L 13 AS 1389/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 5016/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1389/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Wiederbegründen eines ""gewöhnlichen Aufenthalts"" i.S.v. § 30 Abs. 1 SGB I in Deutschland erfordert mehr als ein tage- oder stundenweiseVerweilen im Bundesgebiet.

Die (teilweise) Ausnahme der Erstattung der Kosten der Unterkunft nach § 40 SGB II ist dann nicht gerechtfertigt, wenn ein Bedarf ohnenhin nicht bestand.


L 13 AS 1389/11

S 10 AS 5016/06

Im Namen des Volkes Urteil

Der 13. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2013 für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Juli 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 21. April 2006, die Erstattung der im Monat März 2006 gewährten Leistungen in Höhe von 720,62 EUR sowie die Weitergewährung von Leistungen für die Zeit vom 23. März 2006 bis zum 21. April 2006 streitig.

Die 1954 geborene Klägerin stand seit dem 1. Januar 2005 im Leistungsbezug des Beklagten. Auf ihren Fortzahlungsantrag vom 6. Oktober 2005 gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Oktober 2005 für die Zeit vom 1. November 2005 bis zum 30. April 2006 Leistungen in Höhe von monatlich 720,62 EUR, welche sich aus der Regelleistung in Höhe von 345,00 EUR sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 375,62 EUR zusammensetzten.

Am 23. Februar 2006 beantragte die Klägerin Reisekostenbeihilfe für die Aufnahme einer Tätigkeit auf Gran Canaria (Spanien) ab dem 1. März 2006. Sie teilte dem Beklagten mit, sie fliege am 27. Februar 2006 nach Gran Canaria und vermiete ihre Wohnung in F. ab dem 1. März 2006 unter. Sie lebe dann auf Gran Canaria. Ein Flugticket über einen Flug von Frankfurt nach Las Palmas am 27. Februar 2006 wurde vorgelegt.

Mit Bescheid vom 30. März 2006 hob der Beklagte die Bewilligung ab dem 1. März 2006 ganz auf und gab zur Begründung an, die Klägerin habe sich ab dem genannten Zeitpunkt (1. März 2006) abgemeldet, sie sei zum 1. März 2006 nach Gran Canaria verzogen. In der Zeit vom 1. März 2006 bis zum 31. März 2006 seien Leistungen in Höhe von insgesamt 720,62 EUR (345,00 EUR Arbeitslosengeld II und 375,62 EUR Leistungen für Unterkunft und Heizung) zu Unrecht gezahlt worden und durch die Klägerin zu erstatten.

Am 23. März 2006 stellte die Klägerin im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei dem Beklagten einen erneuten Antrag auf Arbeitslosengeld II. Sie gab an, dass ihr Arbeitsangebot auf den kanarischen Inseln sich zerschlagen habe, die Wohnung in F. sei aber noch untervermietet. Bei einem weiteren Gespräch am 10. April 2006 berichtete die Klägerin von dem Fehlschlag ihrer Arbeitsaufnahme auf Gran Canaria. Mit E-Mails vom 13. April 2006 und 19. April 2006 teilte sie mit, sie habe den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erhalten. Nachdem sie die Arbeit in Spanien nicht habe aufnehmen können und sich am 23. März 2006 bei dem Beklagten zurückgemeldet habe, erhebe sie Widerspruch und bitte, die Erstattung auf die ersten drei Wochen des März zu beschränken. Die Aufforderung des Beklagten vom 19. April 2006, mitzuteilen, wo sie sich seit dem 23. März 2006 überwiegend aufhalte und eine schriftliche Bestätigung der Untermieterin in F. vorzulegen, beantwortete sie nicht. Der Beklagte vermerkte (Bl. 81 der Verwaltungsakte), die Klägerin habe bei der Antragsabgabe am 23. März 2006 und beim Zweitgespräch am 10. April 2006 erklärt, sie wohne derzeit bei ihrer Tochter in B ... Am 20. April 2006 bestätigte die Klägerin per Mail, dass sie in B. wohne, weil sie auf den Auszug der Untermieterin aus ihrer Wohnung warte. Am 21. April 2006 teilte die Klägerin im Rahmen einer persönlichen Vorsprache mit, sie werde vorübergehend zu einer Bekannten nach D. ziehen. Eine entsprechende Anmeldebestätigung der Stadt D. vom 22. April 2006 wurde im späteren Verwaltungsverfahren vorgelegt (Bl. 182 der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 28. April 2006 bewilligte die Arge D. der Klägerin ab dem 24.04.2006 bis zum 31. Oktober 2006 monatliche Leistungen in Höhe von 445,00 EUR.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. April 2006 den Antrag der Klägerin auf Wiederaufnahme der Zahlung von Grundsicherungsleistungen ab. Zur Begründung gab sie an, die Klägerin habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sodass gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II kein Anspruch auf Leistungen bestehe.

Mit Schreiben vom 30. April 2006 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 26. April 2006 ein. Sie schilderte erneut die fehlgeschlagene Arbeitsaufnahme in Spanien. Weiter gab sie an, ihr Lebensmittelpunkt liege nach wie vor in F., nur sei die Wohnung durch die Untermieterin blockiert. Um nicht obdachlos zu werden, habe sie vorübergehend bei ihrer Tochter in B. gewohnt und sich nunmehr, um wieder eine Adresse in Deutschland zu haben, bei einer Freundin in D. gemeldet und dort auch einen Leistungsantrag gestellt. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006, zugegangen am 11. Mai 2006, legte die Klägerin wiederum Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. März 2006 ein.

Seit Juli 2006 hält sich die Klägerin wieder in F. auf; mit Bescheid vom 4. August 2006 gewährte der Beklagte Leistungen ab dem 1. Juli 2006 weiter. Der Bevollmächtigte der Klägerin teilte am 12. Juli 2006 mit, er bitte, den Widerspruch der Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. März 2006 als Rücknahmeantrag gemäß § 44 SGB X zu werten, weil der Widerspruch verfristet sei. Die Klägerin habe auch nach ihrer Rückkehr aus Spanien weiterhin ihren Wohnsitz in Deutschland gehabt, diesen habe sie nicht aufgegeben, weil sie in Spanien keine Arbeit habe aufnehmen können. Trotz Übernachtung in B. habe die Klägerin weiterhin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in F. gehabt. Einem Umzug in die Schweiz hätten auch ausländerrechtliche Vorschriften entgegengestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2006 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. März 2006 als unbegründet zurück. Der Widerspruch sei rechtzeitig durch Mail erhoben worden, aber unbegründet, weil die Klägerin nach objektiven und subjektiven Kriterien betrachtet keinen Wohnsitz in F. mehr gehabt habe. Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2006 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 26. April 2006 als unbegründet zurück und verwies ebenfalls auf einen fehlenden inländischen Wohnsitz.

Am 10. Oktober 2006 hat die Klägerin Klage gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 beim Sozialgericht F. (SG) erhoben. Die Klage ist unter dem Aktenzeichen S 10 AS 5016/06 geführt worden.

Am 16. Oktober 2006 hat die Klägerin Klage gegen den Ablehnungsbescheid vom 26. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 erhoben, welche unter dem Aktenzeichen S 10 AS 5109/06 geführt worden ist.

Beide Klagen sind damit begründet worden, dass die Klägerin sich auch über den 1. März 2006 hinaus weiter im Zuständigkeitsbereich des Beklagten regelmäßig aufgehalten habe. Zwar habe die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland zugunsten einer Tätigkeit auf Gran Canaria aufgeben wollen; hierzu sei es wegen der gescheiterten Arbeitsaufnahme aber nie gekommen. Tatsächlich habe sie sich ab dem 23. März 2006 bis zum 22. April 2006 regelmäßig in F. aufgehalten. Sie habe zudem auf die Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vertrauen dürfen. Die Leistungen habe sie verbraucht. Art. 69 VO (EWG) Nr. 1408/71 sichere dem Arbeitslosen wirtschaftliche Grundsicherungsleistungen für drei Monate nach Wegzug ins EU-Ausland, bereits hieraus ergebe sich der geltend gemachte Anspruch der Klägerin.

Durch das SG sind die Verfahren mit Beschluss vom 26. Juni 2009 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen S 10 AS 5016/06 verbunden worden.

Mit Urteil vom 7. Juli 2009 hat das SG die Klagen abgewiesen. Der schriftliche Widerspruch der Klägerin vom 30. April 2006 gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. März 2006 sei zwar nach Ablauf der Monatsfrist ab Zugang spätestens am 23. März 2006 verspätet und die E-Mails vom 13. April 2006 und vom 19. April 2006 mangels Unterschrift entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten formunwirksam, die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides sei aber unrichtig gewesen. Sie sei an die alte Adresse der Klägerin gerichtet gewesen, obwohl der Beklagte gewusst habe, dass die Klägerin mittlerweile in Spanien lebe. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung setze die Jahresfrist des § 66 SGG in Gang. Zudem habe der Beklagte als Herr des Vorverfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2006 sachlich entschieden, sodass keine Bindungswirkung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides eingetreten sei. Eine Fristverletzung gelte hierdurch als geheilt, sodass im weiteren Verfahren die Zulässigkeit des Widerspruchs nicht mehr zu prüfen sei. Der Beklagte verlange zu Recht die Erstattung von 720,62 EUR nach Aufhebung des Bewilligungsbescheids für März 2006. Ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen habe für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 21. April 2006 nicht bestanden. Die Klägerin habe sich unstreitig bei dem Beklagten zum 1. März 2006 wegen Arbeitsaufnahme aus dem Leistungsbezug abgemeldet. Unwesentlich sei dabei, dass es sich um eine (geplante) Beschäftigung außerhalb Deutschlands gehandelt habe, denn unabhängig davon, dass die Regelungen über- bzw. zwischenstaatlichen Rechts innerhalb der Europäischen Union Freizügigkeit von Arbeitnehmern anordne, beende die Abmeldung aus dem Leistungsbezug den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Mit dem Flug nach Gran Canaria am 27. Februar 2006 habe die Klägerin dem Beklagten, der für den Bereich F. zuständig sei, weder zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden noch sei sie zur Arbeitsvermittlung erreichbar gewesen. Die Klägerin habe sich unstreitig erst am 23. März 2006 bei dem Beklagten arbeitsuchend gemeldet. Entscheidend sei insoweit nicht, ob die Klägerin in dem Zeitraum 1. bis 22. März 2006 in Arbeit gestanden habe, sondern, dass sie erst am 23. März 2006 dem Beklagten mitgeteilt habe, keine Arbeit zu haben. Erst ab diesem Zeitpunkt hätte die Klägerin die fortbestehende Arbeitslosigkeit der Klägerin erkennen können. Dazwischen sei die Klägerin jedenfalls nicht erreichbar im Sinne der Erreichbarkeitsanordnung vom 23. Oktober 1997 gewesen. Dies sei der Klägerin auch sinngemäß bewusst gewesen, als sie in ihrem Widerspruch darauf hingewiesen habe, dass sie "für die ersten drei Wochen des März" keinen Widerspruch gegen die Aufhebungsentscheidung des Beklagten erhebe. Für die Zeit vom 23. März 2006 bis 31. März 2006 hätten die Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach dem SGB II ebenfalls nicht vorgelegen. Der Lebensmittelpunkt der Klägerin habe sich in diesem Zeitraum nicht in Deutschland befunden. Dies sei bei einem gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin in der Schweiz nicht der Fall. Es möge zwar zutreffen, dass sich die Klägerin gelegentlich in F. aufgehalten habe, so etwa nachgewiesenermaßen am 23. März 2006, als sie sich bei dem Beklagten arbeitsuchend gemeldet habe. Auch möge es sein, dass die Klägerin einen Rückkehrwillen hatte. Tatsächlich habe sie ihre Wohnung aber am 27. Februar 2006 durch Untervermietung ohne eigenes Wohnrecht aufgegeben, sei zur Arbeitsaufnahme nach Gran Canaria geflogen und habe nach Rückkehr jede Nacht bei ihrer Tochter in B. übernachtet, wo sie offenbar auch ihre persönlichen Gegenstände verwahrt habe. Die Lebensverhältnisse seien mithin nicht so gestaltet gewesen, dass die Klägerin in F. "gewohnt" hätte. Das SG habe sich auch wegen der eingeschränkten Barmittel der Klägerin nicht davon überzeugen können, dass sie jeden Tag nach F. zurückgekehrt wäre. Belege dazu seien nicht vorgelegt worden. Nachdem die Schweiz nicht Mitgliedsstaat der EU sei, könne es dahinstehen, ob nach dem zwischen- bzw. überstaatlichen Recht innerhalb der EU eine andere Beurteilung zugetroffen hätte. Bis zum 31. März 2006 hätten damit die Voraussetzungen für eine Leistungsbewilligung nicht mehr vorgelegen. Eine wesentliche Änderung sei dadurch eingetreten, dass die Klägerin nicht mehr leistungsberechtigt gewesen sei. Für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 22. März 2006 habe auch Kenntnis vom Wegfall des Anspruchs bestanden, denn die Klägerin habe mit ihrem Widerspruch, der sinngemäß auf die Zeit ab dem 23. März 2006 beschränkt gewesen sei, das Wissen und den Leistungsausschluss bis zum Neuantrag am 23. März 2006 klargestellt. Für die Zeit vom 23. März 2006 bis zum 31. März 2006 hätte die Klägerin erkennen können und müssen, dass ihr kein Leistungsanspruch zugestanden habe, nachdem sie keinen Wohnsitz im Inland gehabt habe. Sie hätte wissen müssen, dass ihr für die Zeit in Spanien keine Grundsicherungsleistungen zustanden. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen zu erkennen, dass sie bei einem gewöhnlichen, wenn auch nur auf wenige Wochen beschränkten Aufenthalt in der Schweiz ebenfalls im Ausland gewohnt habe und deswegen die Existenzsicherung durch einen deutschen Sozialleistungsträger sehr zweifelhaft sein musste. Im März habe sie, möglicherweise um den Auslandsaufenthalt in B. nicht thematisieren zu müssen, einen Neuantrag mit ihrer F.er Adresse gestellt, obwohl sie dort nicht gewohnt habe. Im April habe sie sich pro forma in ihrer Geburtsstadt D. angemeldet, obwohl sie dort nicht gelebt habe, um Grundsicherungsleistungen zu bekommen. Es bestehe daher der Eindruck, dass die Klägerin ihren tatsächlichen Aufenthalt im März/April 2006 bei der Tochter in B. verschleiert habe, was aber nur Sinn mache, wenn sie um die leistungsrechtlichen Konsequenzen gewusst habe bzw. diese grob fahrlässig nicht wahrgenommen habe. Ein Anspruch auf Leistungen bis zum 21. April 2006 habe nicht bestanden, da die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt habe.

Gegen das am 16. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 17. August 2009, einem Montag, Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Ein Anspruch auf Leistungen ergebe sich aus Art. 69 VO (EWG) Nr. 1408/71. Ungeachtet der Ausreise nach Spanien habe die Klägerin weiterhin Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB II. § 7 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in der in den Monaten März und April 2006 geltenden Fassung werde insofern durch Art. 69 VO (EWG) 1408/71 verdrängt. Die Verordnung sei unmittelbar geltendes Recht und im Verhältnis zu Bundesrecht vorrangig. Anspruch auf Fortzahlung von Leistungen der Arbeitslosenunterstützung bestehe dann, wenn ein vollarbeitsloser Arbeitnehmer oder Selbstständiger, der die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates - hier also für Deutschland - erfülle und sich in einen anderen Mitgliedsstaat begebe, um dort eine Beschäftigung zu suchen. Er behalte den Anspruch auf die im Herkunftsstaat gewährte Leistung unter der Voraussetzung, dass er im Herkunftsstaat vor seiner Abreise für den Zeitraum von mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung gemeldet und dieser zur Verfügung gestanden habe. Dies treffe auf die Klägerin zu. Zwar habe die Klägerin sich nicht innerhalb von sieben Tagen nach Abreise aus Deutschland beim zuständigen Träger in Gran Canaria gemeldet, Ursache dafür sei jedoch, dass sie von der Beklagten nicht darauf hingewiesen worden sei, dass eine solche Obliegenheit bestehe oder gegebenenfalls bestehen könne. Der Beklagte habe gewusst, dass die Klägerin nach Gran Canaria gehen würde, um dort erwerbstätig zu werden. Es habe ihr daher oblegen, die Klägerin auf die Regelung des Art. 69 VO (EWG) 1408/71 hinzuweisen. Ein Anspruch auf Leistungsfortzahlung habe nur für drei Monate bestanden. Art. 69 VO (EWG) 1408/71 sei weit auszulegen, denn andernfalls genösse der Arbeitslose nicht die in Art. 39 statuierte Freizügigkeit. Das SG habe einen Anspruch auf den streitgegenständlichen Zeitraum im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass die Klägerin in diesem Zeitraum nicht erreichbar im Sinne der Erreichbarkeitsanordnung gewesen sei. Hierbei sei übersehen worden, dass § 7 Abs. 4a SGB II erst durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 eingeführt worden sei und damit erst zum 1. August 2006 in Kraft getreten sei. Es treffe auch nicht zu, dass notwendig sei, dass der Anspruchsinhaber "in Deutschland arbeitslos gemeldet" sei. Weder tatsächliche Arbeitslosigkeit, noch die Meldung als Arbeitsloser sei Voraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin habe im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in F. gehabt. Zwar habe die Absicht bestanden, den gewöhnlichen Aufenthalt nach Gran Canaria zu verlegen, was aber daran gescheitert sei, dass die Erwerbstätigkeit in Gran Canaria gescheitert sei. Auch nach Rückkehr aus Gran Canaria sei ihr gewöhnlicher Aufenthalt die Stadt F. gewesen. Es komme nicht darauf an, dass sie für einen vorübergehenden Zeitraum in B. habe nächtigen müssen. Ebenso wenig komme es darauf an, dass sie sich für einen daran anschließenden Zeitraum vorübergehend nach D. begeben habe. Weder die Inanspruchnahme einer Übernachtungsgelegenheit in B., noch der vorübergehende Aufenthalt in D. seien aus freien Stücken geschehen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid berücksichtige darüber hinaus § 40 Abs. 2 SGB II nicht.

Am 27. September 2010 hat der damalige Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, wegen dessen Inhalts auf die Niederschrift (Bl. 50/56 der Akte) Bezug genommen wird. Im Hinblick auf die beim Bundessozialgericht anhängige Rechtsfrage (Verfahren B 4 AS 14/10 R) haben die Beteiligten das Ruhen des Verfahrens beantragt, welches mit Beschluss vom 27. September 2010 angeordnet wurde.

Mit Schriftsatz vom 30. März 2011 hat der Klägervertreter das Verfahren wieder angerufen und vorgetragen, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30. März 2006 sei bereits deswegen aufzuheben, weil eine Anhörung im Sinne des § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht erfolgt sei; eine Nachholung sei nicht mehr möglich.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Juli 2009 wird aufgehoben. 2. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 30. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 wird aufgehoben. 3. Der Verwaltungsakt des Beklagten vom 26. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 23. März 2006 bis zum 21. April 2006 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren sowie die Ausführungen des SG. § 40 Abs. 2 SGB II sei im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar. Zur Begründung des § 40 Abs. 2 SGB II sei im Gesetzesentwurf (BT-Drucksache 15/1516, S. 63) ausgeführt, mit der Beschränkung der Erstattungspflicht solle bewirkt werden, dass sich der Ausschluss der Empfänger des Arbeitslosengeld II und des Sozialgeldes nach dem nach SGB II vom Wohngeld nach § 1 Abs. 2 WoGG rechtlich und tatsächlich nicht auf die Betroffenen auswirke. Das Wohngeld unterliege grundsätzlich nicht der Rückforderung. Die Betroffenen würden durch den teilweisen Ausschluss der Rückforderung so gestellt, wie sie stünden, wenn sie Wohngeld erhalten hätten. Nach Ansicht des Beklagten sei § 40 Abs. 2 SGB II einschränkend so auszulegen, dass grundsätzlich überhaupt ein Anspruch auf Wohngeld denkbar gewesen sein müsse. Nach § 3 Abs. 1 WoGG sei wohngeldberechtigt jede natürliche Person, die Wohnraum gemietet und diesen selbst genutzt habe. Dies sei im vorliegenden Fall mehr als fraglich, da die Wohnung der Klägerin in F. nicht selbst genutzt worden, sondern durch diese untervermietet worden sei. Die Fallgestaltung der Entscheidung des BSG vom 9. November 2010 (Az. B 4 AS 37/09) sei mit derjenigen im vorliegenden Verfahren nicht vergleichbar. Im vorliegenden Fall werde die Aufhebung der Bewilligung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X gestützt. Die Äußerung der Klägerin im Widerspruchsverfahren sei als Stellungnahme zu dieser Aufhebungsvorschrift zu sehen, das Ziel einer Anhörung sei mithin erreicht worden. Auch die Ausführungen zur Erreichbarkeitsanordnung führten zu keinem anderen Ergebnis, da davon auszugehen sei, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland gehabt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Akten des SG und der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 2 und 3 SGG statthafte Berufung ist zulässig, sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden, sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klagen zurecht abgewiesen. Gegenstand der isolierten Anfechtungsklage ist der Bescheid vom 30. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006, mit dem die mit Bescheid vom 6. Oktober 2005 erfolgte Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 21. April 2006 aufgehoben und die Erstattung der im Monat März gezahlten Leistungen in Höhe von 720,62 EUR verlangt wurde. Der Bescheid vom 26. April 2006 wurde nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des bereits anhängigen Widerspruchsverfahrens soweit die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 23. März 2006 bis zum 21. April 2006 im Streit steht. Soweit die Klägerin die Gewährung von Leistungen ab dem 23. März 2006 bis zum 21. April 2006 begehrt, kommt dem Antrag Ziffer 3 im Wesentlichen klarstellende Bedeutung zu. Für die Zeit ab dem 22. April 2006 wurden jedenfalls im Klageverfahren keine Leistungen mehr von dem Beklagten beansprucht, so dass die mit Bescheid vom 30. März 2006 erfolgte Aufhebung sowie die Ablehnung durch Bescheid vom 26. April 2006 für die Zeit ab dem 22. April 2006 bestandskräftig im Sinne des § 77 SGG geworden ist.

Der Aufhebungsbescheid vom 30. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Rücknahmebescheid ist formell rechtmäßig und nicht wegen Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtswidrig. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach Absatz 2 der Vorschrift kann unter bestimmten - hier nicht einschlägigen - Ausnahmen von der Anhörung abgesehen werden. Eine ausdrückliche Anhörung ist durch den Beklagten vor Erlass des Aufhebungsbescheids zwar nicht durchgeführt worden, dieser Verfahrensfehler wurde aber durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren geheilt. Eine Heilung kann nach den mit der Anhörung verfolgten Funktionen noch während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen während des Vorverfahrens, z. B. durch Einlegung des Widerspruchs, hinreichende Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, Urteil vom 9. November 2010, B 4 AS 37/09 R - Juris, Rdnr. 17, m.w.N.). Um der Anhörungspflicht zu genügen bzw. diese wirksam nachzuholen, hat die Behörde im Ausgangsbescheid alle entscheidungserheblichen Haupttatsachen mitzuteilen, auf die er die Rücknahme auf Grundlage ihrer Rechtsansicht stützen will. Entscheidungserheblich im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, d. h. die Tatsachen, auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat. Nachdem der Beklagte im Aufhebungsbescheid vom 30. März 2006 sowohl den Grund für die Aufhebung - Umzug nach Gran Canaria - als auch die subjektiven Aufhebungsvoraussetzungen - die Klägern wusste oder hätte wissen müssen, dass der zuerkannte Anspruch wegfiel - angeführt hat, waren der Klägerin alle für die Aufhebungsentscheidung maßgebenden Tatsachen bekannt und sie hatte Gelegenheit, hierzu im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Stellung zu nehmen. Der Verfahrensmangel ist durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung des der Klägerin Arbeitslosengeld II u. a. für die Zeit vom 1. März 2006 bis zum 21. April 2006 gewährenden Bescheides vom 7. Oktober 2005 ist § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III und § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Abs. 1 Satz 1). Dies soll - rückwirkend - ab dem Zeitpunkt der Änderung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 4 SGB X u. a. erfolgen, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Insoweit ist entgegen § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X ("soll") nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III auch in atypischen Fällen keine Ermessensausübung geboten.

Mit der Ausreise der Klägerin am 27. Februar 2006 nach Gran Canaria ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eingetreten.

Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 SGB II in der hier maßgeblichen, vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2003 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (a. F.) Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Die Klägerin hatte jedenfalls in der hier allein streitgegenständlichen Zeit vom 1. März 2006 bis zum 21. April 2006 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Entgegen der durch das SG vertretenen Auffassung ist der Leistungsanspruch nicht bereits wegen fehlender Erreichbarkeit der Klägerin ausgeschlossen. § 7 Abs. 4a SGB II, wonach keine Leistungen nach dem SGB II erhält, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält, wurde erst zum 1. August 2006 und damit nach dem hier streitigen Zeitraum eingeführt.

Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II a.F. aber schon deshalb nicht, weil sie im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland hatte, wie dies § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II a.F. i.V.m. § 30 SGB I voraussetzt, sondern in Spanien bzw. später in der Schweiz. Das Wohnsitzerfordernis ist grundsätzlich vereinbar mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 EWGV 1612/68. Es ist objektiv gerechtfertigt und steht in einem angemessenen Verhältnis zum vom nationalen Gesetzgeber mit der Regelung verfolgten Zweck. Insofern hat der EuGH die in nationalen Vorschriften enthaltenen Wohnortvoraussetzungen, mit denen Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 und Art. 10a EWGV 1408/71 angewandt werden, als solche grundsätzlich als mit Art. 39 EG und Art. 7 Abs. 2 VO 1612/68 vereinbar angesehen, wenn die Leistung eng mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext des betreffenden Mitgliedstaates verbunden ist (EuGH Urteil vom 11. September 2007 in der Rechtssache C-287/05, Hendrix, Slg 2007, I-6909, Rdnr. 55). Diese Voraussetzung trifft auf die hier streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu, deren enge Verbindung mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext der Bundesrepublik Deutschland sich u. a. daraus ergibt, dass sich die Höhe dieser Leistungen an den Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen an dem Lebensstandard in der Bundesrepublik Deutschland orientiert (vgl. dazu mit ausführlicher Herleitung BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 14/10 R - Juris). Mit § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II hat der Gesetzgeber - entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, wonach jedenfalls bei steuerfinanzierten Leistungen an den Wohnsitz angeknüpft wird - ausdrücklich auf den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs. 1 SGB I Bezug genommen (vgl. BT-Drucks 15/1516, S 52). Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Ob sich jemand gewöhnlich in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden, wobei alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung bei Beginn eines streitigen Zeitraums erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 22. März 1988 - 8/5a RKn 11/87 - Juris = BSGE 63, 93 = SozR 2200 § 205 Nr. 65, zuletzt BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 1/12 R - Juris, Rdnr. 22 ff). Auch hierbei kommt es darauf an, dass gewisse objektive Momente (tatsächliche Gegebenheiten/Gesamtumstände) vorliegen, die auf einen Zustand längeren Verweilens schließen lassen (BSG, Urteil vom 28. Juli 1967 - 4 RJ 411/66 - Juris = BSGE 27, 88, 89). Das BSG hat aus § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I ein Drei-Stufen-Schema entwickelt; Ausgangspunkt ist der "Aufenthalt"; es sind dann die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen, die schließlich daraufhin zu würdigen sind, ob sie "erkennen lassen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend verweilt" (BSG, Urteil vom 25. Juni 1987 - 11a Reg 1/87 - Juris = BSGE 62, 67 = SozR 7833 § 1 Nr. 1, BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, a.a.O.). Die Klägerin hatte ihren tatsächlichen Aufenthalt in der Zeit vom 27. Februar 2006 (Flug nach Gran Canaria) bis zum 22. März 2006 nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in Spanien. Der Aufenthalt in Spanien diente dem Zweck der Arbeitsaufnahme und war vor diesem Hintergrund nicht vorübergehend geplant. Die Klägerin hatte beabsichtigt, ihren Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik aufzugeben, um sich in Spanien niederzulassen. Diese Umstände sprechen dafür, dass der Aufenthalt der Klägerin auf Gran Canaria über eine Urlaubsreise hinausging und der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben wurde. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Klägerin ihre Wohnung nicht gekündigt, sondern lediglich untervermietet hatte. Der Mietvertrag mit der Untermieterin (Bl. 184 der Verwaltungsakte) war für die Zeit vom 1. März bis zum 31. August 2006 geschlossen worden, so dass bereits die geplante (Mindest-) Dauer des Auslandsaufenthalts für eine Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland spricht. Der geplante Zeitraum ist nicht nur als vorübergehend anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat auch insoweit anschließt, genügt es bei ungewisser Verweildauer, dass ein längeres Verweilen in Betracht kommt. Der gewöhnliche Aufenthalt wird dann durch einen auf längere Dauer berechneten Aufenthalt begründet und bleibt dementsprechend vom Anfang bis zum Ende der Aufenthaltsdauer bestehen (BSG, Urteil vom 16. Oktober 1986, 12 RK 13/86 - Juris). Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Aufenthalts noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, a.a.O.). In der vorausschauenden Betrachtung zum Zeitpunkt der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland war der Aufenthalt auf Gran Canaria aufgrund der dort beabsichtigten Arbeitsaufnahme als gewöhnlich anzusehen. Zur Überzeugung des Senats hatte die Klägerin damit aufgrund ihres Aufenthalts auf Gran Canaria vom 1. März 2006 bis zum 22. März 2006 keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland mehr und war damit nach § 7 Abs. 1 Ziff. 4 SGB II nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II.

Nachdem die Klägerin mit ihrer Abmeldung nach Spanien zur Arbeitsaufnahme (Blatt 48 der Verwaltungsakte) zum Ausdruck gebracht hat, keine Leistungen mehr zu beanspruchen, fehlt es bis zur erneuten Antragstellung am 23. März 2006 auch an dem für die Leistungsgewährung erforderlichen Antrag. Gemäß § 37 Abs. 1 SGB II werden Leistungen nach dem SGB II nur auf Antrag erbracht. Der Antrag hat konstitutive Wirkung (BT-Drucks. 15/1516, S. 62), ohne dass hierbei zwischen Erst- und Fortzahlungsbegehren zu unterscheiden wäre (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 166/11 R - Juris).

Die Klägerin hat auch in der Zeit nach ihrer Rückkehr aus Spanien mangels gewöhnlichen Aufenthalts in F. keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Nachdem die Klägerin nach ihrer Rückkehr im März 2006 keinen Wohnsitz in F. mehr hatte und sich in B. bei ihrer Tochter aufhielt, ist auch nach der Rückkehr aus Gran Canaria nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Nicht maßgebend ist insoweit, dass die Klägerin sich nicht freiwillig, sondern aufgrund der Untervermietung ihrer Wohnung mangels anderweitiger Unterkunft bei ihrer Tochter aufhielt. Ausgehend von den durch das BSG aufgestellten Kriterien ist zunächst zu prüfen, wo die Klägerin ihren tatsächlichen Aufenthalt hatte. Die Klägerin hat sich zwar wiederholt in F. aufgehalten, was u. a. durch die bei dem Beklagten wahrgenommenen Termine belegt ist. Sie hielt sich aber - auch nach ihren eigenen Angaben - wesentlich und überwiegend in B. auf. Zwar hat die Klägerin angegeben, drei Mal wöchentlich in F. gewesen zu sein, dies genügt nach Auffassung des Senats aber nicht, um dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Nachdem aus den bereits genannten Gründen durch den Aufenthalt in Spanien der gewöhnliche Aufenthalt in F. aufgegeben wurde, bedurfte es zur Überzeugung des Senats zur erneuten Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in F. mehr als lediglich tage- oder stundenweiser Aufenthalte. Die Klägerin hatte aufgrund der Untervermietung ihrer Wohnung keine Möglichkeit mehr, in F. zu übernachten bzw. sich dort länger als für einen Besuch aufzuhalten. Für die Zeit bis zur Meldung in D. fehlte es daher schon an einem überwiegenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich der Kosten der Unterkunft für den gesamten streitigen Zeitraum aufgrund der Untervermietung bereits der Bedarf entfallen und insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten ist.

Die subjektiven Voraussetzungen für die Aufhebung der bewilligten Leistungen sind ebenfalls erfüllt. Die Klägerin hätte erkennen können und müssen, dass ihr aufgrund des fehlenden Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht mehr zustand. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Der Beklagte hat daher im Ergebnis zurecht die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. März 2006 bis 21. April 2006 aufgehoben.

Das Rückforderungsverlangen der für die Zeit vom 1. März bis zum 31. März 2006 gewährten Leistungen in Höhe von 720,62 EUR hat seine Rechtsgrundlage in § 50 SGB X und ist auch in der Höhe nicht zu beanstanden. Zwar sind nach § 40 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. März 2006 geltenden Fassung (a.F.) abweichend von § 50 SGB X 56 vom Hundert der bei der Leistung nach § 19 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 sowie § 28 berücksichtigten Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung nicht zu erstatten. Dies gilt nach § 40 Abs. 2 Satz 2 SGB II a. F: aber nicht in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X. Dass die Reduzierung des Erstattungsbetrags auch in den Fällen des - hier einschlägigen - § 48 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 4 SGB X nicht gilt, wurde erst zum 1. April 2011 eingeführt. Gleichwohl ist einer Reduzierung der Erstattungsforderung nach § 40 Abs. 2 SGB II a. F. zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Verfahren nicht gerechtfertigt. Bei § 40 Abs. 2 SGB II handelt sich um eine Folgeregelung zu derjenigen Vorschrift (§ 8 Abs. 1 WoGG in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung durch das Gesetz vom 22. Dezember 2008, BGBl I 2963), die einen grundsätzlichen Ausschluss derjenigen Personen vom Wohngeld anordnet, die Leistungen nach dem SGB II beantragt haben oder beziehen. Der Ausschluss beruht auf der Überlegung, dass Unterkunftskosten nur noch von der einen oder anderen Stelle bewilligt werden sollen. Vor diesem Hintergrund soll § 40 Abs. 2 S 1 SGB II a. F. durch den teilweisen prozentualen Ausschluss der Erstattungspflicht gewährleisten, dass Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht schlechter stünden, als wenn sie Wohngeld erhalten hätten, weil dieses nicht der Rückforderung unterliegt (BT-Drucks. 15/1516 S 63). Hierbei orientiert sich der Satz von 56 % am tatsächlichen Subventionssatz des besonderen Mietzuschusses auf der Basis der empirischen Werte der Wohngeldstatistik 2001. Der durchschnittliche Subventionssatz wurde durch die Teilung des durchschnittlichen Wohngeldanspruchs durch die durchschnittliche berücksichtigungsfähige Miete errechnet (BT-Drucks. 15/1516 S 63). § 40 Abs. 2 SGB II ist einschränkend so auszulegen, dass grundsätzlich überhaupt ein Anspruch auf Wohngeld denkbar gewesen sein muss. Nachdem die Klägerin ihre Wohnung im streitigen Zeitraum untervermietet hatte, war sie nach § 3 Abs. 1 WoGG, der voraussetzt, dass Wohnraum angemietet und selbst genutzt wurde, vom Anspruch auf Wohngeld ausgeschlossen. Hätte sie tatsächlich eine Wohnung auch ab dem 23. März 2006 selbst genutzt, hätte sie grundsätzlich noch einen Anspruch auf Wohngeld geltend machen können. § 27 Abs. 4 WoGG in der Fassung vom 7. Juli 2005 (a.F.) ordnet insoweit als Ausnahme an, dass der Bewilligungszeitraum am 1. des Monats beginnt, von dem ab Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 2 WoGG a.F. abgelehnt worden sind, wenn der Wohngeldantrag vor Ablauf des Kalendermonats gestellt wird, der auf die Kenntnis der Ablehnung folgt. Zu den von der Regelung erfassten Leistungen gehört nach § 1 Abs. 2 Ziff. 1 WoGG a. F. u. a. auch Arbeitslosengeld II, wenn bei dessen Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind. Die in § 27 Abs. 4 WoGG getroffene Regelung soll die Geltendmachung eines möglicherweise bestehenden Wohngeldanspruchs für einen zurückliegenden Zeitraum unter bestimmten Voraussetzungen u. a. ermöglichen, wenn die Erwartung einer Sozialleistung sich nicht bestätigt. Damit bewirkt sie, dass Personen, die eine zu einem späteren Zeitpunkt abgelehnte Transferleistung beantragt haben, der stattdessen bestehende Wohngeldanspruch nicht verloren geht (vgl. zur Neufassung des WoGG und § 25 WoGG BSG, Urteil vom 23. August 2012 - B 4 AS 169/11 R - Juris). Dementsprechend wäre bei entsprechender Antragstellung nach dem WoGG auch für die Klägerin gewährleistet, dass bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen der Wohngeldanspruch nach der Erstattung der vorläufig gewährten Leistungen wieder geltend gemacht werden kann. Die hierdurch im Ergebnis eröffnete rückwirkende Bewilligung von Wohngeld schließt es aus, für den Fall der Rückforderung von vorläufig bewilligten Leistungen nach dem SGB II eine Gesetzeslücke anzunehmen (BSG, Urteil vom 23. August 2012, a.a.O.). Nachdem die Klägerin aufgrund der fehlenden Nutzung der Wohnung überhaupt keinen Bedarf hinsichtlich der Kosten der Unterkunft hatte - vielmehr durch die Untervermietung Einkommen erzielte - ist es schon aus diesem Grund nicht gerechtfertigt, ihr einen Teil der Kosten der Unterkunft nach § 40 Abs. 2 SGB II zu belassen und von der Erstattung auszunehmen.

Die Klägerin hatte mangels gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland auch nach erneuter Antragstellung am 23.März 2006 keinen Anspruch auf Leistungen. Der Beklagte hat den Antrag daher zurecht mit Bescheid vom 26. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Oktober 2006 abgelehnt. Durch die Ablehnung wird die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Das SG hat die Klagen damit im Ergebnis zurecht abgewiesen, weshalb die Berufung zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens insbesondere berücksichtigt, dass auch die Berufung ohne Erfolg geblieben ist und der Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.
Rechtskraft
Aus
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