L 19 AS 94/11 B ER und L 19 AS 95/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 AS 2547/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 94/11 B ER und L 19 AS 95/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 11.01.2011 werden zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin, die zusammen mit Herrn (B) in einer 68,83 qm großen aus zwei Zimmern, Wohnküche, Bad und Diele bestehenden Wohnung lebt, Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) bis zum 31.10.2010. Darüber hinaus gehende Leistungen lehnte sie ab, weil die Antragstellerin mit B in einer Einstandsgemeinschaft lebe und das Einkommen von B die Bedürftigkeit der Antragstellerin ausschließe.

Mit ihrem hiergegen zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat die Antragstellerin geltend gemacht, zwischen ihr und B bestehe eine reine Wohngemeinschaft. Sie bewohne lediglich das Schlafzimmer und müsse auch nicht das Zimmer ihres Mitbewohners betreten. Für die Miete zahle sie an B 225,- EUR monatlich.

Mit Beschluss vom 11.01.2011 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil gegen den zwischenzeitlich erlassenen Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 25.11.2010 kein Rechtsmittel eingelegt worden sei und daher die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides einem Anordnungsanspruch entgegenstehe. Gleichzeitig hat das SG Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Die gegen diese Entscheidungen mit der Begründung, ein Widerspruchsbescheid sei bisher nicht bekannt gegeben worden, eingelegten Beschwerden sind zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat im Ergebnis zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Diese ist nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). An beidem fehlt es hier.

Der erforderliche Anordnungsanspruch - ein in der Hauptsache durchsetzbarer Rechtsanspruch der Antragstellerin auf Grundsicherungsleistungen - ist nicht glaubhaft, weil sie die Anspruchsvoraussetzungen für Grundsicherungsleistungen nicht erfüllt. Derartige Leistungen erhält u.a. nur, wer hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II). Dies ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Zwar kann die Antragstellerin aus ihrem eigenen Einkommen und Vermögen ihren Lebensunterhalt nicht sichern, es spricht aber deutlich mehr für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen ihr und B als dagegen, sodass dessen Einkommen die Bedürftigkeit der Antragstellerin ausschließt.

Zu einer Bedarfsgemeinschaft gehört nämlich als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammen lebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Ein solcher Wille wird u.a. vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen leben (§ 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II). Gemeint sind hiermit eheähnliche Lebensverhältnisse (vgl. Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 7 Rn. 72). Eine solche ist die Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinaus gehen (BVerfG Urt.v. 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234; BVerfG Beschl. v. 02.09.2004 - 1 BvR 1962/04 = info also 2004, 260). Die Gesamtumstände sprechen hier dafür, dass diese Voraussetzungen auf die Beziehung zwischen der Antragstellerin und B zutreffen. Sie selbst hat gegenüber der Antragsgegnerin angegeben, dass der Anlass des Zusammenziehens von ihr und B die Dauer und Intensität ihrer Bekanntschaft und nicht der bloße Wunsch nach einer Wohngemeinschaft gewesen ist (Fragebogen vom 11.11.2009). Entgegen ihren jetzigen Behauptungen hat sie früher auch die grundsätzlich gemeinschaftliche Nutzung der Wohnung bestätigt. Ihre im einstweiligen Rechtsschutzverfahren aufgestellte Behauptung, den gemeinschaftlich genutzten Koch- und Essbereich der Wohnung nicht über das angeblich allein von B bewohnte Zimmer betreten zu müssen, wird durch den von ihr vorgelegten Grundriss der Wohnung widerlegt. Danach befindet sich der einzige Zugang zur Wohnküche in dem Wohnbereich, der angeblich allein B zuzuordnen sein soll. Ebenso wenig ist ihr Vortrag plausibel, dass sie sich tatsächlich an den Mietkosten der Wohnung in dem Umfang beteiligt hat, wie er den nun von ihr behaupteten Wohnverhältnissen entspricht. In den Jahren 2008 und 2009 sind keine Barabhebungen von ihrem Konto in einer Größenordnung zu verzeichnen, wie sie ein solcher Mietausgleich erforderte. Was das Bestreiten der Kenntnis der eigenen Kontoauszüge mit Nichtwissen in diesem Zusammenhang soll, ist unerfindlich und spricht gegen die Richtigkeit der Angaben der Antragstellerin. Entgegen ihrer Auffassung sind diese Kontoauszüge auch nicht bedeutungslos, weil sie die Jahre 2008 und 2009 betreffen und im Jahr 2010 entsprechende Barabhebungen den Kontoauszügen zu entnehmen sind. Die Antragstellerin hat nämlich nicht behauptet, dass sich an ihrem Verhältnis zu B zwischen 2009 und 2010 etwas geändert hat, sondern sie hat gleichbleibende Verhältnisse angegeben. Hat sie aber früher die Miete offenkundig nicht an B gezahlt, so ergibt sich nichts dafür, dass die heutigen Barabhebungen dem entsprechenden Zweck dienen. Allein der Umstand, dass nunmehr Quittungen des B vorgelegt worden sind, die eine solche Mietzahlung bescheinigen, ist angesichts dieser Verhältnisse nicht geeignet, das Bestehen einer Partnerschaft zwischen ihm und der Antragstellerin zu widerlegen. Hinzu kommt, dass der angebliche Mietanteil nicht dem behauptetenen prozentualen Wohnanteil der Antragstellerin entspricht. Gleiches gilt hinsichtlich der Kosten für den TV-Anschluss. Wenn B allein den Fernseher nutzt und die Antragstellerin angeblich lediglich Filme auf ihrem Laptop schaut, wäre auch insoweit zu erwarten, dass sie lediglich einen deutlich geringeren Anteil übernimmt, insbesondere angesichts ihrer schlechteren wirtschaftlichen Verhältnisse.

Bei dieser Sachlage deutet so viel mehr auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II, dass im Hinblick auf das Einkommen von B ein Anordnungsanspruch auf Grundsicherungsleistungen nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden kann.

Daneben fehlt es aber auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im Sinne der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung. Die Antragstellerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass B infolge der Einstellung der Leistungen durch die Antragsgegnerin ihre Haushaltsgemeinschaft nicht mehr fortsetzten wird und/oder dass ihre Unterkunft gefährdet wäre. Bezüglich Letzterer scheint das Erfordernis einer einstweiligen Sicherung im Hinblick auf die möglicherweise bestehende Unangemessenheit der Wohnung ohnehin fraglich.

Die Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.

Da der Antrag keine Aussicht auf Erfolg im Sinne der §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ZPO geboten hat, hat das SG auch zu Recht Prozesskostenhilfe abgelehnt, sodass auch die Beschwerde gegen diese Entscheidung zurückzuweisen ist.

Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten des Beschwerdeverfahrens insoweit folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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