Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 796/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1591/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) hat.
Der Beklagte stellte zuletzt mit Bescheid vom 02.05.2005 bei dem 1929 geborenen Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 seit 28.04.2003 sowie weiterhin die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest.
Auf den Antrag des Klägers vom 24.03.2005 auf Feststellung des Merkzeichens "aG" zog der Beklagte den Entlassungsbericht der Waldklinik D. vom 16.06.2005 bei. In Auswertung dessen stellte der Prüfarzt des Beklagten in der gutachtlichen Stellungnahme vom 20.09.2005 folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest:
Erkrankung der Prostata GdB 40 Chronische Harnwegsentzündung Harninkontinenz
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule GdB 30 Nervenwurzelreizerscheinungen Bandscheibenschaden Spinalkanalstenose
Koronare Herzkrankheit GdB 20 Koronarer Bypass Bluthochdruck
Kopfschmerzsyndrom GdB 20
Schwerhörigkeit GdB 10
Chronische Magenschleimhautentzündung GdB 20 Refluxkrankheit der Speiseröhre Chronische Entzündung des Dünndarms
Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke GdB 30 Funktionsbehinderung beider Kniegelenke Hüftgelenksendoprothese rechts
Postthrombotisches Syndrom linksseitig GdB 20 Riss der Bizepssehne links GdB 30 Funktionsbehinderung beider Schultergelenke
Polyneuropathie GdB 10
Der Gesamt-GdB betrage 90. Der Kläger sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, jedoch nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte der Beklagte eine Höherbewertung des GdB sowie die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale des Merkzeichens "aG" ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er nach Auswertung eines Arztbriefes des Klinikums P. über eine Implantation einer Kombi-TEP rechts am 23.05.2005 mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2006 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 22.02.2006 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. K. und Dr. R., Arzt für Orthopädie, als sachverständige Zeugen gehört. Dr. K. hat angegeben, von Seiten der Hüfte sei ein stabiler Zustand eingetreten. Nach Durchführung der Anschlussheilbehandlung in der Klinik D. habe der Kläger begonnen, die Gehstöcke abzutrainieren. Dr. R. hat mitgeteilt, die Röntgenkontrolluntersuchung der rechten Hüfte zeige einen korrekten Sitz der eingebrachten Prothese ohne Lockerungszeichen, das Gehen erfolge mit leicht nach vorne geneigtem Oberkörper.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. S., Oberarzt an der Chirurgischen Klinik am Klinikum P., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 16.08.2007 hat dieser ausgeführt, die erhobenen Messwerte für die unteren Extremitäten zeigten eine noch ausreichend gute Funktion der Hüft- und insbesondere der Kniegelenke. Eine Funktionsbeeinträchtigung, die einer außergewöhnlichen Gehbehinderung gleich käme, liege hier sicherlich nicht vor. Auch von Seiten der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen bestünden keinerlei Befunde, die eine außergewöhnliche Gehbehinderung rechtfertigten. Neurologischerseits seien keine peripheren Ausfälle festzustellen. Das unbeobachtete Gangbild sei unauffällig gewesen. Auch auf kardiologischem Gebiet lägen keinerlei Erkrankungen vor, die eine schwere Herzleistungsschwäche zur Folge hätten, infolge derer die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers drastisch eingeschränkt wäre. Zusammengefasst ergäben sich keinerlei fassbare Gründe für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung.
Der Kläger hat unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen (ärztliches Attest Dr. Keller vom 14.12.2007, Attest des Facharztes für Urologie Socha ohne Datum, Arztbrief des Radiologen F. vom 14.04.2008) vorgetragen, bei ihm bestehe eine Stressinkontinenz nach Prostatektomie. Er sei deshalb für das rasche Erreichen von Toiletten auf die Benutzung von Behindertenparkplätzen angewiesen. Dem ist der Beklagte unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 07.08.2008 entgegen getreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 11.03.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf den Gerichtsbescheid wird insoweit Bezug genommen.
Gegen den am 18.03.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.04.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei zwar zuzugeben, dass er dem in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO genannten Personen nicht angehöre. Er sei allerdings diesem Personenkreis gleichzustellen. Denn im Hinblick auf seine Stressinkontinenz sei er darauf angewiesen, ggf. schnell eine Toilette aufsuchen zu können. Dies werde ihm gerade dann ermöglicht, wenn er in der Lage sei, einen Behindertenparkplatz zu benutzen, denn diese befänden sich erfahrungsgemäß in der Nähe der Eingangsbereiche öffentlicher und medizinischer Einrichtungen. Darüber hinaus sei seine Gehfähigkeit durch eine Herz-Leistungs-Schwäche in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt.
Der Senat hat daraufhin ärztliche Befundunterlagen beim behandelnden Internisten Dr. Baumanns und der Medizinischen Klinik I P. über stationäre Behandlungen des Klägers vom 03.02. bis 05.02.2009 und 10.02. bis 19.02.2009 beigezogen. Danach ist dort eine erfolgreiche primäre Stent-Implantation im Segment 3 der RCA durchgeführt worden. Der Senat hat weiter aktuelle Befundberichte beim behandelnden Arzt Dr. K. beigezogen. Danach hat sich der Kläger wegen des Verdachts auf Oligurie oder Anurie vom 25.06. bis 04.07.2009 in stationärer Behandlung in der Klinik für Urologie am Krankenhaus St. T. in P. befunden, wo ein transurethraler Dauerkatheter gelegt worden ist. Am 04.07.2009 ist der Kläger in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen worden. Vom 03.09. bis 17.09.2009 ist der Kläger auf der Intensivstation der Medizinischen Klinik II des Klinikums P. wegen einer Sepsis bei eitriger Cholangitis bei Choledocholithiasis und Zystikusverschluss stationär behandelt und sodann auf die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie des Klinikums P. verlegt worden. Am 05.10.2009 ist er in ordentlichem Allgemeinzustand in die geriatrische Rehabilitation in der J. Klinik Bad W. entlassen worden, wo er sich bis zum 26.10.2009 befunden hat Ausweislich des Entlassungsberichts vom 25.10.2009 konnte der Kläger die Transfers selbständig ausführen und mittelweite Distanzen sicher am Rollator gehen. Die Treppen konnte er in Begleitung steigen, kürzere Wegstrecken waren ihm auch ohne Hilfsmittel möglich. Ihm wurde ein Rollator verordnet.
In den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 09.11.2009 und 10.12.2009 hat Dr. G. ausgeführt, die vorgelegten Befunde rechtfertigten nicht die Feststellung schwerster Einschränkungen des Gehvermögens.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. März 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Februar 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen. Darüber hinaus führt sie unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und ggf. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt 2 Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO. Die VwV-StVO ist als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz wirksam erlassen worden. Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Hierbei kann es auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht ankommen. Der Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung muss sich strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 in Abschnitt 2 Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden soll, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten. Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen, wobei sich ein den Anspruch ausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren lässt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt 2 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - in juris). Diese Voraussetzungen müssen praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeugs an erfüllt sein (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01R - in SozR 3 - 3250 § 69 Nr. 1).
Zu den in der Verwaltungsvorschrift beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört der Kläger unbestrittenermaßen nicht. Er ist diesem Personenkreis aber auch nicht gleichzustellen.
Eine außergewöhnliche Gehbehinderung des Klägers lässt sich nicht mit den bei ihm bestehenden Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet begründen. Ausweislich der vom Sachverständigen Dr. S. im Gutachten vom 16.08.2007 erhobenen Untersuchungsbefunde, die auch weiterhin noch aktuell sind, zeigen die Messwerte für die unteren Extremitäten eine noch ausreichend gute Funktion der Hüft- und insbesondere der Kniegelenke. Zwar werden in einem Arztbrief der Fachärzte für Chirurgie Dr. Eberhard und Dr. O. vom 10.07.2009 seit ca. sechs Monaten bestehende Kniegelenksschmerzen links beschrieben mit den Diagnosen einer linksseitigen Gonarthrose und Retropatellararthrose, eine für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" relevante Einschränkung des Gehvermögens lässt sich jedoch weder diesen Befunden entnehmen noch enthält der Arztbrief weitere Hinweise hierauf. Darüber hinaus kann dem Bericht der J. Klinik Bad W. über die geriatrische Rehabilitationsbehandlung vom 05.10. bis 26.10.2009 entnommen werden, dass beim Kläger aufgrund der intensiven täglichen Krankengymnastik und Ergotherapie Fortschritte insbesondere hinsichtlich Mobilität und Kraft erzielt werden konnten. Der Kläger kann die Transfers selbständig ausführen und mittelweite Distanzen am Rollator sicher gehen, wobei ihm kürzere Wegstrecken auch ohne Hilfsmittel möglich sind.
Eine Gleichstellung des Klägers kann auch nicht aufgrund seiner sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen erfolgen. Eine koronare Herzerkrankung in Form einer hochgradigen peripheren Stenose der RCA ist durch eine primäre Stent-Implantation im Segment 3 der RCA erfolgreich primär behandelt worden. Anhaltspunkte für schwerwiegendere kardiale Leistungsbeeinträchtigungen liegen seitdem nicht mehr vor. Auch das anfänglich nach schwerem septischem Verlauf bei Gallengangs-/Gallenblasenentzündung vorhandene Mobilitätsdefizit konnte zwischenzeitlich wieder wesentlich gebessert werden, wie sich gleichfalls dem bereits angeführten Entlassbericht der J. Klinik Bad W. entnehmen lässt.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis, wegen einer Stressinkontinenz ggf. rasch eine Toilette aufsuchen zu können, nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu begründen vermag. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine Einschränkung der Gehfähigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) hat.
Der Beklagte stellte zuletzt mit Bescheid vom 02.05.2005 bei dem 1929 geborenen Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 seit 28.04.2003 sowie weiterhin die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest.
Auf den Antrag des Klägers vom 24.03.2005 auf Feststellung des Merkzeichens "aG" zog der Beklagte den Entlassungsbericht der Waldklinik D. vom 16.06.2005 bei. In Auswertung dessen stellte der Prüfarzt des Beklagten in der gutachtlichen Stellungnahme vom 20.09.2005 folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest:
Erkrankung der Prostata GdB 40 Chronische Harnwegsentzündung Harninkontinenz
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule GdB 30 Nervenwurzelreizerscheinungen Bandscheibenschaden Spinalkanalstenose
Koronare Herzkrankheit GdB 20 Koronarer Bypass Bluthochdruck
Kopfschmerzsyndrom GdB 20
Schwerhörigkeit GdB 10
Chronische Magenschleimhautentzündung GdB 20 Refluxkrankheit der Speiseröhre Chronische Entzündung des Dünndarms
Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke GdB 30 Funktionsbehinderung beider Kniegelenke Hüftgelenksendoprothese rechts
Postthrombotisches Syndrom linksseitig GdB 20 Riss der Bizepssehne links GdB 30 Funktionsbehinderung beider Schultergelenke
Polyneuropathie GdB 10
Der Gesamt-GdB betrage 90. Der Kläger sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, jedoch nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Mit Bescheid vom 23.09.2005 lehnte der Beklagte eine Höherbewertung des GdB sowie die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale des Merkzeichens "aG" ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er nach Auswertung eines Arztbriefes des Klinikums P. über eine Implantation einer Kombi-TEP rechts am 23.05.2005 mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2006 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 22.02.2006 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers Dr. K. und Dr. R., Arzt für Orthopädie, als sachverständige Zeugen gehört. Dr. K. hat angegeben, von Seiten der Hüfte sei ein stabiler Zustand eingetreten. Nach Durchführung der Anschlussheilbehandlung in der Klinik D. habe der Kläger begonnen, die Gehstöcke abzutrainieren. Dr. R. hat mitgeteilt, die Röntgenkontrolluntersuchung der rechten Hüfte zeige einen korrekten Sitz der eingebrachten Prothese ohne Lockerungszeichen, das Gehen erfolge mit leicht nach vorne geneigtem Oberkörper.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. S., Oberarzt an der Chirurgischen Klinik am Klinikum P., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 16.08.2007 hat dieser ausgeführt, die erhobenen Messwerte für die unteren Extremitäten zeigten eine noch ausreichend gute Funktion der Hüft- und insbesondere der Kniegelenke. Eine Funktionsbeeinträchtigung, die einer außergewöhnlichen Gehbehinderung gleich käme, liege hier sicherlich nicht vor. Auch von Seiten der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen bestünden keinerlei Befunde, die eine außergewöhnliche Gehbehinderung rechtfertigten. Neurologischerseits seien keine peripheren Ausfälle festzustellen. Das unbeobachtete Gangbild sei unauffällig gewesen. Auch auf kardiologischem Gebiet lägen keinerlei Erkrankungen vor, die eine schwere Herzleistungsschwäche zur Folge hätten, infolge derer die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers drastisch eingeschränkt wäre. Zusammengefasst ergäben sich keinerlei fassbare Gründe für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung.
Der Kläger hat unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen (ärztliches Attest Dr. Keller vom 14.12.2007, Attest des Facharztes für Urologie Socha ohne Datum, Arztbrief des Radiologen F. vom 14.04.2008) vorgetragen, bei ihm bestehe eine Stressinkontinenz nach Prostatektomie. Er sei deshalb für das rasche Erreichen von Toiletten auf die Benutzung von Behindertenparkplätzen angewiesen. Dem ist der Beklagte unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 07.08.2008 entgegen getreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 11.03.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf den Gerichtsbescheid wird insoweit Bezug genommen.
Gegen den am 18.03.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.04.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es sei zwar zuzugeben, dass er dem in Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO genannten Personen nicht angehöre. Er sei allerdings diesem Personenkreis gleichzustellen. Denn im Hinblick auf seine Stressinkontinenz sei er darauf angewiesen, ggf. schnell eine Toilette aufsuchen zu können. Dies werde ihm gerade dann ermöglicht, wenn er in der Lage sei, einen Behindertenparkplatz zu benutzen, denn diese befänden sich erfahrungsgemäß in der Nähe der Eingangsbereiche öffentlicher und medizinischer Einrichtungen. Darüber hinaus sei seine Gehfähigkeit durch eine Herz-Leistungs-Schwäche in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt.
Der Senat hat daraufhin ärztliche Befundunterlagen beim behandelnden Internisten Dr. Baumanns und der Medizinischen Klinik I P. über stationäre Behandlungen des Klägers vom 03.02. bis 05.02.2009 und 10.02. bis 19.02.2009 beigezogen. Danach ist dort eine erfolgreiche primäre Stent-Implantation im Segment 3 der RCA durchgeführt worden. Der Senat hat weiter aktuelle Befundberichte beim behandelnden Arzt Dr. K. beigezogen. Danach hat sich der Kläger wegen des Verdachts auf Oligurie oder Anurie vom 25.06. bis 04.07.2009 in stationärer Behandlung in der Klinik für Urologie am Krankenhaus St. T. in P. befunden, wo ein transurethraler Dauerkatheter gelegt worden ist. Am 04.07.2009 ist der Kläger in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen worden. Vom 03.09. bis 17.09.2009 ist der Kläger auf der Intensivstation der Medizinischen Klinik II des Klinikums P. wegen einer Sepsis bei eitriger Cholangitis bei Choledocholithiasis und Zystikusverschluss stationär behandelt und sodann auf die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie des Klinikums P. verlegt worden. Am 05.10.2009 ist er in ordentlichem Allgemeinzustand in die geriatrische Rehabilitation in der J. Klinik Bad W. entlassen worden, wo er sich bis zum 26.10.2009 befunden hat Ausweislich des Entlassungsberichts vom 25.10.2009 konnte der Kläger die Transfers selbständig ausführen und mittelweite Distanzen sicher am Rollator gehen. Die Treppen konnte er in Begleitung steigen, kürzere Wegstrecken waren ihm auch ohne Hilfsmittel möglich. Ihm wurde ein Rollator verordnet.
In den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 09.11.2009 und 10.12.2009 hat Dr. G. ausgeführt, die vorgelegten Befunde rechtfertigten nicht die Feststellung schwerster Einschränkungen des Gehvermögens.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. März 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Februar 2006 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm das Merkzeichen "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG" einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne von § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen "Behindertenparkplätzen" und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen. Darüber hinaus führt sie unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und ggf. zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt 2 Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO. Die VwV-StVO ist als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz wirksam erlassen worden. Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Hierbei kann es auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen grundsätzlich nicht ankommen. Der Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung muss sich strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Satz 1 in Abschnitt 2 Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden soll, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen. Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten. Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen, wobei sich ein den Anspruch ausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren lässt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt 2 Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - in juris). Diese Voraussetzungen müssen praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeugs an erfüllt sein (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01R - in SozR 3 - 3250 § 69 Nr. 1).
Zu den in der Verwaltungsvorschrift beispielhaft aufgeführten Gruppen von schwerbehinderten Menschen gehört der Kläger unbestrittenermaßen nicht. Er ist diesem Personenkreis aber auch nicht gleichzustellen.
Eine außergewöhnliche Gehbehinderung des Klägers lässt sich nicht mit den bei ihm bestehenden Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet begründen. Ausweislich der vom Sachverständigen Dr. S. im Gutachten vom 16.08.2007 erhobenen Untersuchungsbefunde, die auch weiterhin noch aktuell sind, zeigen die Messwerte für die unteren Extremitäten eine noch ausreichend gute Funktion der Hüft- und insbesondere der Kniegelenke. Zwar werden in einem Arztbrief der Fachärzte für Chirurgie Dr. Eberhard und Dr. O. vom 10.07.2009 seit ca. sechs Monaten bestehende Kniegelenksschmerzen links beschrieben mit den Diagnosen einer linksseitigen Gonarthrose und Retropatellararthrose, eine für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" relevante Einschränkung des Gehvermögens lässt sich jedoch weder diesen Befunden entnehmen noch enthält der Arztbrief weitere Hinweise hierauf. Darüber hinaus kann dem Bericht der J. Klinik Bad W. über die geriatrische Rehabilitationsbehandlung vom 05.10. bis 26.10.2009 entnommen werden, dass beim Kläger aufgrund der intensiven täglichen Krankengymnastik und Ergotherapie Fortschritte insbesondere hinsichtlich Mobilität und Kraft erzielt werden konnten. Der Kläger kann die Transfers selbständig ausführen und mittelweite Distanzen am Rollator sicher gehen, wobei ihm kürzere Wegstrecken auch ohne Hilfsmittel möglich sind.
Eine Gleichstellung des Klägers kann auch nicht aufgrund seiner sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen erfolgen. Eine koronare Herzerkrankung in Form einer hochgradigen peripheren Stenose der RCA ist durch eine primäre Stent-Implantation im Segment 3 der RCA erfolgreich primär behandelt worden. Anhaltspunkte für schwerwiegendere kardiale Leistungsbeeinträchtigungen liegen seitdem nicht mehr vor. Auch das anfänglich nach schwerem septischem Verlauf bei Gallengangs-/Gallenblasenentzündung vorhandene Mobilitätsdefizit konnte zwischenzeitlich wieder wesentlich gebessert werden, wie sich gleichfalls dem bereits angeführten Entlassbericht der J. Klinik Bad W. entnehmen lässt.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Erfordernis, wegen einer Stressinkontinenz ggf. rasch eine Toilette aufsuchen zu können, nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" zu begründen vermag. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine Einschränkung der Gehfähigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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