S 8 KR 383/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 383/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 31/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Aufhebung des Bescheides vom 25.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2007 wird festgestellt, dass die Klägerin versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage des Krankenversicherungsschutzes der Klägerin als versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in ihrer Eigenschaft als angestellte Arbeitnehmerin nach einer im Jahre 1998 erfolgten Befreiung von der Versicherungspflicht nach dem Überschreiten der Beitragsbemessungsgrenze im Rahmen eines früher innegehabten Beschäftigungsverhältnisses.

Die 1967 geborene Klägerin war von 1992 bis 1995 pflichtversichertes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse aufgrund einer Beschäftigung als Angestellte. Ab August 1995 war sie nach Überschreiten der Beitragsbemessungsgrenze in der privaten Krankenversicherung versichert. Für die Zeit ab 01.01.1998 erfolgte dann nach der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze eine antragsgemäße Befreiung von der Versicherungspflicht (Bescheid der Beklagten vom 12.03.1998). In der Zeit von August 1998 bis zum 14.10.1998 war die Klägerin erneut versicherungspflichtiges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung und zwar aufgrund der Zahlung von Arbeitslosengeld und Übergangsgeld (8/1998: arbeitslos; 01.09.1998 - 06.10.1998: Rehabilitationsmaßnahme; 08. - 14.10.1998: arbeitslos). Seit dem 15.10.1998 ist sie durchgehend bei der J Deutschland GmbH & Co. KG beschäftigt und zwar von Oktober 1998 bis Februar 2003 in einem vollschichtigen Beschäftigungsverhältnis mit Monatseinkommen in Höhe von 5.500,00 DM bis 6.130,48 DM. Seit März 2003 ist sie mit einem Umfang von 104 Stunden pro Monat teilzeitbeschäftigt, während der Elternzeit ihrer am 00.00.2003, 00.00.2005 und 00.00.2006 geborenen drei Kinder (monatliches Einkommen: 2.044,72 Euro, 2.096,40 Euro, 2.111,72 Euro).

Am 12.04.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung als Versicherungspflichtige. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.04.2006 ab. Die mit Bescheid vom 12.03.1998 erfolgte Befreiung von der Krankenversicherungspflicht sei unwiderruflich und damals rechtmäßig erfolgt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie geltend machte, dass eine endgültige Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenkasse nicht möglich sei. Die Befreiung sei ggf. nach §§ 44 ff. SGB X zurückzunehmen, z.B. bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Eine solche Änderung sei vorliegend gegeben, da die Klägerin mittlerweile über einen wesentlich geringeren Verdienst verfüge, der die Finanzierung der privaten Krankenversicherung für sich selbst und die drei Kinder deutlich kostenspieliger mache. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies - im Rahmen des nach Klageerhebung durchgeführten Widerspruchsverfahrens - den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2007 zurück. Es bestehe keine Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Befreiungsbescheides vom 12.03.1998.

Die Klägerin hat gegen die Bescheide der Beklagten Klage erhoben, mit der sie die Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin geltend macht.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 25.04.2006 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 26.01.2007 festzustellen, dass die Klägerin versi- cherungspflichtiges Mitglied der Beklagten ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Eine einmal erfolgte Befreiung von der Versicherungspflicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses gelte auch für alle später nachfolgenden Beschäftigungsverhältnisse.

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klage auf Feststellung der Mitgliedschaft als Versicherungspflichtige ist als Klage auf Klärung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten zulässig, § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Klage ist begründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig, da sie die Feststellung der Versicherungspflicht der Klägerin während ihres aktuellen Beschäftigungsverhältnisses abgelehnt bzw. die Aufnahme als Mitglied abgelehnt haben. Aus den noch darzulegenden Gründen war die Verfügung, den Befreiungsbescheid vom 04.03.1998 nicht zurückzunehmen, zwar nicht rechtswidrig. Die Klägerin verfolgte mit ihrem Antrag jedoch offensichtlich die aktuelle Aufnahme als versicherungspflichtiges Mitglied, in ihrem wohl verstandenen Interesse auch unabhängig von der Frage der Aufhebung des Bescheides vom 12.03.1998. Mit der Ablehnung der Aufhebung des Bescheides vom 12.03.1998 hat die Beklagte insoweit auch die Aufnahme der Klägerin als versicherungspflichtiges Mitglied bzw. die Feststellung ihrer während des aktuellen Beschäftigungsverhältnisses bestehenden Versicherungspflicht abgelehnt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klägerin jedenfalls seit März 2003 versicherungspflichtig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Spätestens seit März 2003 besteht keine Versicherungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, da seit der Änderung des Beschäftigungsverhältnisses von einer vollschichtigen Tätigkeit in eine Teilzeitbeschäftigung das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt der Klägerin die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht mehr übersteigt.

Dieser Versicherungspflicht der Klägerin steht entgegen dem Standpunkt der Beklagten nicht der Befreiungsbescheid vom 12.03.1998 entgegen, da dieser nicht zur Versicherungsfreiheit des 1998 neu eingegangenen Beschäftigungsverhältnisses geführt hat. Auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten betonten Unwiderruflichkeit der Befreiung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB V wirkt sich diese Befreiung nicht auf nachfolgende Beschäftigungsverhältnisse aus, sondern ihre Wirksamkeit endete mit dem damaligen Beschäftigungsverhältnis. Mit der Aufnahme einer neuen Beschäftigung endet grundsätzlich die bisherige Versicherungsfreiheit, wenn das neue Beschäftigungsverhältnis - z.B. aufgrund eines Einkommens unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze - versicherungspflichtig ist. Insoweit folgt die Kammer der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 12.07.2006 - L 5 KR 4868/05 -; juris.de, Rn. 28 ff.) und des Sozialgerichts Berlin (Urteil vom 07.04.2000 - S 75 KR 597/99 -). Auf die Ausführungen in diesen Entscheidungen wird Bezug genommen. Auch in der Literatur wird hinsichtlich der Frage der Dauer der Befreiung auf das Ende des Beschäftigungsverhältnisses als rechtlich gesichertes Abgrenzungskriterium für das Ende der Befreiungswirkung abgestellt (Kasseler Kommentar § 8 SGB V, Rn. 6). Das Bundessozialgericht hat die vorliegend streitige Frage, ob und ggf. wie lange die Entscheidung über die Befreiung fortwirkt, wenn ein Beschäftigungsverhältnis aufgegeben und anschließend oder nach einer Unterbrechung ein neues begründet wird, ausdrücklich offen gelassen (Urteil vom 08.12.1999 - B 12 KR 12/99 R - ; BSGE 85, 208 ff., USK 9957). Unter Berücksichtigung des vom Bundessozialgericht angeführten Grundsatzes, dass Befreiungsentscheidungen auf das jeweilige Versicherungsverhältnis bezogen sind und die Versicherungspflicht und Befreiung tatbestandsbezogen beurteilt werden müssen (BSG, a.a.O., Rn. 20) kann sich die von der jeweiligen Krankenkasse verfügte Befreiung von der Versicherungspflicht lediglich auf das entsprechende Beschäftigungsverhältnis erstrecken und verliert jedenfalls mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses seine Wirksamkeit. Darüber hinaus spricht auch die Einführung des § 6 Abs. 3 a SGB V (mit Gesetz vom 22.12.1999, BGBl I S. 2626) gegen den Standpunkt der Beklagten, dass die einmal ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht sich auf alle nachfolgenden Beschäftigungsverhältnisse - ungeachtet ihrer einzelnen Ausgestaltung z.B. zur Entgelthöhe - erstreckt. Denn die Einfügung dieser, die grundsätzliche Versicherungspflicht ab dem 55. Lebensjahr einschränkenden gesetzlichen Vorschrift macht deutlich, dass eine stark eingreifende Einschränkung der Versicherungspflicht dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss, auch wenn die Einschränkung der Vermeidung einer zuungunsten der gesetzlichen Krankenversicherung entstehenden Verteilung von Versicherungsrisiken dienen soll, so beispielsweise durch die entsprechende Ausübung bestehender Wahlmöglichkeiten (z.B. Wahl der privaten Krankenversicherung in Zeiten eines geringeren Versicherungsrisikos bei hohem Einkommen, jungem Alter, ohne Kinder )durch Wahrnehmung der Befreiungsmöglichkeit) und Wahl der gesetzlichen Krankenversicherung mit höherem Versicherungsrisiko bei niedrigerem Einkommen, Alter, Kinder (durch Nichtwahrnehmung einer Befreiungsmöglichkeit)).

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten steht der Annahme der Versicherungspflicht nicht das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.02.1970 - 1 RA 187/69 (NJW 1970, 1342; USK 7022) nicht entgegen, da sich das Bundessozialgericht im Rahmen dieser Entscheidung mit der streitgegenständlichen Rechtsfrage nicht beschäftigt, sondern insbesondere auf die Eigenheiten eines Beamtenverhältnisses abgestellt hat. Die von der Beklagten aus der Entscheidung gezogene rechtliche Schlussfolgerung hat die Kammer nicht teilen können, vielmehr spräche bei solch einer Argumentation die vom Bundessozialgericht entschiedene Pflicht zur Nachversicherung gegen eine fortbestehende Befreiung von der Versicherungspflicht, die mit einer Nachversicherung nicht vereinbar wäre. Vor allem hat aber das Bundessozialgericht in seiner deutlich jüngeren Entscheidung vom 08.12.1999 die streitgegenständliche Rechtsfrage ausdrücklich offen gelassen.

Der Versicherungspflicht der Klägerin im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der J Deutschland GmbH & Co. KG steht auch nicht § 6 Abs. 3 Satz 1 SGB V entgegen. Diese Vorschrift regelt die absolute Versicherungsfreiheit lediglich für die Zeit der Wirksamkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht (so auch in seinen Ausführungen: Sozialgericht Berlin, a.a.O.).

Des Weiteren haben der Entscheidung der Kammer auch nicht die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 09.08.2007 (- L 4 KR 8/07 - , Revision: B 12 KR 28/07 R; juris.de) und des BSG vom 11.11.2003 - B 12 KR 3/03 - (SozR 4-2500 § 8 Nr. 1, USK 2003-35) entgegen gestanden. Denn diese - ggf. als spiegelbildlich zu verstehenden - Entscheidungen zur Antragsfrist eines Rentners auf Befreiung von der Versicherungspflicht betreffen den nicht vergleichbaren Sachverhalt der Krankenversicherung der Rentner und sind insbesondere vom Bundessozialgericht mit der nicht übertragbaren Argumentation des zur Versicherungspflicht führenden unveränderten Tatbestandes des Rentenstammrechts (unabhängig von der Auszahlung der Rente) begründet worden.

Die Rechtssachverhalte einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten und einer entsprechenden Befreiung sind nach Auffassung der Kammer ebenfalls nicht auf die Frage der Versicherungspflicht und deren Befreiung bei verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen übertragbar. So hat auch der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 22.11.2004 (- S 8 KR 608/04 ER -, juris.de) mit seinen begründeten Ausführungen zu Missbrauchsmöglichkeiten der vorliegenden Entscheidung nicht entgegen gestanden. Die Sachverhalte von grundsätzlich versicherungspflichtigen Studiengängen und versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen sind deshalb nicht miteinander vergleichbar, da es sich bei einem Studium und ggf. Zweitstudium um die Beurteilung eines begrenzten Lebensabschnitts handelt, während sich wechselnde Beschäftigungsverhältnisse in der Regel bis zum Rentenalter erstrecken. Darüber hinaus können im Rahmen eines Berufslebens mit verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen wesentlich gravierendere Veränderungen eintreten als bei der Aufnahme verschiedener Studiengänge.

Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits konnte dahingestellt bleiben, ob eine Befreiung auch ihre Wirksamkeit verliert, wenn ein- und dasselbe Beschäftigungsverhältnis wesentlich verändert wird, z.B. von einem vollschichtigen in ein Teilzeitarbeitsverhältnis. Es brauchte - ungeachtet der Frage der Versicherungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V - über den Zeitraum von Oktober 1998 bis Februar 2003 nicht entschieden zu werden, da die Klägerin ausweislich ihrer schriftlichen Ausführungen und der Antragstellung (erst) im April 2006 die Feststellung einer Versicherungspflicht in diesem Zeitraum nicht geltend gemacht hat. Ebenso konnte aus diesem Grund dahingestellt bleiben, ob die Klägerin in diesem Zeitraum (15.10.1998 bis Februar 2003), z.B. mit dem Bezug von 13. Monatsgehältern, gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungsfrei war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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