L 7 AS 2289/11 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 28 AS 4615/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2289/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners sowie die Anschlussbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.12.2011 werden zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zur Hälfte. Weitere Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners sowie die Anschlussbeschwerde des Antragstellers sind unbegründet.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben. Der Zulässigkeit der Beschwerde des Antragsgegners steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner der vom SG ausgesprochenen Verpflichtung, dem Antragsteller für die Zeit vom 19.12.2011 bis 31.03.2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren, inzwischen vollständig nachgekommen ist. Zwar hat das LSG Hamburg mit Beschluss vom 29.05.2007 (L 5 B 591/06 ER) entschieden, dass regelmäßig kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn die durch einstweilige Anordnung verpflichtete Behörde der Leistungspflicht nachgekommen ist (anderer Auffassung LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.12.2005, L 7 SO 4890/05 ER-B). Es kann jedoch dahingestellt bleiben, welcher Meinung zu folgen ist. Durch die Durchführung des Erörterungstermins vom 08.03.2012 ist eine zeitliche Verzögerung eingetreten. Bei einer zeitnahen Beschlussfassung nach der Ablehnung des Antrages nach § 199 SGG im Beschluss vom 16.01.2012 wären die Leistungen noch nicht vollständig ausgezahlt gewesen. In diesem Fall hätten bezüglich des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragsgegners keine Zweifel bestanden. Die zeitliche Verzögerung darf jedoch zur Überzeugung des Senats nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen.

Unabhängig davon ist die Beschwerde des Antragsgegners unbegründet. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5,237 = NVwZ 2005, Seite 927).

Die Entscheidung des SG vom 19.12.2011, dem Antragsteller im Rahmen der Folgenabwägung für die Zeit vom 19.12.2011 bis zum 31.03.2012 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des SGB II zu gewähren, ist vertretbar. Dabei verkennt der Senat nicht, dass unabhängig davon, ob die Zweifel des Antragsgegners bezüglich der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers letztlich durchgreifen, Bedenken bezüglich der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers bestehen. Denn in dem noch unter dem Aktenzeichen S 28 AS 3596/11 ER geführten Verfahren, welches mit Beschluss vom 12.12.2011 mit dem Rechtsstreit S 28 AS 4615/11 ER zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden ist, hat das SG am 22.11.2011 einen Erörterungstermin durchgeführt und den Antragsteller darauf hingewiesen, dass dieser konkret seine Hilfebedürftigkeit nachzuweisen habe. Hierzu habe er eine Liste zu den Gerichtsakten zu reichen, aus der sich ergäbe, von wem der Kläger (richtig: Antragsteller) sich im Laufe des letzten Jahres welchen Betrag geliehen habe. Die vom SG geforderte Auflistung liegt nach Aktenlage bislang nicht vor. Derzeit scheint der Antragssteller auch nicht gewillt zu sein, eine entsprechende Auflistung zu übersenden. So hat er im Erörterungstermin vom 08.03.2012 (L 7 AS 2289/11 B ER) ausgeführt, nicht bereit zu sein, diejenigen Personen zu benennen, die ihm Geld geliehen haben. Er sei auch nicht bereit, darzulegen, ob er sich von einer Person oder mehreren Personen Geld geliehen habe. Diese Gesichtspunkte wird das SG bei einer etwaigen erneuten Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für die Zeit ab dem 01.04.2012 zu beachten und abzuwägen haben, ob die Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers derart gravierend sind, dass bereits die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches für die Folgezeit nicht mehr bejaht werden kann.

Ist im Rahmen einer Folgenabwägung die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 19.12.2011 bis zum 31.03.2011 vertretbar gewesen, ist der Meinungsstreit, ob die in § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 1 SGB III getroffene Regelung als Spezialvorschrift einen Rückgriff auf die §§ 62, 66 SGB I zulassen, nicht entscheidungserheblich. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass er für die Folgezeit - eine Hilfebedürftigkeit des Antragsstellers unterstellt - dazu tendiert, die Vorschriften des § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 1 SGB III als Spezialvorschrift anzusehen, die die Vorschrift des § 66 SGB I verdrängt (vgl. Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 59 Rn. 25 m.w.N.), zumal der Antragsteller sich im Erörterungstermin vom 08.03.2012 grundsätzlich bereit erklärt hat, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn auch nicht auf psychiatrischem Gebiet.

Das vom Antragsteller im Erörterungstermin vom 08.03.2012 geäußerte Begehren, das SG hätte bereits Leistungen ab dem 01.04. bzw. 01.07.2011 zusprechen müssen, ist als Anschlussbeschwerde auszulegen. Sie ist gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 567 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) auch außerhalb der Beschwerdefrist zulässig (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, Rn. 4a, 5 vor § 172). Die Anschlussbeschwerde des Antragstellers ist jedoch unbegründet. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob in dem Zeitraum vor Beschlussfassung des SG am 19.12.2011 ein Anspruch auf Leistungen bestanden hat. Jedenfalls fehlt es für die Zeit vor der Beschlussfassung durch das SG an einer Eilbedürftigkeit. Der Antragsteller hat im Erörterungstermin vom 08.03.2012 ausgeführt, seinen Lebensunterhalt mit geliehenem Geld bestritten zu haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Es ist sachgerecht, dass der Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zur Hälfte trägt. Zwar ist der Antragsgegner mit seiner Beschwerde erfolglos geblieben. Bei der Kostenentscheidung war jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit seiner Anschlussbeschwerde ebenfalls erfolglos geblieben ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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