L 7 AS 460/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AS 246/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 460/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 15.03.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht (SG) Münster hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 15.03.2010 ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten) zu Recht abgelehnt.

Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung der Klägerin bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das SG hat zu Recht ausgeführt, dass es für eine Übernahme der Fahrtkosten zur Passbeschaffung als Zuschuss an einer Rechtsgrundlage im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) fehlt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehr- bzw. Sonderbedarf gemäß § 21 oder § 23 Abs. 3 SGB II sind nicht erfüllt. Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB II decken die nach dem SGB II vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe schließt § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausdrücklich aus. Damit hat die Gesetzgebung zum Ausdruck gebracht, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bedarfsdeckend und abschließend sind (Landessozialgericht - LSG - NRW, Beschluss vom 28.07.2010, Az.: L 7 AS 864/10 B; LSG NRW, Beschluss vom 22.07.2010, Az.: L 7 B 204/09 AS; Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, Rdn. 17).

Die Klägerin kann einen solchen Anspruch auch nicht aus dem Grundgesetz (GG) herleiten. Zum einen bedarf ein solcher Anspruch grundsätzlich der legislativen Ausgestaltung. Die Verfassung kann nur den tragenden Grund für eine Leistungsgewährung setzen, (erst) das einfache Recht liefert Inhalt und Schranken der Berechtigung (Seiler, JZ 2010, S. 500, 504). Zum anderen ist eine Leistungsgewährung im vorliegenden Kontext verfassungsrechtlich nicht geboten. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 - BGBl. I S. 193) entschieden, dass die Regelleistung des § 20 SGB II nicht denjenigen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf zu erfassen vermag, der zwar seiner Art nach berücksichtigt wird, dies jedoch nur in durchschnittlicher Höhe. Tritt in Sondersituationen ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auf, erweise sich die Regelleistung als unzureichend. Auch hier könnten einmalige oder kurzfristige Spitzen im Bedarf durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II ausgeglichen werden. Bei einem längerfristigen, dauerhaften Bedarf sei das indessen nicht mehr möglich. Deshalb bedürfe es neben den in §§ 20 ff. SGB II vorgegebenen Leistungen noch eines zusätzlichen Anspruchs auf Leistungen bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums. Dieser Anspruch entstehe aber erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Dieser zusätzliche Anspruch dürfte angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen. Um die Gefahr einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in der Übergangszeit bis zur Einführung einer entsprechenden Härtefallklausel zu vermeiden, müsse die verfassungswidrige Lücke für die Zeit ab der Verkündung des Urteils des BVerfG durch eine entsprechende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts geschlossen werden (zum Vorstehenden: BVerfG, a.a.O., Rn. 208 und 220). Ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger und besonderer Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums in dem vorgenannten Sinne liegt hier nicht vor. Die Klägerin begehrt die einmalige Übernahme von Fahrtkosten zur Passbeschaffung, so dass es bereits an einem laufenden Bedarf fehlt, der nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Voraussetzung für einen Härtefall ist.

Auch das Vorbringen der Klägerin im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung. Sofern die Klägerin auf die Rechtsprechung des LSG NRW zum Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) (LSG NRW, Urteil vom 10.03.2009, AS 20 AY 167, und Beschluss vom 14.09.2007, Az.: L 20 B 67/07 AY ER) Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass zwar nach den Entscheidungen des 20. Senats des LSG NRW Passbeschaffungskosten in voller Höhe zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Fall 4 AsylbLG erforderlich sind. Diese Entscheidung hatte aber das AsylbLG zum Gegenstand. Die sozialen Sicherungssysteme des AsylbLG einerseits und des SGB II andererseits sind zur Überzeugung des Senats (bereits) nicht vergleichbare Sicherungssysteme, weil sie unterschiedlich ausgestaltet sind und - jedenfalls hinsichtlich der Grundleistungen des § 3 AsylbLG - ein sehr unterschiedliches Leistungsniveau aufweisen (LSG NRW, Beschluss vom 22.07.2010, Az.: L 7 B 204/09 AS).

Die Klägerin kann die Übernahme der Passbeschaffungskosten auch nicht von dem Sozialhilfeträger gemäß § 73 Zwölftes Sozialgesetzbuch (SGB XII) verlangen, so dass das SG Münster diesen zu Recht auch nicht notwendig beigeladen hat gemäß § 75 Abs. 2 SGG. Gemäß § 73 SGB XII können Leistungen der Sozialhilfe auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (Satz 1), wobei die Leistungen als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden können (Satz 2). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist aber Voraussetzung hierfür, dass eine besondere, atypische Lebenslage vorliegt, die eine Nähe zu den anderen im Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geregelten Bedarfslagen, den unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) so bezeichneten "Hilfen in besonderen Lebenslagen", aufweist (zuletzt BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 14 AS 44/08 R, m.w.N.) Hinsichtlich der Übernahme von Passbeschaffungskosten liegt keine besondere, atypische Lebenslage vor, die eine Nähe zu den anderen im Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Denn die Übernahme von Passbeschaffungskosten weist keine Nähe zu den Hilfen bei Gesundheit (Fünftes Kapitel des SGB XII), der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Sechstes Kapitel), der Hilfe zur Pflege (Siebtes Kapitel) oder der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (Achtes Kapitel) auf. Die Verpflichtung zur Passbeschaffung ist insbesondere keine besondere soziale Schwierigkeit im Sinne des § 67 SGB XII. Denn die §§ 67 ff. SGB XII enthalten ein spezielles Hilfsangebot für Personen, bei denen komplexe Problemlagen vorliegen (Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 67 Rn. 1), die sich durch eine Verbindung von besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten kennzeichnen (§ 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vom 24.01.2001, BGBl. I S. 179). Die Gesetzgebung hat insoweit insbesondere die persönliche Betreuung sowie Hilfen zur Erlangung zur Sicherung des Arbeitsplatzes oder zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung im Blick (§ 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; vgl. auch § 1 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Eine komplexe Problemlage in diesem Sinne ist hier nicht gegeben.

Ob die Fahrtkosten zur Passbeschaffung zumindest als Darlehn gemäß § 23 SGB II zu übernehmen sind, ist hingegen nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Beklagte hat sich bereits im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 30.07.2009 bereit erklärt, ein solches Darlehen zu gewähren.

Kosten werden im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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