S 35 AL 883/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 AL 883/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2012 verurteilt, über den Antrag vom 4.4.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Ablehnung der Bewilligung eines Gründungszuschusses für eine am 23.7.2012 aufgenommene selbstständige Tätigkeit als Weinhändler. Der 1975 geborene Kläger ist verheiratet, hat zwei kleine Kinder und lebt mit seiner Familie in der Nähe von C-Stadt. Nach einem Abschluss als geprüfter Tourismusfachwirt im Jahr 1994 arbeitete er zunächst in verschiedenen Hotels im Restaurant bzw. an der Bar als Commis de Bar, Chef de Rang, Stellvertreter von Maitre d’Hotel und zuletzt auch als Sommelier. Von April 2001 bis Ende November 2002 war er als Event-Manager bzw. -Koordinator bei D & D beschäftigt. Vom 1.12.2002 bis zum 31.3.2012 war er im Weinhandel und Vertrieb bei C.- Weine beschäftigt, zuletzt zu einem monatlichen Gehalt von 4.000,- Euro. Berufsbegleitend absolvierte er in Österreich eine Ausbildung zum Weinakademiker. Mit Wirkung zum 1.4.2012 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos, ihm wurde Arbeitslosengeld in Höhe von 1.970,10 Euro monatlich bewilligt. Bereits im Erstgespräch am 4.4.2012 gab er an, sich im Weinversandhandel selbstständig machen zu wollen. Im Vermerk zu diesem Gespräch notierte die Mitarbeiterin der Beklagten, der Kläger könne bei Stellensuche vermittelt werden, eine solche erfolge aber nicht da der Kläger sich selbstständig machen wolle; ein "Profiling" werde daher nicht durchgeführt, ein Zielberuf nicht angegeben. Mit Datum 4.4.2012 beantragte der Kläger für eine selbstständige Tätigkeit ab dem 23.7.2012 als "Weinversandhandel mit Spezialisierung auf Spitzenweine" die Bewilligung eines Gründungszuschusses. Er sei quasi zur Selbstständigkeit gezwungen, weil es im Raum C-Stadt/D-Stadt/E-Stadt keinen Arbeitsplatz gebe, wo er seine Fähigkeiten in vollem Umfang ausschöpfen könne. Er wolle einen Online-Shop für Spitzenweine betreiben. Es gebe zwar Online-Shops für Weine, allerdings nur sehr wenige im Bereich der Spitzenweine. Seine Eltern hätten einen Gastronomiebetrieb betrieben und er selbst habe sich bereits während seiner Tätigkeit in der Gastronomie Weinwissen angeeignet. Hierdurch sei ihm schließlich der Ausstieg aus der Gastronomie möglich geworden und er habe als Weinevent-Koordinator zu D & D wechseln können und dort mehr als 150 Weinveranstaltungen organisiert, umgesetzt und moderiert. Hierdurch sei ihm dann der Weg in den Vertrieb von Unger Weine geglückt, wo er unter anderem im Einkauf, Verkauf und in der Kundenbetreuung langjährige Erfahrungen gesammelt habe. In der Region gäbe es außer Unger Weine keinen vergleichbaren Weinhändler, weshalb ihm ein Wechsel nicht möglich sei. Durch die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit könne er weiter in seinem Beruf arbeiten und die Selbstständigkeit lasse sich auch mit seiner Familie gut vereinbaren. Die Kinder seien nun ein und drei Jahre alt und seine Ehefrau wolle als Vorwerk-Thermomix-Repräsentantin wieder ins Arbeitsleben einsteigen. Der Kläger legte unter anderem einen ausführlichen Businessplan, eine positive Tragfähigkeitsbescheinigung und einen Mietvertrag für einen Büroraum ab dem 1.6.2012 vor. Mit Bescheid vom 6.8.2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Eingliederung des Klägers in den Arbeitsmarkt wäre in absehbarere Zeit ohne Leistungen der aktiven Arbeitsförderung möglich gewesen und Leistungen der aktiven Arbeitsförderung dürften nur gewährt werden, wenn sie notwendig seien um den Versicherten dauerhaft in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger nach Akteneinsicht vor, in der Verwaltungsakte befänden sich überhaupt keine Stellenangebote, die für die Behauptung der Vermittelbarkeit sprechen. Die Beklagte nahm darauf-hin sechs Stellenangebote für Weinfachberater in die Verwaltungsakte auf. Die Beschäftigungsorte wären in F-Stadt, G-Stadt, Baden-Württemberg, H-Stadt (zwei Angebote) und I-Stadt (Sommelier im Restaurant) gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 5.10.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sei grundsätzlich vorrangig, der Kläger hätte in absehbarer Zeit in eine solche vermittelt werden können. Konkrete Vermittlungsbemühungen seien nur deshalb und in gegenseitigem Einvernehmen unterblieben, weil der Kläger bereits im Erstgespräch erklärte, sich in naher Zukunft selbstständig machen zu wollen. Der Kläger könne in die Tourismusbranche vermittelt werden, einen Berufsschutz im Hinblick auf seine Tätigkeit im Weinhandel gebe es nicht. Darüber hinaus seien auch Tätigkeiten im mit zumutbaren Pendelzeiten erreichbaren Bereich zu berücksichtigen. Außerdem sei auch im Raum D-Stadt in Zukunft mit einem steigenden Kräftebedarf für Weinfachberater zu rechnen. Mit seiner Klage trägt der Kläger vor, er habe bereits zehn Jahre nicht mehr im Bereich Gastronomie/Tourismus gearbeitet, die Möglichkeit einer Vermittlung in solche Tätigkeiten sei daher fraglich. Sein individueller Lebenslauf und seine individuelle Qualifizierung seien bei der Frage der Vermittelbarkeit nicht berücksichtigt worden.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2012 zu verurteilen, über den Antrag vom 4.4.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht erhobene Klage ist als Verpflichtungsbescheidungsklage zulässig, §§ 51 Absatz 1 Nr. 4, 54 Absatz 1 und 2, 57 Absatz 1 Satz 1, 78 Absatz 1 Satz 1, 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klage ist darüber hinaus begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 6.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Kläger vorrangig in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu vermitteln war. Der Kläger hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Leistung eines Gründungszuschusses, da die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Gemäß § 93 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) (in der Fassung vom 20.12.2011) können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss er-halten. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III a. F. kann ein Gründungszuschuss geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt , 2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 3. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt. Gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 SGB III ist zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Der Kläger verfügte im Zeitpunkt der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit über den erforderlichen Restanspruch und hat durch die Vorlage einer positiven Tragfähigkeitsbe-scheinigung die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells nachgewiesen, die auch von der Beklagten nicht angezweifelt wurde. Der Kläger hat seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit überzeugend dargelegt. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag vom 4.4.2012 ist bislang nicht erfüllt, denn die Beklagte ist im Fall des Klägers ermessensfehlerhaft von einem Vorrang der Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgegangen. Gemäß § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) haben Leistungsträger ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wenn sie ermächtigt sind, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I besteht auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch. Ob das Ermessen richtig ausgeübt worden ist, kann von dem Gericht nur eingeschränkt überprüft werden. Das Gericht darf sein Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, vielmehr darf es nur prüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind. Bei der Überprüfung der eigentlichen Ermessensentscheidung findet nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsprüfung statt (Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 54 Rdnr. 28). Als rechtswidrig aufgehoben werden kann die Entscheidung der Behörde nur bei einem Ermessensfehler. Er liegt vor, wenn entweder eine Ermessensausübung gänzlich unterlassen worden ist (Ermessensnichtgebrauch) oder wenn vom Zweck der Ermessensregelung her sachfremde, d.h. willkürliche Erwägungen angestellt worden sind (Ermessensfehlgebrauch). Im Falle eines Bescheidungsurteils bindet die Rechtsauffassung des Gerichts die Verwaltung nur insoweit, als diese zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes geführt hat (BSG am 25.10.1990 zum damaligen Überbrückungsgeld als "Kann"-Leistung, Az.: 7 RAr 14/90, Rd. 39, zitiert nach Juris). Die Beklagte ist davon ausgegangen, dass der Klä-ger vorliegend vorrangig in eine abhängige Beschäftigung zu vermitteln ist. Dieser Auffas-sung kann sich das Gericht nicht anschließen. Richtig ist, dass eine bestehende zumutbare Vermittlungsmöglichkeit in eine sozialversicherungspflichte Beschäftigung innerhalb der Ermessenserwägungen zu einer rechtmäßigen Ablehnung des Antrags auf Leistung eines Gründungszuschusses führen kann. Gemäß § 4 SGB III hat die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit Vorrang vor den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, es sei denn, die Leistung ist für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich. Bei dem Instrument des Gründungszuschusses handelt es sich um eine Leistung der aktiven Arbeitsförderung, § 3 Abs. 2 und 3 SGB III. Die Vorschrift des § 4 SGB III soll verdeutlichen, dass es die wichtigste Aufgabe der Beklagten ist, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu vermitteln (Brandts in Brand, SGB III, 6. Aufl., § 4, Rdn. 2), daher kann und muss die Beklagte bestehende Vermittlungsmöglichkeiten innerhalb der Ermessensabwägungen berücksichtigen (so auch Winkler in Gagel, SGB III, 48. EL, § 93, Rdn. 66). Auch das Bundessozialgericht hat zum damaligen Überbrückungsgeld als "Kann-Leistung" entsprechende Erwägungen für zulässig erachtet: Bezogen auf das Überbrückungsgeld wäre es nach den vom Gesetz mit dieser Leistungsart verfolgten Zwecken nicht zu beanstanden, wenn die Leistung nicht jedem Antragsteller gewährt würde, die Beklagte die Gewährung von Überbrückungsgeld vielmehr auf solche Personen beschränken würde, die gerade dieser Hilfe zur Wiedereingliederung ins Erwerbsleben bedürfen, weil mit ihrer Vermittlung in eine abhängige Beschäftigung als Arbeitnehmer wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt in angemessener Zeit nicht zu rechnen ist (BSG am 25.10.1990, Az.: 7 RAr 14/90, Rd. 33, zitiert nach Juris). Es muss sich aber um eine zumutbare Beschäftigung mit der Aussicht auf eine dauerhafte Eingliederung handeln (Winkler a.a.O.). Eine realistische und zumutbare Vermittlungsmöglichkeit als Weinfachberater liegt nach Überzeugung der Kammer aber nicht vor. Die von der Beklagten in die Akte aufgenommenen Stellenangebote unterstreichen diesen Eindruck nur. Eine Tätigkeit des Klägers in F-Stadt, G-Stadt und Baden-Württemberg ist dem Kläger besonders vor dem Hintergrund seiner Familie mit zwei kleinen Kindern in der Gegend von C-Stadt nicht zumutbar. Dass die Beklagte diese Stellenangebote in die Akte aufgenommen hat unterstreicht nach An-sicht der Kammer nur, dass zumutbare Stellenangebote nicht vorliegen bzw. lagen. Auch die Zumutbarkeit einer Beschäftigung in München ist fraglich. Jedenfalls verbleiben in diesem Bereich ein bis maximal drei Stellenangebote. Diese konnten das Gericht nicht vom Vorliegen einer realistischen Vermittlungsmöglichkeit als Weinfachberater überzeugen. Die Aussage, dass in Zukunft auch im Raum D-Stadt mit einem Anstieg der Nachfrage nach Weinfachhändlern zu rechnen sei kann – selbst wenn sie zutrifft – nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Im Sommer 2012 gab es jedenfalls keine zumutbare realistische Vermittlungsmöglichkeit. Es ist dem Kläger nicht zuzumuten auf eine ggf. zukünftig eintretende Vermittlungsmöglichkeit arbeitslos (oder in der Tourismusbranche beschäftigt) zu warten, zumal sich auch durch Nichtbeschäftigung in der Weinbrache die Vermittlungschancen des Klägers schmälern würden. Nach Überzeugung der Kammer muss sich der Kläger auf eine möglicherweise bestehende Beschäftigungsmöglichkeit in der Tourismusbranche nicht verweisen lassen. Richtig ist, dass der Kläger eine Ausbildung als geprüfter Tourismusfachwirt absolviert und auch Berufserfahrung in diesem Bereich hat. Das Gericht hat allerdings bereits Zweifel daran, ob in dieser Branche eine zeitnahe Vermittlung des Klägers in eine zumutbare Beschäftigung möglich wäre. Entsprechende Stellenangebote hat die Beklagte nicht zur Akte genommen. Die Beklagte hat auch nicht er-mittelt, wie viele Bewerber es in der Branche gibt bzw. gab. Auch wenn das Gericht davon ausgeht, dass es Stellenangebote in dieser Branche und in der Region gab ist fraglich, ob es für den Kläger angemessene Stellenangebote gab. Die Beklagte hat sich zum einen nicht mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass der Kläger zehn Jahre nicht mehr in der Branche tätig war und hat sich zum anderen nicht mit den realistischen Verdienstmöglichkeiten des Klägers auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund seines letzten Verdienstes und den Zumutbarkeitsregelungen des § 140 Abs. 3 SGB III war dem Kläger in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit ein Arbeitsentgelt unter 3.200,- Euro und in den folgenden drei Monaten unter 2.800,- Euro nicht zumutbar. Ab dem siebten Monat der Arbeitslosigkeit wäre eine Beschäftigung dann nicht zumutbar gewesen, wenn das daraus erzielbare Nettoeinkommen niedriger ist als das Arbeitslosengeld (1.970,10 Euro). Das Gericht ist der Überzeugung, dass hierdurch schon einige Stellenangebote in der Tourismusbranche als für den Kläger unzumutbar nicht berücksichtigungsfähig sind. Nach Recherche ergibt sich für den Bereich Tourismus in Bayern ein Durchschnittsverdienst von 2.309,- Euro (www.gehaltsvergleich.com). Es wäre auch ermessensfehlerhaft den Zeitablauf so lange zu berücksichtigen, bis es aufgrund der absinkenden Zumutbarkeitsschwelle realistische Vermittlungsmöglichkeiten gibt. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist es ausdrückliches Ziel der Arbeitsförderung, die Dauer der Arbeitslosigkeit zu verkürzen. Unabhängig von der nicht geklärten Möglichkeit der Vermittlung ist das Gericht allerdings der Auffassung, dass dem Kläger nach derart kurz andauernder Arbeitslosigkeit nicht zu-zumuten ist, zur Vermeidung der Inanspruchnahme eines Gründungszuschusses wieder in die Tourismusbranche zu wechseln. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Beschäftigung in der Tourismusbrache die Gefahr von saisonbedingten Unterbrechungen birgt und eine durchgehende Ausübung der Beschäftigung bis zum Renteneintritt in vielen Fällen nicht möglich ist. Hierbei ist jedoch klarzustellen, dass diese Unzumutbarkeit allein aus der Tatsache resultiert, dass der Kläger vor zehn Jahren erfolgreich in eine andere Branche gewechselt hat. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger eine derart lange Zeit (mit der Tätigkeit bei D & D elf Jahre) im Verkauf und Vertrieb von Weinen tätig war, er eine Weiterbildung als Weinakademiker absolviert hat, sich hier zuletzt ein Bruttogehalt von 4.000,- Euro erarbeiten konnte und der vom Kläger erarbeitete Anspruch auf Arbeitslosengeld vollständig aus seiner Tätigkeit in diesem Bereich entspringt kann der Kläger nach Überzeugung des Gerichts nach einer derart kurzen Arbeitslosigkeit nicht auf seine frühere Tä-tigkeit in der Tourismusbranche verwiesen werden. Zum einen ist eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ohne Beschäftigungslücken unwahrscheinlicher und zum anderen sind die Verdienstmöglichkeiten schlechter. Aus der Regelung des § 140 Abs. 2 SGB III ist klar zu erkennen, dass der Gesetzgeber bei der Frage der Zumutbarkeit einer Beschäftigung unter anderem auf die Verdienstmöglichkeiten abstellt, diese Frage kann also auch dann nicht außer Betracht bleiben, wenn es sich bei den abzuwägenden Berufen um die selbe Qualifikationsebene im Sinne von § 152 SGB III handelt. Die Arbeitsförderung soll dem Entstehen von Arbeitslosigkeit entgegenwirken, die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzen und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt unterstützen, § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 SGB III sollen die Leistungen der Arbeitsförderung insbesondere die individuelle Beschäftigungsfähigkeit durch Erhalt und Ausbau von Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten fördern und gemäß Nr. 3 der Vorschrift unterwertiger Beschäftigung entgegenwirken. Vor diesem Hintergrund ist es ermessensfehlerhaft wenn die Beklagte dem Kläger trotz tragfähigem Geschäftsmodell einer Selbstständigkeit im Weinhandel nach derart kurzer Zeit der Arbeitslosigkeit zumuten will ohne Ausschöpfung seiner Möglichkeiten als Weinakademiker und seiner Erfahrung im Vertrieb und Verkauf von Weinen und ohne Ausschöpfung seiner Verdienstmöglichkeiten zurück in die Tourismusbrache zu wechseln. Dem Kläger kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass er sich bereits im Erstgespräch auf die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit festgelegt hatte. Dadurch dass der Gesetzgeber die erforderliche Restanspruchsdauer auf Arbeitslosengeld auf 150 Tage festgelegt hat, ist für die Versicherten eine gewisse Eilbedürftigkeit eingetreten. Eine längere Suche nach sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung mit ggf. einer dann erst folgenden Phase von Konzeptentwicklung und Vorbereitungshandlungen birgt das Risiko, eine tragfähige Gründung nicht mehr innerhalb des förderbaren Zeitraums bewerkstelligen zu können. Ein Versicherter, der eine tragfähige Existenzgründung für möglich und für sich selbst auch langfristig für nachhaltiger als eine abhängige Beschäftigung hält, ist aufgrund der Gesetzeslage gehalten sich bei Eintritt der Arbeitslosigkeit schnellstmöglich mit dem Weg einer Existenzgründung auseinanderzusetzen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Kläger in eine Tätigkeit als Weinfachberater realis-tisch nicht (zumutbar) vermittelbar war und der Kläger sich auf eine möglicherweise bestehende Beschäftigungsmöglichkeit in der Tourismusbranche nicht verweisen lassen musste. Nachdem das Gericht nicht seine Auffassung an die Stelle der Entscheidung der Beklagten zu setzen hat, obliegt es der Beklagten, über den Antrag des Klägers vom 4.4.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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