L 4 KR 60/04

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 KR 76/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 60/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 21. Juni 2004 wird aufge-hoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine "Bodylift" - (Hautstraffungs-) Operation im Bereich der Oberschenkel, des Bauchs und des Ober-körpers als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.

Der am 1976 geborene Kläger ist von Beruf Maler und bei der Beklagten versichert. Zwischen 1999 und 2003 reduzierte er sein Körpergewicht um 70 kg. Er beantragte bei der Beklagten die Gewährung einer "Bodylift"-Operation. Die Beklagte ließ daraufhin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) ein Gutachten erstellen. Dr. K.vom MDK untersuchte den Kläger am 20. Juni 2003. In sei-nem Gutachten vom 4. Juli 2003 führte er aus: Der Kläger habe schon in der Kindheit ein erhöhtes Körpergewicht gehabt. Bei der Musterung 1997 habe er 155 kg gewogen. Nach einem Motorradunfall 1999 habe er in drei Jahren sein Gewicht schrittweise um 70 kg durch Diät und sportliche Betätigung reduziert. Hierdurch sei die Haut besonders im Bauchbereich und an den Brüsten sehr schlaff geworden und hänge. Anlässlich einer Vorstellung in der Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, B., sei ihm eine Hautstraffung empfohlen worden. Der Kläger wiege bei einer Größe von 1,91 m 88,4 kg. Beim Stehen hänge bei dem sonst schlanken Versicherten eine Bauchfalte ca. 4 bis 5 cm über. Oberhautveränderungen oder entzündliche Erscheinungen seien in diesem Bereich nicht feststellbar. Hinsichtlich der begehrten Operation bestünde allen-falls eine relative, keinesfalls eine absolute medizinische Indikation. Ein krankheitswerter Befund sei nicht festzustellen. Es handele sich vorwiegend um ein kosmetisches Anliegen. Bei der leistungsrechtlichen Entscheidung sollte allerdings berücksichtigt werden, dass der Versicherte durch geeignete Maßnahmen sein Körpergewicht norma-lisiert und somit mögliche Folgekrankheiten bei ausgeprägter Adipositas vorgebeugt habe.

Mit Bescheid vom 9. Juli 2003 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine operative Bauchdeckenstraffung ab. Zur Begründung führte sie aus, es sei keine krankhafte organische Veränderung erkennbar, die einen operativen Eingriff begründe. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 4. August 2003 Widerspruch ein. Er trug vor, nunmehr schon seit 5 Jahren Sport zu treiben. Eine Rückbildung der Haut sei durch das erschlaffte Bindegewebe nicht möglich. Dies bereite ihm bei seinen sportlichen Aktivitäten Probleme. Er könne keine Nacht durchschlafen. Immer wenn er sich drehe, werde er durch die überschüssige Haut behindert und wache dadurch ständig auf. Bei vielen Kleidungsstücken würden sich die Hautpartien abzeichnen und im Hosenbereich komme es am Bund zu Abdrücken am Bauch. Er fühle sich in seinem Körper eingeschränkt und benachteiligt. Dies belaste ihn seelisch und psychisch sehr. Er habe ein großes Schamgefühl und leide unter Depressionen. Bei seiner Montagetätigkeit vermeide er es, sich auszuziehen oder zu duschen, da er die Reaktionen seiner Kollegen fürchte. In ein Freibad zu gehen, wäre für ihn nicht möglich. Er habe in seinem Leben auch noch nie eine nähere Beziehung zu einer Frau aufbauen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasse nicht die Kosten für operative Eingriffe in den regelgerechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu be-heben oder zu lindern. Psychische Probleme seien mit Mitteln der Psychotherapie und Psychiatrie zu behandeln.

Der Kläger hat am 23. September 2003 Klage vor dem Sozialgericht Dessau erhoben.

Das Sozialgericht hat Befundberichte vom behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin MR Dr. med. R. und vom Facharzt für Plastische Chirurgie/Handchirurgie, Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. S. (B. Klinik B., Klinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie/Brandverletztenzentrum) eingeholt. In seinem Befundbericht vom 4. Februar 2004 hat Dr. R. ausgeführt, der Kläger sei derzeit klinisch ohne Befund. Der vormals vorhandene Bluthochdruck habe sich verbessert. Dr. S. hat in seinem Befundbericht vom 30. März 2004 dargelegt, der Kläger habe sich am 17. März 2003 bei ihm ambulant vorgestellt. Bei den klinischen Untersuchungen habe er im Bereich beider Mammae und des Abdomens der Oberschenkelinnenseiten, weniger im Bereich des Gesäßes, einen ausgesprochenen schlaffen Hautmantel nach massiver Gewichtsre-duktion vorgefunden. Dem Kläger sei ein Bodylift nach Lockwood vorgeschlagen worden. Vor dem Sozialgericht hat der Kläger vorgetragen: Er werde beim Schlafen durch die überschüssige Haut behindert und könne deswegen nur schwierig durchschlafen. Er fühle sich durch seinen Körper eingeschränkt und benachteiligt, was zu seelischen und psychischen Belastungen geführt habe. Er leide unter Depressionen. Die verbleibenden Hautlappen seien nicht nur Anlass für eine kosmetische Operation, sondern sie behinderten ihn erheblich. Sein psychischer Leidensdruck, der inzwischen Krankheitswert habe, sei nicht durch Psychopharmaka oder Gespräche mit einem Psychologen zu lösen. Lediglich eine Operation sei in der Lage, das psychische Leiden zu lindern. Sein Körper sei instabil, da das gesamte Gewebe den Körper nicht mehr halte. Die Gewichtsreduktion sei aus gesundheitlichen Gründen notwendig gewesen. So hätte die Beklagte bei entsprechender Verordnung durch einen Arzt auch die Kosten für ein Magenband übernommen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Eigenleistung des Klägers, sein Gewicht um 70 kg ohne Kosten für die Beklagte zu reduzieren und somit Folgeerkrankungen zu vermeiden, nunmehr dazu führe, dass er die Kosten für eine notwendige Operation zur Straffung des Gewebes selbst tragen solle. Der Kläger hat insoweit Bezug genommen auf die Stellungnahme seines behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin MR Dr. med. R. vom 20. Januar 2003. Dr. R. hat hierin ausge-führt, die anfangs hypertonen Blutdruckwerte von 170/100 seinen aufgrund der Redu-zierung des Körpergewichtes nicht mehr therapiebedürftig. Hierdurch habe der Kläger den Folgeerkrankungen einer extremen Adipositas wie Arthrosen, Herzinsuffizienz und Stoffwechselkrankheiten vorgebeugt, die mit Sicherheit zu späterer Zeit einen erheblichen therapeutischen Aufwand, gar Frühinvalidität, verursacht hätten. Deshalb und aufgrund des beim Kläger bestehenden Leidensdruckes erscheine eine Bauchhaut-straffung als kassenärztliche Leistung indiziert.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. Juni 2004 die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine "Bodylift"-(Hautstraffungs-) Operation im Bereich der Oberschenkel, des Bauches und des Oberkörpers zu gewähren. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Anspruch des Klägers folge aus §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 27 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Reha-bilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Beim Kläger sei die Erwerbsfähigkeit durch die "überschüssigen" Hautpartien gefährdeten. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragen, die verbliebenen Hautfalten behinderten ihn im Beruf beim Tragen der vorgeschriebenen Absturzsicherung. Durch den Druck, der von den über Oberschenkel, Bauchbereich und Oberkörper verlaufenden Gurten ausgeübt werde, leide er unter erheblichen Schmerzen. Dem sei zu entnehmen, dass die begehrte Operation zur Straffung der "überschüssigen" Hautpartien erforderlich sei, um Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden.

Gegen das ihr am 28. Juni 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. Juli 2004 Berufung eingelegt.

Die Berichterstatterin hat vom Facharzt für Allgemeinmedizin, Spezielle Schmerztherapie, Homöopathie, Umweltmedizin Dr. Sch., Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie, Sportmedizin/D-Arzt Dr. med. R., dem Arzt für Allgemeinmedizin J. und vom Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Facharzt für Chirurgie und Handchirurgie Dr. med. Z. Befundberichte eingeholt. Dr. J. hat in seinem Befundbericht vom 11. Juli 2005 beschrieben, der Kläger sei durch Schmerzen während der Ausübung seines Malerberufes infolge von Zug-, Druck- und Scheuervorgängen bei angelegtem Rückenstützgurt oder Absturzsicherungsgeschirr durch die massiven Hautlappen im Rumpfbereich kör-perlich behindert. Dr. J. hat eine reaktive depressive neurotische Reaktion und ein chronisches Schmerzsyndrom bei monströsen Hautlappen am Rumpf nach Gewichts-reduktion sowie einen Zustand nach komplizierter Fußfraktur diagnostiziert. Der Kläger versuche verzweifelt, trotz seiner Behinderung dem Leistungsdruck bei seinem neuen Arbeitgeber stand zu halten und seinen Arbeitsplatz nicht durch Arbeitsausfallzeiten zu verlieren. Derzeit bestünde eine hoffnungslos verzweifelte, depressive Gemütslage, wobei Dekompensation in nicht allzu langer Zeit zu befürchten sei. Die psychische Belastung sei durch den Anpassungsdruck an die neuen Verhältnisse in Baden-Württemberg seit Juni 2004 gestiegen. Mit Beginn der warmen Jahreszeit seien eine vermehrte Schweißneigung und nässende Scheuereffekte unter den Hautlappen zu verzeichnen. Der Kläger sei aufgrund der Erschlaffung des Hautweichteilmantels zur Ausübung der normalen psychischen und physischen Funktionen nicht in der Lage. Er führe kein normales Arbeits- und Freizeitleben, sondern sei deutlich behindert. Privat bestünde ein gravierender Verlust an Lebensqualität durch Rückzug im Sozialen aus Angst und Scham vor seinem mit Hautlappen verunstalteten Körper. Dr. Z. hat in seinem Befundbericht vom 20. Januar 2006 die Diagnosen einer ausgeprägten abdominalen, zirkumferenten Hautmantelfettschürze, einer Rectusdiastase, einer Bauchmuskelinsuffizienz, einem Intertrigo (rote, erosive, juckende und brennende Hautveränderungen in den Körperfalten) und einer Nabelinfektion gestellt. Er hat zur Therapie ein zirkumferentes und modifiziertes Bodylift, Oberarmstraffung beidseits und Bruststraffung mit subcutaner Mastektomie beidseits vorgeschlagen. Der zirkuläre Hautmantelüberschuss sei deutlich ausgeprägt mit sichtbaren intertriginösen Veränderungen unter dem überhängenden Bauchhautmantel. Es bestünde eine deutliche Bauchmuskelinsuffizienz. Aktuell sei eine Nabelinfektion mit leichter Sekretion, Rötung und ein riechender oberflächlicher Epitheldefekt sichtbar. Zudem bestünden eine Schamhügelptosis, eine Gesäß- und eine Oberschenkelhauterschlaffung.

Die Berichterstatterin hat ein fachärztliches Gutachten vom Arzt für Chirurgie/Unfallchirurgie/Sportmedizin/Sozialmedizin Dr. med. S. vom Institut für Medizinische Begutachtung M. eingeholt. In seinem Gutachten vom 20. Juli 2006, erstellt nach einer Untersuchung des Klägers am 10. Juli 2006, hat Dr. S. ausgeführt: Der Kläger habe geschildert, die überschüssige Bauchhaut störe ihn vor allem beim Tragen der Berufskleidung. Er trage meistens Latzhosen mit Gürtel. Die Seitenknöpfe würden sich in die Haut hineindrücken. Der Bauchnabel entzünde sich manchmal und werde rot, dies trete ca. alle zwei Monate auf. Bei Dacharbeiten müsse er Sicherheitsgeschirr tragen, wobei die Gurte in die Bauchhaut drücken würden. Sie würden den ganzen Bauch zusammenschnüren. Der Kläger habe nachvollziehbar seine Unzufriedenheit mit seinem körperlichen Erscheinungsbild geäußert. Bei der Untersuchung haben sich im Unterbauch rechts und links der Mittellinie, wenige Zentimeter unter der Höhe des Nabelniveaus symmetrisch angeordnete, jeweils ca. 3 cm im Durchmesser große, oberflächlich nicht entzündliche Druckstellen gezeigt. Als Druckstellen identifiziere man diese Flächen an der leicht dunkleren Hautfärbung. Im Stehen habe sich am Brustkorb im Bereich beider Brustwarzen eine deutlich abgesenkte Hautfaltenbildung gezeigt. Dem Tastbefund nach liege aber keine Gynäkomastie (Vergrößerung der männlichen Brustdrüse) vor. Es handele sich vielmehr um eine Erschlaffung der Haut und des Unterhautfettgewebes in der Umgebung der Brustwarzen als Folge der Gewichtsabnahme. Die Haut der vorderen Bauchwand sei deutlich erschlafft und hänge im Stehen in Höhe der Schamhaargrenze lappenförmig fußwärts. Nach vorne lasse sich die Haut ca. 10 cm abheben. Reizerscheinungen in den Hautfalten, Hautmazerationen, Pilzbefall etc. würden sich nicht finden. Der Bauchnabel sei schlauchförmig entwickelt und habe zum Untersuchungszeitpunkt keine Reizerscheinungen oder Entzündungszeichen aufgewiesen. Die Haut an der Vorder-Innenseite beider Oberschenkel seien ebenfalls deutlich erschlafft und lassen sich nach vorne ziehen. Im lockeren Stand sei eine Normabweichung an dieser Stelle jedoch äußerlich nicht erkennbar. Dr. S. hat folgende Diagnosen gestellt: eine Erschlaffung der Haut an den Innenseiten der Oberarme, an den Vorder-Innenseiten beider Oberschenkel, in der Umgebung beider Brustwarzen mit Ptose (schlaffem Herabhängen) jeweils eines entsprechenden Hautlappens rechts und links und eine Erschlaffung der Haut der vorderen Bauchwand mit im Stehen schürzenartig herabfallender Bauchhaut und Unterhaut. Diese Veränderungen seien auf den raschen erheblichen Gewichtsverlust von 70 kg innerhalb von drei Jahren zurückzuführen. Sie seien nicht mit Funktionsstörungen oder Folgeerkrankungen verbunden. Bei den genannten Druckmarken handele es sich nicht um spezifische Folgen der herabhängen Hautlappen. Derartige Druckmarken könnten auch bei normaler Haut beim Tragen entsprechender Kleidungsstücke auftreten und hätten keinen Krankheitswert. Eine Folgeerkrankung auf psychiatrischem Gebiet sei aus allgemein-ärztlicher / sozialmedizinischer Sicht nicht erkennbar. Ebenso lägen keine Hinweise auf eine depressive Stimmungslage vor. Die beschriebenen Veränderungen stünden durchaus in Diskrepanz zum übrigen Erscheinungsbild des Klägers. Der Kläger sei insgesamt von schlanker Gestalt. Deswegen wölbten sich die herabhängenden Hautlappen im Bereich der rechten und linken Brustseite und an der vorderen Bauchwand ästhetisch ungünstig heraus. Wenn man als Maßstab für den Regelfall eine normal straffe Haut bei einem normalgewichtigen schlanken Menschen anlegen würde, dann liege beim Kläger bezüglich der herabhängender Hautfalten ein regelwidriger Zustand vor. Die beschriebenen Veränderungen seien jedoch nicht behandlungsbedürftig. Insoweit sei auch zu beachten, dass die körperliche Untersuchung des Klägers in einer bereits seit längerer Zeit andauernden Periode sehr warmen Wetters stattgefunden habe. Im Falle des Auftretens von sekundären Krankheitserscheinungen, wie Hautveränderungen im Bereich der Hautfalten am Lappenansatz oder Entzündungen des trich-terförmigen Nabels, könnten diese mit guter Erfolgsaussicht mit entsprechenden geeigneten Maßnahmen und Externa (Puder, Salben etc.) behandelt werden. Zudem bestünde die Möglichkeit der Prophylaxe durch konsequentes Trockenhalten der Haut mit geeigneten Mitteln. Sofern Komplikationen oder Folgeerkrankungen aufgrund der Erschlaffung der Haut des Klägers auftreten, wäre die Behandlungsmethode "Bodylift" grundsätzlich geeignet, diese zu beseitigen. Ein solcher operativer Eingriff sei keines-wegs risikofrei oder -arm. Es könne zu schwerwiegenden Komplikationen kommen. Im Falle des Auftretens von Komplikationen sei bei ausschließlich medizinischer Beurteilung des Sachverhalts ohne Berücksichtigung ästhetischer bzw. kosmetischer Aspekte stets der konservativen Lokalbehandlung der Vorzug zu geben. Der Gutachter fertigte Fotos vom Kläger im nur mit Unterhose bekleideten Zustand an, die er seinem Gutachten beifügte.

Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte vorgetragen: Ihrer Auffassung nach sei für den Anspruch allein maßgebend, ob es sich bei der begehrten Operation um eine Krankenbehandlung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung handele. Dies sei nicht der Fall. Das kosmetische Anliegen stünde vielmehr im Vordergrund. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasse nicht die Kosten für einen operativen Eingriff in den regelgerechten Körperzustand, um auf diesem Wege eine psychische Störung zu beheben oder zu lindern. Das Inkrafttreten des SGB IX habe an der Voraussetzung der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung nichts verän-dert. Auch nach dem Sachverständigengutachten sei eine Operation nicht indiziert. Die Beklagte hat insoweit auf ein von ihr eingeholtes sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 1. September 2006 verwiesen. Danach bestünden keine krankheitswerten Befunde, die zwingend operativ behandelt werden müssten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 21. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Seiner Ansicht nach ist die Entscheidung des Sozialgerichts rechtmäßig. Es stünde zu befürchten, dass er ohne die erforderliche Operation zukünftig den ausgeübten Beruf nicht weiterführen könne. Die verbliebenen Hautlappen behin-derten ihn dadurch, dass er beim Tragen der vorgeschriebenen Absturzsicherung durch den Druck der Gurte auf Oberschenkel, Bauchbereich und Oberkörper erhebliche Schmerzen erleide. Ohne Durchführung der begehrten Operation könnte er auf Dauer erwerbsunfähig werden. Die Operation sei daher notwendig, um seine Erwerbfähigkeit sicher zu stellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens des Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden.

Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger die begehrte Operation "Bodylift" zu ihren Lasten als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren. Der Kläger hat hierauf keinen Anspruch.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, um ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Unter Krankheit ist nach der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des ge-sunden Menschen abweichender Körper - oder Geisteszustand zu verstehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG, Urteil vom 30. September 1999, Az.: B 8 KN 9/98 KR R, BSGE 85, 36, 38; BSG, Urteil vom 10. Februar 1993, Az.: 1 RK 14/92, BSGE 72, 96, 98).

Beim Kläger liegt keine körperliche Anormalität vor, die Krankheitswert hat. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert zu. Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, Az.: B 1 KR 3/03 R, SozR 4 - 2500 § 27 Nr. 3). Eine körperliche Fehlfunktion besteht nach dem Gutachten des Dr. Springer nicht. Der Senat folgt den schlüssigen Ausführungen des Gutachters Dr. S. Er hat - ebenso wie die behandelnden Ärzte - dargelegt, dass die Hautmantelerschlaffung des Klägers auf der erheblichen Gewichtsabnahme in einem relativ kurzen Zeitraum beruht. Die nach dem Vorbringen des Klägers auftretenden Druckstellen beim Tragen der Berufskleidung oder anderer enger Kleidung haben keinen Krankheits-wert. Dr. S. hat insoweit nachvollziehbar geschildert, dass es sich dabei nicht um spezifische Folgen der herabhängenden Hautlappen handelt. Derartige Druckmarken können auch bei normaler Haut beim Tragen entsprechender Kleidungsstücke auftreten. Gleiches gilt nach Auffassung der Senats für die vom Kläger vorgetragenen Beschwerden beim Tragen von Sicherheitsgurten, was mitunter bei der Ausübung seiner Tätigkeit als Maler und Lackierer erforderlich ist. Ein besonderer Druck wird von den Sicherheitsgurten nur bei Belastung auf den Körper ausgeübt, also wenn ein Sturz vom Gerüst verhindert wird. Bei einem vorsorglichen Tragen ist bei sachgemäßem Anlegen kein besonderer Druck auf die Hautpartien gegeben. Zudem kann das Zusammenschnüren und das Druckausüben auf die Haut keine andere Intensität haben, als dies bei Menschen ohne Hautmantelerschlaffung auch der Fall wäre. Eventuelle Druckstellen würden auch insoweit keinen Krankheitswert haben.

Krankheitswert käme der Hautmantelerschlaffung allenfalls dann zu, wenn dauerhaft therapieresistente Hautreizungserscheinungen wie Pilzbefall, Sekretionen oder entzündliche Veränderungen vorlägen. Solche konnten vom Gutachter Dr. S. nicht festgestellt werden. Die Untersuchung durch Dr. S. fand am 10. Juli 2006 und somit in einer seit längerer Zeit anhaltenden Periode sehr heißen Wetters statt. Da sich in solchen Wetterperioden Hautreizungserscheinungen, sofern die betreffende Person an diesen leidet, üblicherweise verstärken, kann davon ausgegangen werden, dass Hautreizungen beim Kläger auch sonst nicht in einem erheblichen Umfang therapieresistent auftreten.

Nach Auffassung des Senats liegt beim Kläger auch keine Entstellung vor, die behandlungsbedürftig wäre. Zwar hat der Senat vom Kläger keinen persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung gewinnen können, da die ursprüngliche Anordnung seines persönlichen Erscheinens aufgehoben wurde. Allerdings erachtet der Senat insoweit die von Dr. S. zu seinem Gutachten gefertigten Fotos vom Kläger als ausreichend, um das Nichtvorliegen einer Entstellung beurteilen zu können. Eine Entstellung kann nach der Rechtsprechung nur vorliegen, wenn sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in der alltäglichen Situation, quasi "im Vorbeigehen", bemerkbar macht (angenommen bei einer Frau ohne natürliches Kopfhaar, BSG, Urteil vom 23. Juli 2002, Az.: B 3 KR 66/01 R, SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 45; angenommen bei einer Wangenatrophie, LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Mai 2002 - L 5 KR 93/01; verneint beim kahlen Kopf des Mannes, BSG, Urteil vom 18. Februar 1981, Az.: 3 RK 49/79, SozR - 2200 § 182 b Nr. 18 Seite 50 ff). Bei der Beurteilung des Vorliegens einer Entstellung ist daher vom bekleideten Zustand des zu Beurteilenden auszugehen. Die vom Gutachter angefertigten Fotos vom Kläger (in Unterhose) zeigen eine hochgewachsene und schlanke Person, bei der im Bereich des Bauches und der Brust ein Hautüber-schuss besteht. Dieser Hautüberschuss hat nach Auffassung des Senats aber bei weitem nicht einen solchen Umfang, dass der Kläger als entstellt angesehen werden könnte. Da der Senat bereits nach den Fotos vom Kläger in Unterhose keine Entstellung zu erkennen vermag, kann dies erst recht nicht im bekleideten Zustand der Fall sein. Der Kläger hat zwar geschildert, dass er seine Erscheinung als Entstellung ansieht und sich deswegen nicht unbekleidet zeigen mag, was Auswirkungen auf sein Freizeit- und sein sonstiges soziales Verhalten hat. Für die Annahme einer Regelabweichung ist jedoch nicht die subjektive Betrachtungsweise des betroffenen Versicherten, sondern allein ein objektiver Maßstab entscheidend. Danach liegt eine schwere Entstellung erst dann vor, wenn sie bei Menschen, die nur selten Umgang mit Behinderten haben, üblicherweise Missempfinden, wie Erschrecken oder Abscheu oder eine anhaltende Abneigung auszulösen vermögen. Dies ist beim Kläger objektiv ausgeschlossen.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann der Kläger die begehrte Ope-ration auch nicht nach den §§ 26, 27 SGB IX beanspruchen. Der Senat hat bereits Zweifel, ob der Kläger durch die Erschlaffung seines Hautmantels überhaupt derart eingeschränkt ist, dass er seine berufliche Tätigkeit nicht im vollen Umfang ausüben kann oder Beeinträchtigungen drohen. Der Kläger ist von Beruf Maler und Lackierer. In diesem Beruf mag das Tragen von Sicherheitskleidung gele-gentlich erforderlich sein, dürfte aber die Ausnahme darstellen. Selbst wenn die Vorraussetzungen der §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 27 SGB IX erfüllt wären, führt dies nicht dazu, dass die Voraussetzungen nach § 27 SGB V (Vorliegen einer Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit) entfallen würden. Diese sind vielmehr gesondert zu prüfen. § 7 Satz 2 SGB IX legt insoweit ausdrücklich fest, dass sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten. Danach liegt aber - wie oben ausgeführt - kein behandlungsbedürftiger Zustand vor.

Es kann dahingestellt bleiben, ob und in welcher Intensität sich aus der subjektiven Unzufriedenheit des Klägers über die Hautmantelerschlaffung und seinem damit verbundenen Erscheinungsbild eine psychische Störung bzw. ein psychisches Leiden mit Krankheitswert entwickelt hat. Selbst wenn dies so wäre, würde dies nicht zu einem Anspruch des Klägers auf die begehrte Operation führen. Ein Leistungsanspruch auf eine Heilbehandlung in Form eines körperlichen Eingriffs besteht nicht, wenn diese Maßnahme nicht durch eine Fehlfunktion oder durch eine Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand, indiziert wird. Operationen am krankenversicherungsrechtlich betrachtet gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, sind keine Behandlungen im Sin-ne von § 27 Abs. 1 SGB V (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R). Die Kostenübernahme für eine solche Operation bedarf im Hinblick auf die damit verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung, da mit ihr nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen werden würde, sondern nur mittelbar die Besserung eines einem anderen Bereich zugehörenden gesundheitlichen Defizits erreicht werden sollte. Eine solche Rechtfertigung besteht vor allem wegen der Schwierigkeiten der Vorhersage des Einflusses von körperlichen Veränderungen auf psychische Leiden und der deswegen unsicheren Erfolgsprognose nicht (BSG, Urteil vom 19. Februar 2003, Az.: B 1 KR 1/02, BSGE 90, 289, 291). Psychische Störungen sind in der Regel nur mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln, damit das psychische Grundproblem angegangen und unmittelbar behandelt werden kann.

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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