Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 SF 447/12 E, S 36 SF 448/12 E
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 160/12 B, L 15 SF 161/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Im Beschwerdeverfahren nach § 56 RVG reicht eine materielle Beschwer aus, um die Sachentscheidungsvoraussetzung der Beschwer zu erfüllen. Daher kann eine rechtsmittelfähige Beschwer auch dann bestehen, wenn eine negative Entscheidung auf die Erinnerung wegen Unzulässigkeit statt wegen Unbegründetheit ergangen ist.
Zur Bezifferung des Werts des Beschwerdegegenstands bei nur materieller Beschwer.
3. Ein Rechtsanwalt kann seine einmal getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe innerhalb des Gebührenrahmens grundsätzlich nicht wieder aufheben oder auch nur "nachbessern".
Zur Bezifferung des Werts des Beschwerdegegenstands bei nur materieller Beschwer.
3. Ein Rechtsanwalt kann seine einmal getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe innerhalb des Gebührenrahmens grundsätzlich nicht wieder aufheben oder auch nur "nachbessern".
I. Auf die Beschwerden der Staatskasse werden die Beschlüsse des Sozialgerichts München vom 16. Juli 2012 (S 36 SF 448/12 E) und vom 17. Juli 2012 (S 36 SF 447/12 E) aufgehoben.
II. Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht München vom 2. Mai 2012 (S 36 AL 1154/08) werden für das Verfahren S 36 AL 1154/08 eine Verfahrensgebühr in Höhe von 250 EUR und eine Terminsgebühr in Höhe von 150 EUR festgesetzt.
III. Im Übrigen wird die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17. Juli 2012 (S 36 SF 447/12 E) zurückgewiesen.
IV. Die Erinnerung des Beschwerdegegners gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht München vom 2. Mai 2012 (S 36 AL 1269/08) wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeverfahren betreffen die aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach §§ 45 ff. RVG.
Der Beschwerdegegner vertrat die damalige Klägerin in zwei arbeitsförderungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (S 36 AL 1154/08 und S 36 AL 1269/08). Er war jeweils im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Nach Erledigung der Klageverfahren beantragte er in beiden Verfahren die Festsetzung der gegen die Staatskasse entstandenen Anwaltsvergütung. Weil der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zum Teil deutlich weniger als die von ihm veranschlagten Gebühren festsetzte, hat der Beschwerdegegner in beiden Verfahren Erinnerung eingelegt. In den Erinnerungsschriftsätzen hat er jeweils erklärt, er nehme den ersten Kostenfestsetzungsantrag zurück, und parallel dazu höhere Gebühren beantragt, als sie im ersten Kostenfestsetzungsantrag enthalten waren. Die Kostenrichterin hat die Erinnerungen mit Beschlüssen vom 16. (S 36 SF 448/12 E, zurückgehend auf S 36 AL 1269/08) bzw. 17.07.2012 (S 36 SF 447/12 E, zurückgehend auf S 36 AL 1154/08) als unzulässig verworfen. Da der Beschwerdegegner, so die Kostenrichterin zur Begründung, seine ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträge zurückgenommen habe, seien die Festsetzungen des Urkundsbeamten gegenstandslos geworden. Damit bestehe für beide Erinnerungen kein Rechtsschutzinteresse.
Dagegen hat die Staatskasse am 26.07.2012 jeweils Beschwerde eingelegt, wobei das Verfahren L 15 SF 160/12 B sich auf die Sache S 36 SF 447/12 E, das Verfahren L 15 SF 161/12 B sich auf die Sache S 36 SF 448/12 E bezieht. Sie vertritt die Auffassung, die Kostenrichterin hätte die ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträge nicht als zurückgenommen behandeln dürfen. Vielmehr hätte sie, ohne vorher den Urkundsbeamten damit zu befassen, jeweils über den in der Erinnerungsschrift nachgeschobenen Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdegegners in der Sache entscheiden müssen. Diese Entscheidungen, so die Staatskasse sinngemäß, hätten so ausfallen müssen, wie es der Urkundsbeamte in seinen Kostenfestsetzungen aufgezeigt habe.
Der Senat hat die Akten des Sozialgerichts S 36 AL 1154/08 und S 36 AL 1269/08 beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheiten gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde der Staatskasse im Verfahren L 15 SF 160/12 B hat teilweisen, ihre Beschwerde im Verfahren L 15 SF 161/12 B hat vollen Erfolg.
1. Beide Beschwerden der Staatskasse sind zulässig. Indes liegt darin das gravierendste Problem der Fälle.
a) Zunächst vermag man aus Sicht der Staatskasse eine grundsätzlich rechtsmittelfähige Beschwer im Sinn einer möglichen Verletzung eigener Rechte festzustellen. Schon das liegt aber keineswegs auf der Hand. Denn die Kostenrichterin hat dem Beschwerdegegner keine höhere Vergütung zugesprochen, so dass man an der Beschwer der Staatskasse zweifeln könnte. Da aber für den Beschwerdeführer eine lediglich materielle Beschwer ausreicht, kann eine rechtsmittelfähige Beschwer ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn eine negative Entscheidung auf die Erinnerung wegen Unzulässigkeit statt wegen Unbegründetheit ergangen ist. Allgemein kann eine rechtsmittelfähige (materielle) Beschwer darin liegen, dass ein Begehren nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abgelehnt worden ist (vgl. für zivilprozessuale Rechtsmittel BGHZ 28, 349; BAG NJW 1987, S. 514).
Das ist hier der Fall. Die materielle Beschwer ergibt sich daraus, dass hier der Beschwerdeführer bei einer Zurückweisung der Erinnerungen als unbegründet in den Genuss einer erweiterten Rechtskraftwirkung käme. Die Rechtskraft bei einer Verwerfung als unzulässig ist beschränkt auf die Verneinung der Sachurteilsvoraussetzung, auf welche die Abweisung gestützt ist (tragender Grund der Abweisung). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich die Rechtskraft, würden die Beschlüsse des Sozialgerichts in Rechtskraft erwachsen, auf das Fehlen des Rechtsschutzinteresses als solches, nach Meinung des Senats aber auch auf den Grund hierfür, nämlich die Zurücknahme des Festsetzungsantrags, erstrecken würde (vgl. zur Rechtskraftwirkung bei Klageabweisung als unzulässig BGH NJW 1985, S. 2535). Das würde sich bei erneuten Entscheidungen des Urkundsbeamten dahin auswirken, dass die Rechtskraft der Entscheidungen über die Erinnerungen keinerlei inhaltliche Bindungen vermitteln würden. Schon diese verbliebene, für eine Prozessentscheidung typische Offenheit in der Sache vermittelt der Staatskasse eine rechtsmittelfähige Beschwer.
b) Zudem übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands in beiden Verfahren 200 EUR (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Aber auch das bedarf einer eingehenden Begründung:
aa) Die grundsätzliche Bezifferbarkeit, also die Feststellbarkeit eines Werts des Beschwerdegegenstands, liegt vor.
bb) Ausgangspunkt für die Bezifferung muss das Interesse der Staatskasse gerade an einer Sachentscheidung statt einer Prozessentscheidung sein. Letztendlich hat die Staatskasse angestrebt, dass die Kostenrichterin die beiden Festsetzungen des Urkundsbeamten mittels Sachentscheidungen bestätigt, dass sie also die Erinnerungen des Beschwerdegegners vollständig als unbegründet zurückweist. Der Beschwerdewert muss deshalb in jedem der beiden Verfahren durch einen Vergleich des für den Beschwerdegegner optimalen Ergebnisses mit der jeweiligen Festsetzung des Urkundsbeamten verglichen werden. Dabei zeigt sich, dass in beiden Verfahren der Beschwerdewert von 200 überschritten wird.
Würde man als für den Beschwerdegegner optimales Ergebnis die in dessen ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträgen enthaltenen Beträge heranziehen, bliebe der Wert des Beschwerdegegenstands jeweils unterhalb von 200 EUR (für das Klageverfahren S 36 AL 1154/08 192,78 EUR, für das Klageverfahren S 36 AL 1269/08 115,43 EUR). Damit würde aber die Beschwer der Staatskasse nur unvollständig erfasst. Denn der Umfang der Beschwer bestimmt sich generell nicht anhand der objektiven materiellen Rechtslage, sondern grundsätzlich nach dem zum Ausdruck gebrachten prozessualen Ziel des beschwerten Beteiligten. Demzufolge kommt es hier nicht darauf an, ob die Kostenrichterin überhaupt befugt gewesen wäre, ohne vorherige Befassung des Urkundsbeamten die Nachforderungen des Beschwerdegegners in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen. Es genügt vielmehr, dass die Staatskasse dies in den vorliegenden Fällen geltend macht, ohne dass dies missbräuchlich oder auf den ersten Blick abwegig erscheint. Sie sieht ihre Beschwer darin, dass ihr Entscheidungen in der Sache vorenthalten geblieben sind, die nicht nur die ursprünglichen Vergütungsvorstellungen des Beschwerdegegners, sondern auch dessen nachgeschobene Erhöhungen ablehnen.
2. Im Verfahren L 15 SF 160/12 B ist die Beschwerde der Staatskasse teilweise begründet, im Verfahren L 15 SF 161/12 B ist sie es in vollem Umfang.
Der Kostenfestsetzungsanträge vom 30.03.2012 sind entgegen der Meinung der Kostenrichterin nicht samt ihrer Bestimmung der Gebührenhöhe zurückgenommen worden. Das nämlich lässt sich nicht mit dem - auch vom Senat anerkannten - Grundsatz in Einklang bringen, wonach der Rechtsanwalt an sein einmal ausgeübtes Ermessen gebunden ist (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 03.05.2011 - L 2 SF 140/10 E; Mayer in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, § 14 Rn. 4). Der Bestimmung nach § 315 Abs. 2 BGB kommt gestaltende Wirkung zu. Es handelt sich nicht um eine bloße Prozesserklärung, sondern die Höhe der Vergütung wird mit materieller Kraft originär und konstitutiv fixiert. Sie kann daher nicht wie ein Rechtsbehelf zurückgenommen und sodann wiederholt werden, sofern nur die Rechtsbehelfsfristen eingehalten sind. Mit seinen Kostenfestsetzungsanträgen vom 30.03.2012 hat der Beschwerdegegner sein Bestimmungsrecht ausgeübt, aber damit auch "verbraucht". Den zweiten Kostenfestsetzungsanträgen, die der Beschwerdegegner mit den Erinnerungen verbunden hat, kommt daher keine die Gegenleistung gestaltende Wirkung zu. Schon das spricht dagegen, die Kostenfestsetzungsanträge vom 30.03.2012 als zurückgenommen zu behandeln. Ein weiteres Argument dagegen liegt darin begründet, dass der Beschwerdegegner seine ersten Anträge und die darauf ergangenen Entscheidungen des Urkundsbeamten wohl nicht gegenstandslos machen wollte, auch wenn er jeweils explizit von "Rücknahme" gesprochen hat. Bei natürlicher Betrachtung aller Umstände beabsichtigte er vielmehr, seine ersten Anträge zu erhöhen, ohne allerdings diese und die daraufhin ergangenen Entscheidungen des Urkundsbeamten in "Schall und Rauch" aufzulösen.
Bezüglich der vom Senat zu bestimmenden Vergütung vermag die Staatskasse im Verfahren L 15 SF 160/12 B nicht mit ihrer implizit geäußerten Ansicht durchzudringen, die Gebühren seien lediglich so wie vom Urkundsbeamten bestimmt zuzusprechen. Darin liegt kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius zu Lasten der Staatskasse. Denn aus deren Sicht stellt bereits der Umstand, dass der Senat überhaupt in der Sache entscheidet, ein Teilobsiegen dar. Die Festsetzung einer höheren Vergütung zu Gunsten des Beschwerdegegners verhindert hier lediglich ein volles Obsiegen.
Die Verfahrensgebühr in der Sache S 36 AS 1154/08 hat der Beschwerdegegner innerhalb des einschlägigen Betragsrahmens (40 bis 460 EUR) in einer für die Staatskasse verbindlichen Höhe bestimmt - wobei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen wird, dass die relevante Festsetzung durch den Beschwerdegegner in dessen erstem Kostenfestsetzungsantrag enthalten ist, während der zweite insofern unbeachtlich ist. Zwar spricht Einiges dafür, dass der Fall in Bezug auf seine vergütungsrechtliche Wertigkeit unterhalb der "Mitte" anzusiedeln ist (geringe Bedeutung, Einkommens- und Vermögensverhältnisse). Jedoch bewegt sich die vom Beschwerdegegner vorgenommene Bestimmung der Verfahrensgebühr noch innerhalb der 20-prozentigen Toleranzgrenze (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 21.03.2011 - L 15 SF 204/09 B E m.w.N.), so dass sie billigem Ermessen entspricht. Vor allem fällt zu Gunsten des Beschwerdegegners ins Gewicht, dass Bewilligungsaufhebungen und Leistungsrückforderungen generell als eher schwierig einzustufen sind, auch wenn sich die rechtlichen und tatsächlichen Probleme hier in Grenzen gehalten haben dürften.
In Bezug auf die Terminsgebühr in der Sache S 36 AS 1154/08 hält der Senat die Bestimmung des Beschwerdegegners (200 EUR, was der Mittelgebühr nach Nr. 3106 VV RVG entspricht) für unbillig. Die 20-prozentige Toleranzgrenze ist nicht mehr eingehalten. Jedoch erscheint die Festsetzung des Urkundsbeamten (100 EUR) etwas zu niedrig. Zwar spricht gegen die Bestimmung des Beschwerdegegners, dass im Termin in nur 25 Minuten (am 23.03.2012 von 9.00 Uhr bis 9.25 Uhr) sowohl die Sache S 36 AS 1154/08 als auch die Sache S 36 AS 1269/08 erledigt wurden. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners wird die Vorbereitung auf die Sitzung nicht mit der Termins-, sondern mit der Verfahrensgebühr abgegolten. 100 EUR sind aber angesichts des Umstands, dass wie gesagt Bewilligungsaufhebungen und Leistungsrückforderungen generell als eher schwierig einzustufen sind, etwas zu niedrig taxiert.
Im Hinblick auf die Höhe der Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr, die im Klageverfahren S 36 AS 1269/08 entstanden sind, schließt sich der Senat dagegen in vollem Umfang dem Urkundsbeamten an. Ergänzender Ausführungen dazu bedarf es nicht.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
II. Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht München vom 2. Mai 2012 (S 36 AL 1154/08) werden für das Verfahren S 36 AL 1154/08 eine Verfahrensgebühr in Höhe von 250 EUR und eine Terminsgebühr in Höhe von 150 EUR festgesetzt.
III. Im Übrigen wird die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 17. Juli 2012 (S 36 SF 447/12 E) zurückgewiesen.
IV. Die Erinnerung des Beschwerdegegners gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht München vom 2. Mai 2012 (S 36 AL 1269/08) wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeverfahren betreffen die aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach §§ 45 ff. RVG.
Der Beschwerdegegner vertrat die damalige Klägerin in zwei arbeitsförderungsrechtlichen Klageverfahren vor dem Sozialgericht München (S 36 AL 1154/08 und S 36 AL 1269/08). Er war jeweils im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden. Nach Erledigung der Klageverfahren beantragte er in beiden Verfahren die Festsetzung der gegen die Staatskasse entstandenen Anwaltsvergütung. Weil der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zum Teil deutlich weniger als die von ihm veranschlagten Gebühren festsetzte, hat der Beschwerdegegner in beiden Verfahren Erinnerung eingelegt. In den Erinnerungsschriftsätzen hat er jeweils erklärt, er nehme den ersten Kostenfestsetzungsantrag zurück, und parallel dazu höhere Gebühren beantragt, als sie im ersten Kostenfestsetzungsantrag enthalten waren. Die Kostenrichterin hat die Erinnerungen mit Beschlüssen vom 16. (S 36 SF 448/12 E, zurückgehend auf S 36 AL 1269/08) bzw. 17.07.2012 (S 36 SF 447/12 E, zurückgehend auf S 36 AL 1154/08) als unzulässig verworfen. Da der Beschwerdegegner, so die Kostenrichterin zur Begründung, seine ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträge zurückgenommen habe, seien die Festsetzungen des Urkundsbeamten gegenstandslos geworden. Damit bestehe für beide Erinnerungen kein Rechtsschutzinteresse.
Dagegen hat die Staatskasse am 26.07.2012 jeweils Beschwerde eingelegt, wobei das Verfahren L 15 SF 160/12 B sich auf die Sache S 36 SF 447/12 E, das Verfahren L 15 SF 161/12 B sich auf die Sache S 36 SF 448/12 E bezieht. Sie vertritt die Auffassung, die Kostenrichterin hätte die ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträge nicht als zurückgenommen behandeln dürfen. Vielmehr hätte sie, ohne vorher den Urkundsbeamten damit zu befassen, jeweils über den in der Erinnerungsschrift nachgeschobenen Kostenfestsetzungsantrag des Beschwerdegegners in der Sache entscheiden müssen. Diese Entscheidungen, so die Staatskasse sinngemäß, hätten so ausfallen müssen, wie es der Urkundsbeamte in seinen Kostenfestsetzungen aufgezeigt habe.
Der Senat hat die Akten des Sozialgerichts S 36 AL 1154/08 und S 36 AL 1269/08 beigezogen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheiten gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde der Staatskasse im Verfahren L 15 SF 160/12 B hat teilweisen, ihre Beschwerde im Verfahren L 15 SF 161/12 B hat vollen Erfolg.
1. Beide Beschwerden der Staatskasse sind zulässig. Indes liegt darin das gravierendste Problem der Fälle.
a) Zunächst vermag man aus Sicht der Staatskasse eine grundsätzlich rechtsmittelfähige Beschwer im Sinn einer möglichen Verletzung eigener Rechte festzustellen. Schon das liegt aber keineswegs auf der Hand. Denn die Kostenrichterin hat dem Beschwerdegegner keine höhere Vergütung zugesprochen, so dass man an der Beschwer der Staatskasse zweifeln könnte. Da aber für den Beschwerdeführer eine lediglich materielle Beschwer ausreicht, kann eine rechtsmittelfähige Beschwer ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn eine negative Entscheidung auf die Erinnerung wegen Unzulässigkeit statt wegen Unbegründetheit ergangen ist. Allgemein kann eine rechtsmittelfähige (materielle) Beschwer darin liegen, dass ein Begehren nicht als unbegründet, sondern als unzulässig abgelehnt worden ist (vgl. für zivilprozessuale Rechtsmittel BGHZ 28, 349; BAG NJW 1987, S. 514).
Das ist hier der Fall. Die materielle Beschwer ergibt sich daraus, dass hier der Beschwerdeführer bei einer Zurückweisung der Erinnerungen als unbegründet in den Genuss einer erweiterten Rechtskraftwirkung käme. Die Rechtskraft bei einer Verwerfung als unzulässig ist beschränkt auf die Verneinung der Sachurteilsvoraussetzung, auf welche die Abweisung gestützt ist (tragender Grund der Abweisung). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich die Rechtskraft, würden die Beschlüsse des Sozialgerichts in Rechtskraft erwachsen, auf das Fehlen des Rechtsschutzinteresses als solches, nach Meinung des Senats aber auch auf den Grund hierfür, nämlich die Zurücknahme des Festsetzungsantrags, erstrecken würde (vgl. zur Rechtskraftwirkung bei Klageabweisung als unzulässig BGH NJW 1985, S. 2535). Das würde sich bei erneuten Entscheidungen des Urkundsbeamten dahin auswirken, dass die Rechtskraft der Entscheidungen über die Erinnerungen keinerlei inhaltliche Bindungen vermitteln würden. Schon diese verbliebene, für eine Prozessentscheidung typische Offenheit in der Sache vermittelt der Staatskasse eine rechtsmittelfähige Beschwer.
b) Zudem übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands in beiden Verfahren 200 EUR (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Aber auch das bedarf einer eingehenden Begründung:
aa) Die grundsätzliche Bezifferbarkeit, also die Feststellbarkeit eines Werts des Beschwerdegegenstands, liegt vor.
bb) Ausgangspunkt für die Bezifferung muss das Interesse der Staatskasse gerade an einer Sachentscheidung statt einer Prozessentscheidung sein. Letztendlich hat die Staatskasse angestrebt, dass die Kostenrichterin die beiden Festsetzungen des Urkundsbeamten mittels Sachentscheidungen bestätigt, dass sie also die Erinnerungen des Beschwerdegegners vollständig als unbegründet zurückweist. Der Beschwerdewert muss deshalb in jedem der beiden Verfahren durch einen Vergleich des für den Beschwerdegegner optimalen Ergebnisses mit der jeweiligen Festsetzung des Urkundsbeamten verglichen werden. Dabei zeigt sich, dass in beiden Verfahren der Beschwerdewert von 200 überschritten wird.
Würde man als für den Beschwerdegegner optimales Ergebnis die in dessen ursprünglichen Kostenfestsetzungsanträgen enthaltenen Beträge heranziehen, bliebe der Wert des Beschwerdegegenstands jeweils unterhalb von 200 EUR (für das Klageverfahren S 36 AL 1154/08 192,78 EUR, für das Klageverfahren S 36 AL 1269/08 115,43 EUR). Damit würde aber die Beschwer der Staatskasse nur unvollständig erfasst. Denn der Umfang der Beschwer bestimmt sich generell nicht anhand der objektiven materiellen Rechtslage, sondern grundsätzlich nach dem zum Ausdruck gebrachten prozessualen Ziel des beschwerten Beteiligten. Demzufolge kommt es hier nicht darauf an, ob die Kostenrichterin überhaupt befugt gewesen wäre, ohne vorherige Befassung des Urkundsbeamten die Nachforderungen des Beschwerdegegners in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen. Es genügt vielmehr, dass die Staatskasse dies in den vorliegenden Fällen geltend macht, ohne dass dies missbräuchlich oder auf den ersten Blick abwegig erscheint. Sie sieht ihre Beschwer darin, dass ihr Entscheidungen in der Sache vorenthalten geblieben sind, die nicht nur die ursprünglichen Vergütungsvorstellungen des Beschwerdegegners, sondern auch dessen nachgeschobene Erhöhungen ablehnen.
2. Im Verfahren L 15 SF 160/12 B ist die Beschwerde der Staatskasse teilweise begründet, im Verfahren L 15 SF 161/12 B ist sie es in vollem Umfang.
Der Kostenfestsetzungsanträge vom 30.03.2012 sind entgegen der Meinung der Kostenrichterin nicht samt ihrer Bestimmung der Gebührenhöhe zurückgenommen worden. Das nämlich lässt sich nicht mit dem - auch vom Senat anerkannten - Grundsatz in Einklang bringen, wonach der Rechtsanwalt an sein einmal ausgeübtes Ermessen gebunden ist (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 03.05.2011 - L 2 SF 140/10 E; Mayer in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 19. Auflage 2010, § 14 Rn. 4). Der Bestimmung nach § 315 Abs. 2 BGB kommt gestaltende Wirkung zu. Es handelt sich nicht um eine bloße Prozesserklärung, sondern die Höhe der Vergütung wird mit materieller Kraft originär und konstitutiv fixiert. Sie kann daher nicht wie ein Rechtsbehelf zurückgenommen und sodann wiederholt werden, sofern nur die Rechtsbehelfsfristen eingehalten sind. Mit seinen Kostenfestsetzungsanträgen vom 30.03.2012 hat der Beschwerdegegner sein Bestimmungsrecht ausgeübt, aber damit auch "verbraucht". Den zweiten Kostenfestsetzungsanträgen, die der Beschwerdegegner mit den Erinnerungen verbunden hat, kommt daher keine die Gegenleistung gestaltende Wirkung zu. Schon das spricht dagegen, die Kostenfestsetzungsanträge vom 30.03.2012 als zurückgenommen zu behandeln. Ein weiteres Argument dagegen liegt darin begründet, dass der Beschwerdegegner seine ersten Anträge und die darauf ergangenen Entscheidungen des Urkundsbeamten wohl nicht gegenstandslos machen wollte, auch wenn er jeweils explizit von "Rücknahme" gesprochen hat. Bei natürlicher Betrachtung aller Umstände beabsichtigte er vielmehr, seine ersten Anträge zu erhöhen, ohne allerdings diese und die daraufhin ergangenen Entscheidungen des Urkundsbeamten in "Schall und Rauch" aufzulösen.
Bezüglich der vom Senat zu bestimmenden Vergütung vermag die Staatskasse im Verfahren L 15 SF 160/12 B nicht mit ihrer implizit geäußerten Ansicht durchzudringen, die Gebühren seien lediglich so wie vom Urkundsbeamten bestimmt zuzusprechen. Darin liegt kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius zu Lasten der Staatskasse. Denn aus deren Sicht stellt bereits der Umstand, dass der Senat überhaupt in der Sache entscheidet, ein Teilobsiegen dar. Die Festsetzung einer höheren Vergütung zu Gunsten des Beschwerdegegners verhindert hier lediglich ein volles Obsiegen.
Die Verfahrensgebühr in der Sache S 36 AS 1154/08 hat der Beschwerdegegner innerhalb des einschlägigen Betragsrahmens (40 bis 460 EUR) in einer für die Staatskasse verbindlichen Höhe bestimmt - wobei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen wird, dass die relevante Festsetzung durch den Beschwerdegegner in dessen erstem Kostenfestsetzungsantrag enthalten ist, während der zweite insofern unbeachtlich ist. Zwar spricht Einiges dafür, dass der Fall in Bezug auf seine vergütungsrechtliche Wertigkeit unterhalb der "Mitte" anzusiedeln ist (geringe Bedeutung, Einkommens- und Vermögensverhältnisse). Jedoch bewegt sich die vom Beschwerdegegner vorgenommene Bestimmung der Verfahrensgebühr noch innerhalb der 20-prozentigen Toleranzgrenze (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 21.03.2011 - L 15 SF 204/09 B E m.w.N.), so dass sie billigem Ermessen entspricht. Vor allem fällt zu Gunsten des Beschwerdegegners ins Gewicht, dass Bewilligungsaufhebungen und Leistungsrückforderungen generell als eher schwierig einzustufen sind, auch wenn sich die rechtlichen und tatsächlichen Probleme hier in Grenzen gehalten haben dürften.
In Bezug auf die Terminsgebühr in der Sache S 36 AS 1154/08 hält der Senat die Bestimmung des Beschwerdegegners (200 EUR, was der Mittelgebühr nach Nr. 3106 VV RVG entspricht) für unbillig. Die 20-prozentige Toleranzgrenze ist nicht mehr eingehalten. Jedoch erscheint die Festsetzung des Urkundsbeamten (100 EUR) etwas zu niedrig. Zwar spricht gegen die Bestimmung des Beschwerdegegners, dass im Termin in nur 25 Minuten (am 23.03.2012 von 9.00 Uhr bis 9.25 Uhr) sowohl die Sache S 36 AS 1154/08 als auch die Sache S 36 AS 1269/08 erledigt wurden. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners wird die Vorbereitung auf die Sitzung nicht mit der Termins-, sondern mit der Verfahrensgebühr abgegolten. 100 EUR sind aber angesichts des Umstands, dass wie gesagt Bewilligungsaufhebungen und Leistungsrückforderungen generell als eher schwierig einzustufen sind, etwas zu niedrig taxiert.
Im Hinblick auf die Höhe der Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr, die im Klageverfahren S 36 AS 1269/08 entstanden sind, schließt sich der Senat dagegen in vollem Umfang dem Urkundsbeamten an. Ergänzender Ausführungen dazu bedarf es nicht.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
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