L 1 U 5527/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3085/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5527/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Auch einem Fußgänger steht es grundsätzlich frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, solange die Fortbewegung im wesentlichen betrieblichen Zwecken zu dienen bestimmt ist.
2. Allein die Absicht, noch eigenwirtschaftliche Verrichtungen zu erledigen, genügt nicht zur Annahme eines unversicherten Weges, solange die Absicht sich nicht nach außen, z. B. in einer Abweichung vom versicherten Weg, manifestiert.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. September 2006 sowie der Bescheid vom 14. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2005 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Unfall vom 11. April 2004 um einen versicherten Arbeitsunfall handelt.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob der Unfall vom 11. April 2004 ein versicherter Wegeunfall war.

Die 1955 geborene, in T. wohnhafte Klägerin ist als Reinigungskraft in E. tätig. Den Weg zu ihrer Arbeitsstelle legt sie üblicherweise mit dem Fahrrad auf einem Radweg entlang des Flusses E. zurück. Am Morgen des 11. April 2004 begann es unterwegs stark zu regnen. Deshalb hatte die Klägerin beschlossen, ihr Fahrrad am Bahnhof in E. in dem dafür vorgesehenen Fahrradständer abzustellen und den restlichen Weg zur Arbeitsstelle mit dem Taxi zurückzulegen. Neben dem Bahnhofsgebäude war am Unfalltag noch ein Kioskgebäude, dessen rechte Tür in einen Zeitschriftenladen führte, die linke Tür in einen Bäckereiverkaufsraum. Die Türen befanden sich in der Mitte des Kiosk. Der Fahrradunterstand befindet sich - betrachtet man das Bahnhofsgebäude und den Kiosk in E. von vorne - links nach hinten versetzt hinter dem Kiosk. Um diesen hatte man links vorbeizugehen, um zu den Fahrrädern zu gelangen. Ein Taxistand befindet sich links, beginnend noch auf Höhe des Bahnhofsgebäudes, hinreichend bis über den Kiosk hinaus. Die Taxen haben nach den eingezeichneten Fahrbahnmarkierungen hintereinander in einer Reihe anzuhalten. Der Taxistand grenzt dabei unmittelbar an die Straße, ohne dass er durch bauliche Gegebenheiten, z.B. Fahrbahnerhöhungen oder Ähnliches, abgegrenzt wäre. Unmittelbar hinter der eingezeichneten Taxiwartereihe befindet sich ein, ebenfalls baulich nicht abgesetzter, Fußgängerweg von etwa 4 m Tiefe. Diesen Weg benutzen auch Fahrradfahrer, um zu den Fahrradständern zu gelangen. Nachdem die Klägerin ihre Arbeit beendet hatte, nahm sie ein Taxi zurück von der Arbeitsstelle zum Bahnhof, wo sie morgens ihr Fahrrad abgestellt hatte. Vor dem Bahnhofsgebäude verläuft eine zweispurige Straße, die - wiederum in Frontalsicht des Bahnhofs - nach ca. 20 m in einer Kurve nach links abbiegt. Gegenüber dem Bahnhofsgebäude befinden sich Parkplätze und mehrere Bürogebäude. Das Taxi, das die Klägerin an den Bahnhof zurückgefahren hatte, ließ die Klägerin gegenüber dem Bahnhofsgebäude, unmittelbar nach der Kurve, aussteigen. Die Klägerin ging hinter dem wartenden Taxi vorbei und überquerte auf dem direkten Weg die Straße. Sie ging zwischen den wartenden Taxen hindurch und verhedderte sich nach wenigen Schritten in einem Paketband, das geschlossen auf dem Gehweg lag. Mit diesem Band waren die dem Kiosk gelieferten Zeitschriften zusammen gebunden. Im Stürzen strauchelte die Klägerin nach vorne, in Richtung auf das Kioskgebäude zu. Sie schlug mit dem Kopf am Türrahmen der Bäckerei an. Nach kurzer Benommenheit fand sich die Klägerin auf dem Gehsteig vor dem Kiosk liegend wieder. Sie zog sich bei diesem Unfall eine Fraktur des Humeruskopfes und eine Schädelkontusion zu, sie blutete aus der Nase. Beim Überqueren der Straße, noch vor dem Sturz, hatte die Klägerin spontan beschlossen, in der Kiosk-Bäckerei Brötchen einzukaufen, um sie nach Hause mitzunehmen.

Mit Durchgangsarztbericht vom 14. April 2004 zeigte der Arzt M. gegenüber der Beklagten das Geschehen an. Die Klägerin gab in der Unfallanzeige vom 26. April 2004 an, dass sie auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeitsstelle in der Bäckerei am Bahnhof habe Brötchen einkaufen wollen. Wie sich herausgestellt habe, habe etwa 1 Meter vor der Eingangstür ein geschlossenes Paketband aus Kunststoff gelegen. Sie sei gestolpert, an den Türrahmen gefallen und habe sich Verletzungen zugezogen.

Die Beklagte teilte dem Arzt M. mit Schreiben vom 10. Mai 2004 mit, dass die Behandlung nicht zu ihren Lasten durchzuführen sei. Auch der Klägerin wurde mitgeteilt, dass die Heilbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführen sei, da kein Versicherungsfall vorliege.

Dem widersprach die Klägerin. Die Beklagte nahm daraufhin Ermittlungen auf und beauftragte die Südwestliche Bau-Berufsgenossenschaft mit Ermittlungen in Bezug auf die Unfallstelle. Diese fertigte Lichtbilder und eine Skizze.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2005 lehnte die Beklagte Leistungen wegen des Ereignisses vom 11. April 2004 ab. Die Klägerin habe im Unfallzeitpunkt keine unter Versicherungsschutz stehende Tätigkeit ausgeübt. Sie sei vielmehr einer eigenwirtschaftlichen Verrichtung nachgegangen. Es komme zur Frage des Versicherungsschutzes auf die finale Handlungstendenz des Versicherten an. Die beabsichtigte Handlung habe aber im Einkauf von Brötchen bestanden. Damit habe sie dokumentiert, dass eine räumliche und zeitliche Unterbrechung im Zurückliegen des Weges zwecks Verrichtung einer eigenwirtschaftlichen Handlung geplant gewesen sei bzw. dass sie sich bereits in dem dazugehörigen Bewegungsablauf befunden habe.

Dagegen hat die Klägerin am 26. Juli 2005 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat zur Begründung ausgeführt, dass es allein auf ihre Handlungsabsicht nicht ankommen könne, solange sie den Weg, den sie auch ohne die Handlungsabsicht als direkten Heimweg eingeschlagen habe, noch nicht verlassen habe. Dies sei bei ihr der Fall gewesen. Der Sturz sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, als sie gerade zwischen den Taxen hindurchgegangen war. Die Beklagte hat erwidert, dass die finale Handlungstendenz nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entscheidungserheblich sei. Das SG hat den Arzt M. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 14. März 2006 hat das SG die Klägerin angehört. Mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2006 hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der Sturz der Klägerin sei der unversicherten eigenwirtschaftlichen Verrichtung zuzuordnen. Der konkrete Weg, den die Klägerin gewählt habe, sei nicht von der Absicht getragen gewesen, unmittelbar zum Fahrrad zu gelangen. Denn es hätte in diesem Fall nahe gelegen, dass die Klägerin zum Fahrradstand vom Taxi aus diagonal die Straße überquert hätte, um direkt an die linke Ecke des Kioskgebäudes zu gelangen, hinter dem sich der Fahrradständer befinde. Daher hätte die Klägerin auf direktem Weg etwa 1 bis 2 m weiter von der Sturzstelle entfernt zu Fall kommen können.

Gegen den ihr am 6. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 3. November 2006 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, allein der innere Wille, auf dem Nachhauseweg noch eine private Verrichtung zu erledigen, könne nicht ausreichen, um den Nachhauseweg nicht mehr unter Versicherungsschutz zu stellen. Es sei der Klägerin als Fußgängerin nicht zuzumuten, an einer unübersichtlichen Stelle die Straße diagonal zu überqueren, um den vermeintlich kürzesten Weg zurückzulegen. Vielmehr habe sie sich ordnungsgemäß verhalten, die Straße auf dem direkten Weg überquert und sei unmittelbar danach zum Sturz gekommen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. September 2006 sowie den Bescheid vom 14. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 11. April 2004 als versicherten Wegeunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die Akten der DEVK-Versicherung beizuziehen.

Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Die Klägerin hat acht Lichtbilder der Unfallstelle und der Umgebung eingereicht, die zu den Akten genommen wurden. Am 12. Oktober 2007 hat die Berichterstatterin des Verfahrens einen Augenschein eingenommen und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Auf die Niederschrift vom gleichen Tag wird inhaltlich Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Ein versicherter Wegeunfall liegt bei dem Ereignis vom 11. April 2004 jedenfalls unter dem Gesichtspunkt einer gemischten Tätigkeit vor.

Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch [SGB VII]). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3, oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 SGB VII). Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII sind versicherte Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Allerdings steht nicht jeder Weg unter Versicherungsschutz, der zur Arbeitsstätte hinführt oder von ihr aus angetreten wird. Vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass es sich um den unmittelbaren Weg handelt. Es muss also ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges bestehen. Dieser setzt voraus, dass die Zurücklegung des Weges wesentlich dazu zu dienen bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach Beendigung der Tätigkeit die eigene Wohnung oder einen andern Endpunkt des Weges von dem Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 4 und 16, jeweils m.w.N.). Fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG SozR 3-2200 § 550 RVO Nr. 21 m.w.N.; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 10 m.w.N.; zuletzt BSG Urteil vom 24. Juni 2003 - B 2 U 40/02 R -). Wird der Weg zu oder von der Arbeitsstätte durch eine private Besorgung mehr als nur geringfügig unterbrochen, besteht während der Unterbrechung kein Versicherungsschutz; dieser setzt erst wieder ein, wenn die eigenwirtschaftliche Tätigkeit beendet ist und der ursprüngliche Weg wieder aufgenommen wird (Nachweise bei Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, 12. Auflage 2001, § 8 RdNr. 235). Diesen Grundsatz hatte das BSG in der Vergangenheit in richterlicher Rechtsfortbildung mit der Einschränkung versehen, dass der Versicherungsschutz trotz der vorübergehenden Lösung vom betrieblichen Zweck des Weges solange erhalten bleibe, wie sich der Versicherte noch innerhalb des öffentlichen Verkehrsraums der für den Weg zu oder von der Arbeitsstätte benutzten Straße aufhalte. Davon hat sich das BSG in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2003 (B 2 U 23/03 R = SozR 4.2700 § 8 Nr. 3) jedoch gelöst und neue Grundsätze aufgestellt.

Danach steht es dem Versicherten frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, wenn die Fortbewegung nach seiner Handlungstendenz der Zurücklegung des Weges von oder zum Ort der Tätigkeit zu dienen bestimmt ist.

Für diejenigen, die den Arbeitweg mit dem Kfz zurücklegen, hat das BSG weiter ausgeführt, dass es dem Autofahrer bei einer doppelspurigen Straße freisteht, ob er die rechte oder die linke Fahrspur befährt. Sobald indes der Versicherte allein eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt, die mit der versicherten Fortbewegung nicht übereinstimmen, wird der Versicherungsschutz unterbrochen und zwar so lange, bis er die Fortbewegung auf sein ursprüngliches Ziel hin wieder aufnimmt. Bei Benutzung eines Fahrzeugs (PKW, Motorrad, Fahrrad) wird deshalb folgerichtig die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz nicht erst mit dem Verlassen des öffentlichen Verkehrsraumes zu Fuß ersichtlich. Sie prägt das Verhalten des Versicherten, sobald er z.B. mit dem Ziel des Besuchs eines Geschäftes sein Fahrzeug verlässt, also dokumentiert, dass er sich vorläufig auf dem versicherten Weg nicht weiter fortbewegen will. Dabei spielt es keine Rolle, ob er das Fahrzeug in unmittelbarer Nähe des Geschäfts abstellt oder es in relativ größerer Entfernung - vor oder hinter dem Geschäft - parken kann. Denn das Risiko, zum Einkaufen einen freien Parkplatz zu finden, ist nicht mehr der durch die versicherte Tätigkeit veranlassten Fortbewegung zuzurechnen, sondern allein dem eigenwirtschaftlich geprägten Wunsch, einen Einkauf durchzuführen. Erst dieser Wunsch führt überhaupt dazu, dass sich der Versicherte einen Park- bzw. Abstellplatz suchen muss. Auch das Zurücklegen des Fußweges zwischen dem Fahrzeug und dem Geschäft ist allein der eigenwirtschaftlichen Verrichtung des Einkaufens und nicht mehr dem Zurücklegen des versicherten Weges zu dienen bestimmt. Es kann auch nicht als gemischte Tätigkeit (vgl. dazu BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 1) angesehen werden, weil sich die Wege vom Fahrzeug zum Geschäft und von dort wieder zurück zum Fahrzeug eindeutig von dem Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit abgrenzen lassen. Ebenso wenig ist es rechtlich bedeutsam, ob die eigenwirtschaftliche Verrichtung im Straßenraum selbst oder außerhalb desselben erledigt werden soll und in welche Richtung sich der Fahrzeugnutzer bewegen muss.

Legt ein Versicherter, wie im vorliegenden Fall die Klägerin, einen Teil des grundsätzlich versicherten Arbeitswegs zu Fuß zurück, ist dem Versicherten unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gleichermaßen freigestellt, wo er sich zu Fuß im öffentlichen Verkehrsraum bewegt, also ob er den Bürgersteig eher rechts, mittig oder links begeht, ob er die Straße direkt oder diagonal überquert oder auf dem direkten Weg z.B. einem Hindernis ausweicht und deshalb einen Schritt nach links oder rechts versieht. Weil § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht den kürzesten, sondern den "unmittelbaren" Weg zum oder vom Ort der Tätigkeit unter Unfallversicherungsschutz stellt, ist davon auszugehen, dass der Versicherte ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit besitzt, wenn er sie nutzt, um den Weg aus seiner Sicht möglichst schnell oder sicher oder kostengünstig zurückzulegen. Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des BSG, die den Begriff des "unmittelbaren" Weges entsprechend definiert und nicht nur die kürzeste Wegstrecke, sondern bei Bestehen bestimmter allein durch die Verkehrsverhältnisse geprägter Umstände (Stau, schlechte Wegstrecke oder schlechte Sicht auf dem kürzeren Weg etc.) auch die längere Wegstrecke dem Versicherungsschutz unterstellt (vgl. BSGE 4, 219, 222; BSG SozR Nr. 21 zu § 543 RVO a.F.; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 10; BSG SozR 3-2200 § 550 Nr. 7; BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 9 m.w.N.). Zu unterscheiden davon sind allerdings die Fälle, in denen die Art und Weise der (Fort-)Bewegung oder das sonstige Verhalten des Versicherten durch Umstände geprägt wird, die dem eigenwirtschaftlichen Bereich des Versicherten zuzuordnen sind. Auch wenn der Versicherte also den Weg zur Arbeit oder einen Teil dessen zu Fuß zurücklegt, ist der Versicherungsschutz auf dem versicherten Weg erst dann unterbrochen, wenn der Versicherte allein oder überwiegend eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt und sich dabei dergestalt fortbewegt, dass die Fortbewegung nicht mehr mit der versicherten Fortbewegung übereinstimmt.

Auch einem Fußgänger steht es grundsätzlich frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, solange die Fortbewegung im wesentlichen betrieblichen Zwecken zu dienen bestimmt ist.

Die Klägerin befand sich am Unfalltag auf dem unmittelbaren Weg von ihrer Arbeitsstelle zur Wohnung. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie das Taxi verließ, um die Straße zu überqueren, ist dies zwischen den Beteiligten unumstritten. Zur Überzeugung des Senats befand sich die Klägerin jedoch auch noch im Sturzzeitpunkt auf dem unmittelbaren Weg, ohne dass durch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit der innere Zusammenhang des zurückgelegten Weges mit der versicherten Tätigkeit unterbrochen gewesen wäre.

Der Klägerin stand es grundsätzlich frei, wo sie die vor dem Bahnhof in E. verlaufende zweispurige Straße überquerte. Einen Grundsatz dahingehend, dass ein Fußgänger die Straße vom Ausgangspunkt zum direkten Zielpunkt in einer Geraden überqueren muss, gibt es auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Vielmehr war, berücksichtigt man die örtlichen Verhältnisse, im Gegenteil der Klägerin in der konkreten Situation gerade nicht zumutbar, die Straße diagonal und somit nicht auf dem kürzesten denkbaren Weg zu überqueren. Es handelt sich um eine zweispurige Straße mit regem Autoverkehr, die zudem, von der Klägerin aus gesehen links, in eine von ihrem Standpunkt aus schlecht einsehbare Kurve mündet. Der direkte Weg vom Verlassen des Taxis hinüber auf die andere Straßenseite endet, nach den Erkenntnissen im Rahmen des eingenommenen Augenscheins und bestärkt durch die vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Bilder, auf der Höhe des Eingangsbereichs des im Unfallzeitpunkt noch in Betrieb befindlichen Kiosk mit Bäckerei. Die Klägerin ist danach, als sie die Straße überquert hat, auf dem kürzesten Weg über die Straße gegangen und dabei direkt auf das Kioskgebäude zu.

Die Klägerin hat glaubhaft angegeben, dass sie erst beim Überqueren der Straße, nachdem sie das Taxi verlassen hatte und als ihr Blick auf die gegenüberliegende Bäckerei gefallen war, beschlossen hatte, noch Brötchen einzukaufen. Dem entspricht die getroffene Beurteilung der zurückgelegten Wegstrecke. Im Moment, als die Klägerin die Absicht gefasst hatte, noch eine eigenwirtschaftliche Verrichtung zu tätigen, befand sie sich somit noch auf der unmittelbaren Wegstrecke von der versicherten Tätigkeit nach Hause. Daher ist unter diesem Gesichtspunkt jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Entschlussfassung allenfalls von einer sog. gemischten Tätigkeit auszugehen, da sich eigenwirtschaftlich motivierte und dem Arbeitsweg dienende Fortbewegung nicht äußerlich unterscheiden lassen, beide auf den gleichen Zielpunkt hin ausgerichtet waren und der Weg auch ohne den privaten Zweck vorgenommen worden wäre (BSG SozR 3-2700 § 8 Nr. 1). Denn nur dann ist davon auszugehen, dass die verrichtete Tätigkeit dem Betrieb wesentlich dient. Ob die gemischtwirtschaftliche Tätigkeit dem Betrieb wesentlich dient, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles in erster Linie nach den aufgrund von objektiven Anhaltspunkten nachvollziehbaren subjektiven Vorstellungen des Versicherten. Entscheidendes Abgrenzungskriterium für die Frage, ob eine solche Tätigkeit wesentlich betrieblichen Interessen gedient hat, ist, ob sie hypothetisch auch bei Entfallen des privaten Zweckes vorgenommen worden wäre (BSGE 20, 219 = SozR Nr. 67 zu § 542 RVO a.F.; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 19; BSG Urteil vom 8. Dezember 1998 - B 2 U 36/97 R - = HVBG-Info 1999, 230), was vorliegend, wie ausgeführt, zu bejahen ist.

Bis zum Moment des Sturzes liegt auch kein objektiver Anhaltspunkt dafür vor, dass die Klägerin diesen gemischtwirtschaftlichen Weg verlassen hat. Denn insoweit stand es der Klägerin grundsätzlich frei zu entscheiden, wie sie sich auf das eigentliche Ziel, den Fahrradständer, hinbewegte, solange die beabsichtigte eigenwirtschaftliche Verrichtung dem eingeschlagenen Weg nicht das entscheidende Gepräge gegeben hat, d.h. die Klägerin sich nicht allein wegen der eigenwirtschaftlichen Einkaufsabsicht auf dem betroffenen Wegstück befunden hat. Nach Auffassung des Senats kommt es deshalb nicht entscheidend darauf an, ob die Klägerin - nach ihren eigenen glaubhaften Angaben - direkt hinter den auf dem Taxistreifen wartenden Taxen ins Straucheln kam und dann stürzte oder ob das Straucheln einen Meter weiter in Richtung auf das Kioskgebäude hin geschehen ist. Den jeder dieser Sturzpunkte war objektiv gesehen (noch) nicht eindeutig als nur der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeter Weg erkennbar und damit eine rein eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die die betriebsdienliche Tätigkeit unterbrochen hätte, nicht nachgewiesen (vgl. zur Beweislast BSG vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 24/03 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 9) und subjektiv, nach den glaubhaften Angaben der Klägerin, im Sturzzeitpunkt noch immer von der Absicht geprägt, den versicherten Arbeitsweg zu bewältigen.

Da also die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz weder als Abweichung vom grundsätzlich versicherten Weg manifestierte, noch der Weg - ohne tatsächliche Abweichung vom üblichen, versicherten Weg - allein aufgrund der beabsichtigten eigenwirtschaftlichen Verrichtung zurückgelegt worden ist, stand die Klägerin im Unfallzeitpunkt unter Versicherungsschutz.

Soweit die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt hat, die Akten der DEVK-Versicherung zum Verfahren beizuziehen, war diesem Antrag nicht stattzugeben. Der Unfallhergang ist geklärt, die Beiziehung der Akten kann aus Sicht des Senats keine weiteren Erkenntnisse erbringen, zumal die Beklagte eine Begründung dafür, warum sie die Aktenbeiziehung für erforderlich erachtet, nicht gegeben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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