L 15 SF 100/12 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 SF 41/12 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 100/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
Eine so genannte fiktive Terminsgebühr nach Nummer 3 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV RVG (nach angenommenem Anerkenntnis) kann in Verfahren ohne obligatorische mündliche Verhandlung vor allem in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von vornherein nicht entstehen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 19. März 2012 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nach §§ 45 ff. RVG.

Der Beschwerdeführer vertrat die damaligen Antragstellerinnen in einem grundsicherungsrechtlichen Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Augsburg (S 9 AS 1055/11 ER). Diesen war Prozesskostenhilfe bewilligt und der Beschwerdeführer beigeordnet worden. Etwa zehn Tage nach Anhängigwerden des Eilverfahrens (Antragseingang bei Gericht am 15.09.2011) erließ die beklagte Behörde einen Bescheid, der dem Begehren der Antragstellerinnen abhalf. Daraufhin erklärte der Beschwerdeführer das Verfahren für erledigt (am 12.10.2011).

In seinem Antrag auf Vergütungsfestsetzung vom 29.11.2011 setze der Beschwerdeführer eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr (325 EUR gemäß Nr. 3102 VV RVG einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) sowie eine Terminsgebühr von 100 EUR auf der Grundlage von Nr. 3106 VV RVG an. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle billigte in der Kostenfestsetzung vom 24.01.2012 jedoch lediglich eine Verfahrensgebühr von 162,50 EUR (einschließlich Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) zu und verweigerte eine Terminsgebühr.

Die dagegen eingelegte Erinnerung hat die Kostenrichterin beim Sozialgericht Augsburg mit Beschluss vom 19.03.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Die Urkundsbeamtin, so die Kostenrichterin zur Begründung, habe die Verfahrensgebühr zutreffend festgesetzt. Denn Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien als unterdurchschnittlich einzustufen, ebenso die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragstellerinnen. Lediglich die Bedeutung der Streitsache für diese sei als durchschnittlich zu werten. Eine so genannte fiktive Terminsgebühr, so die Kostenrichterin weiter, sei nicht angefallen, weil für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß dem Senatsbeschluss vom 26.08.2009 - L 15 B 950/06 AS KO lägen nicht vor.

Mit der dagegen am 27.03.2012 eingelegten Beschwerde verfolgt der Beschwerdeführer sein im Vergütungsfestsetzungsantrag formuliertes Ziel weiter.

Der Senat hat die Akte des Sozialgerichts S 9 AS 1055/11 ER beigezogen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zuständig für die Entscheidung ist der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Der Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren umfasst die Höhe der Verfahrensgebühr sowie die beanspruchte Terminsgebühr für das Antragsverfahren S 9 AS 1055/11 ER (einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer).

a) Die Verfahrensgebühr haben die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und die Kostenrichterin in zutreffender Höhe festgesetzt. Der Senat macht sich insoweit die Begründung, welche die Kostenrichterin gegeben hat, zu Eigen. Des Weiteren verweist er auf seinen aktuellen Beschluss vom 03.05.2013 - L 15 SF 80/12, wo er dargestellt hat, dass sich auch Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach dem SGB II im Hinblick auf ihre vergütungsrechtliche "Wertigkeit" an der gesamten Bandbreite möglicher sozialgerichtlicher Streitgegenstände messen lassen müssen. Dieser Maßstab führt im vorliegenden Fall dazu, dass die richtige Verfahrensgebühr sehr deutlich unterhalb der "Mitte" liegt, und zwar in einem so niedrigen Bereich, dass die vom Beschwerdeführer veranschlagte Gebühr von 325 EUR nicht mehr billigem Ermessen entspricht und damit für die Staatskasse nicht verbindlich ist (vgl. dazu, insbesondere zur 20-prozentigen Toleranzgrenze, Senatsbeschluss vom 21.03.2011 - L 15 SF 204/09 B E m.w.N.).

b) Dem Beschwerdeführer steht eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht zu. Denn ein Termin im Sinn von Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG hat nicht stattgefunden und einer der Tatbestände, die eine fiktive Terminsgebühr auslösen, liegt nicht vor.

Der Senat unterstellt im Folgenden, dass überhaupt ein angenommenes Anerkenntnis vorliegt; das erscheint hier keineswegs unproblematisch (vgl. dazu ausführlich Senatsbeschluss vom 06.09.2012 - L 15 SF 384/11 B E). Gleichwohl ist der Entstehungstatbestand nach Nummer 3 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV RVG nicht erfüllt. Denn dieser Fall einer fiktiven Terminsgebühr liegt nicht vor.

Vorab muss ein Missverständnis ausgeräumt werden, zu dessen Entstehung auch der von allen Seiten thematisierte Senatsbeschluss vom 26.08.2009 - L 15 B 950/06 AS KO beigetragen hat. Es muss strikt unterschieden werden zwischen den drei verschiedenen Arten von Gebühren auslösenden Terminen, die in Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG genannt sind, und den fiktiven Terminsgebühren gemäß der Anmerkung zu Nr. 3106 VV RVG. Bei Ersteren handelt es sich nicht um fiktive Terminsgebühren; denn alle drei Alternativen beschreiben tatsächliche Termine im vergütungsrechtlichen Sinn. Das bedeutet, dass die Gebühr just deswegen entsteht, weil ein Termin stattfindet - wenn vielleicht auch kein klassischer Verhandlungstermin. Die drei Fälle der Anmerkung zu Nr. 3106 VV RVG sehen dagegen eine Gebühr vor, obwohl gerade kein Termin stattfindet. Unter bestimmten Voraussetzungen soll der Anwalt dafür mit einer Terminsgebühr belohnt werden, dass er es gerade nicht zu einem Termin hat kommen lassen (vgl. Regierungsentwurf eines 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, S. 432).

Dieser Unterschied verschwimmt bereits im Senatsbeschluss vom 26.08.2009 - L 15 B 950/06 AS KO. Dort ging es nicht um eine Konstellation, die grundsätzlich von der Anmerkung zu Nr. 3106 VV RVG erfasst wurde; fraglich war vielmehr, ob die intensiven Bemühungen des damaligen Prozessbevollmächtigten eine so genannte Erledigungsgesprächsgebühr im Sinn von Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 VV RVG rechtfertigen würden. Leider hat der Senat seinerzeit von "fiktiver Terminsgebühr" gesprochen, was bei genauer Betrachtung nicht richtig ist; vielmehr war die Frage, ob ein "alternativer Termin" festgestellt werden konnte.

Im vorliegenden Fall dagegen ist ohne jeden Zweifel keinerlei Termin - auch keiner nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 VV RVG - zustande gekommen. Die einzige Option für den Beschwerdeführer, die Terminsgebühr zu begründen, ist Nummer 3 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV RVG. Ob gerade diese fiktive Terminsgebühr auch in Verfahren ohne obligatorische mündliche Verhandlung entstehen kann, wird durch den Senatsbeschluss vom 26.08.2009 - L 15 B 950/06 AS KO nicht aufgegriffen. Die Handhabung des einen lässt keine zwingenden Rückschlüsse auf die Handhabung des anderen Problems zu; denn es bedeutet einen gravierenden Unterschied, ob ein Termin stattgefunden hat oder ob es eben wie hier um eine Terminsgebühr ohne Termin geht.

Der Senat schließt sich der ganz herrschenden Meinung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung an, die dies ablehnt (vgl. Regierungsentwurf eines 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, S. 432). Denn der prinzipielle Anknüpfungspunkt für die fiktive Terminsgebühr, dass der Anwalt gerade für das Unterbleiben eines Termins "belohnt" werden soll, geht dort ins Leere, wo es grundsätzlich keine Termine gibt. Dass dies anders als bei Nummer 1 in Nummer 3 nicht ausdrücklich geregelt ist, verkörpert das einzige Argument von Gewicht, das für die Ansicht des Beschwerdeführers spricht. Dieser systematische Aspekt erfordert aber keineswegs zwingend, dass der Tatbestand der Nummer 3 auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einschlägig sein muss.

Diese Positionierung des Senats verleiht der Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung, so dass sie gleichwohl durch den Einzelrichter ergehen kann. Angesichts dessen, dass voraussichtlich zum 01.07.2013 durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eine gesetzliche Klarstellung im Sinn dieser Senatsentscheidung in Nummer 3 der Anmerkungen zu Nr. 3106 VV RVG aufgenommen wird, handelt es sich bei der noch geltenden Rechtslage um ein "Auslaufmodell"; das steht einer grundsätzlichen Bedeutung entgegen.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
Saved