S 36 AS 1433/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
36
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 36 AS 1433/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Eine Kostenerstattung findet nicht statt. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe:

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung von Leistungen nach dem Sozialgesetz-buch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Die 1952 geborene Klägerin ist spanische Staatsangehörige und reiste erstmals im Jahr 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit, zuletzt von Juli bis Dezember 2011, erhielt die Klägerin von dem Beklagten Arbeitslosengeld II.

Am 17.02.2012 stellte die Klägerin einen neuen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Bei Antragstellung gab die Klägerin an, sich in der Zeit vom 01.10.2011 bis zum 16.02.2012 nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern wieder in Spanien, aufgehalten zu haben. Nunmehr wohne sie bei einem Bekannten in H.

Mit Bescheid vom 20.02.2012 lehnte der Beklagte den Antrag auf Bewilligung von Leis-tungen nach dem SGB II ab. Ein Antrag könne nur gestellt werden, wenn sich die Antragstellerin in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Da dies nicht der Fall sei, sei der Beklagte örtlich nicht zuständig.

Am 08.03.2012 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 28.03.2012 wurde der Antrag der Klägerin vom 17.02.2012 wieder ab-gelehnt. Die Klägerin könne keine Leistungen beanspruchen, weil sie aus einem dem Europäischen Fürsorgeabkommen angehörigen Vertragsstaat eingereist sei. Es bestünde insoweit ein Leistungsausschluss für 3 Monate nach der Einreise.

Gegen den Bescheid vom 28.03.2012 erhob die Klägerin am 04.04.2012 Widerspruch. Die Berufung auf den Leistungsausschluss sei rechtswidrig. Einerseits sei die Klägerin nicht erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, andererseits sei der Leistungsausschluss für Ausländer, die sich allein zum Zweck der Arbeit suchen Deutschland aufhalten, gemeinschaftsrechtswidrig. Ihr seien zumindest ab dem 17.02.2012 Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2012 zurückgewiesen. Es bestünde kein Leistungsanspruch, wenn sich das Aufenthaltsrecht der Klägerin aus dem Zwecke der Arbeitssuche ableitet. Dieser Leistungsausschluss sei von der maßgeblichen Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates gedeckt. Ebenso könne sich die Klägerin nicht auf das europäische Fürsorgeabkommen berufen. Bereits mit Schreiben vom 15.12.2011 habe die Bundesregierung wirksam ein Vorbehalt beim Europarat eingereicht und damit die Anwendung dieses Abkommens ausgesetzt.

Am 13.06.2012 hat die Klägerin Klage erhoben.

Wie bereits in der Widerspruchsbegründung ausgeführt, könne nicht die Rede davon sein, dass die Klägerin erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Richtig sei zwar, dass sie sich für einige Wochen in Spanien aufgehalten habe. Sie sei aber bereits im Jahr 2009 nach Deutschland gekommen und habe in der Folgezeit auch Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die gesetzliche Ausschlussfrist für 3 Monate nach der Einreise sei mithin abgelaufen. Mit Ausnahme eines befristeten Arbeitsvertrages als Zustellerin, der seit dem 02.10.2009 lief und zum 06.03.2010 endete, sei es der Klägerin nicht gelungen, eine Arbeitsstelle zu finden. Auch die Teilnahme an einem Integrationskurs sei aufgrund der fehlenden Freizügigkeitsbescheinigung nicht möglich gewesen. Im Übrigen nimmt die Klägerin Bezug auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 28.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 21.05.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 17.02.2012 bis zum 31.05.2012 einschließlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin sei nach geltenden Gesetzeslage nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II auch als Bürgerin der Europäischen Union vom Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Dies gelte nicht nur für 3 Monate, sondern unbegrenzt. Auf den Vorbehalt gegenüber dem Europäischen Fürsorgeabkommen habe der Beklagte bereits im Widerspruchsbescheid hinwiesen. Damit spiele es keine Rolle, ob es sich um eine erstmalige, oder wiederholte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland handle. Etwaige Bewilligungen vor oder nach dem streitgegenständlichen Zeitraum seien ein Versehen gewesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen am 11.03.2013 hat der Beklagte den Bescheid vom 20.02.2012 aufgehoben und klargestellt, dass sich der Bescheid vom 28.03.2012 auch auf den Antrag vom 17.02.2012 beziehen soll.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

Streitgegenständlicher Zeitraum dieser Klage ist die Zeit vom 17.02.2012 bis zum 31.05.2012. Der Beklagte hat Bescheid vom 20.02.2012 aufgehoben und die Wirkung des Bescheids vom 28.03.2012, auch auf den Antrag vom 17.02.2012 erstreckt.

Die Klägerin ist nicht im Sinne des § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn der Bescheid des Beklagten vom 28.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.05.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Sie hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Nur erwerbsfähige Leistungs-berechtigte erhalten Arbeitslosengeld II (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II).

Die Klägerin ist jedoch nicht leistungsberechtigt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind insbesondere Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU – FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind und deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen.

Die Klägerin hält sich allein zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland auf. Ein weiteres Aufenthaltsrecht – wenn auch abgeleitet – ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Klägerin nicht mehr als Arbeitnehmerin gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 oder § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach sind Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Diese Eigenschaft bleibt unberührt bei unfreiwilliger, durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit. Die Arbeitnehmerstellung der Klägerin endete bei einer Tätigkeitsdauer von unter einem Jahr aufgrund der im Arbeitsvertrag vorgesehenen Befristung. Ein Daueraufenthaltsrecht hat die Klägerin (noch) nicht erworben. Hierzu ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 in Verbindung mit § 4a FreizügG/EU grundsätzlich ein Aufenthalt von fünf Jahren notwendig.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nach Auffassung der Kammer entgegen der Auffassung der Klägerin mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft vereinbar.

Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber von einer Option Gebrauch machen, die Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 (im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) den Mitgliedstaaten einräumt (Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 16/5065, Seite 234). Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob der Vorbehalt der Richtlinie 2004/38/EG einerseits mit dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: VO 883/2004) vereinbar ist, andererseits nicht das europäische Fürsorgeabkommen (EFA) die Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausschließt (mit Rechtsprechungsübersicht: Landessozialgericht (LSG) NRW, Beschluss vom 02.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER, L 19 AS 1394/12 m. w. N.).

Die Kammer vermag diese Bedenken nicht zu teilen.

Der aufgrund der Richtlinie 2004/38/EG erklärte Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 VO 883/2004.

Nach Art. 4 VO 883/2004 haben, sofern nichts anderes bestimmt ist, Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, wie die Angehörigen dieses Staates selbst. Der persönliche Anwendungsbereich dieses Gleichbehandlungsanspruchs ist nach Art. 2 VO 883/2004 eröffnet für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats – wie die Klägerin als spanische Staatsangehörige – für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen. Nach der Definition des Art. 1 Buchst. I) VO 883/2004 sind "Rechtsvorschriften" für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit. Nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die bestimmte Zweige der sozialen Sicherheit betreffen, so unter anderem Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Diese Leistungen begehrt die Klägerin jedoch gerade nicht. Sie macht Arbeitslosengeld II als beitragsunabhängige Sozialleistung gelten. Die beitragsunabhängigen Leistungen, die in Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 ausdrücklich und separat genannt sind, sind hingegen vom persönlichen Anwendungsbereich des Gleich-behandlungsgebots nicht umfasst, weil Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 ausdrücklich nur auf Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 und nicht auf Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 verweist (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.06.2012 – L 29 AS 914/12 B ER).

Im Übrigen ist auch der sachliche Geltungsbereich der VO 883/2004 nicht eröffnet. Nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften in bestimmten, abschließend aufgezählten Zweigen der sozialen Sicherheit. Außerdem gibt diese Verordnung nach Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 auch für besondere beitragsunabhängige Geldleistung, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und ihre Anspruchsvoraussetzung sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit, als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen sind nach der Legaldefinition des Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 Leistungen, die dazu bestimmt sind, einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, dass in Beziehung zu den wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht und deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängt und die in Anhang X aufgeführt sind. Zwar sind im Anhang X zu Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 für die Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr 2009 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufgezählt. Allein die Aufzählung der Leistungen nach dem SGB II genügt zur Öffnung des sachlichen Geltungsbereichs allerdings nicht. Die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung müssen zudem kumulativ auch die in Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Voraussetzungen erfüllen, was durch das Wort "und" jeweils klargestellt wird (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Besondere Beitrags unabhängige Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift liegen mithin nur vor, wenn sie insbesondere einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken gewähren, die von den in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Dies ist schon alleine deshalb nicht der Fall, weil die Leistungen nach dem SGB II alleine von der Bedürftigkeit abhängen, während die Leistungen bei Arbeitslosigkeit vom (vorherigen) Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses abhängig sind.

Diese Auslegung steht auch nicht im Wertungswiderspruch zu der Richtlinie 2004/38/EG.

Nach Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG genießt vorbehaltlich spezifischer und aus-drücklich im Vertrag und dem abgeleiteten Recht vorgesehenen Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrages die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Abweichend hiervon ist der Mitgliedstaat nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmer oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen während der ersten 3 Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Richtlinie 2004/38/EG ein Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen einschließlich Beihilfen zu Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Der vermeintliche Wertungswiderspruch lässt sich jedoch mit einer Auslegung anhand der Zielsetzungen der VO 883/2004 einerseits und der Richtlinie 2004/38/EG andererseits auflösen. Mit der vorgenannten Richtlinie soll im Wesentlichen das allgemeine Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gesichert werden (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Dieses soll aber ausweislich der Regeln der Richtlinie nicht generell und uneingeschränkt bestehen. So stellt beispielsweise Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG klar, dass eine Unionsbürger ein Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über 3 Monaten letztlich nur hat, wenn er über aus-reichende Existenzmittel verfügt, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch nehmen muss und er und seine Familienangehörigen einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz haben. Die VO 883/2004 hingegen soll vorrangig der Sicherung erworbener Anwartschaften im Falle eines Wohnortwechsels in einen anderen Mitgliedsstaat dienen (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Sie bezweckt jedoch nicht die Förderung einer allgemeinen Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zur Inanspruchnahme beitragsunabhängige Sozialleistungen eines anderen Mitgliedstaates (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Anderenfalls würde nicht nur Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG, sondern wesentliche Grundsätze der Richtlinie insgesamt – wie der bereits angesprochene Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG – ins Leere laufen (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.).

Das EFA ist nach Auffassung der Kammer nicht anwendbar. Die Bundesregierung hat am 19.12.2011 gegen die Anwendung des SGB II und des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) folgenden Vorbehalt fixiert:

"Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeit suchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden."

Gegen die Wirksamkeit dieses Vorbehalts bestehen keine Bedenken. Er beruht auf Art. 16b Satz 2 EFA. Nach Art. 16a EFA haben die Vertragschließenden den Generalsekretär des Europarates über jede Änderung ihrer Gesetzgebung zu unterrichten, die den Inhalt von Anhang I und III berührt. Gemäß Art. 16b EFA hat jeder Vertragschließenden den Generalsekretär des Europarates alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind. Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließenden Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen (Art. 16b Satz 2 EFA). Dieser Verpflichtung ist die Bundesrepublik Deutschland mit oben genannter Erklärung nachgekommen. Als neue Rechtsvorschriften wurden sowohl das SGB II, als auch das SGB XII mitgeteilt. Die Kritik, das SGB II und das SGB XII seien keine neuen Rechtsvorschriften (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.), teilt die Kammer nicht. Zwar waren beide Gesetze zum Zeitpunkt der Erklärung des Vorbehalts bereits mehrere Jahre in Kraft. Welche Gesetze als neue Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 16b EFA anzusehen sind, ergibt sich jedoch schon aus dem Wortlaut der Regelung. Dort wird ausdrücklich erwähnt, dass den Generalsekretär "alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen sind, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind." Im Anhang I war weder das SGB II, noch das SGB XII bis zum Zeitpunkt der Erklärung des Vorbehalts aufgeführt. Dementsprechend handelt es sich um neue Rechtsvorschriften im Sinne des EFA (LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Die Aufnahme in den Anhang I zum EFA und die Erklärung des Vorbehalts erfolgten mithin gleichzeitig. Die ent-gegenstehende Meinung verkennt, dass sonst der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 1 EFA bereits geltend würde, obwohl entgegen der ausdrücklichen Regelung dieses Ab-kommens eine solche nur dann erfolgt, wenn das entsprechende Gesetz auch im Anhang I zum EFA genannt wird.

Auf die Frage der Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II kommt es mithin nicht mehr an.

Die Beiladung des Sozialhilfeträgers ist entbehrlich. Auch ein Anspruch auf Sozialhilfe ist nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Diese Voraussetzungen sind wie bereits dargestellt erfüllt. Gegen die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit europäischem Gemeinschaftsrecht bestehen nach obigen Ausführungen ebenfalls keine Bedenken.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 193,183 SGG.

Die Berufung ist zuzulassen, da der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist höchstrichterlich nicht geklärt und in Rechtsprechung und Litera-tur umstritten.
Rechtskraft
Aus
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