S 16 AS 230/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 230/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 338/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der SGB II-Leistungen, insbesondere um die Gewährung eines Mehrbedarfs für die Klägerin zu 1) als stillende Mutter.

Am 27. Oktober 2010 wurde der Kläger zu 3) als gemeinsamer Sohn der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2) geboren. In dem Weiterbewilligungsantrag auf SGB II-Leistungen vom November 2010 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Mehrbedarfs, weil sie ihr Kind stille und deshalb -wie zuvor in der Schwangerschaft- erhöhte Kosten für die Ernährung anfielen.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 ergänzende SGB II-Leistungen. Einen Mehrbedarf wegen des Stillens berücksichtigte sie nicht.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger Widerspruch ein. Stillende Mütter hätten in den ersten 4 Monaten nach der Geburt des Kindes einen um 635 kcal erhöhten Mehrbedarf, ab dem 5 Monat etwa 525kcal. Dagegen ergebe sich in der Schwangerschaft lediglich ein Mehrbedarf von 255 kcal. Diese Daten seien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu entnehmen. Es stelle eine Ungleichbehandlung dar, dass schwangere Frauen einen Mehrbedarf erhielten, stillende Mütter dagegen nicht.

Nach Erlass von Änderungsbescheiden vom 5. Januar 2011 und 2. Februar 2011 wegen der Berücksichtigung von Elterngeld wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 4. März 2011 zurück. Für die Gewährung eines Mehrbedarfs fehle eine gesetzliche Grundlage. Der erhöhte Kalorienbedarf in der Stillzeit führe nicht notwendig zu einer vermehrten Nahrungszufuhr. Stillende Mütter bewegten sich weniger und könnten auf die in der Schwangerschaft angelegten Fettreserven zurückgreifen. Zudem ändere sich der in der Regelleistung des Kindes enthaltene Anteil für Ernährung, wenn dieses gestillt werde.

Mit der am 7. April 2011 erhobenen Klage wiederholen die Kläger ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Es liege ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip und Art. 6 GG (Schutz der Familie) vor.

Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20. Dezember 2010 und der Änderungsbescheide vom 5. Januar 2011 und 2. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2011 zu verurteilen, den Klägern für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 weitergehende Leistungen nach dem SGB II in der gesetzlich zustehenden Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Kläger sind durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn dieser ist rechtmäßig. Insbesondere steht der Klägerin kein Mehrbedarf wegen erhöhter Kosten durch das Stillen ihres Sohnes zu.

Die Kläger erfüllen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1 Januar 2011 bis 30. Juni 2011 unstreitig die Voraussetzungen der §§ 7 Abs. 1 und 2, § 9 SGB II. Die Klägerin zu 1) ist älter als 15 Jahre ohne die Altersgrenze des § 7a zu erreichen und ist erwerbsfähig. Die Kläger zu 2) und 3) erhalten als nicht erwerbsfähige Leistungen nach § 7 Abs. 2 SGB II, weil sie mit der erwerbsfähigen Klägerin zu 1) in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Im maßgeblichen Zeitraum konnte die Bedarfsgemeinschacht ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern und war damit hilfebedürftig.

Die Kläger zu 2) und 3) sind durch das Verfahren in eigenen Rechten betroffen, weil sich eine Erhöhung des Bedarfs der Klägerin wegen der Verteilung ihres Einkommens auf die Kläger zu 2) und 3) auch auf diese auswirkt.

Der Höhe nach hat die Beklagte zu Recht die tatsächlich anfallenden Unterkunftskosten gem. § 22 SGB II und den in § 20 SGB II vorgesehenen Regelbedarf gewährt und das Elterngeld sowie Kindergeld unter Abzug der Freibeträge als Einkommen berücksichtigt. Darüber hinausgehende Leistungen stehen den Klägern nicht zu.

Der nach § 21 Abs. 2 SGB II für werdende Mütter vorgesehene Mehrbedarf wird nur bis zur Entbindung gewährt. Es handelt sich um einen schwangerschaftsbedingten Mehrbedarf mit dem die besonderen Kosten der Schwangerschaft, wie Ernährung, Reinigung der Wäsche, vermehrte Kosten für Körperpflege, Fahrtkosten und Informationsbedarf abgedeckt werden sollen (Lang/Knickrehm in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 16 m.w.N). Eine analoge Anwendung für die Dauer der Stillzeit scheidet aus, denn es liegt weder eine Regelungslücke vor, noch ein vergleichbarer Sachverhalt.

Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II betrifft nur Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, d.h. es werden nur krankheitsbedingte Gründe erfasst (BSG, Urteil v. 10.05.2011, B 14 AS 100/10 R; Behrend in: juris-PK, 3. Aufl. 2011, § 21 SGB II Rn. 43). Vorausgesetzt wird der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Krankheit und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigeren Ernährung bzw. einem höheren Kalorienbedarf. Andere, in der Person des Hilfebedürftigen liegende Gründe für einen erhöhten Kalorienbedarf, sind nicht zu berücksichtigen.

Schließlich wird auch ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II nicht gesehen. Denn nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II ist ein Mehrbedarf unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Das Stillen eines Kindes stellt gegenüber der Ernährung mit Anfangsmilch und Brei die kostengünstigere Ernährung des Babys dar. Die entstehenden Kosten durch einen erhöhten Kalorienbedarf und Wäschebedarf der Mutter werden durch eine Einsparung bei der Ernährung des Kindes gedeckt. Eine Ungleichbehandlung der Klägerin zu übrigen Hilfebedürftigen oder eine sonstige Verletzung von Grundrechten liegt nicht vor. Es ist zu berücksichtigen, dass der Regelbedarf als Pauschale ausgestattet ist, die der Höhe nach für alle SGB II- Empfänger gleich ist. Individuelle Besonderheiten werden, abgesehen von den in § 21 genannten Fällen, nicht berücksichtigt. So haben beispielsweise körperlich schwer arbeitende Menschen einen höheren Kalorienbedarf als Menschen, die nur einer leichten körperlichen Tätigkeit nachgehen und Männer einen deutlich höheren Kalorienbedarf als Frauen. Auch Größe und Gewicht der Personen spielen für den täglichen Bedarf an Kalorien eine erhebliche Rolle, die keine Berücksichtigung im pauschalierten Regelbedarf findet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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