L 18 B 32/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 123 AS 27745/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 B 32/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. November 2007 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an den Antragsteller für die Zeit ab 1. Januar 2008 bis 30. April 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 312,- EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ein Viertel seiner außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller sein Begehren weiter verfolgt, den Antragsgegner im Wege einer Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, seine geltend gemachten Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 ff. Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit ab 1. September 2007 zu erfüllen, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist die Beschwerde nicht begründet und war zurückzuweisen.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, soweit der Antragsteller Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2007 begehrt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht statthaft, wenn ein Hauptsacheverfahren aus Gründen der Rechtskraft oder Bestandskraft einer Entscheidung nicht zulässig ist (vgl. Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 11. August 2005 - L 9 B 4/05 AS -, JURIS; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 123 Rdnr. 18). Mit dem am selben Tag zur Post gegebenen Bescheid des Antragsgegners vom 20. September 2007 ist dem Antragsteller das Arbeitslosengeld II für den angeführten Zeitraum entzogen worden. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 36 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) versehene Bescheid gilt nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X als am 23. September 2007 bekannt gegeben. Mit dem Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG am 23. Oktober 2007 (vgl. § 64 Abs. 2 SGG) ist der Bescheid vom 20. September 2007 für die Beteiligten und den Senat bindend geworden (vgl. § 77 SGG), denn der Antragsteller hat keinen Widerspruch eingelegt. Der Antragsteller hat zwar während des Laufes der Widerspruchsfrist mehrfach bei Sachbearbeitern des Antragsgegners vorgesprochen, um sich für mittellos zu erklären (vgl. Bl. 245, 247, 248, 254 der Verwaltungsvorgänge). Dabei wurden ihm ausweislich eines Vermerks vom 1. Oktober 2005 (Bl. 245 der Verwaltungsvorgänge) der Wegfall des Leistungsanspruchs nach § 31 SGB II ab Oktober 2007 und die hierfür maßgebenden Gründe erläutert. Weder aus der Reaktion des Klägers auf diese Erläuterungen ("Kd. erklärte, dass er nicht weiß, wie er "über die Runden" kommen soll, zumal der Vorwurf der Wirtschaftsgemeinschaft - aus seiner Sicht - nicht haltbar sei") noch aus sonstigen Erklärungen des Antragstellers im Verwaltungsverfahren, in dem der Antragsteller sich - wie im Übrigen auch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren - darauf beschränkt hat, das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen ihm und seiner Freundin N B (im Folgenden: B.) zu bestreiten - ergeben sich Hinweise darauf, dass der Antragsteller den Bescheid vom 20. September 2007 einer rechtlichen Überprüfung unterziehen wollte. Soweit der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes als Widerspruch zu werten wäre, ist dieser Widerspruch jedenfalls verspätet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet, soweit der Antragsteller Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. September 2007 begehrt. Für diesen Zeitraum fehlt es schon deshalb an einem eiligen Regelungsbedürfnis für die begehrte gerichtliche Verpflichtung des Antragsgegners, weil ein Anordnungsgrund für den Zeitraum vor dem Eingang des Rechtsschutzantrages bei dem Sozialgericht (31. Oktober 2007) regelmäßig nicht besteht. Ein besonderer Nachholbedarf oder eine Fortwirkung der Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart sind weder dargetan noch im Übrigen ersichtlich.

Hinsichtlich der für die Zeit ab 1. Januar 2008 begehrten SGB II- Leistungen bestehen hingegen sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund im tenorierten Umfang. Der Antragsteller ist - unstreitig - erwerbsfähig und auch hilfebedürftig (vgl. §§ 7, 8, 9 SGB II). Ob der Antragsteller mit B. eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II bildet, hängt davon ab, ob er und B. in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Dies lässt sich aber ohne eine umfangreiche gerichtliche Beweisaufnahme (Anhörung des Antragstellers, Vernehmung der B. als Zeugin) nicht abschließend klären, zumal in der Person des Antragstellers und der B. zur Zeit auch keiner der Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a Nrn. 1 bis 4 SGB II erfüllt ist. Eine solche Sachaufklärung ist zwar grundsätzlich auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05, S. 8 mit weiteren Nachweisen). Ist sie aber nicht möglich oder - wie vorliegend - angesichts der Eilbedürftigkeit untunlich, hat das Gericht eine Folgenabwägung vorzunehmen. Diese soll einerseits die Existenzsicherung des Antragstellers gewährleisten, andererseits aber auch das öffentliche Interesse berücksichtigen, keine Leistungen bei fehlender Bedürftigkeit zu gewähren.

Der Senat hält es daher für angemessen, dem Antragsteller vorläufig bis zum 31. März 2008 die Leistungen zuzuerkennen, die bei Annahme einer Bedarfsgemeinschaft - ohne dass die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer solchen Bedarfsgemeinschaft damit vorweggenommen würde - zu gewähren sind, und zwar ohne Berücksichtigung etwaigen Einkommens oder Vermögens der B. Hieraus errechnet sich ein monatlicher Leistungsbetrag ab 1. Januar 2008 von 312,- EUR (Regelleistung von 312,- EUR für den Antragsteller - § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SGB II). Soweit der Antragsteller einen darüber hinausgehenden Anspruch auf Regelleistungen geltend macht, ist die Beschwerde aus den dargelegten Gründen nicht begründet. Hinsichtlich der geltend gemachten Leistungen für Unterkunft und Heizung besteht trotz der fristlosen Kündigung des Vermieters vom 8. Oktober 2007 kein Anordnungsgrund, weil eine Obdachlosigkeit des Antragsstellers aus den im angegriffenen Beschluss des Sozialgerichts Berlin genannten Gründen nicht zu besorgen ist.

Der Antragsgegner wird darauf hingewiesen, dass bei der im Falles des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft erforderlich werdenden Ermittlung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der B. dem Antragsteller aufgrund der §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - Leistungen nicht versagt werden dürfen, wenn er Auskünfte zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der B. nicht erteilt. Der Antragsgegner ist vielmehr gehalten, diese Auskünfte nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II unmittelbar von B. einzuholen. Die genannte Vorschrift normiert eine eigenständige öffentlich-rechtliche Auskunftspflicht des Partners bzw. Dritten, die bußgeldbewehrt ist (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 4 SGB II) und bei deren Verletzung der oder die Auskunftspflichtige schadensersatzpflichtig ist (vgl. § 62 SGB II). Soweit der Antragsgegner in der Vergangenheit die Bearbeitung des Fortzahlungsantrages des Antragstellers von der Stellung eines gemeinsamen Antrags durch den Antragsteller und die B. abhängig gemacht hat, ist hierfür eine gesetzliche Grundlage nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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