S 18 AS 285/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 AS 285/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2009 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses vom 25.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu ent- scheiden. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Eingliederungszuschusses für die Einstellung der Arbeitnehmerin Frau S streitig.

Die Klägerin ist als Unternehmen mit der Erfassung von Marktdaten und deren Auswertung sowie der entsprechenden Software-Entwicklung befasst. Sie beschäftigt regelmäßig Arbeitnehmer mit einer mathematischen bzw. informationstechnologischen Ausbildung.

Anfang des Jahres 2009 war die Klägerin auf der Suche nach neuen Beschäftigten. In diesem Zusammenhang wandte sie sich auch an die Beklagte. Hierbei schlug die Beklagte der Klägerin die Einstellung von Frau S vor, welche zu diesem Zeitpunkt seitens der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) erhielt. Konkret waren Frau S zuletzt Leistungen nach dem SGB II durch Bescheid vom 10.03.2009 für den Bewilligungszeitraum von April bis September 2009 in Höhe von monatlich 624,37 EUR bewilligt worden.

In der Folgezeit stellte sich Frau S bei der Klägerin vor. Zwischen der Klägerin und Frau S wurde daraufhin im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages die Ableistung eines bezahlten Praktikums vereinbart. Der der Praktikumstätigkeit zugrunde liegende befristete Arbeitsvertrag wurde für die Zeit vom 20.04. bis zum 15.05.2009 geschlossen. Vereinbart war für die Gesamtzeit eine Bruttovergütung von 4.247,36 EUR. Als Fälligkeit der Vergütung war der Zeitpunkt Ende Mai 2009 vereinbart.

Nach Beendigung des Praktikums war die Klägerin von einer langfristigen dauerhaften Einstellung der Frau S noch nicht überzeugt aufgrund von vorhandenen Defiziten. Als Defizite gab die Klägerin insbesondere an, dass Frau S nicht die bei der Klägerin verwandte Computersprache beherrschen würde. Weiterhin sah die Klägerin in der äußeren Erscheinung von Frau S aufgrund von vorhandenen Piercings sowie gefärbten Haaren mögliche Probleme aufgrund der erforderlichen Kundenkontakte. Ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten beantragte die Klägerin am 25.05.2009 die Gewährung eines Eingliederungszuschusses für die Beschäftigung der Arbeitnehmerin S. Am Folgetag kam es zu einem erneuten telefonischen Kontakt zwischen einer Mitarbeiterin der Beklagten und dem Geschäftsführer der Klägerin. Ausweislich eines gefertigten Vermerks der Beklagten wurde hierbei durch die Mitarbeiterin der Beklagten gegenüber der Klägerin mündlich zugesichert, dass, falls die weiteren Voraussetzungen für einen Eingliederungszuschuss vorliegen würden, ein solcher für sieben Monate in Höhe von 50 % gewährt werden könnte.

Ebenfalls am 26.05.2009 wurde die von der Klägerin an Frau S geschuldete Vergütung für das geleistete Praktikum im Rahmen des befristeten Arbeitsvertrages auf das Konto von Frau S in Höhe von 2.310,00 EUR gutgeschrieben.

Am 03.06.2009 schloss die Klägerin mit Frau S einen schriftlichen Arbeitsvertrag beginnend mit dem 01.06.2009. Als monatliche Bruttovergütung war ein Gehalt von 3.084,45 EUR vereinbart.

Mit Bescheid vom 06.08.2009 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Eingliederungszuschusses ab. Dies begründete sie damit, dass Frau S ab dem 01.05.2009 nicht mehr hilfebedürftig im Sinne von § 7 SGB II gewesen sei. Daher sei eine Förderung nach § 16 SGB II nicht möglich.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Diesen begründete sie damit, dass ein Eingliederungszuschuss für den Arbeitgeber unabhängig von der Bedürftigkeit des Arbeitnehmers sei. Die übrigen Voraussetzungen für den Eingliederungszuschuss lägen unstreitig bezüglich Frau S vor. Zum Zeitpunkt des Antrages am 25.05.2009 sei Frau S auch noch bedürftig gewesen, da die Zahlung durch die Klägerin erst danach erfolgt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dies begründet sie damit, dass bei Eingliederungsleistungen nach § 16 SGB II erforderlich sei, dass der Betroffene hilfebedürftig im Sinne des SGB II sei. Mangels Hilfebedarf im Monat Mai 2009 aufgrund des Einkommens sei eine Förderung im Fall von Frau S nicht möglich.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.12.2009 Klage erhoben.

Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen von § 217 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) vorliegen würden. Eine entsprechende mündlich erteilte Zusage der Beklagten binde laut der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts das Ermessen der Beklagten. Daher sei die erfolgte Ablehnung ermessensfehlerhaft. Auf die §§ 7 und 16 SGB II komme es vorliegend nicht an. Dies betreffe nur den Arbeitnehmer nicht jedoch den Arbeitgeber. Im Fall einer anderen Wertung wäre ansonsten ein bezahltes Praktikum vor einer geförderten Einstellung nie möglich.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 06.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses vom 25.05.2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Grundvoraussetzungen für einen Eingliederungszuschuss lägen nicht vor, da § 16 SGB II die Hilfebedürftigkeit erfordere. Bei Frau S läge eine Hilfebedürftigkeit im Mai 2009 aufgrund des erzielten Einkommens nicht vor. Daher sei kein Ermessen durch die Beklagte auszuüben, weil bereits die Grundvoraussetzungen für den Eingliederungszuschuss nicht erfüllt seien.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten. Dieser lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Da das Begehren der Klägerin auf die Bewilligung eines Eingliederungszuschusses gem. § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. §§ 217 ff SGB III, welches eine Ermessensleistung darstellt, gerichtet ist, ist sie als Klage auf Aufhebung des ablehnenden Bescheides und die Verurteilung der Beklagten zur nochmaligen Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zulässig (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 54 Rn. 20b und § 131 Rn. 11).

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren subjektiven Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG).

Uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar sind allein die Eingangsvoraussetzungen der begehrten Leistung, also ob die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen überhaupt vorliegen und ein Anspruch der Klägerin auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung besteht (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. A., § 3 Rn. 4; Münder, SGB II, § 3 Rn. 5). Das Vorliegen der Eingangsvoraussetzungen steht vorliegend bis auf das Erfordernis der Hilfebedürftigkeit (§ 7 SGB II) der zu fördernden Arbeitnehmerin Frau S zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Die Beklagte geht ebenso wie die Klägerin unstreitig davon aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Eingliederungszuschusses nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. §§ 217 ff SGB III vorliegen. Insbesondere liegen in der Person von Frau S Vermittlungshemmnisse im Sinn des § 217 Satz 1 SGB III vor. Aus den Akten und dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich für das Gericht auch kein Anhaltspunkt hieran Zweifel aufkommen zu lassen. Auch wurde der erforderliche Antrag (§ 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III) vor Beginn der Beschäftigung gestellt.

Im Fall der Klägerin steht der Gewährung eines Eingliederungszuschusses durch die Beklagte als Trägerin der Leistungen nach dem SGB II auch nicht entgegen, dass Frau S im Monat Mai 2009 aufgrund des Einkommenszuflusses nicht mehr hilfebedürftig im Sinn der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II war.

Grundsätzlich erfordert die Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gem. § 16 Abs. 1 SGB II, dass die durch eine Eingliederungsmassnahme geförderte Person bei Maßnahmenbeginn hilfebedürftig im Sinn des SGB II ist (Gagel, SGB III/SGB II, § 16 SGB II Rn. 30; Eicher/Spellbrink, § 16 Rn. 42; Hauck/Noftz, SGB II, § 16 Rn. 53; für § 16 Abs. 2 SGB II: BSG, Urteil vom 13.07.2010, B 8 SO 14/09 R). Im Rahmen der Gewährung eines Eingliederungszuschusses an einen Arbeitgeber für die Einstellung eines Arbeitnehmers bedeutet dies, dass grundsätzlich der einzustellenden Arbeitnehmer bis zur Einstellung hilfebedürftig im Sinn des SGB II sein muss. Ein späterer Wegfall der Hilfebedürftigkeit durch die aufgenommenen Beschäftigung lässt die Leistungsvoraussetzungen jedoch nicht entfallen. Frau S war im Mai 2009 aufgrund des ihr am 26.05.2009 zugeflossenen Entgelts von 2.310,00 EUR nicht mehr hilfebedürftig. Der Zufluss stellt Erwerbseinkommen aus der vorherigen befristeten Beschäftigung von Frau S durch die Klägerin im Rahmen des Praktikums dar. Unter Beachtung des Zuflussprinzips (§ 2 Abs. 2 Satz 1 ALG II-VO) ist das Entgelt für die Beschäftigung vom 20.04. bis zum 15.05.2009 einmalig im Zuflussmonat Mai 2009 anzurechnen. Einer Aufteilung des Einkommens auf die Folgemonate entsprechend § 2 Abs. 4 ALG II-VO steht entgegen, dass es sich zwar nur um eine einmalige Zahlung handelt, diese jedoch auf der Erbringung von Arbeitsleistungen für einen befristeten Zeitraum von einem Monat beruhte. Insoweit ist das Einkommen hieraus einem laufenden Einkommen im Sinn von § 2 Abs. 2 ALG II-VO gleichzustellen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Frau S durch die Beschäftigung bei der Klägerin ab Juni 2009 weiterhin über bedarfsdeckendes Einkommen verfügte. Vorliegend ist jedoch das Erfordernis der Hilfebedürftigkeit der zu fördernden Person einschränkend auszulegen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der Wegfall der Hilfebedürftigkeit vorliegend allein darauf beruhte, dass Frau S durch die Klägerin bereits im Vorfeld der Einstellung im Rahmen eines bezahlten Praktikums beschäftigt worden war. Dieses Beschäftigung im Rahmen eines Praktikums war jedoch zwischen der Klägerin und Frau S als Erprobung für eine künftige Beschäftigung gedacht. Insofern darf der hierdurch hervorgerufene Wegfall der Hilfebedürftigkeit nicht isoliert von der späteren Einstellung von Frau S gewertet werden.

Vielmehr gilt in einem Fall wie hier folgendes: Der Wegfall von Hilfebedürftigkeit des zu fördernden Arbeitsnehmers vor Beginn der Aufnahme der Beschäftigung schadet der Gewährung eines Eingliederungszuschusses durch den SGB II-Träger ausnahmsweise dann nicht, wenn der Wegfall auf einem Einkommenszufluss beruht, der aus einem der späteren Beschäftigung vorgelagerten bezahlten Praktikumsverhältnis herrührt. Erforderlich ist hierzu jedoch, dass das Praktikumsverhältnis zeitlich und sachlich eng mit der später erfolgten, zu fördernden Beschäftigung verbunden ist. Also wenn die spätere Beschäftigung ohne das Praktikum als vorherige Erprobung nicht denkbar gewesen ist. So liegt der Fall hier, denn die Klägerin war zunächst nicht von der Eignung von Frau S für die zu besetzende Stelle überzeugt. Erst nach dem erfolgreichen Praktikum ging die Klägerin von einer grundsätzlichen Eignung aus und war bereit, das Beschäftigungsverhältnis zu begründen, welches der hier streitigen Förderung zu Grunde liegt.

Die vorherige Beschäftigung im Rahmen des Praktikums steht der Förderung mit einem Eingliederungszuschuss auch nicht als Ausschlussgrund entgegen. Denn gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ist eine Vorbeschäftigung erst bei einer Dauer von 3 Monaten für einen Föderungsausschluss relevant.

Nachdem die Eingangsvoraussetzungen für die Gewährung des Eingliederungszuschusses (§ 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II, §§ 217 ff. SGB III) vorliegen, steht der Beklagten grundsätzlich Ermessen hinsichtlich des "Ob" und des "Wie" der Leistungsgewährung zu (Eicher/Spellbrink, § 16 Rn. 6; Gagel, § 217 SGB III Rn. 14).

Das Ermessen der Beklagten hinsichtlich des "Ob" der Leistungserbringung ist jedoch auf Null reduziert aufgrund der mündlich erteilten Zusage vom 26.05.2009. Denn in einem Telefonat am 26.05.2009 hat eine Mitarbeiterin der Beklagten gegenüber der Klägerin erklärt, dass eine Förderung durch einen Eingliederungszuschuss von 50 % für sieben Monate erfolgt, soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Eine entsprechende mündliche Zusage bewirkt eine Ermessensreduktion auf Null (BSG, Urteil vom 18.08.2005, B 7a/7 AL 66/04 R).

Das Ermessen hinsichtlich des "Wie" der Leistung ist durch die Beklagte jedoch noch auszuüben. Hierbei wird sie nach dem Vorgenannten jedoch zu berücksichten haben, dass aufgrund der mündlichen Zusagen vom 26.05.2009 eine Ermessensreduktion dahin eingetreten ist, dass mindestens für 7 Monate eine Förderung von 50 % des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts zu erfolgen hat. Ob eine höhere Förderung möglich ist (§ 218 Abs. 1 SGB III), wird die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu prüfen haben.

Die Beklagte wird nunmehr über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses für die Arbeitnehmerin S unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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