L 6 U 55/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 10 U 229/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 55/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein Arbeitsunfall bei dem Kläger zusätzliche Folgen hinterlassen und er deshalb Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 30 vom Hundert (vH) hat.

Der 1958 geborene Kläger verunfallte am 21. Januar 2003 um 10.00 Uhr bei versicherter Tätigkeit, als er beim Lösen einer Dachlatte aus drei Metern Höhe auf ein Garagendach und anschließend mit dem Gesäß auf die Erde stürzte. Bei seiner Untersuchung um 10.55 Uhr im Dr.-H. G. fand der Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. P. einen Druckschmerz über der unteren Lendenwirbelsäule (LWS), eine Schürfung am streckseitigen Mittelglied des linken Zeigefingers, einen diffusen Druckschmerz im hinteren Bereich des linken Außenknöchels und schloss einen Becken- oder Thoraxkompressionsschmerz aus. Die Hals- und Brustwirbelsäule (HWS, BWS) waren frei beweglich, die Durchblutung, Motorik und Sensibilität intakt. Die radiologische Untersuchung der Wirbelsäule sowie des linken oberen Sprunggelenkes und Fersenbeins ergab keine frischen Verletzungszeichen. Als Diagnosen hielt Dr. P. Prellungen der LWS und des linken Fußes fest.

Die während der stationären Behandlung des Klägers vom 22. bis zum 27. Januar 2003 im H.-Klinikum W. durchgeführte röntgenologische Untersuchung des Brustkorbes und des rechten Hüftgelenkes zeigte dort keinen Anhalt für frische oder ältere knöcherne Verletzungen. Bei der Röntgenkontrolle der BWS und LWS am 11. März 2003 wurde ein stabiler Deckplatteneinbruch des 1. Lendenwirbelkörpers ohne Beteiligung der Hinterkante und Einengung des Spinalkanals gefunden, der sich auch im Computertomogramm (CT) vom 17. März 2003 bestätigte. Die klinische Überprüfung am 27. März 2003 zeigte keine neurologischen Ausfälle im Bereich der unteren Extremitäten (Berichte des Klinikums W. vom 17. und 31. März 2003 sowie CT-Auswertung des Radiologen Dr. T ...

Nach Durchführung einer am 28. April 2003 begonnenen Wiedereingliederung mit Belastungserprobung in seinem Beruf als Dachdecker endete die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 31. Juli 2003. Während dieser Zeit berichtete der Leiter der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums W. Dipl.-Med. S. der Bau-Berufsgenossenschaft H. (Rechtsvorgängerin der Beklagten; nachfolgend einheitlich als die Beklagte bezeichnet) fortlaufend.

Zur Feststellung und Bewertung der Unfallfolgen ließ die Beklagte Dipl.-Med. S. nach ambulanter Untersuchung am 31. Juli 2003 das Gutachten vom 27. August 2003 fertigen. Dieser fand Klopf- und Druckschmerzen über den Dornfortsätzen des 11. und 12. Brustwirbelkörpers sowie des 1. bis 3. Lendenwirbelkörpers ohne Muskelverspannungen. Die Beweglichkeit der BWS/LWS zeigte sich mit Zeichen nach Ott und Schober von 30/32 bzw. 10/14 cm (Normalwerte 30/33 bzw. 10/15 cm) endgradig schmerzhaft eingeschränkt; der Finger-Bodenabstand betrug 23 cm. Krankhafte Störungen der Beineigenreflexe fanden sich ebenso wenig wie solche der sensiblen und motorischen Nervenversorgung im Bereich der oberen sowie unteren Extremitäten. Radiologisch seien auf den Aufnahmen der BWS vom 5. August 2003 keine Anhaltspunkte für frische oder ältere Verletzungen zwischen dem 1. und 12. Brustwirbelkörper zu erkennen. In Höhe Th11/12 falle aber eine Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes auf. Entsprechende Zeichen degenerativer Veränderungen seien beginnend auch in den übrigen Etagen der BWS zu sehen. Den LWS-Aufnahmen vom selben Tag seien vom 2. bis zum 5. Lendenwirbelkörper Zeichen beginnender degenerativer Veränderungen sowie eine knöchern durchbaute Kompressionsfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers im Sinne eines vorderen Deckplatteneinbruchs mit Höhenminderung um 10 mm ohne statisch wirksame Knickbildung zu entnehmen. Als wesentliche Unfallfolgen hielt Dipl.-Med. S. einen knöchern verheilten stabilen Kompressionsbruch des 1. Lendenwirbelkörpers mit Höhenminderung im mittleren und vorderen Bereich bei stabiler Hinterkante und ohne statisch wirksame Knickbildung sowie einen Bewegungsschmerz im Bereich der BWS/LWS bei der Seit- und Rückneigung mit geringer Bewegungseinschränkung beim Drehen nach rechts und links fest. Unfallunabhängig lägen beginnende degenerative Veränderungen der BWS und LWS mit deutlich vermehrtem Verschleiß bei Th11/12 vor. Die unfallbedingte MdE sei um 10 vH einzuschätzen.

Mit Bescheid vom 18. September 2003 erkannte die Beklagte den Unfall mit anteiligen Belastungsbeschwerden der oberen LWS nach unter knöchernen Veränderungen verheiltem Bruch des 1. Lendenwirbelkörpers als Arbeitsunfall an und lehnte mangels rentenberechtigender MdE einen Anspruch auf Verletztenrente ab. Keine Unfallfolgen seien die Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes zwischen dem 11. und 12. Brustwirbelkörper sowie die beginnenden anlagebedingten Veränderungen der gesamten BWS und LWS. Den hiergegen am 29. September 2003 erhobenen Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2003 als unbegründet zurück.

Am 5. Dezember 2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben, vorgetragen, dass bei weiteren Untersuchungen auch eine Fraktur des 7. Brustwirbelkörpers festgestellt worden sei, und insoweit die von den Fachärzten für Radiologie Dr. W. bzw. Dres. H. und V. erstellten Befunde der Magnetresonanztomogramme (MRT) der LWS und unteren BWS vom 28. Oktober und 22. Dezember 2003 vorgelegt. Laut Dr. W. sei der thorakolumbale Übergang unauffällig. In Höhe L3/4 sei eine Protrusion (Vorwölbung) der Bandscheibe mit Alternierung der Neuroforamina (Nervenaustrittslöcher) links zu erkennen. Nebenbefundlich zeige sich bei Th12 ein Zustand nach alter Fraktur mit Deckplatteneinbruch, der weitgehend konsolidiert sei. Die Dres. H. und Volk haben neben der Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers röntgenologisch eine geringgradige ventrale Höhenminderung des 7. Brustwirbelkörpers im Sinne einer deckplattennahen Kompressionsfraktur mit intakter Hinterkante beschrieben, die auch im MRT abgebildet werde.

Daraufhin erkannte die Beklagte mit Schreiben vom 26. Juli 2004 einen weitgehend unverschobenen Bruch des 7. Brustwirbelkörpers als zusätzliche Folge des Arbeitsunfalls vom 21. Januar 2003 an. Den daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen sei unter Berücksichtigung der von Dipl.-Med. S. am 31. Juli 2003 erhobenen Befunden keine messbare MdE zuzuordnen.

Der Kläger hat das von dem Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. S. im Auftrag seines privaten Unfallversicherers erstattete Gutachten vom 18. Juli 2005 übermittelt. Dr. S. hat bei seiner Untersuchung am 11. Juli 2005 ein Gangbild mit mittelgroßen, gleichlangen Schritten ohne Verkürzungshinken beschrieben. Das Becken stehe bei geraden Beinachsen links 1 cm tiefer als rechts. Im Bereich der BWS/LWS finde sich ein Klopf- und Druckschmerz. Der Finger-Bodenabstand betrage 40 cm und die Seitneigung des Rumpfes sei im Stehen bis 35° (im Sitzen bis 40°) möglich. Das Ott´sche Zeichen hat Dr. S. mit 28/30/31 cm und das Zeichen nach Schober mit 10/12 cm gemessen. Die Befunde der unteren Gliedmaßen seien unauffällig. Die Nachauswertung der Röntgenaufnahmen vom 31. Mai 2005 ergebe eine deutliche Höhenminderung bei Th11/12 mit wulstigen knöchernen Vorderkantenausziehungen; die Beckenübersichtsaufnahme vom selben Tag lasse keinen krankhaften Befund erkennen. Auf den MRT-Aufnahmen der LWS vom 28. Oktober 2003 seien keine Bandscheibenveränderungen sichtbar. Das MRT vom 22. Dezember 2003 zeige einen Einbruch der Mitte der Deckplatte des 1. Lendenwirbelkörpers und eine geringe Keilwirbelbildung in der oberen Hälfte des 7. Brustwirbelkörpers. Hinweise auf Bandscheibenveränderungen fänden sich auch auf diesen Bildern nicht. Als Unfalldiagnosen hat der Gutachter stabile Stauchungsbrüche des 7. Brust- und des 1. Lendenwirbelkörpers gestellt und die aus ihnen resultierenden Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Klägers im Ergebnis mit einem Grad um 15 vH bewertet.

Auf Anforderung des SG haben der Allgemeinmediziner Dr. H. und der Orthopäde Dr. S. die Befundberichte vom 21. und 25. Juli 2005 übersandt. Dr. H. hat gleichbleibende Beschwerden des Klägers im Bereich der BWS/LWS mitgeteilt und neben bereits bekannten Unterlagen den Röntgenbefund des Facharztes für Diagnostische Radiologie W. vom 31. Mai 2005 übermittelt. Danach bestehe eine geringe keilförmige Deformierung des 7. Brustwirbelkörpers und ein Zustand nach knöchern konsolidierter Fraktur des 1. Lendenwirbelkörpers. Die Beckenübersichtsaufnahme zeige eine normale Knochenstruktur ohne destruktive Veränderungen und ein symmetrisches Kleinbecken. Die Hüftköpfe säßen glatt gerundet in den Gelenkpfannen, die Gelenkspalten seien geringfügig verschmälert. Dr. S., bei dem sich der Kläger seit dem 18. Dezember 2003 in Behandlung befand, berichtete von einem am 22. Dezember 2003 gefundenen Druckschmerz der Wirbelsäule, einem Finger-Bodenabstand von 20 cm und einer unauffälligen Neurologie.

Mit Urteil vom 23. Februar 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen im Wesentlichen dargelegt: Der Arbeitsunfall habe bei dem Kläger zu isolierten Brüchen des 7. Brust- und des 1. Lendenwirbelkörpers ohne Bandscheibenbeteiligung geführt, die ohne statisch wirksamen Achsenknick stabil ausgeheilt seien. Dies rechtfertige nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung heranzuziehenden allgemeinen Erfahrungswerten keine MdE um mindestens 20 vH, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente sei. Es bestehe auch keine Veranlassung für das Abweichen von den Erfahrungswerten.

Gegen das am 21. März 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. April 2006 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und sich hierzu auf das von ihm übersandte Gutachten Dr. S.s vom 6. August 2006 bezogen, welches dieser im Auftrag des SG Magdeburg in einem Verfahren des Klägers gegen die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (S ) erstellt hat. Hierin hat Dr. S. als Gesundheitsstörung u.a. einen Zustand nach Schambeinfraktur rechts benannt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. Februar 2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2003 und des Teilanerkenntnisses vom 26. Juli 2004 abzuändern, festzustellen, dass auch eine Beckenringfraktur mit Verletzung des rechten Schambeines Folge des Arbeitsunfalls vom 21. Januar 2003 ist, und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. August 2003 an eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 30 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Urteil des SG an.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. S. nach ambulanter Untersuchung am 14. Juli 2007 das Gutachten vom 6. Dezember 2007 erstatten lassen. Dr. S. hat ein leicht unsicheres Gangbild mit Zunahme des linksseitigen Hinkens, einen Finger-Bodenabstand von 40 cm sowie einen Druckschmerz über dem 6. Brust- und dem 3. Lendenwirbelkörper dokumentiert. Die Streckung/Beugung der BWS/LWS betrage 20-0-60°, die Seitneigung 15-0-15° und die Rotation 30-0-30° (Normalwerte: 20/30-0-60/80°, 30/40-0-30/40° bzw. 50/60-0-50/60°). Die Zeichen nach Ott bzw. Schober hat Dr. S. mit 28/30 cm bzw. 10/12 cm gemessen und eine Beweglichkeit der Hüftgelenke bei der Streckung/Beugung von beidseits 0-0-130° (Normalwert 10-0-130°) gefunden. Die Motorik, Sensibilität, Durchblutung sowie das Reflexverhalten und die Muskelkraft im Bereich der unteren Extremitäten seien ungestört. Im Ergebnis hat er auch eine Beckenringfraktur mit Verletzung des rechten Schambeines als Unfallfolge angesehen und sich hierzu auf die von ihm beigefügten Röntgenbefunde vom 16. März 2006 und 25. Juli 2007 berufen, die nach der Auswertung von Dr. V. eine Konturauffälligkeit am unteren rechten Schambeinast erbrachten, welche den Verdacht auf das Vorliegen einer alten vorderen Beckenringfraktur ergebe. Die Veränderungen der Bandscheiben im BWS- und LWS-Bereich seien laut Dr. V. am wahrscheinlichsten degenerativer Genese. Die unfallbedingte MdE hat Dr. S. um 35 bis 40 vH eingeschätzt.

Der Senat hat von dem Facharzt für Diagnostische Radiologie W. u.a. den Befund der Beckenübersichtsaufnahme vom 19. März 2001 beigezogen, nach dem kein Anhalt für knöcherne traumatische Veränderungen bestand.

Schließlich hat der Senat vom dem Facharzt für Orthopädie Dr. S. das Gutachtens vom 20. Oktober 2008 eingeholt. Dieser hat bei seiner klinischen und radiologischen Untersuchung am 8. Oktober 2008 einen annähernden Horizontalstand des Beckens und normalwertige Entfaltungszeichen der BWS und LWS festgestellt. Die Vor- und Rückneigung der LWS betrage 95-0-25°, die Seitneigung 30-0-30° und die Drehung 50-0-50°. Motorische, neurologische, sensible oder muskuläre Defizite im Bereich der unteren Extremitäten bestünden nicht. Bei der Nachbefundung der Röntgenbilder des Beckens vom 21. Januar 2001 seien unauffällige Beckenring- und Hüftgelenke zu erkennen; auch die sorgfältige Durchmusterung der Sitz- und Schambeinäste erbringe keinen Anhalt einer frischen Fraktur. Anhand der qualitativ wesentlich besseren Folgeaufnahme vom 19. März 2001 sei eine Fraktur im Beckenringbereich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Auch auf dem Röntgenbild des Beckens vom 8. Oktober 2008 seien keinerlei normwidrige Auffälligkeiten zu sehen. Damit könnten die Befunde Dr. V.s vom 16. März 2006 und 25. Juli 2007, der offenbar Minimalauffälligkeiten bzw. Bildartefakte überinterpretiert habe, nicht bestätigt werden. Die bis zum 12. Brustwirbelkörper reichende LWS-Aufnahme vom 19. März 2001 zeige dort keinen Frakturanhalt. Im BWS-Bereich zeige die Aufnahme vom 8. Oktober 2008 einen lotrechten Aufbau ohne Besonderheiten. Beim Hochzoomen des digital gefertigten Bildes seien charakteristische Strukturunruhen der Wirbelkörperabschlussplatten im Sinne einer im Jugendalter abgelaufenen Scheuermann´schen Erkrankung zu finden. Auch am 7. Brustwirbelkörper ließen sich jedoch keine typischen Merkmale abgrenzen, die auf eine Frakturschädigung hindeuten könnten. Im Ergebnis hat Dr. S. als Unfallfolge einen unter geringfügiger Keilverformung stabil ausgeheilten Deckplattenimpressionsbruch am 1. Lendenwirbelkörper ohne Beeinträchtigung der angrenzenden Bewegungssegmente, Entfaltungsstörungen und neurologische Ausfälle festgehalten, der mit einer MdE um 10 vH zu bewerten sei. Selbst wenn jedoch auch eine unfallbedingte Deckplattenimpression am 7. Brustwirbelkörper angenommen werde, sei diese klinisch wie radiologisch ohne Fragmentverschiebung folgenlos ausgeheilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 18. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2003 sowie des Teilanerkenntnisses vom 26. Juli 2004 beschweren den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, soweit sie vorliegend noch streitbefangen sind. Denn der Kläger hat weder Anspruch auf Feststellung der geltend gemachten Gesundheitsstörung als zusätzliche Folge des Arbeitsunfalls vom 21. Januar 2003 noch auf die Gewährung einer Verletztenrente.

Gesundheitsstörungen sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn zwischen dem Unfallereignis und ihnen entweder direkt oder vermittelt durch den Gesundheitserstschaden ein Ursachenzusammenhang im Sinne von § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) besteht. Ebenso wie die versicherte Tätigkeit und das Unfallereignis muss auch die jeweils betroffene Gesundheitsstörung mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (so genannter Vollbeweis). Dieser Beweisgrad ist erfüllt, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt, wenn also kein vernünftiges Zweifelsgefühl mehr besteht (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 20. Januar 1987 – 2 RU 27/86 – SozR § 548 Nr. 84; Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 5/05 RSozR 4-5671 § 6 Nr. 2). Gemessen daran ist hier eine Beckenringfraktur mit Verletzung des rechten Schambeines nicht zur vollen Überzeugung des Senats nachgewiesen. Die Frage, ob sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden könnte, kann damit offen bleiben.

Zwar hat Dr. S. auf der Grundlage der von Dr. V. ausgewerteten Röntgenbefunde vom 16. März 2006 und 25. Juli 2007 eine solche Schädigung als Unfallfolge angenommen. Abgesehen davon, dass Dr. V. aus der von ihm im Bereich des unteren rechten Schambeinastes gesehenen Konturauffälligkeit nur die Verdachtsdiagnose einer alten vorderen Beckenringfraktur abgeleitet hat, ist Dr. S. der Annahme eines solchen Gesundheitsschadens in seinem Gutachten vom 8. Oktober 2008 überzeugend entgegen getreten. Er hat nicht nur eine plausible Begründung für die Deutung Dr. V.s geliefert (Überinterpretation von Minimalauffälligkeiten bzw. Bildartefakten), sondern auch bei der Nachbefundung der Röntgenbilder vom 21. Januar 2001 unauffällige Beckenring- und Hüftgelenke dokumentiert und nach sorgfältiger Inspektion der Sitz- und Schambeinäste keine frischen Frakturhinweise gefunden. Überdies schließt er eine Beckenringfraktur unter Heranziehung der Aufnahme vom 19. März 2001 sogar mit Gewissheit aus und findet diesen Befund ebenso bei der eigenen bildgebenden Untersuchung am 8. Oktober 2008 wieder. Unterstützt wird die Bewertung Dr. S.s durch die von dem Facharzt für Diagnostische Radiologie W. vorgenommenen Befundbeschreibungen der Beckenübersichtsaufnahmen vom 19. März 2001 und 31. Mai 2005, nach denen ebenfalls kein Anhalt für knöcherne traumatische Veränderungen bestand. Seine Auswertung vom 31. Mai 2005 hat auch Dr. S. bestätigt. Schließlich korreliert das Ergebnis dieser bildgebenden Diagnostik mit dem klinischen Erstbefund vom Unfalltag, bei dem Dr. P. einen Beckenkompressionsschmerz ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Damit verbleiben beim Senat mehr als vernünftige Zweifel am Vorliegen einer Beckenringfraktur.

Die durch die anerkannten Unfallfolgen beim Kläger bewirkten Funktionsstörungen lassen auch keine Bemessung mit einer MdE um mindestens 20 vH zu, was gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente ist.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die Höhe der MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Verletzten durch die Folgen des Versicherungsfalls beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet. Hierbei sind jedoch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum bei einer Vielzahl von Unfallfolgen für die Schätzung der MdE herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die in Form von Tabellenwerten oder Empfehlungen zusammengefasst sind (siehe etwa bei Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, Stand November 2009, K § 56, V. Anhang). Diese sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und sind die Basis für den Vorschlag, den der medizinische Sachverständige dem Gericht zur Höhe der MdE unterbreitet (siehe nur BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 – B 2 U 24/00 R – SozR 3-2200 § 581 RVO Nr. 8; Urteil vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt 2003, 565 ff.; Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 RSozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Ausgehend hiervon entspricht die von Dipl.-Med. S. und Dr. S. angesichts der von ihnen erhobenen und sonstigen dokumentierten Befunde übereinstimmend gegebene Empfehlung den etablierten Erfahrungswerten, von denen abzurücken vorliegend kein besonderer Anlass besteht. Demgegenüber ist die Einschätzung von Dr. S. schon angesichts der von ihm selbst wiedergegebenen unfallbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers nicht nachvollziehbar. Denn er hat nicht nur anlässlich seiner Untersuchung am 22. Dezember 2003, sondern auch bei seiner Befunderhebung am 14. Juli 2007 eine im Wesentlichen ohne relevante Entfaltungsstörung bewegliche BWS/LWS wiedergegeben und neurologische Auffälligkeiten ausdrücklich verneint. Dass der Deckplatteneinbruch des 1. Lendenwirbelkörpers ohne statisch wirksame Knickbildung knöchern stabil verheilt ist, hat auch Dr. S. nicht in Abrede gestellt. Damit entsprechen seine Untersuchungsergebnisse denjenigen der anderen eingeschalteten Sachverständigen. Dipl.-Med. S. und Dr. S. haben nämlich ebenso weder am 27. März noch am 31. Juli 2003 bzw. am 8. Oktober 2008 eine mehr als endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der BWS/LWS gemessen und eine ungestörte Funktion der Reflexe, der Motorik sowie der Sensibilität im Bereich der Extremitäten festgestellt. Instabilitätszeichen oder Hinweise für eine Bandscheibenbeteiligung hat schließlich auch Dr. S. in seinem auf dem Gebiet des privaten Unfallversicherungsrechts erstellten Gutachten vom 18. Juli 2005 nicht vermerkt. Im Gegenteil hat er neben in dieser Hinsicht fehlenden klinischen Befunden bei der Nachauswertung der MRT-Aufnahmen der LWS vom 28. Oktober und 22. Dezember 2003 auch bildgebend keine sichtbaren Bandscheibenveränderungen erkennen können und damit die entsprechende Bewertung Dr. W.s entkräftet. Besteht demnach beim Kläger ein Zustand nach stabilem Wirbelkörperbruch ohne Bandscheibenbeteiligung und ohne statisch wirksamen Achsenknick, ist eine MdE um 20 vH nicht zu begründen. Der geltend gemachte MdE-Grad um mindestens 30 vH wäre – in Abhängigkeit von den dadurch bewirkten funktionellen Auswirkungen – nur bei instabilen Verhältnissen mit statisch wirksamer Knickbildung und neurologischen Ausfällen gerechtfertigt (siehe nur Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Abschn. 8.3.2.8, S. 442.; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010, S. 155; KassKomm-Ricke, Stand Oktober 2009, § 56 SGB VII, Rn. 61; Kranig, a.a.O., K § 56, S. 53).

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved