S 20 SO 109/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 109/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 258/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens -mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen - trägt der Kläger. Der Streitwert wird auf 7.750,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gem. § 117 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet ist, des Weiteren über die Rechtmäßigkeit der Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 250,00 EUR sowie über die Aussetzung des Verwaltungszwangsverfahrens.

Der Kläger ist der Ehemann der Beigeladenen zu 1), die eine Tochter des am 00.00.0000 geborenen Beigeladenen zu 2) ist. Dieser erhält vom Beklagten seit dem 01.11.2009 Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung nach dem SGB XII in Höhe von monatlich ca. 1.000,00 EUR (November 2009: 997,12 EUR einschließlich eines Barbetrages von 96,93 EUR). Durch bestandskräftigen Bescheid vom 06.11.2009 zeigte der Beklagte der Beigeladenen zu 1) die Überleitung eines (möglicherweise bestehenden) Unterhaltsanspruchs des Beigeladenen zu 2) gegen sie an und ersuchte die Beigeladene zu 1), Auskünfte über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen, u.a. durch Vorlage von Einkommensbescheinigungen der letzten zwölf Monate, des letzten Einkommensteuerbescheides und weiterer Beweisurkunden. Diesem Auskunftsersuchen kam die Beigeladene zu 1) nicht nach. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang eine Stufenklage gegen die Beigeladene zu 1) auf Auskunft und ggf. Zahlung beim Amtsgericht E. erhoben (23 F 187/10); in diesem Verfahren soll zur Klärung der Unterhaltspflicht Beweis erhoben werden; eine rechtskräftige Entscheidung ist noch nicht ergangen.

Durch Bescheid vom 10.06.2010, zugestellt am 11.06.2010, forderte der Beklagte auch den Kläger unter Hinweis auf § 17 Abs. 1 SGB XII zur Erteilung von Auskünften über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zur Klärung der Unterhaltsfähigkeit seiner Ehefrau, der Beigeladenen zu 1) auf; er sollte eine ausgefüllte Erklärung, die dem Aufforderungsbescheid beigefügt war, zurücksenden und die Einkommensbescheinigungen der letzten zwölf Monate, den letzten Einkommensteuerbescheid sowie Nachweise über ggf. zu zahlende Beiträge zur privaten Krankenversicherung und Altersvorsorge, über die Unterkunftskosten und über ggf. bestehende Schuldverpflichtungen vorlegen, des Weiteren - falls er selbstständig ist - die Gewinn- und Verlustrechnungen, Steuererklärungen und Steuerbescheide über die letzten 3 Jahre. Zur Vorlage der genannten Unterlagen setzte der Beklagte eine Frist von zwei Wochen nach Zugang des Bescheides. Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unter Hinweis auf das überwiegende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung an. Den dagegen am 12.07.2010 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28.07.2010 zurück.

Da der Kläger dem Auskunftsersuchen nicht innerhalb der im Bescheid vom 10.06.2010 gesetzten Frist nachkam, wiederholte der Beklagte durch Bescheid vom 25.06.2010 das Auskunftsersuchen, setzte eine Nachfrist von einer Woche und drohte für den Fall, dass dem Ersuchen nicht fristgerecht oder nicht ausreichend nachgekommen werde, ein Zwangsgeld von 250,00 EUR an. Den dagegen am 08.07.2010 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.07.2010 zurück.

Am 16.07.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluss des Familiengerichtsverfahrens gegen die Beigeladene zu 1).

Der Beklagte lehnte den Aussetzungsantrag durch Bescheid vom 19.07.2010 ab.

Dagegen legte der Kläger am 21.07.2010 Widerspruch ein: im familiengerichtlichen Verfahren gegen die Beigeladene zu 1), in dem der Beklagte Auskunfts- und Unterhaltsansprüche geltend mache, werde sich ergeben, dass keine Unterhaltsansprüche gegen die Beigeladene zu 1) bestehen, insbesondere auch keine Taschengeldansprüche; das weitere Beharren auf Auskunft und die Anwendung des Verwaltungszwangs sei daher vorgreiflich, unverhältnismäßig und verletze den Kläger in seinen Rechten.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 22.07.2010 zurück: auch wenn der Kläger gegenüber seinem Schwiegervater nicht unterhaltspflichtig sei, bestehe dennoch ihm gegenüber gem. § 117 Abs.1 SGB XII ein gesetzlich normierter Auskunftsanspruch. Da er bisher jegliche Zusammenarbeit verweigert habe, müssten die erforderlichen Auskünfte über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf diesem Weg eingeholt und - falls erforderlich - auch erzwungen werden. Aufgrund der bisherigen massiven Verweigerungshaltung stehe zu befürchten, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse und die seiner unterhaltspflichtigen Ehefrau im anhängigen Zivilprozessverfahren nicht vollständig überprüft werden und somit auch mögliche Unterhaltsforderungen nicht in vollem Umfang geltend gemacht und anschließend durchgesetzt werden könnten. Da jedoch u.a. auch ein Unterhaltsanspruch aus dem "Taschengeldanspruch", den seine Ehefrau ihm gegenüber haben könne, zu prüfen sei, könne auf die Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch des nicht unterhaltspflichtigen Ehegatten nicht verzichtet werden. Zur Bemessung dieses Taschengeldanspruches sei die Kenntnis über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zwingend erforderlich. Im gesamten Auskunftsverfahren gehe es darum, den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) wieder herzustellen. Da die bisher gezahlten Leistungen aus Steuermitteln finanziert werden, sei es für den Sozialhilfeträger sehr wichtig, jeden möglichen Unterhaltsanspruch zu realisieren, um die öffentliche Hand nicht mehr und nicht länger als unbedingt erforderlich in Anspruch zu nehmen. Auch in diesem Fall sei daher die Anordnung der sofortigen Vollziehung angemessen und auch erforderlich. Ein milderes Mittel sei nicht verfügbar, da er die Auskunftserteilung verweigere. Im öffentlich-rechtlichen Auskunftsverfahren stünden zur Durchsetzung des Auskunftsanspruchs nach § 117 Abs. 1 SGB XII lediglich die Mittel des Verwaltungszwangs zur Verfügung.

Ausweislich der anwaltlichen Empfangsbekenntnisse wurden der Widerspruchsbescheid vom 22.07.2010 am 06.08.2010, die beiden anderen Widerspruchsbescheide vom 27.07. und 28.07.2010 am 03.08.2010 zugestellt.

Dagegen hat der Kläger am 03.09.2010 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, er sei erkennbar nicht unterhaltspflichtig, weil auch seine Ehefrau gegenüber ihrem Vater nicht unterhaltsverpflichtet sei. Der Beklagte mache Unterhaltsansprüche des Beigeladenen zu 2) geltend. Dieser habe sich jedoch vorsätzlich sittenwidrig verhalten, es sei zu vereinzelten Versuchen sexuellen Missbrauchs gegenüber seiner Tochter schon in den 1970´er Jahren gekommen. Später habe der Beigeladene zu 2) seine damals elfjährige Enkelin sexuell missbraucht. Dadurch sei es zu einer völligen Entfremdung zwischen dem Beigeladenen zu 2) und der Beigeladenen zu 1) gekommen. Die Enkelin habe aufgrund des sexuellen Missbrauchs Depressionen und ein postraumatisches Belastungssyndrom erlitten und habe sich in psychotherapeutischer Behandlung begeben müssen. Auch die Beigeladene zu 1) leide noch heute stark unter den Übergriffen des Beigeladenen zu 2). Der Kläger hat die Aussetzung des sozialgerichtlichen Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des familiengerichtlichen Verfahrens beantragt, da in absehbarer Zeit mit einer Entscheidung des Familiengerichts zu rechnen sei; da dieses Verfahren vorgreiflich sei, lägen die Voraussetzungen zur Aussetzung des Verfahrens vor.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 10.06.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2010, den Bescheid vom 25.06.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2010 und den Bescheid vom 19.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage wegen Versäumung der Klagefrist bereits für unzulässig. Zwar seien die Originale der drei Widerspruchsbescheide gegen Empfangsbekenntnis am 03.08. bzw. 06.08.2010 zugestellt worden; die Widerspruchsbescheide vom 27. und 28.07.2010 seien jedoch "per Telefax am 28.07.2010 vorab zugestellt" worden. Unabhängig davon hält der Beklagte die Klage für unbegründet. Die Beigeladene zu 1) sei als Verwandte in gerader Linie gem. § 1601 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ihrem Vater - dem Beigeladenen zu 2) - gegenüber unterhaltspflichtig. Die im unterhaltsrechtlichen Klageverfahren beim Amtsgericht vorgetragenen "Härtetatbestände" seien bis jetzt unbewiesen; die vorgelegten ärztlichen Atteste seien als Beweis für das Vorliegen einer schweren persönlichen Verfehlung des hilfeberechtigten Beigeladenen zu 2) nicht geeignet. Die Ehefrau des Beigeladenen zu 2) habe im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Sozialamt ausgesagt, dass ihr von sexuellen Übergriffen nichts bekannt sei; es habe vielmehr bis zum Sommer 2009 u.a. noch gemeinsame Besuche beim Hilfeberechtigten im Krankenhaus gegeben; auch Familienfeste seien bis in die jüngste Vergangenheit gemeinsam gefeiert worden. Auf die Auskunftserteilung des Klägers und Ehegatten der Beigeladenen zu 1) könne nicht verzichtet werden, da diese Auskünfte zur Berechnung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit benötigt würden; ihm gegenüber bestehe in zivilrechtlicher Hinsicht keinerlei Auskunftsanspruch. Würde das Auskunftsverfahren gegen ihn erst nach Abschluss des zivilrechtlichen Verfahrens durchgeführt werden, könnte es unweigerlich zu weiteren für die Allgemeinheit nicht mehr tragbaren Zeitverzögerungen kommen. Die Beklagte ist deshalb auch mit einer Aussetzung des (sozialgerichtlichen) Verfahrens nach § 114 SGG nicht einverstanden.

Die Beigeladenen haben keine eigenen Anträge gestellt.

Die Betreuerin und Ehefrau des Beigeladenen zu 2) hat mitgeteilt, selbst zu den behaupteten Übergriffen ihres Mannes gegenüber seinen Töchtern nichts sagen zu können, da diese aus der Zeit, bevor sie ihn kennenlernte, stammten. Die angeblichen Übergriffe würden zwar in ihre gemeinsame Zeit fallen, jedoch sei ihr keine auffällige Situation bekannt. Die Enkelin habe sie oft besucht und sich freundlich gezeigt. Ihr Mann - der Beigeladene zu 2) - könne zu den Vorwürfen nichts sagen, da er in einem gesundheitlich kritischen Zustand und sehr häufig geistig verwirrt sei. Die Betreuerin des Beigeladenen zu 2) hat diverse Unterlagen, speziell einen Vermerk über ein Gespräch mit dem Sozialamt vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Akte S 19 SO 132/09 ER und S 20 SO 19/10, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Insbesondere ist die Klagefrist gewahrt. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§ 87 Abs. 2 SGG). Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 37 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Entscheidet sich jedoch die Behörde für eine förmliche Zustellung, wie im vorliegenden Fall mittels Empfangsbekenntnis, so erbringt das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis als öffentliche Urkunde Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme. Der Gegenbeweis ist zwar zulässig, jedoch nur geführt, wenn die vom Empfangsbekenntnis ausgehende Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sind (BSG, Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 63/08 R). Im vorliegenden Fall ist der Gegenbeweis für die Unrichtigkeit der Empfangsbekenntnisse in dem dargelegten Umfang nicht erbracht. Die Zustellung der drei Widerspruchsbescheide erfolgte ausweislich der anwaltlichen Empfangsbekenntnisse am 03.08. bzw. 06.08.2010. Insofern ist die am 03.09.2010 beim Sozialgericht eingegangene Klage fristgerecht erhoben.

Auskunftsersuchen

Das Auskunftsverlangen des Beklagten ist rechtmäßig.

Nach § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben alle potenziell Unterhaltspflichtigen, also insbesondere Verwandte in gerader Linie (vgl. nur Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 117 Rn 9) und deren nicht getrennt lebenden Ehegatten dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommen- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung des SGB XII es erfordert. Die Verpflichtung dieser Personen zur Auskunft ist ebenso wenig wie bei der Überleitung von Ansprüchen gem. § 93 SGB XII davon abhängig, ob im konkreten Fall ein Unterhaltsanspruch besteht. Erst nach erfolgter Auskunft kann sich der Sozialhilfeträger einen Überblick verschaffen, ob und in welchem Umfang er dem Nachranggrundsatz des Sozialhilferechts durch die Inanspruchnahme eines Dritten wiederherstellen kann. Der Zweck der Vorschrift ermöglicht es, alle Personen als Unterhaltspflichtige im Sinne der sozialhilferechtlichen Vorschriften anzusehen, die als Unterhaltsschuldner in Betracht kommen und nicht offensichtlich (sog. Negativevidenz) ausscheiden. Die vom Auskunftsverpflichteten erhobenen Einwände gegen die Unterhaltsverpflichtung betreffen die einzelfallbezogene Entscheidung des maßgeblichen Unterhalts. Sie bleiben einer Klärung der Zivilgerichte vorbehalten (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 117 Rn. 12 m.w.N. der Rspr. des BVerwG; LSG NRW, Urteil vom 16.04.2008 - L 12 SO 4/07, vom 14.09.2009 - L 20 SO 96/08 und vom 01.09.2010 - L 12 SO 61/09; Beschl. vom 19.04.2010 - L 20 SO 77/10 B ER). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der (mögliche) Unterhaltsanspruch des Hilfebedürftigen als Vater der Beigeladenen zu 1) gegen diese ist infolge der seit 01.11.2009 gewährten Hilfe zur Pflege gem. § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII - zugleich mit dem unterhaltsrechtlichen Auskunftsanspruch - auf den Hilfe leistenden Beklagten übergegangen. Ein Fall von Negativevidenz liegt nicht vor (so ebenfalls: LSG NRW, Beschluss vom 21.04.2010 - L 20 SO 42/10 B ER). Als Ehemann der (möglicherweise) unterhaltspflichtigen Beigeladenen zu 1), der von dieser nicht getrennt lebt, ist er wie diese zur Auskunft gem. § 117 Abs. 1 verpflichtet. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Auskunftspflicht gem. § 117 Abs. 1 SGB XII bestehen nicht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 09.06.2008 - L 20 SO 36/07).

Zwangsgeld

Gemäß § 66 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 55 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) kann ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung - hier: Erteilung einer Auskunft und Vorlage von Unterlagen - gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Der Widerspruch des Klägers gegen das Auskunftsverlangen vom 10.06.2010 hat gem. § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil der Beklagte die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet hat. Diese Anordnung ist nicht zu beanstanden. Denn bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Auskunftsverlangens nach § 117 SGB XII kann im Rahmen der gerichtlichen Prüfung bereits der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) ein ausreichendes Vollziehungsinteresse begründen. Ein besonderes Vollziehungsinteresse ist vorliegend schon deshalb zu bejahen, weil allein eine zeitnahe Geltendmachung ggf. übergegangener Unterhaltsansprüche den Nachrang der dem Beigeladenen zu 2) erbrachten Sozialhilfeleistungen sicherstellt. Die fiskalischen Interessen des Leistungsträgers sind bei der gebotenen Abwägung zu berücksichtigen (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 86 a Rn. 20 m.w.N.). Dabei reicht vorliegend die bloße Verwirklichung des Nachranggrundsatzes ohne weitere Anhaltspunkte für eine spätere Vereitelung der Durchsetzung eines Unterhaltsanspruchs schon aus, weil dem Kläger aufgrund der gerichtlich festgestellten Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens kein Nachteil droht, der sein Aussetzungsinteresse zu rechtfertigen vermag (Hessisches LSG, Beschluss vom 29.12.2008, L 7 SO 62/08 B ER). Dies gilt umso mehr, als dem Auskunftspflichtigen kein irreversibler Nachteil droht, wenn er seiner Auskunftspflicht nachkommt, denn eine Leistungspflicht gegenüber dem Sozialhilfeträger ist hiermit naheliegenderweise noch nicht verbunden und erhobene Daten lassen sich wieder löschen.

Als Zwangsmittel kommt ein Zwangsgeld von 10,00 EUR bis 100.000,00 EUR in Betracht (§§ 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 Abs. 1 VwVG NRW). Bei der Festsetzung eines Zwangsgeldes von 250,00 EUR hat der Beklagte sowohl den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 58 VwVG NRW) beachtet als auch in pflichtgemäßer Weise das ihr eingeräumte Ermessen (vgl. § 55 Abs. 1 VwVG NRW: "kann") ausgeübt. Dies ergibt sich insbesondere aus den ausführlichen Darlegungen im Widerspruchsbescheid vom 27.07.2010. Die Androhung von Zwangsmitteln (hier zunächst: Zwangsgeld) dient allein dazu, im Fall einer (weiteren) Verweigerungshaltung des Klägers der vom Gesetz vorgesehenen Auskunftspflicht zur Durchsetzung zu verhelfen (LSG NRW, Beschluss vom 19.04.2010 - L 20 SO 77/10 B ER).

Aussetzung des Verwaltungszwangsverfahrens

Gemäß § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG kann u.a. in einem Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen ober die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Da - wie zuvor dargelegt - das Auskunftsersuchen und die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig waren, ist die Entscheidung des Beklagten, das Verwaltungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG nicht auszusetzen, nicht zu beanstanden. Die Entscheidung steht im Ermessen der Behörde ("kann"). Ermessensfehler liegen ersichtlich nicht vor. Der Beklagte hat seine Erwägungen in den angefochtenen Bescheiden ausführlich und nachvollziehbar dargelegt.

Die Kammer hat dem Antrag des Klägers auf Aussetzung (des sozialgerichtlichen) Verfahrens gem. § 114 Abs. 1 SGG nicht entsprochen, weil sie eine Aussetzung nicht für sachdienlich hält. Die Entscheidung über einen Aussetzungsantrag liegt im Ermessen des Gerichts. Die Entscheidung im Verfahren vor dem Amtsgericht E. (23 F 187/10) gegen die Beigeladene zu 1) ist nicht zwingend und in jeder Ausgestaltung vorgreiflich für die Entscheidung in dem vorliegenden vom Kläger angestrengten sozialgerichtlichen Verfahren. Würde das Amtsgericht z.B. eine Unterhaltspflicht der Beigeladenen zu 1) bejahen, aber eine Unterhaltsfähigkeit allein aufgrund der von dieser über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilten Auskünfte verneinen, wäre damit noch nicht geklärt, ob und ggf. in welcher Höhe sie gegen ihren Ehemann - den Kläger dieses Verfahrens - einen Anspruch auf "Ehegatten-Taschengeld" hätte und ob sie aufgrund eines solchen Anspruchs ggf. in der Lage ist, Unterhalt für den Beigeladenen zu 2) zugunsten des Beklagten aufzubringen. Dazu ist die Auskunft des Klägers über seine wirtschaftlichen Verhältnisse notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 39 Abs. 1, 52 Abs. 1 bis 3 GKG. Für das Begehren auf Aufhebung a) des Auskunftsersuchens kommt regelmäßig ein Streitwert in Höhe des halben Auffangwertes, mithin 2.500,00 EUR in Betracht (vgl. Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit [NZS 2009, 427 ff., 491 ff.] Abschnitt VII Nr. 2 unter Hinweis u.a. auf LSG NRW, Urteil vom 29.01.2007 - L 1 AS 12/06); b) der Verwaltungsvollstreckungsbescheide ist der Betrag des angedrohten Zwangsgeldes; hier: 250,00 EUR maßgeblich (LSG NRW, Urteil vom 01.09.2010 - L 12 SO 61/09); c) der Bescheide, durch die der Antrag auf Aussetzung des Verwaltungszwangs- verfahrens abgelehnt worden ist, ist mangels konkreter Anhaltspunkte für die Bestimmung der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für den Kläger (Dauer des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens; Art und Intensität weiterer Zwangsmittel) vom Regelstreitwert, also 5.000,00 EUR auszugehen.

Die Addition der Werte der drei Streitgegenstände (vgl. § 39 Abs. 1 GKG) ergibt den Gesamtstreitwert von 7.750,00 EUR.
Rechtskraft
Aus
Saved