S 8 SO 133/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 133/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt im vorliegenden Verfahren die Gewährung von Krankenhilfe nach dem SGB XII als zuschussweise Leistung statt als Darlehen.

Die Klägerin wurde am 00.00.1928 geboren. Im März 2009 reiste sie als Besucherin in die BRD ein. Sie hatte eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen. Während ihres Aufenthaltes erkrankte sie. Die von der Auslandskrankenversicherung nicht erstatteten Kosten wurden von der Tochter Frau P N und ihrer Familie getragen. Zwischenzeitlich verfügt die Klägerin über eine befristete Aufenthaltserlaubnis, inzwischen bis zum 24.07.2014.

Am 01.07.2010 beantragte sie die Gewährung von Krankenhilfe nach dem SGB XII. Sie bezieht in Russland eine Altersrente sowie eine Schwerbehindertenrente in Höhe von etwa 130 EUR monatlich. Sie ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in U mit einer Wohnfläche von 33,8 qm, die sie mit Kaufvertrag vom 01.11.2002 unbelastet gekauft hatte. Der Kaufpreis betrug 300.000 Rubel. Die Finanzierung des Kaufpreises erfolgte nach Angaben der Klägerin durch Mittel, die ihr ihre Kinder zur Verfügung gestellt hatten.

Mit Bescheid vom 08.09.2011 gewährte die Beklagte Leistungen der Krankenhilfe gem. § 48 SGB XII ab dem 01.07.2010 in Höhe von mindestens 10.600 EUR gem. § 91 SGB XII als Darlehen. Die Klägerin sei Eigentümerin einer Wohnung in Russland im Wert von mindestens 10.600 EUR. Sie habe angegeben, dass die Wohnung von ihrer Tochter und ihrem Sohn zu gleichen Teilen finanziert worden sei, wobei eine Abbuchung vom Konto der Tochter in Höhe von 5.300 EUR nachgewiesen worden sei. Die Eigentumswohnung stelle Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII dar. Sie sei kein geschütztes Vermögen, da sie nicht mehr von der Klägerin selbst bewohnt werde.

Hiergegen legte die Klägerin am 06.10.2011 Widerspruch ein. Sie sei zwischenzeitlich in Begleitung der Tochter nach Russland gereist, um die Möglichkeiten eines Verkaufs der Wohnung zu klären. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Wohnung auf lange Sicht nicht zu verwerten sei, da das Objekt wegen der instabilen politischen Lage in Russland unter Privaten unverkäuflich sei. Die Einschaltung eines Maklers sei kontraproduktiv, da angesichts der verbreiteten Korruption und Wirtschaftskriminalität nicht sicherzustellen sei, dass sie über einen etwaigen Veräußerungserlös wahrheitsgemäß unterrichtet werde. Aufgrund der Gefahr der Unterschlagung und Veruntreuung würden Grundstücksgeschäfte in der Regel durch Barzahlung abgewickelt, allerdings stünde derzeit kein Kaufinteressent zur Verfügung. Da die Wohnung damit gegenwärtig nicht verwertbar sei, stünde sie nicht als Vermögen der Leistungsgewährung entgegen. Es handle sich um eine Ein-Zimmer-Wohnung. Für die Wohnanlage würden pauschal laufende Bewirtschaftungskosten in Rechnung gestellt, für deren Finanzierung sie bisher ihre russische Rente verwendet habe. Inzwischen sei die Wohnung vermietet. Die Mietzahlung bestünde darin, dass der Bewohner die laufenden Betriebskosten zahle, um sie insoweit zu entlasten. Weitergehende Mieteinnahmen erwirtschafte sie nicht. Die Vermietung stelle lediglich sicher, dass ihr nicht wegen ausbleibender Zahlung von Betriebskosten das Wohnungseigentum entzogen werden könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2012 änderte die Beklagte den Bescheid insoweit ab, als die Gewährung der Krankenhilfe als Darlehen erst ab dem 08.09.2011 erfolgte und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Dem Vorbringen, dass die Wohnung derzeit unverwertbar sei, vermöge die Beklagte nicht zu folgen, da dies nicht hinreichend glaubhaft gemacht sei. Es müssten diesbezüglich konkrete Belege vorgelegt werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 04.06.2012 Klage erhoben. Sie verweist weiterhin auf die Unverwertbarkeit der Eigentumswohnung. Sie legt einen "Technischen Pass für Wohnraum" vom 20.12.2012 vor, wonach sich der Inventurwert der Wohnung auf 219.332 Rubel (5.492,32 EUR) beläuft. Die Verwertung sei nicht wirtschaftlich, weil mit Kosten für Makler, Visa, Reisen, Unterkunft und Verpflegung sowie Räumung und Reinigung in Höhe von 2.400 EUR zu rechnen sei. Der Veräußerungserlös falle dann unter die Vermögensschongrenze. Zudem sei die Wohnung in einem miserablen Zustand. Sie sei daher auch nur sporadisch zu vermieten. Die Wohnung verfüge über keine Küche, der derzeitige Mieter behelfe sich mit einem zweiflammigen Elektrokocher. Das Badezimmer sei nach hiesigen Maßstäben unbrauchbar, weil sich die Fliesen von der Wand lösten und die Wände beschädigt seien. Der Sanierungsaufwand übersteige den Marktwert. Zudem nehme die Klägerin seit langem keine ärztliche Hilfe in Anspruch aus Angst vor ungedeckten Behandlungskosten. Die Beauftragung eines Maklers sei unvertretbar, da aufgrund der Korruption und Kriminalität des Wohnungsmarktes mit einem Totalverlust der Wohnung und des Kaufpreises zu rechnen sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2012 zu verurteilen, Leistungen der Krankenhilfe nach dem SGB XII zuschussweise zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf ihre Ausführungen im Bescheid und Widerspruchs-bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 08.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2012 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da der Bescheid rechtmäßig ist. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Hilfe bei Krankheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII als Zuschuss anstelle des von der Beklagten gewährten Darlehens.

Gemäß § 48 S. 1 SGB XII werden, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel Fünften Abschnitt Ersten Titel des Fünften Buches erbracht. Gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII sind Hilfen zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII ist einzusetzen das gesamte verwertbare Vermögen. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe weiter nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Eigentumswohnung in U in Russland, die als Vermö-gensgegenstand der Gewährung zuschussweiser Leistungen nach dem SGB XII entgegen steht. Die Eigentumswohnung stellt zunächst kein geschütztes Vermögen gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII dar, da sie von der Klägerin nicht mehr selbst bewohnt wird. Die Klägerin hält sich seit 2009 und damit nunmehr seit fünf Jahren in der BRD auf und nutzt seitdem die Wohnung nicht mehr selbst zu Wohnzwecken. Zwischenzeitlich wird die Wohnung von einem Mieter bewohnt. Die Wohnung wurde zu einem Kaufpreis von 300.000 Rubel (entsprach am 01.07.2010 einem Betrag von 7.738,40 EUR) erworben. Der Inventurwert belief sich nach dem von der Klägerin vorgelegten "Technischen Pass für Wohnraum" im Jahr 2012 auf 219.332 Rubel, was zum Zeitpunkt der Antragstellung am 01.07.2010 einem Wert von 5.657,59 EUR entsprach. Die Beträge liegen oberhalb des gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII von der Verwertung ausgenommenen Barbetrages oder Geldwertes, der sich gemäß § 1 S. 1 Nr. 1 b) BarBetrV auf 2.600 EUR beläuft.

Die Kammer geht auch nicht von einer Unverwertbarkeit der Eigentumswohnung aus. Der Begriff der Verwertbarkeit erfordert eine rein wirtschaftliche Betrachtung unter Ausschluss von Gesichtspunkten der personellen Zuordnung von Vermögensgegenständen und insbesondere der Zumutbarkeit der Verwertung (Mecke in jurisPK, SGB XII, 2. Aufl. 2014, Stand: 01.05.2014, § 90 Rn. 37 m.w.N.). Die Verwertbarkeit betrifft also allein die Frage, ob ein bestimmter Vermögensgegenstand überhaupt einen wirtschaftlichen Wert besitzt, den die nachfragende Person für sich einsetzen kann (Mecke, a.a.O.). Vermögen ist verwertbar, wenn die Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können (Mecke, a.a.O.). Ob Vermögensgegenstände im Sinne der gesetzlichen Regelung verwertbar sind, beurteilt sich unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten (Mecke, a.a.O.). Der Vermögensinhaber muss über das Vermögen verfügen dürfen, aber auch verfügen können (Mecke, a.a.O.). Der Vermögensinhaber verfügt nicht über bereite Mittel, wenn er diese nicht in angemessener Zeit realisieren kann (Mecke, a.a.O.).

Rechtliche Verwertungshindernisse, die der Verwertung der Eigentumswohnung entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin ist als Eigentümerin befugt, die Wohnung zu verkaufen und das Eigentum zu übertragen oder die Immobilie zu belasten. Das Bestehen rechtlicher Verfügungsbeschränkungen ist weder vorgetragen noch ergeben sich sonst Anhaltspunkte hierfür aus dem Akteninhalt.

Aber auch eine Unverwertbarkeit in tatsächlicher Hinsicht vermag die Kammer nicht festzustellen. Tatsächlich nicht verwertbar ist ein Vermögensbestandteil dann, wenn in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, sei es, dass Gegenstände dieser Art nicht mehr marktgängig sind oder das sie wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise über den Marktwert hinaus belastet sind. Hier vermag die Kammer sich nicht davon zu überzeugen, dass ein Käufer für die Eigentumswohnung nicht gefunden werden könnte. Es ist für die Kammer nicht erkennbar, dass die Klägerin in der Zeit seit der Beantragung der Leistungen zur Hilfe bei Krankheit die Verwertung der Eigentumswohnung ernsthaft versucht hätte. Soweit im Rahmen der einmaligen Reise nach Russland kein Käufer zu finden war, führt dies nicht bereits zur Annahme der Unverwertbarkeit. Dass die Wohnung über einen längeren Zeitraum ernsthaft einem potentiellen Käuferkreis dergestalt angeboten wurde, dass nun von einer Unverwertbarkeit ausgegangen werden könnte, ist nicht ersichtlich. Einen Makler hat die Klägerin aufgrund der im Tatbestand näher dargestellten Bedenken nicht beauftragt. Soweit die Klägerin auf die Gepflogenheiten der Abwicklung von Grundstücksgeschäften in Russland verweist, so verkennt die Kammer nicht die praktischen Schwierigkeiten, die mit einer Abwicklung eines Wohnungsverkaufs in Russland verbunden sein mögen. Die Verwertung von Vermögen im Ausland ist allerdings regelmäßig mit praktischen Schwierigkeiten, die sich aus der Ortsabwesenheit des Eigentümers oder aus den örtlichen Gepflogenheiten ergeben können, verbunden. Hier kann regelmäßig eine Bevollmächtigung von Vertrauenspersonen vor Ort erfolgen. Allein aus den sich ergebenden Abwicklungsschwierigkeiten vermag die Kammer aber nicht auf eine Unverwertbarkeit zu schließen, da dies letztlich auch Leistungsberechtigte mit Vermögen im Ausland besser stellen würde als solche mit im Inland belegenen Vermögenswerten.

Dem Einsatz des Vermögens stehen auch keine Härtegründe entgegen. Gemäß § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist gemäß § 90 Abs. 3 S. 2 SGB XII bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Hier sind keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich, die der Klägerin im Hinblick auf die Verwertung der Eigentumswohnung ein größeres Opfer abverlangen würden, als die stets mit der Vermögensverwertung einhergehende Härte. Die Verwertung der Immobilie stellt für die Klägerin keinen größeren Eingriff dar als für andere Hilfebedürftige, die verpflichtet sind, Vermögensgegenstände, seien es Immobilien oder andere höherwertige Vermögensgegenstände wie Sparvermögen oder Versicherungen, zu verwerten.

Zutreffend hat die Beklagte daher die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII im angefochtenen Bescheid darlehensweise gewährt. Gemäß § 91 S. 1 soll die Sozialhilfe als Darlehen geleistet werden, soweit nach § 90 für den Bedarf der nachfragenden Person Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder für die, die es einzusetzen hat, eine Härte bedeuten würde. Die Leistungserbringung kann gemäß § 91 S. 2 SGB XII davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird. Mit der Beklagten geht die Kammer davon aus, dass die sofortige Verwertung der Eigentumswohnung als Vermögen nicht möglich ist, sondern - wie bei Immobilienvermögen regelmäßig der Fall - eine gewisse Zeit bis zum Auffinden eines Käufers und der Abwicklung des Kaufs erforderlich ist. Dem wird durch die darlehensweise Leistungsgewährung Rechnung getragen. Soweit die Klägerin ausführt, dass sie aus Angst vor ungedeckten Behandlungskosten derzeit keine medizinische Hilfe in Anspruch nehme, so ist dies nicht nachvollziehbar, da durch die darlehensweise Leistungsgewährung die medizinische Versorgung sichergestellt ist. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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