Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 221/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 B 166/09 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 7 Abs. 4a SGB II stellt keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines ausschließlich die Frage der Ortsabwesenheit regelnden Verwaltungsaktes dar.
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.11.2009 geändert.
Den Klägern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht mit Wirkung vom 02.11.2009 (Antragstellung) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T beigeordnet.
Gründe:
I.
Mit ihrer am 12. Dezember 2009 eingelegten Beschwerde wenden sich die Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 27.11.2009.
Die Kläger und ihre 1994 und 2004 geborenen Kinder erhalten seit Juni 2006 laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Während des Leistungsbezugs beantragten sie im Juni bei der Beklagten die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit für den Zeitraum vom 03. bis 24.07.2009 für einen Besuch der Eltern der Klägerin in Weißrussland. Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 23.06. und 30.06.2009 den Antrag auf Ortsabwesenheit ab. Den entsprechend der Belehrungen in diesen Bescheiden eingelegten Widerspruch vom 17.07.2009 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 17.09.2009 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 16. Oktober 2009 erhobene Klage, mit der die Aufhebung der genannten Bescheide sowie die Verpflichtung der Beklagten begehrt wird, festzustellen, dass die Ortsabwesenheit der Kläger für den beantragten Zeitraum von 21 Tagen zu genehmigen war.
Die Kläger haben auch für den Bewilligungszeitraum vom 01.07. bis 31.12.2009 Leistungen der Grundsicherung erhalten (Bescheide vom 05.06.2009 und 07.06.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.09.2009). Für den Monat Juli 2009 wurde der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag von insgesamt 1.593,66 EUR ausgezahlt. Eine Kürzung wegen der Ortsabwesenheit erfolgte nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe verweigert. Die Klage sei nicht zulässig, da kein Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Klage bestehe. Durch die Ablehnung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit seien die Kläger nicht beschwert, da die Beklagte keine Rechtsfolgen aus der nicht erlaubten Ortsabwesenheit hergeleitet habe. Die Kläger hätten die Möglichkeit, gegen eine eventuelle Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum der Ortsabwesenheit eine Anfechtungsklage zu erheben.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe verweigert. Die Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO liegen vor. Die Klage hat jedenfalls in einem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigenden Umfang Erfolg.
Die Beklagte hat die Zustimmung der Kläger zur Ortsabwesenheit abgelehnt und sich dabei nach Inhalt und Form der Entscheidung eines Verwaltungsaktes bedient. Für diesen Verwaltungsakt hat die Beklagte keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, was aber unabdingbare Voraussetzung ist.
Nach § 7 Abs. 4a 1. Halbsatz SGB II in der hier maßgeblichen Fassung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I, S. 1706) erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997, geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält. Sinn und Zweck dieser Norm ist es lediglich, eine Regelung über die Ortsabwesenheit zu treffen. Die Bezugnahme auf die Erreichbarkeitsanordnung bezieht dabei die Prüfung ein, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitsuchende einem Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs zustimmen sollen (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rz. 78 unter ausdrücklicher Bezunahme auf die gesetzliche Begründung in BT-Drs. 16/1696, Seite 26). In der gesetzlichen Begründung (hier konkret Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31.05.2006, BT-Drs. 16/1696, S. 26) heißt es ferner, um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen zu vermeiden, solle der Anspruch bei einem Verstoß gegen den in § 7 Abs. 4a SGB II formulierten Grundsatz entfallen. Daraus wird im Allgemeinen geschlossen, dass § 7 Abs. 4a keine positive Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II darstellt, sondern vielmehr ein Leistungsausschluss die Folge sein soll, wenn sich der Leistungsempfänger bei rechtmäßiger Verweigerung der Zustimmung außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält (LSG NRW, Beschluss vom 14.11.2008, L 12 B 129/08 AS, juris; SG Hildesheim, Urteil vom 18.02.2009, S 43 AS 1230/07, juris; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 7 Rz. 78 und 88; wohl auch Brühl/Schoch in LPK - SGB II, 3. Auflage 2009, § 7 Rz. 107). Dieser Auffassung schließt sich der Senat insbesondere vor dem Hintergrund der zitierten amtlichen Begründung der in Frage stehenden Norm ausdrücklich an.
Soll aber mit § 7 Abs. 4a SGB II ein Leistungsausschluss verbunden sein, so kann diese Norm lediglich eine Teilvoraussetzung zum Inhalt haben, die den Leistungsträger bei Vorliegen weiterer Voraussetzung berechtigt, die bereits bewilligte Leistung wieder zu entziehen. Die Norm bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass über diese Teilvoraussetzung gesondert durch Verwaltungsakt entschieden werden kann. Insbesondere stellt sie keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines ausschließlich die Frage der Ortsabwesenheit regelnden Verwaltungsaktes dar. Vielmehr handelt es sich insofern allenfalls um eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne von § 44a VwGO und damit um eine Maßnahme, die eine Behörde in einem Verfahren auf Antrag vornimmt oder vorzunehmen ablehnt, ohne dass dabei das Verfahren durch eine mögliche Sachentscheidung abgeschlossen wird. Hier hat die Beklagte bislang noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob alle Voraussetzungen dafür vorliegen, dass die Leistungsbewilligung für den hier relevanten Zeitraum aufgehoben und die gewährten Leistungen zurückgefordert werden können. Vielmehr hat sie ohne Rechtsgrundlage lediglich zu einem Teilaspekt Stellung genommen. Um dem mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrigen Verwaltungsakt die Wirksamkeit bei Eintreten der Bestandskraft zu nehmen, dürfte der Erfolg der von den Klägern erhobenen Anfechtungsklage nicht zu verneinen sein.
Die Kläger sind als Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II auch wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Den Klägern wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht mit Wirkung vom 02.11.2009 (Antragstellung) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T beigeordnet.
Gründe:
I.
Mit ihrer am 12. Dezember 2009 eingelegten Beschwerde wenden sich die Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts vom 27.11.2009.
Die Kläger und ihre 1994 und 2004 geborenen Kinder erhalten seit Juni 2006 laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Während des Leistungsbezugs beantragten sie im Juni bei der Beklagten die Zustimmung zu einer Ortsabwesenheit für den Zeitraum vom 03. bis 24.07.2009 für einen Besuch der Eltern der Klägerin in Weißrussland. Die Beklagte lehnte mit Bescheiden vom 23.06. und 30.06.2009 den Antrag auf Ortsabwesenheit ab. Den entsprechend der Belehrungen in diesen Bescheiden eingelegten Widerspruch vom 17.07.2009 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 17.09.2009 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 16. Oktober 2009 erhobene Klage, mit der die Aufhebung der genannten Bescheide sowie die Verpflichtung der Beklagten begehrt wird, festzustellen, dass die Ortsabwesenheit der Kläger für den beantragten Zeitraum von 21 Tagen zu genehmigen war.
Die Kläger haben auch für den Bewilligungszeitraum vom 01.07. bis 31.12.2009 Leistungen der Grundsicherung erhalten (Bescheide vom 05.06.2009 und 07.06.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 03.09.2009). Für den Monat Juli 2009 wurde der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag von insgesamt 1.593,66 EUR ausgezahlt. Eine Kürzung wegen der Ortsabwesenheit erfolgte nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe verweigert. Die Klage sei nicht zulässig, da kein Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Klage bestehe. Durch die Ablehnung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit seien die Kläger nicht beschwert, da die Beklagte keine Rechtsfolgen aus der nicht erlaubten Ortsabwesenheit hergeleitet habe. Die Kläger hätten die Möglichkeit, gegen eine eventuelle Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Zeitraum der Ortsabwesenheit eine Anfechtungsklage zu erheben.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe verweigert. Die Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO liegen vor. Die Klage hat jedenfalls in einem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigenden Umfang Erfolg.
Die Beklagte hat die Zustimmung der Kläger zur Ortsabwesenheit abgelehnt und sich dabei nach Inhalt und Form der Entscheidung eines Verwaltungsaktes bedient. Für diesen Verwaltungsakt hat die Beklagte keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, was aber unabdingbare Voraussetzung ist.
Nach § 7 Abs. 4a 1. Halbsatz SGB II in der hier maßgeblichen Fassung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I, S. 1706) erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997, geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält. Sinn und Zweck dieser Norm ist es lediglich, eine Regelung über die Ortsabwesenheit zu treffen. Die Bezugnahme auf die Erreichbarkeitsanordnung bezieht dabei die Prüfung ein, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitsuchende einem Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs zustimmen sollen (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rz. 78 unter ausdrücklicher Bezunahme auf die gesetzliche Begründung in BT-Drs. 16/1696, Seite 26). In der gesetzlichen Begründung (hier konkret Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31.05.2006, BT-Drs. 16/1696, S. 26) heißt es ferner, um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen zu vermeiden, solle der Anspruch bei einem Verstoß gegen den in § 7 Abs. 4a SGB II formulierten Grundsatz entfallen. Daraus wird im Allgemeinen geschlossen, dass § 7 Abs. 4a keine positive Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II darstellt, sondern vielmehr ein Leistungsausschluss die Folge sein soll, wenn sich der Leistungsempfänger bei rechtmäßiger Verweigerung der Zustimmung außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält (LSG NRW, Beschluss vom 14.11.2008, L 12 B 129/08 AS, juris; SG Hildesheim, Urteil vom 18.02.2009, S 43 AS 1230/07, juris; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 7 Rz. 78 und 88; wohl auch Brühl/Schoch in LPK - SGB II, 3. Auflage 2009, § 7 Rz. 107). Dieser Auffassung schließt sich der Senat insbesondere vor dem Hintergrund der zitierten amtlichen Begründung der in Frage stehenden Norm ausdrücklich an.
Soll aber mit § 7 Abs. 4a SGB II ein Leistungsausschluss verbunden sein, so kann diese Norm lediglich eine Teilvoraussetzung zum Inhalt haben, die den Leistungsträger bei Vorliegen weiterer Voraussetzung berechtigt, die bereits bewilligte Leistung wieder zu entziehen. Die Norm bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass über diese Teilvoraussetzung gesondert durch Verwaltungsakt entschieden werden kann. Insbesondere stellt sie keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines ausschließlich die Frage der Ortsabwesenheit regelnden Verwaltungsaktes dar. Vielmehr handelt es sich insofern allenfalls um eine behördliche Verfahrenshandlung im Sinne von § 44a VwGO und damit um eine Maßnahme, die eine Behörde in einem Verfahren auf Antrag vornimmt oder vorzunehmen ablehnt, ohne dass dabei das Verfahren durch eine mögliche Sachentscheidung abgeschlossen wird. Hier hat die Beklagte bislang noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob alle Voraussetzungen dafür vorliegen, dass die Leistungsbewilligung für den hier relevanten Zeitraum aufgehoben und die gewährten Leistungen zurückgefordert werden können. Vielmehr hat sie ohne Rechtsgrundlage lediglich zu einem Teilaspekt Stellung genommen. Um dem mangels Ermächtigungsgrundlage rechtswidrigen Verwaltungsakt die Wirksamkeit bei Eintreten der Bestandskraft zu nehmen, dürfte der Erfolg der von den Klägern erhobenen Anfechtungsklage nicht zu verneinen sein.
Die Kläger sind als Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II auch wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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