L 5 AS 525/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 45 AS 447/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 525/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Entziehungsbescheid nach § 66 Abs. 1 SGB I kann nicht darauf gestützt werden, dass der Betroffene keinen Nachweis über die Beantragung von BAföG-Leistungen erbracht hat. Einem Verstoß des Hilfesuchenden gegen seine aus § 12a SGB II folgende Pflicht, einen Antrag auf andere Sozialleistungen zu stellen, sofern das zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist, kann der Leistungsträger gemäß § 5 Abs. 3 SGB II dadurch begegnen, dass er den Antrag anstelle des Hilfesuchenden stellt.

Eine Teilzeitausbildung ist im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II nicht dem Grunde nach förderungsfähig.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Februar 2011 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid vom 7. Februar 2011 wird angeordnet. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers werden für beide Rechts- züge vom Antragsgegner erstattet.

Gründe:

Die am 20. März 2011 eingegangene Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Februar 2011, mit dem der am 15. Februar 2011 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid des Antragsgegners vom 7. Februar 2011 abgelehnt worden ist, hat Erfolg. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt gegenüber dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller, der seit dem 31. Dezember 2008 für einen Fernlehrgang zur Erlangung des Abiturs eingeschrieben ist, auf dessen Antrag vom 29. November 2010 mit Bescheid vom 22. Dezember 2010 für die Zeit vom 29. November 2010 bis zum 31. Mai 2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nachdem der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 27. Dezember 2010 und vom 19. Januar 2011 erfolglos aufgefordert hatte, bis zum 5. Februar 2011 einen Nachweis über die Beantragung elternunabhängiger Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu erbringen, entzog der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Februar 2011 die Leistungen mit Wirkung ab dem 1. März 2011 wegen fehlender Mitwirkung.

Der Antragsgegner kann diesen Bescheid nicht auf § 66 Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) stützen. Kommt danach derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Der von dem Antragsteller geforderte Nachweis der Antragstellung bei der BAföG-Behörde ist jedoch für die Voraussetzungen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unerheblich. Für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II kommt es allein darauf an, ob die Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig ist. Diese Frage richtet sich grundsätzlich nach § 2 BAföG, wobei die Besonderheiten des Fernunterrichts in § 3 BAföG geregelt sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. August 2010, B 14 AS 24/09 R). Für die Ausnahmen aus § 7 Abs. 6 SGB II sowie aus § 22 Abs. 7 SGB II beziehungsweise aus § 27 SGB II in der ab dem 1. April 2011 geltenden Fassung (BGBl. I S. 453, 469) ist entscheidend, aus welchen Gründen kein Anspruch auf BAföG-Leistungen besteht beziehungsweise ob und gegebenenfalls in welchem Umfang BAföG-Leistungen bewilligt worden sind. Einem Verstoß des Hilfesuchenden gegen seine aus § 12a SGB II folgende Pflicht, einen Antrag auf andere Sozialleistungen zu stellen, sofern das zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist (vgl. hierzu BT-Drucksache 16/7460, S. 12), kann der Leistungsträger gemäß § 5 Abs. 3 SGB II dadurch begegnen, dass er den Antrag anstelle des Hilfesuchenden stellt.

Auch § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 331 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) kommt als Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 7. Februar 2011 nicht in Betracht. Danach kann der Leistungsträger die Zahlung einer laufenden Leistung ohne Erteilung eines Bescheides vorläufig einstellen, wenn er Kenntnis von Tatsachen erhält, die kraft Gesetzes zum Ruhen oder zum Wegfall des Anspruchs führen und wenn der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, deshalb mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist nicht zum Ruhen gekommen oder weggefallen. Der vom Antragsteller wahrgenommene Fernlehrgang ist keine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 5 SGB II, so dass der Antragsteller von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausgeschlossen ist. Es handelt sich um eine nicht förderungsfähige Teilzeitausbildung (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2007, L 14 B 1224/07 AS ER; Beschluss vom 1. August 2007, L 28 B 1098/07 AS ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2009, L 13 AS 39/09 B ER; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Januar 2007, L 7 AS 1130/06 ER). Entgegen § 3 Abs. 3 BAföG nimmt die Teilnahme an dem Fernlehrgang die Arbeitskraft des Antragstellers nicht voll in Anspruch. Nach Ziffer 3.3.4 in Verbindung mit Ziffer 3.5.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz vom 15. Oktober 1991 (GMBl. S. 770), deren Anwendung der Senat für sachgerecht hält (ebenso Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 1992, 9 UE 1540/91), kann von einer vollen Inanspruchnahme nur ausgegangen werden, wenn die Ausbildung nach den Ausbildungsbestimmungen oder der allgemeinen Erfahrung (Unterricht, Praktika, Vorbereitung) vierzig Wochenstunden erfordert. Ausweislich der vom Lehrinstitut des Antragstellers ausgestellten Bescheinigung vom 28. Februar 2011 ist nur eine Arbeitszeit von 20 bis 25 Stunden je Woche aufzuwenden, wenn ein Teilnehmer den Lehrgang in der Regelstudiendauer absolvieren möchte. Zweifel an diesen Angaben bestehen nicht, zumal der Antragsteller nach dem vorliegenden Arbeitsvertrag gegenwärtig 30 Stunden wöchentlich in einem Detallabor beschäftigt ist. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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