L 10 U 810/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 309/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 810/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27.11.2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens die Rücknahme einer Entscheidung der Beklagten, mit welcher diese die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 bzw. 4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - nachfolgend BK 4301 bzw. 4302 abgelehnt hat.

Der am 1943 geborene Kläger war nach seinen Angaben von August 1968 bis Dezember 1972 als Kraftfahrzeugmechaniker, von April 1974 bis 1977 als Kundendienstmonteur, von 1977 bis 1994 als Landwirt (19,75 ha landwirtschaftliche Fläche, 3,10 ha Wald sowie bis 1982 20 Milchkühe mit Nachzucht, ab 1983 ca. 80 Zuchtsauen mit Ferkelproduktion) und ab Januar 1995 als Bauhofarbeiter bei der Gemeinde U. tätig.

Einen erstmaligen Antrag des Klägers auf Anerkennung einer BK mit der Begründung, er leide unter obstruktiven Bronchitiden, verursacht durch Geruchsbelästigung im Stall, Staub und Gülleemissionen und habe deswegen seine landwirtschaftliche Tätigkeit aufgeben müssen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.02.1998 und Widerspruchsbescheid vom 01.10.1998 ab. Eine BK 4301 oder 4302 sei nicht anzuerkennen, es liege keine obstruktive Atemwegserkrankung vor und ein Anhalt für ein durch die landwirtschaftliche Tätigkeit verursachtes Leiden bestehe nicht. Dem lagen ein Befundbericht des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin U. (kein Nachweis einer allergischen Diathese, kein Hinweis auf eine organische Krankheit, sondern ein chronisches Hyperventilationssyndrom bei endogener Depression), ein Befundbericht des Internisten und Lungenfacharztes Dr. Schl. (sämtliche cutanen Allergietests negativ, im Februar 1977 unter Therapie noch leichte Atemwegsobstruktion) und ein Gutachten des Arztes für Arbeitsmedizin, Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Sozialmedizin Dr. S. (kein Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung, kein ursächlicher Zusammenhang zwischen früherer landwirtschaftlicher Tätigkeit und den aktuell geklagten Beschwerden) zu Grunde.

Die hiergegen erhobene Klage (Aktenzeichen: S 10 U 2377/98) wies das Sozialgericht Ulm mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2000 ab. Dem lag ein Gutachten des Internisten, Arztes für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin Dr. Sa. (rezidivierende Bronchitiden, Hyperventilationsneigung, Verdacht auf hyperaktive depressive Verstimmung, kein Nachweis einer obstruktiven oder restriktiven Ventilationsstörung, keine Gesundheitsstörung, die ursächlich auf die Berufstätigkeit des Klägers zurückzuführen sei) und ein auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattetes Gutachten des Internisten, Lungenarztes und Allergologen Dr. N. (frühere rezidivierende Bronchitiden, aktuell Tendenz zur Hyperventilation, Ausschluss einer bronchialen Hyperreagibilität, Ausschluss einer allergischen Alveolitis, kein Vorliegen einer BK 4301 oder 4302) zu Grunde.

Die hiergegen erhobene Berufung wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Aktenzeichen: L 10 U 541/00) mit Urteil vom 28.09.2000 zurück. Die dagegen zum Bundessozialgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (Aktenzeichen: B 2 U 348/00 B) wurde mit Beschluss vom 15.01.2001 zurückgewiesen.

Am 03.03.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung des Bescheides vom 17.02.1998 und machte unter Vorlage eines Befundberichts von Prof. Dr. D., Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der F.-A.-Universität E.-N. vom 16.07.2002 (eine allergische Genese der Beschwerden sei recht wahrscheinlich, zur abschließenden Beurteilung seien weitere Befunde erforderlich) und einer "Anzeige einer Berufskrankheit" des Facharztes für Allgemeinmedizin und Umweltmedizin Dr. B. vom 29.01.2003 eine schwere Mykotoxikose durch Schimmelexposition im Bereich Viehstall und Futtervorrat sowie eine stark ausgeprägte Sofort-Allergie (Typ I) auf Native-Schimmelpräparationen aus dem Betriebsumfeld geltend. Mit Bescheid vom 12.08.2003 und Widerspruchsbescheid vom 28.01.2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab.

Hiergegen hat der Kläger am 04.02.2004 zum Sozialgericht Ulm Klage erhoben, das nach schriftlicher Anhörung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen ein Gutachten von Dr. N. und auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten von Prof. Dr. H. eingeholt hat.

Der Sachverständige Dr. N. hat auf lungenärztlichem Gebiet keine wesentlichen Lungenfunktionsstörungen in Ruhe wie unter Belastung feststellen können. Der klinische, körperliche und radiologische Thorax-Organ-Befund sei unauffällig. Eine Störung des Gasaustausches liege nicht vor. Eine bronchiale Überempfindlichkeit habe im bronchialen Hyperreagibilitätstest ausgeschlossen werden können, sodass an der vorbestehenden Diagnose eines Asthma bronchiale gezweifelt werden müsse. In der Spiroergometrie habe sich kein Hinweis für eine Einschränkung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit ergeben. Auffällig gewesen sei die schlechte lungenfunktionelle Mitarbeit bei den Messungen und während der Belastungsuntersuchung eine willkürlich vollführte Hyperventilation, die auf keine organische Ursache zurückzuführen sei. Des Weiteren sei eine Aggravationstendenz der Beschwerden und im Gespräch ein absolutes Rentenbegehren aufgefallen. Hinweise für Residuen im Sinne einer obstruktiven oder restriktiven Lungenfunktionseinschränkung hätten sich nicht feststellen lassen, ebenso wenig Hinweise für das Vorliegen eines allergischen Asthma bronchiale oder eines chemisch-irritativen Asthma bronchiale. Eine BK 4301 und 4302 scheide aus.

Der nach § 109 SGG gehörte Internist Prof. Dr. H., hat eine vermehrte Entzündungsbereitschaft mit Verminderung der Abwehrlage, eine Mykotoxikose (Typ I - Allergie auf Schimmelpilze [Viehstall, Futtervorrat]), eine Typ IV-Immunreaktion gegenüber Candida albicans und Aspergillus fumigatus, einen Zustand nach Asthma bronchiale und eine Lungenfunktionsstörung festgestellt. Die Gesundheitsstörungen seien mit Wahrscheinlichkeit auf die von dem Kläger bis 1994 verrichteten Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft zurückzuführen, eine BK 4301 liege vor. Seinem Gutachten hat Prof. Dr. H. einen Befundbericht über eine Lungenfunktionsuntersuchung durch Dr. J., Internist, Allergologe, Lungen- und Bronchialheilkunde, beigefügt. Dieser hat angegeben, eine manifeste Einschränkung der Atemmechanik oder des Gasaustauschs im Sinne einer sicher klinisch relevanten obstruktiven Ventilationsstörung liege nicht vor.

Mit Urteil vom 27.11.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, eine obstruktive Atemwegserkrankung sei weiterhin nicht nachgewiesen. Eine solche habe auch der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Prof. Dr. H. nicht schlüssig dargelegt.

Gegen das am 15.01.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.02.2007 Berufung eingelegt. Er macht unter Vorlage einer Stellungnahme von Prof. Dr. H. geltend, dieser habe eine schwere Obstruktion festgestellt.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27.11.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 12.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 17.02.1998 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Dr. N. eingeholt. Dieser hat ausgeführt, die von Prof. Dr. H. vorgelegten Spirometriekurven erfüllten nicht die Kriterien einer angemessenen Akzeptabilität, da der Exspirationsfluss abrupt beendet werde. Eine Obstruktion sei weiterhin nicht belegt, insbesondere da die mitarbeitsunabhängig gemessenen Werte in allen in den Unterlagen dokumentierten Untersuchungen normal gewesen seien. Auch der Nachweis einer Sensibilisierung könne durch die von Prof. Dr. H. durchgeführten Testungen nicht erbracht werden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Streitgegenständlich ist vorliegend der Bescheid der Beklagten vom 12.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2004. Damit hat die Beklagte es abgelehnt, die bestandskräftige Entscheidung, dass eine BK 4301 bzw. 4302 nicht vorliegt (Bescheid vom 17.02.1998) zurückzunehmen.

Grundsätzlich kann bei Ablehnung jedweder Entschädigung, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei, ein Versicherter sein Begehren auf Anerkennung einer Berufskrankheit zwar im Wege einer Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG verfolgen. Dies ist indessen im Rahmen eines sogenannten Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X nicht möglich. Denn dieses Verfahren hat das Ziel, den bestandskräftigen, eine Berufskrankheit verneinenden Verwaltungsakt zu beseitigen, im Falle des entsprechenden Klageverfahrens die Beklagte zur Rücknahme dieses Verwaltungsaktes zu verurteilen. Bevor der bestandskräftige Ablehnungsbescheid aber nicht beseitigt ist, steht dieser - eben wegen seiner Bestandskraft - einer gegenteiligen Feststellung durch das Gericht entgegen.

Die Beklagte kann auch nicht zur Feststellung einer Berufskrankheit verurteilt werden. Hierfür fehlt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Dem Bedürfnis der Versicherten wird - normalerweise - von der Rechtsprechung mit der Feststellungsklage Rechnung getragen.

Damit beschränkt sich das Klagebegehren sachgerechterweise auf die Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 17.02.1998 hat. Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen für die Rücknahme eines Bescheides nach § 44 SGB X und die für die Feststellung einer BK 4301 bzw. 4302 erforderlichen Voraussetzungen zutreffend wiedergegeben und rechtsfehlerfrei ausgeführt, weswegen diese nicht vorliegen. Der Senat sieht deshalb gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist anzumerken, dass auch die von dem Kläger im Berufungsverfahren vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. H. nicht geeignet ist, den Nachweis für das Vorliegen einer BK 4301 bzw. 4302 zu führen.

Voraussetzung einer BK 4301 und 4302 ist das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Eine solche ist vorliegend weiterhin nicht nachgewiesen. Der Senat schließt sich der Beurteilung von Dr. N. in vollem Umfang an.

Der gerichtliche Sachverständige Dr. N. hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme schlüssig dargelegt, dass eine Obstruktion entgegen den Ausführungen von Prof. Dr. H. auch durch die von ihm vorgelegten Befunde nicht belegt wird. Denn aus den von Prof. Dr. H. beigefügten Original-Spirometrie-Kurven (03.02.2006 "vor Stall" und 20.03.2007 "nach Stall") ist ersichtlich, dass der Exspirationsfluss abrupt beendet worden ist und auch die Kurve des inspiratorischen Atemmanövers unvollständig ist, sodass die Spirometriekurven nicht die Kriterien einer angemessenen Akzeptabilität erfüllen und keinesfalls als Beweis für das Vorliegen einer Obstruktion dienen können. Dr. N. hat nochmals nachvollziehbar ausgeführt, dass insbesondere die mitarbeitsunabhängig gemessenen bodyplethysmographischen Werte in allen in den Unterlagen dokumentierten Untersuchungen normal waren, sodass eine Obstruktion weiterhin nicht belegt werden kann. Bereits aus diesem Grund sind die Voraussetzungen einer BK 4301 bzw. 4302 nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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