L 7 AS 262/10 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 7 AS 1903/09 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 262/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. April 2010 abgeändert.

1. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid des Antragsgegners vom 8. Januar 2010 (Bewilligungszeitraum 1. November 2009 bis 31. Dezember 2009) aufschiebende Wirkung hat.

2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen monatlichen Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 808,55 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Kosten beider Instanzen zu 1/3 zu erstatten.

Gründe:

Gemäß § 6d 2. Alt. SGB II hat der Antragsgegner die Bezeichnung Jobcenter in seinen Namen aufzunehmen. Entsprechend ist das Rubrum berichtigt.

Die am 21. April 2010 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main (SG) vom 13. April 2010 mit dem wörtlichen Antrag,

auf Berufung den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. April 2010 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller bewilligte Leistungen in Höhe von 815,00 EUR monatlich auszuzahlen,

ist sinngemäß folgendermaßen zu verstehen:

Der Antragsteller beantragt mit der Beschwerde,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. April 2010 aufzuheben sowie

1. die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid des Antragsgegners vom 8. Januar 2010 anzuordnen, 2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung von Einkommen an ihn zu zahlen.

Bei verständiger Auslegung ist von den vorbezeichneten Anträgen auszugehen. Zumal der Berichterstatter den Antragsteller ausdrücklich mit unbeantwortetem Schreiben vom 27. Mai 2011 auf eine entsprechende Auslegung des Antrags hingewiesen hat.

Handelt es sich bei den vom Antragsteller verwendeten Begriffen "Gerichtsbescheid" und "Berufung" um eine offensichtliche Falschbezeichnung, ergibt sich die Fassung der Anträge im Übrigen aus folgenden Überlegungen:

Zu 1:
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 17. August 2009 Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 ohne Anrechung von Einkommen in Höhe von 815,00 EUR monatlich bewilligt. Gleichwohl hat der Antragsgegner das bewilligte Arbeitslosengeld II ab 1. November 2009 nicht ausbezahlt (vorläufige Zahlungseinstellung) und mit Bescheid vom 8. Januar 2010 mangels Mitwirkung des Antragstellers an der Aufklärung des anrechenbaren Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit die Zahlung bewilligten Arbeitslosengelds II ab 1. November 2009 entzogen.

Hat sich der Antragsteller mit seinem einstweiligen Rechtsschutzantrag am 6. November 2009 nur wegen der vorläufigen Zahlungseinstellung an das SG gewandt, ist aufgrund des im Laufe des Ausgangsverfahrens eingelegten Widerspruchs gegen den aufgrund der vorläufigen Zahlungseinstellung erlassenen Entziehungsbescheids des Antragsgegners vom 8. Januar 2010 nach § 66 Abs. 1 SGB I davon auszugehen, dass der Antragsteller begehrt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs mit Schreiben vom 22. Januar 2010 gegen den Entziehungsbescheid des Antragsgegners vom 8. Januar 2010 anzuordnen. Allein damit wäre der Antragsgegner wieder zur Auszahlung des Arbeitslosengelds II bis 31. Dezember 2009 verpflichtet.

Dem so richtig verstandenen Antrag ist nach eingehender Beratung des Senats entgegen der Andeutung im Hinweisschreiben des Berichterstatters vom 27. Mai 2011 nur insoweit stattzugeben, als die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gerichtlich festzustellen ist.

Dabei geht der Senat davon aus, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 22. Januar 2010 rechtzeitig innerhalb eines Monats (§ 84 Abs. 1 S. 1 SGG) nach Zugang des am 11. Januar 2010 laut "Ab-Vermerks" zur Post aufgegebenen Entziehungsbescheids Widerspruch eingelegt hat, obwohl der Widerspruch der vorgelegten Akte nicht zu entnehmen ist, weil der Antragsgegner auf Vorlage des Widerspruchsschreibens im Beschwerdeverfahren durch den Antragsteller mit Schreiben vom 31. Mai 2010 die Verfristung des Widerspruchs nicht gerügt hat.

Jedenfalls ein fristgemäß eingelegter Widerspruch entfaltet nach § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung, soweit nichts anderes gesetzlich bestimmt ist. Eine solche Ausnahmebestimmung greift vorliegend nicht ein. Soweit § 86a Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGG für Entziehungsbescheide u.a. in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit und in der Sozialversicherung eine abweichende Regelung vorsehen, ist für eine entsprechende Anwendung für Leistungen nach dem SGB II kein Raum, weil insoweit § 39 SGB II eine abschließende Sonderregelung enthält (deklaratorischer Verweis in § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG). Für § 39 Nr. 1 SGB II idF des Änderungsgesetzes vom 21.12.2008 (BGBl I 2917), in Kraft ab 1.1.2009 - § 39 Nr. 1 SGB II F. 2009 -, ist aber aus dem eindeutigen Wortlaut zu entnehmen, dass Entziehungs- und Versagungsbescheide nach § 66 Abs. 1 SGB I vom Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht erfasst sein sollen. Es sind im Gegensatz zur vorherigen Regelung in § 39 Nr. 1 SGB II aF die Verwaltungsakte über Leistungen, die von der Ausnahmeregelung erfasst sein sollen (Aufhebung, Zurücknahme, Widerruf und Herabsetzung - wohl Absenkung iSd § 31 SGB II -), im Einzelnen benannt (so auch: LSG Baden-Württemberg, 8.4.2010 - L 7 AS 304/10 ER-B; SG Lüneburg, 14.1.2010 - S 45 AS 4/10 ER), ohne Versagungs- und Entziehungsbescheide zu erfassen. Soweit die Gesetzesbegründung zu § 39 Nr. 1 SGB II F. 2009 darauf verweist, von der Regelung seien Verwaltungsakte erfasst, die Leistungen versagen oder entziehen (BT-Drucks 16/10810, S. 50), ist aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Norm davon auszugehen, dass es sich nur um untechnische Obergriffe zu den benannten Verwaltungsakten handeln soll, ohne auf Entziehungs- und Versagungsbescheide nach § 66 Abs. 1 SGB I bezogen zu sein. Wollte der Gesetzgeber eine weitergehende Regelung treffen, müsste das in der gesetzlichen Bestimmung selbst hinreichend zum Ausdruck kommen. Die Gesetzesbegründung kann nicht weiterreichen als der unmissverständliche Wortlaut der Norm selbst.

Zu 2:
Für den Zeitraum ab 1. Januar 2010 hat hingegen der Antragsgegner auf den Folgeantrag des Antragstellers vom 1. Januar 2009 ebenfalls mit Bescheid vom 8. Januar 2010 Leistungen mangels Mitwirkung des Antragstellers nach § 66 Abs. 1 SGG versagt. Hat der Antragsteller auch insoweit Widerspruch mit Schreiben vom 22. Januar 2010 eingelegt, tritt nach dem oben zu 1 Gesagten nach § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung ein. Das bedarf jedoch keiner Feststellung des Senats, weil der Antragsgegner bei einer bloßen Versagung von Leistungen die aufschiebende Wirkung in der Regel, wie hier auch, nicht missachten kann, da die aufschiebende Wirkung nicht - wie bei dem Entziehungsbescheid - eine Verhaltenspflicht des Antragsgegners - Auszahlung bewilligter Leistungen - nach sich zieht.

Stellt ein Versagungsbescheid nach § 66 Abs. 1 SGB I einen in der Hauptsache allein mit der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG angreifbaren Verwaltungsakt dar, der nicht auf die materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen hin zu überprüfen ist, sondern nur die besonderen Voraussetzungen einer Versagung von Leistungen mangels Mitwirkung zum Gegenstand hat (hierzu: Hölzer in info also 2010, Heft 3 S. 99 mwN), ist damit bezogen auf diese Hauptsache einstweiliger Rechtsschutz nicht zu gewähren. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG macht es bei einer Leistungsversagung - nicht einem Entziehungsbescheid, bei dem die aufschiebende Wirkung die ursprüngliche Bewilligung wieder wirksam werden lässt - nach § 66 Abs. 1 SGB I jedoch erforderlich, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen, weil allein damit die Möglichkeit eröffnet ist, vor einer Entscheidung in der Hauptsache über die Anfechtungsklage gegen den Versagungsbescheid hinaus, auch hinsichtlich des dahinter stehenden Leistungsbegehrens selbst den einstweiligen Rechtsschutz rechtzeitig zu eröffnen (Hölzer, a.a.O. mwN).

Das einstweilige Rechtsschutzverfahren bezieht sich gegenständlich in der zugrundeliegenden Hauptsache jedoch nur auf den Leistungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010. Aufgrund der Folgeanträge des Antragstellers für den Zeitraum ab 1. Juli 2010 und ab 1. Januar 2011, die der Antragsgegner mittlerweile beschieden hat, sind insoweit im Verwaltungsverfahren weitere Hauptsachen anhängig (vgl. für SGB II: BSG, 7.11.2006 – B 7b AS 14/06 R; 16.5.2007 – B 11b AS 37/06 R; 31.10.2007 – B 14/11b AS 59/06 R und 7/07 R; für SGB XII: BSG, 11.12.2007 – B 8/9b SO 12/06 R), die schon deshalb instanziell nach § 29 Abs. 1 SGG nicht erfasst sein können, weil das SG für diese Zeiträume im angefochtenen Beschluss nicht über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entscheiden konnte (Hinweise des Berichterstatters vom 17. Dezember 2010 und 27. Mai 2011).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung für den gegenständlich erfassten Zeitraum liegen nur im tenorierten Umfang vor.

Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung – vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache - möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein; d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (Conradis in LPK–SGB II, 2. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 117).

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Senat, 29.6.2005 - L 7 AS 1/05 ER - info also 2005, 169; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 27 und 29, 29a mwN.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - info also 2005, 166 unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60 (80)). Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten (Senat, 27.7.2005 - L 7 AS 18/05 ER).

Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Meyer-Ladewig u.a., § 86b, 9. Aufl., Rn. 42). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu Tage getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 6. Januar 2006 - L 7 AS 87/05 ER).

Hinsichtlich des geltend gemachten Anordnungsanspruchs in der Hauptsache ist allein streitig, ob und in welcher Höhe Einkommen aus seiner selbstständigen Tätigkeit auf den Bedarf des Antragstellers zur Bestimmung der Leistungshöhe anzurechnen ist.

Die Anrechnung von Einkommen richtet sich nach § 11 SGB II idF des Änderungsgesetzes vom 5.12.2006 (BGBl I 2748), in Kraft ab 1.1.2007, - SGB II F. 2007 -.

Nach § 11 Abs. 1 SGB II F. 2007 sind von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen. Auf Grundlage der Ermächtigung in § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II idF des Änderungsgesetzes vom 8.4.2008 (BGBl I 681) - SGB II F. 2008 -, sieht § 3 der Arbeitslosengeld II /Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V - idF der Änderungsverordnung vom 18.12.2008 (BGBl I 2780), in Kraft ab 1.1.2009 - Alg II-V F. 2009 - weitere Berechnungsregeln für Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit vor.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1-2 Alg II-V F. 2009 ist bei der Berechnung von den Betriebseinnahmen auszugehen, die tatsächlich zufließen. Nach § 3 Abs. 2 Alg II-V F. 2009 sind die geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs. 2 SGB II F. 2007 abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften abzuziehen. Dabei sollen tatsächliche Ausgaben nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen (§ 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-V F. 2009). Ausgaben können bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht.

§ 3 Abs. 7 Alg II-V F. 2009 bestimmt weiter, dass Betriebsausgaben für ein Kraftfahrzeug in Höhe der tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben nur zu berücksichtigen sind, wenn es zu mindestens 50 % betrieblich genutzt wird. Im Übrigen können für betriebliche Fahrten 0,10 EUR für jeden mit dem privaten Kraftfahrzeug gefahrenen Kilometer abgesetzt werden, soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht höhere notwendige Ausgaben für Kraftstoff nachweist.

Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Von dem Einkommen sind die Beträge nach § 11 Abs. 2 SGB II abzusetzen (§ 3 Abs. 4 S. 1-2, 4 Alg II-V F. 2009).

Anhand dieses Maßstabs lässt sich das Einkommen des Antragstellers aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im ersten Halbjahr 2010 nicht zumutbar ermitteln, weil er ausschließlich nicht nach Einnahme- und Ausgabengruppen geordnete Belege vorgelegt hat, die eine Gewinn- und Verlustrechnung nachvollziehbar werden lassen. Hierauf hat der Existenzgründungsberater der B. mbH im C. in seinem Schreiben vom 17. August 2010 ausdrücklich hingewiesen. Erkennbar sind danach nur Einnahmen in Höhe von insgesamt 5.112,00 EUR.

Ist damit der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zeitnah möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wem ein Abwarten in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Ist dabei grundsätzlich zu beachten, dass das grundrechtlich geschützte Existenzminimum gewahrt bleibt, fällt vorliegend dagegen ins Gewicht, dass einerseits der Antragsteller eine allein ihm mögliche vollständige Sachverhaltsaufklärung verhindert hat und gegenständlich nur noch ein vergangener Zeitraum betroffen ist. Das erlaubt es jedenfalls ausgehend von den nachgewiesenen Einnahmen in Höhe von insgesamt 5.112,00 EUR für das 1. Halbjahr 2010 die geltend gemachten Ausgaben nur als Abzugsposten einzusetzen, soweit der Antragsteller seiner Obliegenheit zur Aufklärung des Sachverhalts nachgekommen ist.

Dabei bietet es sich an, wie von B. mit Schreiben vom 17. August 2010 empfohlen, den prozentualen Anteil der nachgewiesenen Kosten für das Jahr 2009 auf das erste Halbjahr 2010 zu übertragen. Unter Berücksichtigung einer Kostenquote von 5,1 % ist daher von Einnahmen in Höhe von 4.851,29 EUR, das sind monatlich 808,55 EUR, auszugehen.

Die Kostenquote ergibt sich daraus, dass auf den Gewinn für das Jahr 2009 in Höhe von 9.942,39 EUR derzeit ohne weitere Nachweise des Antragstellers nur Kosten in Höhe von 507,36 EUR anzurechnen sind.

Soweit der Antragsteller betriebsbedingte Kosten der Unterkunft geltend macht, ist nicht erkennbar, welche betriebsbedingten Unterkunftskosten er haben soll.

Soweit der Antragsteller darüber hinaus Kosten für Internet, Telefon, Bürobedarf, Zeitschriften und Bücher ansetzt, ist durchaus davon auszugehen, dass für seine selbstständige Tätigkeit als Nachhilfelehrer Kosten entstanden sein können. Es fehlt jedoch eine Aufstellung darüber, in welcher Höhe betriebsbedingte Kosten angefallen sind. Insoweit ist es nicht Sache des Antragsgegners oder des Senats einzeln vorgelegte Belege der jeweiligen Kostenart zuzuordnen. Ohne nähere Spezifizierung können hier nur die Portokosten in Höhe von insgesamt 24,95 EUR und die Grundkosten für den Internetanschluss mit VoIP-Telefon in Höhe von 418,20 EUR (12 X 34,85 EUR laut 1&1 Rechnungsbeleg) berücksichtigt werden.

Die geltend gemachten Kfz-Kosten bleiben schon deshalb außen vor, weil der Antragsteller keine substantiierten Angaben zum Umfang der betrieblichen Nutzung seines Kfz gemacht hat. Ist jedoch von einer überwiegend privaten Nutzung auszugehen, können nur 0,10 EUR je Fahrkilometer geltend gemacht werden, für die ebenso Nachweise fehlen wie für höhere tatsächliche Kraftstoffkosten.

Hinsichtlich der Nebenkosten des Geldverkehrs, Gebühren und Beiträge ist ebenfalls nicht erkennbar, in welchem Umfang eine weitere Kontoführung neben dem privaten Girokonto sowie sonstige Gebühren und Beiträge erforderlich gewesen sein sollen.

Kosten für Wertpapiergeschäfte sind hingegen nicht zu berücksichtigen, weil ohne Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit im Wertpapierhandel nicht zu erkennen ist, dass diese Aufwendungen erforderlich sind.

Der Diebstahl von Bargeld in Höhe von 750,00 EUR hat hingegen bereits als außerordentliche Aufwendung außer Betracht zu bleiben, weil davon auszugehen ist, dass im 1. Halbjahr 2010 ein solches Ereignis nicht erneut eingetreten ist.

Berücksichtigungsfähig bleiben damit nur noch Kosten für Rechtsberatung und Inserate in Höhe von insgesamt 64,21 EUR.

Das ergibt berücksichtigungsfähige Kosten in Höhe von insgesamt 507,36 EUR für das Jahr 2009. Bei Einnahmen in Höhe von 9.942,39 EUR ergibt das eine Kostenquote von 5,1 %.

Dabei kann der Senat vorliegend außer Betracht lassen, ob sich eine andere Wertung ergeben muss, wenn ein Leistungsberechtigter nicht ohne fremde Hilfe in der Lage ist, eine entsprechende Substantiierung und Zuordnung von Kosten vorzunehmen, weil das bei dem Antragsteller aus dem Schriftverkehr ersichtlich nicht der Fall ist.

Die Einkommensbereinigung durch weitere Abzüge nach § 11 Abs. 2 SGB II F. 2007 steht nicht in Streit, so dass der Senat entsprechend § 130 Abs. 1 SGG über die Höhe des vorläufig zu zahlenden Arbeitslosengelds II nur dem Grunde nach entscheiden kann. Der Antragsgegner wird aber in jedem Fall die Versicherungspauschale nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II F. 2007 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V F. 2009 zusätzlich zu berücksichtigen haben.

Der Antragsteller ist gehalten, auf Grundlage seiner Gewinn- und Verlustrechnung für 2010 im Einzelnen betriebliche Ausgaben nach Ausgabengruppen geordnet zu belegen, wenn er bei der endgültigen Leistungsbewilligung weitere Ausgaben berücksichtigt wissen will.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang des Rechtsstreits entsprechend § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit einer weiteren Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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