassung, dass sich bei seiner Untersuchung Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer depressiven Symptomatik nicht so schwerwiegend hätten abgrenzen lassen, dass sie den Stellenwert einer eigenständigen Diagnose hätten. Möglich sei, dass sich durch die Gruppentherapie eine vorbestehende schwere depressive Symptomatik und Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung gemildert hätten. Auch diese Begründung überzeugt nicht. Zum einen steht sie im Widerspruch zu der Tatsache, dass nach den Vorgaben der ICD 10 F 62.0 die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ausschließt. Zum Anderen berücksichtigt diese Angabe nicht, dass Dr. P eine Teilnahme der Klägerin an der Gruppentherapie im Zeitraum vom 17. Januar 2001 bis zum 12. Dezember 2005 angegeben hat, die Gruppentherapie also überwiegend vor den Untersuchungsterminen von Prof. Dr. F, die im November und Dezember 2004 sowie im Januar und Februar 2005 stattfanden, durchgeführt wurde. Zugleich steht im Widerspruch zu diesem Argument des Gutachters, dass er bei der Bewertung der Schädigungsfolgen von einem gleich bleibenden Zustand jedenfalls seit 1997, dem Jahr der Antragstellung, ausgeht.

Nach alledem waren weitere beziehungsweise andere Schädigungsfolgen als die vom Beklagten anerkannten, nämlich eine chronische posttraumatische Belastungsstörung mit Somatisierung und rezidivierend depressive Episoden nicht festzustellen, wobei auch die rezidivierend depressiven Episoden in vollem Umfang als Schädigungsfolgen zu bewerten waren. Zwar grenzt Dr. M eine vorbestehende psychische Erkrankung ab, deren Ursache in einer belasteten Kindheit zu finden sei. Ein derartiger "Vorschaden" lässt sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Denn in diesem Zusammenhang weist Prof. Dr. F zu Recht darauf hin, dass es schwierig sei, die sich verflechtenden traumatischen Ereignisse zu differenzieren. Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung aus der Zeit vor der Verhaftung bestehen nur aus Unterlagen aus dem Jahr 1989 (Gesundheitsamt P) also aus Zeiten, zu denen die Klägerin die Umstände der Haft nicht erwähnen durfte. Danach ist ein eigenständiges Erkrankungsbild nicht feststellbar.

Diese Schädigungsfolgen sind mit einer MdE - bzw. ab 1. Januar 2008 Grad der Schädigungsfolgen- von 20 v.H. zu bewerten und bedingen keinen Rentenanspruch, der gemäß § 31 BVG eine MdE von mindestens 30 v.H erfordert.

Auch insoweit konnte der Senat der Einschätzung von Prof. Dr. F nicht folgen. Maßstab für die Feststellung des Grades der MdE sind in erster Linie die Anhaltspunkte, die zwar keine Normqualität haben, aber weitgehend als antizipierte Sachverständigengutachten verstanden werden können. Sie wirken sich in der Verwaltungspraxis normähnlich aus und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Rechtsnormen von den Gerichten anzuwenden, bis der Gesetzgeber die erforderliche Ermächtigungsnorm mit klaren gesetzlichen Vorgaben - insbesondere im Hinblick auf die parlamentarische Verantwortung für die im Verordnungswege zu erlassenden, jetzt in den Anhaltspunkten enthaltenen wertenden Regelungen - geschaffen hat (vgl. Bundessozialgericht -BSG- SozR 3-3870 § 4 Nr. 6; SozR 3-3870 § 3 Nr 5, dazu BVerfG, Beschluss vom 6. März 1995, SozR 3-3870 § 3 Nr. 6). Wie die Gesamt-MdE bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen zu bilden ist, hat der Gesetzgeber im BVG nicht ausdrücklich geregelt. Es gilt hier aber nichts anderes als im Schwerbehindertenrecht, indem der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Die Bewertung der MdE ist nicht die vordringliche Aufgabe des medizinischen Sachverständigen (BSG, SozR 2200 § 581 Nr. 5). Zwar sind, wenn es darum geht, alle Behinderungsmomente in einer Gesamtschau unter Beachtung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander einzuschätzen (BSG SozR 3800 § 3 Nr. 5), ärztliche Beurteilungen unerlässlich. Ihnen kommt aber bei der GdB-Bewertung keine bindende Wirkung zu. Sie sind lediglich eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage, während die Bewertung als solche nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen beruht, die lediglich als solche mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der danach auf den zunächst festzustellenden medizinischen Tatsachen erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bieten zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht mehr um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9 A/9 RVS 7/89 =SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 1).

Die danach anzuwendenden Anhaltspunkte unterscheiden in den jeweils maßgeblichen Fassungen (bis Mai 2004 galten die Anhaltspunkte 1996, anschließend die insoweit gleichlautenden Anhaltspunkte 2004 bzw. 2005; ab 1. Januar 2008 die Anhaltspunkte 2008) einheitlich leichtere psychovegetative oder psychische Störungen, die mit einer MdE von 0 bis 20 bewertet werden und stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), die eine MdE von 30 bis 40 bedingen (Nr. 26.3, S. 60 der Anhaltspunkte 1996, S. 48 der Anhaltspunkte 2004, 2005 und 2008).

Dr. M gelangt zu der Bewertung, es liege nur eine schädigungsbedingte MdE von 20 v.H. vor. Dem folgt der Senat im Ergebnis als zutreffend, auch wenn er die rezidivierenden depressiven Episoden in vollem Umfang als Schädigungsfolgen bewertet, da eine abgrenzbare Verschlimmerung, wie bereits dargelegt, nicht festgestellt werden kann. Für eine Bewertung mit einer MdE von 30 bis 40 sind insbesondere den Stellungnahmen von Prof. Dr. F keine Anknüpfungspunkte zu entnehmen. Während er in seinem Gutachten die Einschätzung nicht begründet, führt er in seiner Stellungnahme vom 28. März 2006 aus, die Einschränkungen in der individuellen und sozialen Lebensgestaltung seien "etwa denen einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichzusetzen". Die Lebensweise sei von Misstrauenshaltung, Isolation und Meidung persönlicher Kontakte geprägt. Eine weitere Begründung ist der zweiten Stellungnahme nicht zu entnehmen. Diese Wertung ist jedoch mit den sonstigen, zur Akte gelangten Befunderhebungen nicht in Übereinstimmung zu bringen. So weisen nicht nur die von Dr. MM durchgeführten Testergebnisse auf eine nur mäßige Beeinträchtigung hin, sondern auch deren Beschreibung der Kontaktaufnahme zur Klägerin und ihr dortiges Auftreten. Der von diesen Gutachtern geschilderte persönliche Eindruck steht in Übereinstimmung mit dem von Prof. Dr. Ferhobenen psychischen Untersuchungsbefund, der angibt, die Klägerin sei zum Untersuchungszeitpunkt bewusstseinsklar und voll orientiert, im Kontakt sei sie anfänglich misstrauisch zurückhaltend, werde aber im Verlauf der Gespräche zunehmend kontakt- und auskunftsbereit. Die Stimmung sei gedrückt, etwas missmutig und unfroh. Dem können Anhaltspunkte für ausgeprägtere Störungen, wie sie für eine MdE von mindestens 30 erforderlich sind, nicht entnommen werden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil Prof. Dr. F in seiner zweiten Stellungnahme gerade darauf verweist, dass bei seinen Untersuchungen weder die depressive Symptomatik noch Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung "so schwerwiegend und so von der Gesamtpsychopathologie" abzugrenzen gewesen seien, dass sie den Stellenwert einer eigenständigen Diagnose hätten.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Befundbericht von Dr. P. Dieser bewertet zwar die Erkrankung als mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit verbunden. Die Beschreibung des Krankheitsbildes lässt aber keine abweichende Bewertung zu. Denn hierzu gibt Dr. P an, dass die Klägerin zurückgezogen lebe, nur wenige soziale Kontakte habe, unter ihrer Einsamkeit leide, sich von ihren Mitmenschen oft missverstanden und leicht angegriffen fühle, immer wieder depressive Einbrüche erleide und häufig in Weinkrämpfe ausbreche. Dem lässt sich eine dauerhafte mittelschwere depressive Verstimmung und mittelschwere chronische posttraumatische Belastungsstörung nicht zuordnen, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass beide Gerichtsgutachter entsprechende Befunde bei ihren umfänglichen Untersuchungen im gleichen Zeitraum nicht erheben konnten.

Der Bescheid vom 10. September 2003 ist rechtmäßig. Über ihn hatte der Senat, da er erst im Berufungsverfahren ergangen ist, im Wege der Klage zu entscheiden.

Zutreffend hat der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 BVG wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit abgelehnt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, SozR 3-3100 § 30 Nr. 14) ist die Erhöhung nach § 30 Abs. 2 BVG zunächst in Verbindung mit der Entscheidung des Gesetzgebers in § 30 Abs. 1 BVG zu sehen, wonach die MdE nach der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu bestimmen ist. Da jede Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zugleich eine solche für den Beruf darstellt, ist eine besondere berufliche Betroffenheit nur dann gegeben, wenn zu der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehenden eine besondere berufliche Schädigung hinzukommt, der Beschädigte also –schädigungsbedingt- erheblich größere Nachteile als im allgemeinen Erwerbsleben hinnehmen muss. Die Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit stellt eine Ausnahme dar, nach der nur ausnahmsweise individuelle berufliche Belastungen zur MdE-Erhöhung führen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin aufgrund der anerkannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen über die normale Beeinträchtigung im Erwerbsleben hinaus besonders beruflich betroffen war. Anhand ihrer beruflichen Entwicklung, die davon geprägt ist, dass sie unter anderem trotz der von ihr geschilderten Schikanemaßnahmen letztendlich ihr Diplom nachholen und eine der Ausbildung entsprechende Tätigkeit im Bereich der Akademie der Wissenschaften der DDR ausüben konnte, sind schädigungsbedingte Nachteile im allgemeinen Erwerbsleben nicht feststellbar. Ergänzend war zu berücksichtigen, dass die Klägerin darauf hingewiesen hat, durch Schikanemaßnahmen der DDR zunächst keinen, später keinen angemessenen Arbeitsplatz erhalten zu haben. Diese Schikanemaßnahmen werden aber durch das StrRehaG nicht entschädigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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