L 20 AS 2478/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 158 AS 23279/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 2478/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2012 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für den Monat November 2012, längstens bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. August 2012, Leistungen in Höhe von 615,51 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II –. Sie ist italienische Staatsangehörige und hält sich seit 2009 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Vom 01. Juli 2010 bis 31. August 2010 war sie als Servicekraft in B gegen Entgelt tätig. Nachdem zunächst ihr Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 03. November 2010 abgelehnt worden war, gewährte der Antragsgegner ihr mit Bescheid vom 28. Februar 2011 ab dem 15. Oktober 2010 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, zuletzt wurden ihr mit Bescheid vom 06. März 2012 Leistungen in Höhe von 690,31 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01. März 2012 bis 31. August 202 bewilligt. Diese Leistungen wurden an die Antragstellerin trotz Aufhebung der Bewilligung mit Bescheid vom 05. April 2012 für den Zeitraum ab 01. Mai 2012 erbracht, da das Sozialgericht Berlin auf Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 08. Mai 2012 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid angeordnet hatte.

Den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin vom 09. August 2012 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 24. August 2012 mit der Begründung ab, die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch.

Am 04. September 2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 04. September 2012 bis 30. September 2012 Leistungen in Höhe von 621, 28 Euro und für die Zeit vom 01. Oktober 2012 bis 30. November 2012 Leistungen in Höhe von 690, 31 Euro vorläufig zu bewilligen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei auf ihre Person nicht anwendbar.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 27. September 2012 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Antragstellerin unterfalle dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. SGB II, da sich ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Diese Vorschrift sei mit dem Europarecht vereinbar und verstoße auch nicht gegen das Europäische Fürsorgeabkommen, da dieses auf Leistungen nach dem SGB II nicht mehr anwendbar sei.

Hiergegen richtet sich die am 01. Oktober 2012 eingelegte Beschwerde, mit der die Antragstellerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Sie beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. September 2012 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für den Zeitraum vom 04. September 2012 bis 30. September 2012 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 621, 28 Euro und für die Zeit vom 01. Oktober 2012 bis 30. November 2012 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 690, 31 Euro vorläufig zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

Das Sozialgericht den Antrag der Antragstellerin zu Unrecht vollumfänglich abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Antragsteller müssen glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO), dass ihnen ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für sie mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund).

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II zu haben.

Die Antragstellerin, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin genommen hat, woran der Senat nach den Akteninhalten keine Zweifel hat, ist erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Sie ist nach ihren glaubhaften Angaben, wovon auch der Antragsgegner bei der Leistungsgewährung in der Vergangenheit ausgegangen ist, hilfebedürftig, da sie nicht über Einkommen oder Vermögen verfügt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (§ 9 Abs. 1 SGB II). Damit sind die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nach §§ 7 Abs. 1, 19 ff. SGB II gegeben.

Die Antragstellerin ist als italienische Staatsbürgerin nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen. In Betracht kommt hier allein, da die Antragstellerin sich bereits länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Danach sind von Leistungsansprüchen nach dem SGB II ausgeschlossen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin ergibt sich hier zwar allein aus dem Zweck der Arbeitssuche, die Antragsstellerin ist dennoch nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

Die Antragstellerin geht keiner Erwerbstätigkeit nach, sie ist nicht Arbeitnehmerin i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – FreizügG/EU -, sie übt auch keine selbständige Tätigkeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) aus, noch liegen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU vor. Ihr Recht zum Aufenthalt folgt aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, wonach gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt und aufenthaltsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitssuche in einem Mitgliedsstaat aufhalten.

Dies führt jedoch nicht zur Anwendung des Leistungsausschlusses für die Antragstellerin als britische Staatsbürgerin.

Der Senat ist dabei nicht davon überzeugt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG – sog. Unionsbürgerrichtlinie – gedeckt ist, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden (so auch Peters in Estelmann, SGB II, § 7 Rn. 14, und mit zutreffenden Erwägungen LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 8. Juni 2009, L 34 AS 790/09 B ER, juris (mit Entscheidung v. 30. November 2011, L 34 AS 1501/10 B ER, L 34 AS 1518/10 B PKH allerdings zweifelnd). Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie bestimmt, dass auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden darf, wenn die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II beruht auf diesen europarechtlichen Bestimmungen (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 13). Der Senat hat auch keine Bedenken, die vorliegend erstrebten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen.

Die Frage, welche Leistungen unter diesen Sozialhilfebegriff fallen, ist im Einklang mit Art. 39 Abs. 2 des EG-Vertrags (EGV) zu beantworten (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras, Koupatantze, C 22-/08 und C 23/08). Nach Art. 39 Abs. 2 EGV umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nach Art. 39 Abs. 1 EGV gewährleistet wird, die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Vor dem Hintergrund dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es nicht mehr möglich, Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, von finanziellen Leistungen auszunehmen, sofern diese den Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates erleichtern sollen (EuGH, Urteile vom 23. März 2004, Collins, C-138/02, und vom 15. September 2005, Ioannidis, C-258/04). Bei den von der Antragstellerin beantragten Leistungen handelt es sich nicht um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, sondern um staatliche Fürsorgeleistungen, die der Existenzsicherung dienen. Es ist Sache der nationalen Behörden und innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistungen zu prüfen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras, Koupatantze, C 22-/08 und C 23/08). Grundlegendes Merkmal der von der Antragstellerin begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist deren "Passivität", das heißt deren Existenz sichernde Funktion (vgl. zum Charakter des SGB II als Fürsorgegesetz: BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R, juris); sie begehrt hingegen nicht "aktive" Leistungen der Eingliederung in Arbeit (vgl. zur Trennbarkeit der Leistungen im SGB II auch ausführlich SG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2011 – S 26 AS 10021/08; Beschluss des SG Dresden vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER; so noch LSG Berlin-Brandenburg, 34. Senat, L 34 AS 790/09 B ER, a.a.O.; a.A. LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, juris, allerdings mit dem Ergebnis, dass bei der Anwendung des Art 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie bezogen auf einen Leistungsanspruch nach dem SGB II eine tatsächlichen Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt in der Person des Antragstellers vorliegen muss). Die Regelungen des SGB II führen die frühere Arbeitslosenhilfe einerseits und die frühere Sozialhilfe andererseits zusammen (BT-Drs. 15/1516, S. 44). Das bisherige Nebeneinander von zwei staatlichen Fürsorgeleistungen sollte beendet, der Grundsatz "Arbeit statt passiver Leistung" besser umgesetzt werden (a. a. O.). Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit werden aber weiterhin als aktive Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und als passive Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht (a. a. O., S. 50). Während die aktiven Leistungen den Erwerbsfähigen bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützen sollen, sollen die passiven Leistungen den Lebensunterhalt des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sichern, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können (a. a. O.). Die Antragstellerin begehrt allein Leistungen, die der Existenzsicherung dienen, und damit Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie.

Der Senat ist auch weiterhin nicht davon überzeugt, dass sich eine Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aus einem Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – VO 883/2004 – ergibt. Es werden zwar Zweifel erhoben, ob der Leistungsausschluss im SGB II mit der VO 883/2004 vereinbar ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH; SG Dresden, Beschluss vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER). Der Senat hält die Annahme der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aber nicht für zwingend.

Nach Art. 4 der VO 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, soweit mit der VO nichts anderes bestimmt ist. Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung erstreckt sich gemäß Art. 2 Abs. 1 u. a. auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der sachliche Geltungsbereich gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. h) auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Während Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 die Anwendbarkeit der VO auf die Systeme der sozialen Sicherheit regelt und damit diese einer Exportpflicht unterwirft, regelt Art. 3 Abs. 5 Lit. a) VO 883/2004 den Ausschluss der Fürsorgeleistungen vom Anwendungsbereich der VO und damit von der Exportpflicht. In Reaktion auf Ausgestaltungen von Sozialleistungssystemen in den Mitgliedsstaaten, die die Kategorisierung von Leistungen in solche der sozialen Sicherung einerseits und Leistungen der Fürsorge andererseits erschwerten und aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wurde bereits mit Art. 10a Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 eine Regelung geschaffen, die für etwaige "Mischleistungen", nämlich für besondere beitragsunabhängige Leistungen, eine Ausnahme von der generellen Exportpflicht (Art. 10 Abs. 1 VO 1408/71) vorsah. Für diese Leistungen, sofern sie denn als beitragsunabhängige Sonderleistungen von den Koordinierungsregelungen der VO erfasst waren, sollte der Leistungstransfer in das europäische Ausland ausgeschlossen werden. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises war damit nicht verbunden; bereits Art 10a Abs. 1 Satz 2 VO 1408/71 bestimmte, dass die Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedsstaat und ausschließlich nach dessen Rechtsvorschriften erbracht werden.

Auch nach Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 gilt nunmehr die (Nachfolge-)Verordnung ausdrücklich auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70. Als solche Leistungen sind gemäß Art. 70 Abs. 2 lit. c) i. V. m. Anhang X für Deutschland auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt sind, aufgeführt. Dies führt jedoch nicht zu der Annahme eines grundsätzlichen Anspruchs aller Unionsbürger auf scheinbar alle Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Art. 4 VO 883/2004 bestimmt den Gleichbehandlungsgrundsatz sofern in der VO selbst nichts anderes bestimmt ist. Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004 regelt, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnortlandes geleistet werden. Hier können Zugangsregelungen geschaffen werden. Eine Ausweitung der grundsätzlichen Leistungsberechtigungen der beitragsunabhängigen Leistungen nach nationalem Recht für alle Unionsbürger war auch mit der Regelung des Art. 70 VO 883/2004 nicht bezweckt. Dieses Verständnis entspricht der historisch-systematischen sowie teleologischen Auslegung. Die Unionsbürgerrichtlinie, die in Art. 24 Abs. 2 die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses eröffnet, und die VO 883/2004, wonach der vorgenannte Leistungsausschluss gerade nicht möglich sein soll, datieren auf denselben Tag, nämlich den 29. April 2004. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Europäische Parlament und der Rat sich widersprechende Regelungswerke in Kraft setzen wollten (vgl. zu den "Widersprüchlichkeiten" SG Dresden, a. a. O., das allerdings deshalb zu dem Schluss der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit der VO 883/2004 kommt). Dies gilt umso mehr, als mit der VO 883/2004 die Koordinierung der Sozialsysteme, aber gerade nicht die Vereinheitlichung der materiellen Standards bezweckt war (vgl. Schreiber in VO (EG) Nr. 883/2004, Kommentar, 2012, Einleitung Rn. 5), eine Aushöhlung der Möglichkeit des mitgliederstaatlichen Leistungsausschlusses auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie durch die Regelungen in VO 883/2004 also nicht beabsichtigt gewesen sein dürfte. Nach dem bisherigen materiellen Standard, der in der Verordnung (EG) Nr. 1408/71, die durch Art. 90 der VO 883/2004 überwiegend aufgehoben wurde, abgebildet ist, waren nicht auch Arbeitssuchende vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst (Art. 2 VO 1408/71; vgl. hierzu Schreiber, a. a. O. Art. 70 Rn. 5; LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, juris, Rn. 26).

Mit der Aufnahme der Leistungen zur Sicherung der Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den zuvor leeren Anhang X der VO 883/2004 mit der Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 ist damit keine Abkehr vom bisherigen materiellen Standard erfolgt, sondern auf die Einführung dieser Leistungen und der Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - SGB XII – reagiert und sichergestellt worden, dass diese Leistungen – soweit sie die weiteren Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 2 VO 883/04 erfüllen, also "Mischleistungen" sind - nicht dem generellen Exportgebot unterfallen, sondern nur in Deutschland erbracht werden (hierzu ausführlich: LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, juris, Rn. 24). Soweit es sich bei den Leistungen nach dem SGB II nicht um "besondere beitragsunabhängige" i.S. des Art. 70 Abs. 2 VO 883/04 handelt, sie reine Fürsorgeleistungen sind, sind sie weiterhin bereits nach Art 3 Abs. 5 VO 883/04 nicht von den Koordinierungsvorschriften erfasst.

Die Leistungen nach dem SGB II sind mit Aufnahme im Anhang X als insoweit besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne des Art. 70 VO 883/2004 qualifiziert, als sie – nach den vorstehenden Ausführungen – Leistungen der sozialen Fürsorge darstellen und eine Leistung der Sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen. Die Leistungen nach §§ 19 ff. "ergänzen" nicht Leistungen der sozialen Sicherheit (vgl. hierzu Fuchs, in Europäisches Sozialrecht, 5. Auflage 2010, Rn. 11), da sie nicht zusammen mit einer der von Art. 3 Abs. 1 VO 883/04 erfassten Leistung erbracht werden (hier Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III -). Die Leistungen der §§ 19 ff. SGB II ersetzen auch nicht in jeder Leistungsform eine Leistung der Sozialen Sicherheit im Sinne des Art. 3 VO 883/04, hier eine Leistung bei Arbeitslosigkeit. Ersatzweise i.S. Art. Abs. 2 VO 883/04 werden solche Leistungen gewährt, die anstelle von Regelleistungen in Versicherungsfällen nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/04 gewährt werden, es muss ein "exakt identischer Versicherungsfall" (Fuchs, a.a.O.) gegeben sein. Dies ist in den Fällen, in denen das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II, welches nicht an die Arbeitslosigkeit, sondern an die Bedürftigkeit mangels Einkommens und Vermögens trotz bestehender Erwerbsfähigkeit anknüpft, jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der reine Fürsorgecharakter der Leistung im Vordergrund steht, d.h. kein Bezug zu einem vorausgegangenen Verlust eines Arbeitsplatzes gegeben ist.

Ob die hier in Rede stehenden Leistungen der §§ 19 ff. SGB II insgesamt tatsächlich besondere beitragsunabhängige Sonderleistungen oder nicht doch insgesamt Leistungen der sozialen Fürsorge sind, wäre ggf. vom EuGH zu überprüfen (vgl. hierzu Schreiber a. a. O., Art. 70 Rn. 22). § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II regelt jedenfalls allein einen Ausschluss von reinen Fürsorgeleistungen i.S. des Art. 3 VO 883/2004. Die so verstandene Regelung der Art. 3 Abs. 3, Art. 70 VO 883/2004 führt auch nicht zu der Annahme, dass die Aufnahme der Leistungen der Grundsicherung nach §§ 19 ff. SGB etwa ins Leere läuft. Da Unionsbürger nicht generell vom Leistungsbezug nach §§ 19 ff. SGB II ausgeschlossen sind, bestand ein Regelungsbedarf dahin, diese betragsunabhängige Leistung, soweit sie eine besondere Leistung i.S. des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 ist, nicht den generellen Exportverpflichtungen der VO zu unterwerfen (Art. 7 VO 883/2004) und nur spezielle Koordinierungsregelungen für anwendbar zu erklären (so das Wohnortprinzip, Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004).

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erweist sich danach nicht als europarechtswidrig. Die Vorschrift ist jedoch auf Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 – EFA – nicht anzuwenden, weil Art. 1 EFA dies völkerrechtlich ausschließt (anders noch: Beschluss des Senats vom 21. Juni 2012, Az.: L 20 AS 1322/12 B ER). Der Senat geht dabei weiterhin davon aus, dass die Gerichte im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich nicht berechtigt sind, formelle Gesetze als unwirksam zu behandeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht hat (a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 – L 15 AS 188/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. November 2010 – L 34 AS 1501/10 B ER –, vom 17. Mai 2011 – L 28 AS 566/11 B ER –, vom 20. Juni 2011 – L 25 AS 535/11 B ER – und vom 30. September 2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2010 – L 16 AS 767/10 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 14. Juli 2011 – L 7 AS 107/11 B ER). Nur ausnahmsweise, wenn das Gericht von der Rechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm überzeugt ist und zudem die Durchsetzung der Ansprüche des Antragstellers endgültig versagt würde, kommt Art. 19 Abs. 4 GG Vorrang vor Art. 20 Abs. 3 GG zu, mit der Folge, dass ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung ergehen kann. Diese setzt jedoch eine ansonsten abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage auch im Eilverfahren voraus; für eine "Folgenabwägung" ist hingegen kein Raum (so im Ergebnis auch SG Dresden, Beschluss vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER).

Der Senat ist deshalb weiterhin der Auffassung, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Staatsangehörige, die nicht vom Schutzbereich des EFA erfasst sind, weil deren Heimatstaaten dieses Abkommen nicht ratifiziert haben, nicht wegen des Gleichbehandlungsgebotes unanwendbar ist. Etwas anderes gilt jedoch für Staatsangehörige von Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben.

Art. 1 EFA schließt als unmittelbar geltendes, spezielleres Bundesrecht die Anwendung des Ausschlusstatbestandes für Staatsangehörige von Vertragsstaaten aus. Mit Art. 1 EFA hat sich die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat verpflichtet, Staatsangehörigen anderer vertragsschließenden Staaten - wie der Antragstellerin -, die sich im Staatsgebiet erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie Bundesbürgern Fürsorgeleistungen zu gewähren. Zu diesen Fürsorgeleistungen gehörte die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11 ff. Bundessozialhilfegesetz – BSHG – (Art. 2 Abs. a und b EFA in Verbindung mit Buchst. A Anhang I zum EFA, Fassung vom 01.02.1991, BGBl II S. 686), der bis zum 01. Januar 2005 einzigen klassischen Fürsorgeleistung im Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einschränkung dieser völkervertraglichen Fürsorgegewährleistung ist nach Einführung des BSHG nur durch den bezüglich der Leistungen nach § 30 BSHG (Hilfen zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage) und nach § 70 BSHG (Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) erfolgt (Anhang II EFA, Fassung ab dem 01.12.1982 [BGBl 1983, II S. 338]; Anhang II EFA, Fassung ab dem 01.02.1991 [BGBl II S. 687]). Damit war die Fürsorgeleistung "Hilfe zum Lebensunterhalt" nach dem BSHG von der von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen völkervertraglichen Verpflichtung erfasst. Die Verpflichtung erfasst auch die Leistungen der Grundsicherung nach §§ 19 ff. SGB II. Wie bereits dargelegt handelt es sich dabei um Fürsorgeleistungen, denn sie haben lediglich begrifflich und nicht materiell die Fürsorgeleistungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige ersetzt. Die Normierung der vormalig im BSHG für alle Hilfebedürftigen geregelten Fürsorgeleistung in nunmehr zwei Regelungssystemen der Sozialhilfe, die maßgeblich im Bereich der Leistungen zum Lebensunterhalt nach der Fähigkeit, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können, differenzieren (und nicht etwa nach einem bestimmten Sicherungsniveau, einer Beitragsleistung), und die auch im Bereich der Grundsicherung nicht in einem Subsidiaritätsverhältnis stehen, hat an der Leistungsart "Fürsorgeleistung" im Sinne des EFA nichts geändert (BSG v. 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris, Rn. 32, 35; LSG Berlin-Brandenburg v. 09.05.2012, L 19 AS 794/12 B ER, L 19 AS 795/12 B PKH).

Da sich Angehörige von Vertragsstaaten des EFA direkt auf Art. 1 EFA berufen können (vgl. BSG v. 19.10.2012, B 14 AS 23/10 R, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.), ist § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II als "jüngere" Regelung im Einklang mit der von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Verpflichtung völkerrechtskonform auszulegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber spezielleres älteres Völkerrecht durch die spätere innerstaatliche Regelung außer Kraft setzen wollte, ergeben sich nicht, da ein solcher Wille bei Inkraftsetzen der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II zum 28. August 2007 (Art. 6 Abs. 9 Nr. Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl I 1970) nicht bekundet worden ist (vgl. BVerfG v. 26.03.1987, 2 BvR 589/79, 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85, juris, Rn. 35; BVerwG v. 18.05.2000, 5 C 29/98, juris, Rn. 27). Aus dem Gesetz ergibt sich ein solcher Wille ebenso wenig wie aus seiner Begründung (BT Dr. 16/688 S. 13 zu Nr. 2).

An dieser sich aus der der völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. 1 EFA ergebenen zwingenden Auslegung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hat sich auch nichts durch den von der Bundesregierung mit Wirkung zum 19. Dezember 2011 für Leistungen nach dem SGB II unter Berufung auf Art. 16 b) EFA erklärten Vorbehalt geändert (i.E. wie hier: LSG Berlin-Brandenburg v. 09.05.2012, L 19 AS 794/12 B ER, L 19 AS 795/12 B PKH, a.a.O.; Zweifel an der Wirksamkeit des Vorbehalts mit der auch hier vertretenen Begründung: LSG Rheinland-Pflaz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, a.a.O., Rn. 42, 43; a.A. LSG Berlin-Brandenburg v. 07.06.2012, L 29 AS 920/12 B ER, juris; v. 02.08.2012, L 5 AS 1297/12 B ER, juris).

Nach Art. 16 b EFA hat jeder Vertragsschließende dem Generalsekretär des Europarates alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind. Gleichzeitig kann der Vertragsschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf Staatsangehörige der anderen Vertragschließenden machen.

Bei den Regelungen des SGB II zu Leistungen der Grundsicherung nach §§ 19 ff. SGB II (bei Einführung des SGB II nach § 19 Nr. 1 SGB II) handelt es sich nämlich schon nicht um neue Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 16 b EFA, da es sich – wie bereits dargelegt – weiterhin um Regelungen der Fürsorgeleistungen handelt, die bereits von Art. 1 EFA, da ein Vorbehalt hinsichtlich dieser vormals im BSHG geregelten Leistungen, nicht erklärt worden ist, erfasst waren (so wohl BSG v. 19.10.2010, LB 14 AS 23/10 R, a.a.O., Rn. 35). Art. 16 b EFA ermächtigt die Vertragschließenden nicht, im Wege eines Vorbehalts bereits von Art. 1 EFA erfasste Verpflichtungen im Nachhinein aufzukündigen. Bezüglich Fürsorgeleistungen der Sozialhilfe hat die Bundesrepublik Deutschland einen Vorbehalt hinsichtlich der Gleichbehandlungsverpflichtung gerade nicht bezogen auf die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erklärt. Art. 16 b EFA soll den Vertragsschließenden die Möglichkeit geben, Vorbehalte hinsichtlich Rechtsvorschriften zu erklären, bezüglich derer sie bei Vertragsschluss noch keine Erklärungen abgeben konnten. Art. 16 b EFA bietet den Vertragschließenden keine Grundlage, sich aus bereits bestehenden Verpflichtungen einseitig zu lösen und den erreichten gesetzlichen Fürsorgestandard für Staatsangehörige von Vertragsschließenden des EFA nachträglich abzusenken (BVerwG v. 18.05.2000, 5 C 29/98, a.a.O., Rn. 19 f.; LSG Rheinland-Pfalz v. 21.08.2012, L 3 AS 250/12 B ER, a.a.O., Rn. 42; LSG Berlin-Brandenburg v. 23.05.2012, L 25 AS 837/12 B ER, juris, Rn. 7; a.A. LSG Berlin-Brandenburg v. 02.08.2012, L 5 AS 1297/12 B ER, a.a.O.). Dies gilt nicht nur für die Einfügung einer den Anspruch dieses Personenkreises ausschließende Norm in dem "alten" Leistungsgesetz", sondern auch bei Fortschreibung fürsorgerechtlicher Ansprüche in einem neuen Leistungsgesetz. Eine Aufkündigung bereits eingegangener Verpflichtungen über Art. 16 b EFA würde eine Umgehung der Regelung zur Kündigung des Abkommens bedeuten. Das EFA regelt nicht die teilweise Kündigung des Abkommens. Nach Art. 24 EFA verlängert sich die Geltungsdauer für die einzelnen Vertragsschließenden von Jahr zu Jahr, wenn es nicht innerhalb einer geregelten Frist (anfangs sechs Monate, nunmehr für die Bundesrepublik Deutschland ein Jahr) durch an den Generalsekretär des Europarates zu richtende Erklärung gekündigt wird. Gerade weil das Abkommen den Staatsangehörigen der Vertragstaaten auch in anderen Hoheitsgebieten Rechte aus Verpflichtungen gewährt, sind "Teilkündgungen" von bereits eingegangenen Verpflichtungen nicht vorgesehen. Andernfalls könnte sich ein Vertragsstaat einseitig aus bereits eingegangenen Verpflichtungen lösen, ohne für die Staatsangehörigen seines Landes die im Falle einer Kündigung nach Art. 24 EFA eintretenden Folgen in Kauf nehmen zu müssen.

Nach allem ist vorliegend ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach §§ 19 ff. SGB II glaubhaft gemacht. Da die Antragstellerin glaubhaft über keine Mittel verfügt, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, ist ihr auch ein Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar. Die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen für zurückliegende Zeiträume ab September 2012 kam nicht in Betracht. Insoweit fehlt es an einem Anordnungsgrund, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats insoweit nur noch Leistungen für die Vergangenheit im Streit stehen. In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Finkenburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Auflage, Anm. 431; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, das im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Die Verpflichtung des Antragsgegners war daher hier unter Berücksichtigung der Zustellungs- und Umsetzungszeiten des Beschlusses ab dem nächsten, unmittelbar bevorstehenden vollen Kalendermonat vorzunehmen. Die Verpflichtung des Antragsgegners war der Höhe nach zu begrenzen. Da der Antragstellerin nur vorläufig Leistungen zuzusprechen sind bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens, dessen Ergebnis nicht vorweggenommen werden soll, hält es der Senat zur Abwendung wesentlicher Nachteile für erforderlich aber auch ausreichend, den Antragsgegner zur Gewährung von 80 v.H. des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II von derzeit 374,00 Euro, also 299,20 Euro monatlich zzgl. der geltend gemachten und in der Vergangenheit vom Antragsgegner anerkannten Kosten der Unterkunft in Höhe von 316,31 Euro, insgesamt also 615,51 Euro zu verpflichten.

Da die Antragstellerin eine Verpflichtung längstens bis zum 30. November 2012 beantragt hat, war die Verpflichtung entsprechend zeitlich zu begrenzen. Grundsätzlich ist es des Weiteren nur erforderlich, eine einstweilige Regelung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu erlassen, da dann das Vorliegen eines Leistungsanspruchs abschließend geklärt ist. Dabei kommt es nicht auf den rechtskräftigen Abschluss an, denn es steht den jeweils unterliegenden Beteiligten (u.U. auch nur teilweise unterliegenden) frei, Rechtsmittel einzulegen. Bezieht sich daher die einstweilige Regelung auf einen Anspruch, über den im anhängigen Widerspruchsverfahren zu entscheiden ist, ist die einstweilige Anordnung jedenfalls bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zeitlich zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des gesamten Verfahrens. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass die Antragstellerin mit ihrem Antrag, den sie auch im Beschwerdeverfahren aufrechterhalten hat, nur teilweise obsiegt hat.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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