S 20 AY 11/13 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
20
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 20 AY 11/13 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 19/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zur bestandskräftigen Entscheidung des am 07.06.2013 gegen den Bescheid vom 27.05.2013 erhobenen Widerspruchs - längstens bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung des § 3 AsylbLG - ungekürzte Grundleistungen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 4 AsylbLG in Verbindung mit der aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) zu § 3 getroffenen Übergangsregelung auf der Grundlage der Regelbedarfsstufen nach § 8 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) ab dem 06.08.2013 neben der bereits bewilligten und gezahlten Grundleistung für das physische Existenzminimum in Höhe von monatlich 217,- EUR auch den sog. Barbetrag zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums in Höhe von monatlich 137,- EUR auszuzahlen.

2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Auszahlung des sog. Barbetrages (Taschengeldes) gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - unter Beachtung der im Jahr 2012 ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Der 1971 in Kathunangal, Indien, geborene Antragsteller reiste am 01.09.2003 ohne gültigen Pass bzw. nach eigenen Angaben mit einem ihm nicht gehörenden Pass in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seitdem wohnt er bei Bekannten. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Der Antragsteller ist ohne Pass, seine Abschiebung ausgesetzt. Er ist im Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG -, welche von der Ausländerbehörde in Abständen von 2 bis 3 Monaten jeweils verlängert wird.

Seit 19.04.2004 erhält der Antragsteller Asylbewerberleistungen gemäß §§ 3 ff. AsylbLG. Verschiedene Anträge des Antragstellers zur Passbeschaffung beim Indischen Konsulat blieben erfolglos; aufgrund der angegebenen Personalien konnte die Identität des Antragstellers - zuletzt am 12.01.2010 - nicht verifiziert werden. Der Aufklärung dienende persönliche Urkunden (Geburtsurkunde, Pass, school leaving certificate o. ä.) wurden nicht vorgelegt. Am 25.07.2011 erging gegen den Antragsteller durch das Amtsgericht Frankfurt am Main Strafbefehl, da der Antragsteller sich zumindest seit dem 17.04.2010 entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz im Bundesgebiet aufhalte und seinen Mitwirkungspflichten zur Passbeschaffung nicht in ausreichendem Maß nachkomme. Nach weiteren erfolglosen Klärungsversuchen hinsichtlich Identität und Herkunft des Antragstellers am 01.12.2011 und 17.07.2012 durch die Ausländerbehörde gewährte die Antragsgegnerin seit 01.08.2012 im Wege der Leistungskürzung gemäß § 1a Nr. 2 AsylbLG nur noch 217,- EUR monatlich als Grundleistung zur Sicherung des physischen Existenzminimums im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG; das sog. Taschengeld bzw. der sog. Barbetrag wurde zu 100 % gestrichen.

Zuletzt mit Bescheid vom 27.05.2013 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 217,- EUR für den Monat Juni 2013 unter Hinweis darauf, dass bei unveränderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen ein Anspruch auf Weitergewährung der Leistung in der in diesem Bescheid genannten Höhe bestehe. Der Antragsteller erhob am 07.06.2013 Widerspruch mit dem Ziel der Auszahlung eines weiteren Betrages von 137,- EUR monatlich als Asylbarbetrag unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BverfG - vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10).

Am 06.08.2013 hat der Antragsteller bei dem hiesigen Gericht Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt unter Hinweis darauf, dass seiner Ansicht nach aufgrund der Rechtsprechung des BVerfG der Barbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens im Sinne § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG zum physischen und soziokulturellen Existenzminimum gehöre und dieses aus migrationspolitischen Erwägungen nicht eingeschränkt werden dürfe. Er sei einkommenslos und dringend auf die Gewährung des Existenzminimums angewiesen.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
ihm ab Eingang des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz zu den bewilligten 217,- EUR monatlich zusätzlich Leistungen in Höhe von 137,- EUR monatlich im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG sog. Barbetrag - zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, nach ihrer Rechtsauffassung, sei das Urteil des BVerfG vorliegend nicht entscheidungserheblich, da dieses zu § 1a Nr. 2 AsylbLG keine Aussage treffe. Eine Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG sei weiterhin verfassungsgemäß, da das BVerfG in seinem Urteil vom 18.07.2012 ausschließlich die Höhe der Grundleistung nach § 3 AsylbLG einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unterworfen, nicht hingegen eine Entscheidung über § 1a AsylbLG getroffen habe. Das Gericht habe nicht gemeint, dass der unabweisbar gebotene Bedarf im Sinne von § 1a AsylbLG nur der ungekürzte sein könne. Das physische Existenzminimum des Antragstellers sei durch die Zahlung von 217,- EUR monatlich gesichert. Der Tatbestand des § 1a Nr. 2 AsylbLG sei im Falle des Antragstellers erfüllt; er habe es selbst in der Hand, durch seine Mitwirkungshandlung die Bewilligung ungekürzter Leistungen herbeizuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung sind.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seit Eingang seines Rechtsschutzantrages bei Gericht neben der Grundleistung monatlich auch den sog. Barbetrag in Höhe von 137,- EUR monatlich auszuzahlen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragssteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr.27, 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragssteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 12. Mai 2005, AZ: 1 BvR 569/05).

Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr.16c, d, 40).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sind sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund vorliegend in dem tenorierten Umfang glaubhaft gemacht.

Der nach eigenen Angaben aus Indien stammende Antragsteller ist wegen Passlosigkeit im Besitz einer Duldung (§60a Aufenthaltsgesetz – AufenthG -) und gehört daher zum leistungsberechtigten Personenkreis gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG.

Nach § 3 Abs. 1 AsylbLG wird der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts durch Sachleistungen gedeckt. Kann Kleidung nicht geleistet werden, so kann sie in Form von Wertgutscheinen oder anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen gewährt werden. Gebrauchsgüter des Haushalts können leihweise zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich erhalten Leistungsberechtigte
1. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 20,45 EUR,
2. von Beginn des 15. Lebensjahres an 40,90 EUR monatlich als Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens. Der Geldbetrag für in Abschiebungs- oder Untersuchungshaft genommene Leistungsberechtigte beträgt 70 vom Hundert des Geldbetrages nach Satz 4. Nach § 3 Abs. 2 AsylbLG können bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 Asylverfahrensgesetzes, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden. Der Wert beträgt
1. für den Haushaltsvorstand 184,07 EUR,
2. für Haushaltsangehörige bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres 112,48 EUR,
3. für Haushaltsangehörige von Beginn des 8. Lebensjahres an 158,50 EUR monatlich zuzüglich der notwendigen Kosten für Unterkunft, Heizung und Hausrat. Absatz 1 Satz 3 und 4 findet Anwendung.

§ 3 Abs. 2 AsylbLG bestimmt den Wert der Ersatzleistungen für die außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen untergebrachten Leistungsberechtigten und zwar im Hinblick auf die Bedarfspositionen Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushaltes. Dabei orientiert sich die Höhe der gesetzlich festgelegten Grundbeträge einerseits an der Stellung des Leistungsberechtigten im Haushalt und andererseits am Alter der Haushaltsangehörigen. Zuzüglich sind die monatlichen notwendigen Kosten für Unterkunft, Heizung und Hausrat zu gewähren.

Die Regelsätze sollen den notwendigen Bedarf für Ernährung, persönliche Bedürfnisse und Körperpflege sowie hauswirtschaftlichen Bedarf einschließlich Haushaltsenergie (Licht und elektrische Geräte, Warmwasser, Kochen - mit Ausnahme der Heizkosten) decken. Aus den Regelsätzen müssen deshalb die Kosten für die Haushaltsenergie bezahlt werden (Strom und Gas, soweit sie nicht für Heizung benötigt werden). Die Kosten für Miete sowie für Heizung (einschließlich Strom und Gas Heizzwecke) werden demgegenüber zusätzlich zu den Regelsätzen übernommen.

Mit Urteilen vom 18.07.2012 hat das Bundesverfassungsgericht - BverfG - (Az.: 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) entschieden, dass die oben genannten und bisher gesetzlich normierten Leistungssätze nach dem AsylbLG unter Beachtung von Art. 1 und 2 Grundgesetz - GG - zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht ungenügend sind, den Gesetzgeber zur Neuregelung verpflichtet und bis dahin die Berücksichtigung angehobener Leistungen festgelegt. Deren Berechnung ergibt sich im Einzelnen aus Abschnitt D II 4 a) ff. des Urteils, wonach eine Übergangsregelung auf Basis des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) - vom 24.03.2011 (BGBl. I 2011, 453) formuliert ist. Dabei werden die Regelbedarfsstufen nach § 8 RBEG übernommen, wobei jedoch eine gesonderte Berechnung vorzunehmen ist. Für Leistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG erfolgt die Berechnung auf Basis der ermittelten Bedarfe für die Abteilungen 1, 3, 4 und 6 (212,- EUR im Einpersonenhaushalt); nach den Abteilungen 7 bis 12 für die Leistungen nach § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG (derzeit 137,- EUR). Bedarfe der Abteilung 5 für Innenausstattung, Haushaltsgeräte und gegenstände bleiben unberücksichtigt.

Vertreterinnen und Vertreter der 16 Bundesländer haben sich auf Initiative des rheinland-pfälzischen Integrationsministeriums darauf geeinigt, auf der sich aus dem Urteil des BVerfG ergebenden, oben genannten Grundlage, bundesweit einheitliche Sätze nach dem AsylbLG zu zahlen; aufgrund Ergänzung der Länder-Arbeitsgemeinschaft Flüchtlinge vom 5. November 2012 beträgt die Grundleistung für Alleinstehende oder alleinerziehende Erwachsene gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG für 2013: 217,- (Physisches Existenzminimum), der Barbetrag (Taschengeld) gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG für 2013: 137,- EUR - insgesamt 354,- EUR.

Diese sind dem Antragsteller ungekürzt zu gewähren.

Die Antragsgegnerin ist nicht berechtigt, die monatlichen Leistungen des Antragstellers um den Asylbarbetrag, sog. Taschengeldbetrag, (§ 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG) nach § 1a Nr. 2 AsylbLG zu kürzen bzw. - wie hier geschehen - den gesamten Barbetrag zu streichen. Die vorgenommene (vollständige) Streichung des sog. Barbetrages stellt nicht eine im Sinne § 1a AsylbLG vorgesehene Absenkung der Leistung auf das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene dar. Das BVerfG hat die Höhe der das Minimum der Existenz sichernden Leistungen in der Entscheidung vom 18.07.2012 (BVerfG: a. a. O.) verbindlich festgelegt.

Gemäß § 1a AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6,

1. die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder
2. bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können,

Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.

Eine Leistungskürzung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG setzt grundsätzlich voraus, dass bei dem Leistungsberechtigten aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können. Sie sind von ihm zu vertreten, wenn sie ihre ausschließliche Ursache in dem Verantwortungsbereich des Ausländers haben und ihm vorgeworfen werden kann, durch sein Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert zu haben. Erforderlich ist eine umfassende Einzelfallprüfung. Dabei ist die objektive Sachlage maßgeblich.

Ob diese Voraussetzungen - wie die Antragsgegnerin meint - im Falle des Antragstellers jedenfalls seit 01.08.2012 erfüllt sind, kann vorliegend dahinstehen, weil die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG nach den Feststellungen des BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) evident unzureichend sind zur Sicherstellung des physischen und soziokulturellen Existenzminimums, mithin unter Verletzung der in Art. 1 Grundgesetz - GG - garantierten Menschenwürde verfassungswidrig und nach Rechtsauffassung des Gerichts - jedenfalls bis zum Inkrafttreten einer durch das BVerfG aufgegebenen gesetzlichen Neuregelung - die durch das BVerfG als minimal existenzsichernd festgelegte Übergangsregelung unter Anwendung des § 8 RBEG in der Weise zu beachten ist, dass die darin ausgewiesenen Beträge nicht unterschritten werden dürfen, unbeachtlich einer hierfür gegebenen Begründung (so im Ergebnis: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.02.2013 - L 15 AY 2/13 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.03.2013 - L 3 AY 2/13 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.04.2013 - L 20 AY 153/12 B ER; a. A.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.03.2013 - L 8 AY 59/12 B ER; Thüringer LSG, Beschluss vom 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B; offen: Bayerisches LSG, Beschluss vom 24.01.2013 L 8 AY 4/12 B ER - sämtlich verfügbar in juris). Das BVerfG hat in der genannten Entscheidung vom 18.07.2012 nach Rechtsauffassung des Gerichts unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass für Leistungsabsenkungen auf ein Niveau unterhalb der durch die Übergangsregelung vorerst definierten Grenze des existenzsichernden Minimums staatlicher Hilfe kein Raum ist ohne Verletzung der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Sinne Art. 1 GG.

Das BVerfG führt in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) unter C I. 1. b) aus:

"Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl. BVerfGE 125, 175 (223) m.w.N.)."

Weiter heißt es: "a)Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgibt, beschränkt sich die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BVerfGE 125, 175 (225 f.)). b) Jenseits dieser Evidenzkontrolle überprüft das Bundesverfassungsgericht, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfGE 125, 175 (226)). Die Art und die Höhe der Leistungen müssen sich mit einer Methode erklären lassen, nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen. Zudem muss der Pflicht zur Aktualisierung von Leistungsbeträgen nachgekommen werden, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten zur Deckung des existenznotwendigen Bedarfs erforderlich geworden ist (vgl. BVerfGE 125, 175 (225)). Lassen sich die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nicht nachvollziehbar und sachlich differenziert, also bedarfsgerecht berechnen, stehen diese Leistungsregeln nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang. Nach diesen Grundsätzen genügen die vorgelegten Vorschriften den Vorgaben von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht. Die vorgelegten Regelungen sind jedenfalls evident unzureichend, um das menschenwürdige Existenzminimum zu gewährleisten. Zudem ist die Leistungshöhe weder nachvollziehbar berechnet worden noch ist eine realitätsgerechte, auf Bedarfe orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich."

Vor diesem Hindergrund sieht das Gericht keine Grundlage, auch angesichts der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung tatsächlicher Sachverhalte, den Rechtsbegriff des gemäß § 1a AsylbLG geforderten "unabweisbar Gebotenen" unterhalb der durch das BVerfG gezogenen Betragsgrenzen zu definieren und zu begründen, da auch im Rahmen der Leistung des nur unabweisbar Gebotenen das menschenwürdige Existenzminimum - in physischer wie in soziokultureller Hinsicht - nicht unterschritten werden darf (so auch Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen: a. a. O.).

Hierbei darf auch im Hinblick auf den sich aufdrängenden Vergleich mit den Sanktionsregelungen des Sozialgesetzbuch, 2. Buch - SGB II - (vgl. dort §§ 31 ff. SGB II) - nicht übersehen werden, dass es sich hierbei um völlig andere Sachverhalte mit in der Auswirkung abweichenden Rechtsfolgen handelt, dies insbesondere hinsichtlich der bei einer rechtmäßigen Sanktion ohne weiteres aktuell bestehenden bereiten Selbsthilfemöglichkeit, die Leistungskürzung durch anforderungsgerechtes Verhalten unverzüglich zu beenden oder zu verhindern. Dass der einer Sanktion gemäß § 1a AsylbLG unterliegende Leistungsempfänger entsprechende Mittel, allein freiem Willen unterworfen, und jederzeit bereitstehened, synchron zum Hilfebezug und drohender oder vorgenommener Leistungskürzung zur Verfügung hätte, erscheint schon deshalb fraglich, weil das Verlassen des Landes und die Rückkehr in das Heimatland eben nicht ohne weiteres und jederzeit erfolgen kann.

Im Ergebnis rechtfertigt die ggfs. erfolgte Verletzung aufenthaltsrechtlicher Mitwirkungshandlungen nicht die Unterschreitung des gebotenen Existenzminimums, zumal nach den Darlegungen des BVerfG hinsichtlich der Verletzung der Menschenwürde durch die als evident unzureichend festgestellten Leistungssätze nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Leistungsbezieher längere Zeit mit entsprechend geringen Leistungen auskommen kann. Insoweit kommt vorliegend auch unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz auch eine nur teilweise Absenkung oder Streichung der Leistung bzw. eine Anordnung zur nur teilweisen Auszahlung des sog. Barbetrages nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass das BVerfG im Hinblick auf die Berechnung ausreichender Leistungen nicht ausgeschlossen hat, dass gerade bei Personengruppen mit kurzer Verweildauer in der Bundesrepublik eventuelle Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthaltes anfallen.

Es besteht vorliegend für die tenorierte Anordnung auch ein Anordnungsgrund. Eine Regelungsanordnung kann nach § 86 b Abs. 2 SGG nur ergehen, wenn und soweit sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist. Eine Leistungsgewährung - die regelmäßig eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt - kommt als Regelung nur dann in Betracht, wenn eine existentielle Notlage glaubhaft gemacht wurde (vgl. Grieger, ZfSH/SGB 2004, 579 [584]). Hieran sind dann keine hohen Anforderungen zu stellen, wenn aufgrund der nicht gewährten Leistungen die Führung eines menschenwürdigen Lebens in Frage steht. Die Führung eines menschenwürdigen Lebens wird durch die gesetzlich gewährten Sozialleistungen sichergestellt. Angesichts der Ausführungen des BVerfG in der genannten Entscheidung vom 18.07.2012 liegt es schon bei kleineren Kürzungen auf der Hand, dass die Möglichkeit zur Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz konkret gefährdet ist. Dies gilt auch im Fall des Antragstellers, der bereits seit einem Jahr um den vollständigen Barbetrag gekürzte Leistungen bezogen hat. In diesem Zusammenhang verbietet sich aufgrund des oben Gesagten im Hinblick auf die Sicherstellung des Existenzminimums eine Abwägung von Schwere oder Dauerhaftigkeit möglicher aufenthaltsrechtlicher Pflichtverletzungen einerseits und Dauer des Kürzungszeitraumes andererseits, wie dies in der Argumentation der Antragsgegnerin angeklungen ist.

Die Anordnung zur Behebung der gegenwärtigen Notlage des Antragstellers war auf den Zeitraum bis zur bestandskräftigen Entscheidung der genannten Widersprüche zu begrenzen, längstens bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, wobei das Gericht davon ausgeht, dass die rechtlichen Erwägungen, die zur Regelungsanordnung geführt haben, bei der Antragsgegnerin bei unveränderter Sachlage auch über den Regelungszeitraum hinaus weiterhin Beachtung finden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG -.
Rechtskraft
Aus
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