S 31 AS 159/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 159/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 11.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2008 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten.

Tatbestand:

Streitig ist die Rücknahme von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - für den Zeitraum Januar 2005 bis November 2007 und eine entsprechende Erstattungsforderung in Höhe von 9.597,41 EUR.

Die am 11.07.19xx geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit ist seit 1992 mit dem am 15.12.19xx geborenen Herrn H. E., ebenfalls türkischer Staatsbürger, verheiratet. Der Ehemann der Klägerin erhält seit dem 01.01.2005 eine Regelaltersrente in Höhe von damals zunächst 581,21 EUR monatlich.

Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann waren ab dem 16.04.2004 bei der K. C. GmbH in D. beschäftigt. Die Klägerin bezog letztmalig für Januar 2005 Einkommen aus dieser Tätigkeit. Der Ehemann jedenfalls bis Dezember 2007. Wegen der Höhe des jeweils monatlich erzielten Einkommens wird auf die in der Akte befindlichen Verdienstabrechnungen Bezug genommen. In den in der Leistungsakte befindlichen Anträgen auf SGB II-Leistungen finden sich keine Hinweise auf dieses Einkommen.

Der Klägerin wurden mit Bescheiden vom 21.12.2004, 12.05.2005, 12.10.2005, 09.06.2006, 02.11.2006 und 02.06.2007 SGB II-Leistungen für den Zeitraum Januar 2005 bis November 2007 gewährt. Dabei wurde (nur) ein Teil des Renteneinkommens des Ehemanns als Einkommen bei der Klägerin angerechnet.

Nach Eingang einer Überschneidungsmitteilung vom 18.10.2007 forderte die Beklagte Einkommensbescheinigungen der Firma K. C. GmbH an und hörte die Klägerin am 15.11.2007 zu einer teilweisen Leistungsaufhebung an.

Mit Bescheid vom 11.12.2007 hob die Beklagte die für den Zeitraum Januar 2005 bis November 2007 gewährten Leistungen unter Nennung der entsprechenden Bescheide teilweise in Höhe von 9.597,41 EUR auf und forderte die Klägerin zur Erstattung dieses Betrages auf. In dem Bescheid heißt es, dass sich dieser Betrag aus einem Betrag von 7.458,01 EUR an Regelleistungen und weiteren 2.139,40 EUR an Leistungen für Unterkunft und Heizung zusammensetze.

Hiergegen legte die Klägerin am 14.12.2008 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2008 zurückwies. Es handele sich nicht um eine Aufhebung i.S.v. § 48 SGB X, sondern um eine Rücknahme i.S.v. § 45 SGB X.

Hiergegen richtet sich die am 13.05.2008 erhobene Klage.

Die Klägerin trägt vor, sie habe die Tätigkeit ihres Ehemannes damals gegenüber der Beklagten angezeigt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 11.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die angefochtenen Bescheide seien hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 SGB X. Insofern reiche die Nennung der insgesamt zurückgenommenen und erstattet verlangten Leistungen aus. Insofern werde Bezug genommen auf ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts - LSG - vom 13.11.2008 (L 6 AS 16/07). Jedenfalls müsse die Möglichkeit bestehen, den genauen Erstattungsbetrag bis zum Ende der mündlichen Verhandlung aufzuschlüsseln.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne vom § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - beschwert, da diese rechtswidrig sind. Die angefochtenen Bescheide sind nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, da aus ihnen nicht hervorgeht, in welcher Höhe die bewilligten Leistungen für jeden einzelnen Monat zurückgenommen wurden.

Gemäß § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dieses Bestimmtsheitserfordernis ist im Hinblick auf die zugrundeliegende Rechtsmaterie zu konkretisieren. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 SGB II besteht ein kalendertäglicher Anspruch auf SGB II-Leistungen, die jeweils monatlich im Voraus erbracht werden. Einigkeit besteht dahingehend, dass diese Leistungen - wie auch bereits die Leistungen nach dem BSHG - Individualansprüche sind (vgl. nur BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, Rdnr. 12). Weiterhin besteht Einigkeit darüber, dass das Rückabwicklungsverhältnis - ebenfalls wie bereits unter Geltung des BSHG - das "Spiegelbild" des Leistungsverhältnis darstellt (vgl. Udsching/Link, SGb 9/07, S. 513, 514; vgl. auch schon SG Koblenz, Urteil vom 14.06.2006, S 11 AS 305/05, juris; OVG NRW, Urteil vom 11.12.1997, 8 A 5182/95, juris; OVG NRW, Urteil vom 12.02.1992, 8 A 2127/88, juris; BVerwG, Urteil vom 30.04.1992, 5 C 29/88, juris). Da es sich bei SGB II-Leistungen um Individualansprüche handelt, weisen die entsprechenden Bewilligungsbescheide in ihren Verfügungssätzen und jedenfalls unter Einbeziehung der regelmäßig als Anlage beigefügten Berechnungsbögen genau aus, welche Leistungen dem Hilfebedürftigen (und im Fall einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 SGB II jedem einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft) monatlich zustehen. Die "spiegelbildliche" Rückabwicklung muss dann dergestalt erfolgen, dass aus dem Bescheid - und sei es nur unter Zuhilfenahme von entsprechenden Anlagen (vgl. hierzu Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 33 Rdnr. 3, 4) - genau hervorgeht, in welcher Höhe für jeden Monat die Leistungen gegenüber jedem betroffenen Hilfebedürftigen aufgehoben bzw. zurückgenommen werden.

Die genaue Bezeichnung des jeweiligen Betrags pro Monat könnte entbehrlich sein, wenn die Leistungen vollständig aufgehoben werden. Denn dann könnte zumindest unter Einbeziehung des ursprünglichen Bewilligungsbescheids leicht erkennbar sein, in welcher Höhe die monatliche Aufhebung erfolgt. Auch bei einer nur teilweisen Leistungsaufhebung könnte die einmalige Nennung eines Betrags dann ausreichen, wenn über den gesamten Aufhebungs- bzw. Rücknahmezeitraum monatlich in exakt gleicher Höhe die Leistungen aufgehoben bzw. zurückgenommen werden. Jedenfalls aber im Fall einer nur teilweisen Leistungsaufhebung bzw. -rücknahme in monatlich wechselnder Höhe wie hier (der Ehemann der Klägerin hatte monatlich jeweils unterschiedlich hohes Einkommen) muss für jeden Monat einzeln ausgewiesen werden, in welcher Höhe Leistungen aufgehoben bzw. zurückgenommen werden. Denn nur dann ist klar, in welcher Höhe die Behörde nach der erfolgten Aufhebung bzw. Rücknahme jeweils monatlich noch Leistungen bewilligt. So wie auch bei einer erstmaligen Leistungensbewilligung für den Hilfeempfänger klar sein muss, in welcher Höhe die Behörde monatlich Leistungen bewilligt, so muss dies auch nach einer Aufhebungs- bzw. Rücknahmeentscheidung noch klar sein.

Die Kammer sieht sich hierin in Übereinstimmung mit der Rechtssprechung des LSG Nordrhein-Westfalen. Dieses hat in einem Beschluss vom 13.09.2007 (L 20 B 152/07 AS ER) ausgeführt: "Damit wird nicht hinreichend erkennbar, welche Leistungen die Antragstellerin zu 1) bzw. der Antragsteller zu 2) zu Unrecht bezogen haben und wie sich der Rückforderungsbetrag ... letztlich zusammensetzt." Mit einem Beschluss vom 18.03.2009 (L 19 B 221/08 AS) hat es einen Aufhebungsbescheid mit folgender Begründung als hinreichend bestimmt angesehen: "Aus den Berechnungsbögen, die den beiden Aufhebungsbescheiden als Anlage beigefügt und zur Auslegung des Verfügungssatzes heranzuziehen sind, ergibt sich, welche Leistungen an den Kläger - Regelleistungen nach § 20 SGB II oder Kosten der Unterkunft § 22 SGB II - die Beklagte in welchem Umfang in welchem Monat aufgehoben hat." Wenn in diversen Entscheidungen zur Frage der Bestimmtheit von Aufhebungs- bzw. Rücknahme- und Erstattungsbescheiden das Erfordernis einer genauen Bezeichnung des jeweiligen monatlichen Betrags nicht explizit genannt wird (vgl. z.B. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.12.2006, L 20 SO 20/06 oder Beschluss vom 26.11.2007, L 7 B 258/07 AS ER), so dürfte dies der Tatsache geschuldet sein, dass diese Entscheidungen sich in erster Linie mit dem Problem beschäftigen, dass die Bescheide im Fall von Aufhebungen bzw. Rücknahmen gegenüber mehreren Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft häufig sowohl inhaltlich als auch formal nur an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gerichtet sind. Dies gilt auch für das von der Beklagten angeführte Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 13.11.2008 (L 6 AS 16/07), dem gerade nicht entnommen werden kann, dass - jedenfalls im Fall einer nur teilweisen Leistungsaufhebung bei wechselnd hohem Einkommen - eine Benennung des jeweiligen Aufhebungs- bzw. Rücknahme- und Erstattungsbetrags für jeden einzelnen Monat entbehrlich ist.

Bei dem so konkretisierten Bestimmtheitserfordernis handelt es sich um eine Voraussetzung der materiellen Rechtmäßigkeit der jeweiligen Bescheide, sodass eine Heilung nach § 41 Abs. 2 SGB X nicht in Betracht kommt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.11.2007, L 7 B 258/07 AS ER; Urteil vom 18.12.2006, L 20 SO 20/06; Engelmann, a.a.O., Rdnr. 2). Zwar dürfte es dem Leistungsträger möglich sein, die zur Bestimmtheit im o.g. Sinne erforderlichen Angaben auch erst im Widerspruchsbescheid zu machen oder innerhalb der Frist von § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (bzw. § 48 Abs. 4 Satz 2 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) einen weiteren Bescheid zu erlassen, der diesen Anforderungen genügt. Beides ist hier aber nicht geschehen. Ausgangs- und Widerspruchsbescheid enthalten wohl die Angabe der aufgehobenen bzw. zurückgenommenen Bescheide, den insgesamt betroffenen Zeitraum, den insgesamt zu erstattenden Betrag sowie den jeweils auf die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung entfallenden Anteil. An keiner Stelle finden sich dagegen Angaben dazu, in welcher Höhe für jeden einzelnen Monat das wechselnd hohe Einkommen des Ehemanns der Klägerin angerechnet und entsprechend die ursprüngliche Leistungsbewilligung zurückgenommen wird.

Sind die angefochtenen Rücknahmeentscheidungen wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, scheitert auch eine Erstattung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved