L 16 AS 389/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AS 209/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 389/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Minderungen gemäß § 32 SGB II i.d.F. ab 01.04.2011 wegen der Nichtwahrnehmung von Meldeterminen können wiederholt festgesetzt werden, ohne dass vor Eintritt der weiteren Meldepflichtverletzung die vorangegangene Minderung durch Bescheid festgesetzt worden ist. Das im Urteil des BSG vom 09.11.2010 (Az.: B 4 AS 27/10 R) festgestellte Erfordernis der vorherigen Feststellung einer Sanktion durch Bescheid, bevor wegen eines wiederholten Meldeversäumnisses eine Absenkung festgestellt werden kann, ist auf den Tatbestand des Meldeversäumnisses nach § 32 SGB II i.d.F. ab 01.04.2011 nicht übertragbar.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.05.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten unter anderem über Absenkungen des Arbeitslosengelds II der Klägerin zu 2) aufgrund von Meldeversäumnissen.

Die 1981 geborene Klägerin zu 2) steht mit ihrem 1983 geborenen Ehemann, dem Kläger zu 1), seit 2009 im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Klägerin zu 2) gab in den Anträgen jeweils an, voll erwerbsgemindert zu sein.

Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 2) mit Bescheid vom 11.02.2009 zunächst Leistungen als nicht erwerbsfähiger Angehöriger (Sozialgeld), wies aber mit Schreiben vom 20.03.2009 darauf hin, dass die Frage der Erwerbsfähigkeit noch abzuklären sei. Hierfür seien zunächst ein Gesundheitsfragebogen und eine Schweigepflichtentbindung vorzulegen.

Die Kläger übersandten daraufhin einen Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 17.07.2009, mit dem abgelehnt wird, einen Grad der Behinderung (GdB) festzustellen. Die Klägerin zu 2) leidet danach an Burnout, Bronchialasthma und einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule. Für diese Leiden ist jeweils ein GdB von 10 angesetzt.

Die Vorlage weiterer Unterlagen wurde von ihnen als nicht erforderlich verweigert. Eine im Mai 2010 veranlasste Untersuchung durch den ärztlichen Dienst kam nicht zu Stande. Die Klägerin zu 2) erklärte hierzu mit Schreiben vom 14.05.2010, dass sie aufgrund der Schikane auf Arbeitslosengeld II künftig verzichte. Mit Schreiben vom 27.05.2010 widerrief sie diesen Verzicht.

Der Kläger zu 1) plante zu diesem Zeitpunkt die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.
Mit Schreiben vom 06.06.2011 beantragte er Einstiegsgeld für die Aufnahme einer Tätigkeit im Versicherungsbereich, berufsbegleitend eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann.

Mit Schreiben vom 14.09.2011 stellte er einen neuen Antrag auf Einstiegsgeld und wies darauf hin, dass er eine selbständige Tätigkeit im Bereich Marktforschung/Interview/Test-
kauf aufnehmen werde. Hierzu legte er am 17.10.2011 einen überarbeiteten Businessplan vor. Mit Schreiben vom 10.11.2011 fragte er wegen der Übernahme von Umzugskosten im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit an.

Parallel hierzu erfolgten ab 01.01.2011 mehrfach Absenkungen der Leistungen, weil die Kläger zu Meldeterminen nicht erschienen waren, zuletzt mit Bescheid vom 23.05.2011 gegenüber der Klägerin zu 2) für die Zeit ab 01.06.2011 bis 31.08.2011. Diese Bescheide sind bestandskräftig geworden.

Mit Bescheid vom 21.07.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.09.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen ab 01.09.2011 bis 29.02.2011.

Mit Schreiben vom 16.11.2011 forderte der Beklagte die Klägerin zu 2) auf, am 21.11.2011 einen Termin zur Besprechung ihres Bewerberangebots beziehungsweise ihrer beruflichen Situation wahrzunehmen. Zu diesem Termin erschien die Klägerin zu 2) nicht. Auf Anhörung mit Schreiben vom 21.11.2011 erklärte der Kläger zu 1), wie bereits mehrfach mitgeteilt, sei die Sachbearbeitung für eine Vermittlung in eine nichtselbständige Tätigkeit aufgrund seiner Existenzgründung für ihn und seine Frau nicht mehr zuständig. Man solle seine Frau in Ruhe lassen, denn man habe bis heute keinerlei Beweise für die Zweifel an der früheren Entscheidung vorgelegt. Dies erfülle den Straftatbestand der Nötigung, Belästigung, Vortäuschen falscher Tatsachen, Amtsanmaßung, Amtsmissbrauch, schwere vorsätzliche Körperverletzung und versuchten Mordes an seiner Frau sowie den Straftatbestand der Unterschlagung. Jeder Kontaktversuch mit ihm oder seiner Frau werde künftig direkt der zuständigen Staatsanwaltschaft übergeben. Mit Bescheid vom 14.12.2011 stellte der Beklagte daraufhin für die Zeit ab 01.01.2012 bis 31.03.2012 eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II der Klägerin zu 2) in Höhe von 10 v.H. des Regelbedarfs fest. Den Widerspruch der Kläger gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2012 zurück.

Am 30.01.2012 führte das Sozialgericht Augsburg in verschiedenen anhängigen Verfahren der Kläger einen Erörterungstermin durch, in dem die Kläger ihre Klage auf Auszahlung des Umzugszuschusses (Az.: S 11 AS 1294/11) für erledigt erklärten. Auch die Klage auf Festsetzung und Auszahlung des Einstiegsgeldes wurde auf Hinweis für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte erklärt hatte, dass beabsichtigt sei, zeitnah hierüber zu entscheiden. Nach Vorlage einer (negativen) Stellungnahme der IHK Schwaben lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.03.2012 das beantragte Einstiegsgeld ab. Dieser Bescheid ist Gegenstand des ebenfalls beim Senat anhängigen Berufungsverfahrens L 16 AS 591/12.

Mit Bescheid vom 07.02.2012 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen ab 01.03.2012 bis 31.08.2012. Ein Änderungsbescheid vom 15.02.2012, mit dem er die Leistungen gegenüber der Klägerin zu 2) für diesen Zeitraum völlig versagte, ist ebenfalls Gegenstand eines anhängigen Berufungsverfahrens (Az.: L 16 AS 590/12).

Mit Schriftsatz vom 05.03.2012, eingegangen bei Gericht am 07.03.2012, und unter Vorlage einer Klageschrift vom 28.01.2012 erhoben die Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.01.2012, mit der sie die Festsetzung des beantragten Einstiegsgeldes und der Umzugskosten forderten. Der Beklagte rügte mit seiner Erwiderung vom 12.04.2012 die Verfristung der Klage, die auch im Übrigen unzulässig sei. Bezüglich des Antrags auf Einstiegsgeld und Umzugskosten verwies er auf den Termin vom 30.01.2012 und den Bescheid vom 05.03.2012.

Mit Urteil vom 09.05.2012 wies das Sozialgericht die Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 14.12.2011 als unbegründet, und im Übrigen bereits als unzulässig zurück. Bezüglich der Fristversäumung könne aufgrund des Ablaufs und der zahlreichen, auch telefonischen Anfragen des Klägers zu 1) nicht ausgeschlossen werden, dass die Frist zur Klageerhebung unverschuldet versäumt gewesen sei, zumal die Kläger noch innerhalb der Klagefrist mit Schriftsatz vom 08.02.2012 im Verfahren S 11 AS 154/12 ER um Mitteilung des Aktenzeichens für ihre Klage vom 28.01.2012 gebeten hätten. Es sei daher bezüglich der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Klage sei aber auch bezogen auf die Sanktion vom 14.12.2011 als unbegründet abzuweisen, da die Klägerin zu 2) keinen wichtigen Grund für die Wahrnehmung der an sie gerichteten Meldeaufforderung vorgetragen habe und ein solcher auch nicht ersichtlich sei. Schließlich sei zum Zeitpunkt des Meldeversäumnisses vom 21.11.2011 jedenfalls der Bescheid vom 17.11.2011, mit dem wegen Verstoßes gegen die Meldeaufforderung für den 24.10.2011 eine Leistungsminderung für die Zeit ab 01.12.2011 bis 29.02.2012 festgestellt worden sei, bereits ergangen und der Klägerin zu 2) auch bekannt gegeben worden. Das Einladungsschreiben habe darüber hinaus auch eine ordnungsgemäße und hinreichend klare Rechtsfolgenbelehrung für den Fall der unentschuldigten Nichtwahrnehmung der Termine enthalten. Die Sanktion sei auch im Übrigen rechtmäßig ergangen. Die weiteren Sanktionsbescheide seien allerdings jeweils Gegenstand anhängiger Klage- beziehungsweise Berufungsverfahren und während der Rechtshängigkeit ein zweites Verfahren über denselben Streitgegenstand unzulässig. Der Antrag auf Umzugskosten sei bereits im Termin vom 30.01.2012 im Verfahren S 11 AS 1294/11 nicht mehr aufrechterhalten worden. Bezüglich des Einstiegsgelds sei inzwischen ein Bescheid ergangen.

Gegen diese Entscheidung haben die Kläger mit Schreiben vom 15.03.2012 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt und beantragt, die Klagen gegen die Sanktionen zur Prüfung der Rechtmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit an das Bundesverfassungsgericht weiter zu reichen. Auf weitere Schreiben vom 24.07.2012, 28.07.2011, 21.08.2012, 21.09.2012 und 26.09.2012 wird verwiesen. Die Kläger haben darin auf Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 09.11.2010 und des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 hingewiesen. Sanktionen unter Vortäuschen falscher Tatsachen und uneidlicher Falschaussagen seien rechtswidrig und somit sofort aufzuheben, vor allem wenn mehrere Sanktionen gleichzeitig ausgesprochen würden, ohne dass der Sanktionsbescheid für die erste Pflichtverletzung überhaupt eingegangen sei. Der Beklagte habe sich in mehrfacher Hinsicht strafbar gemacht. Die zuständigen Strafverfolgungsbehörden würden weiterhin auf dem Laufenden gehalten. Sie haben ihr Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass bei einer so klaren Rechtslage überhaupt verhandelt werden müsse.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 04.07.2011 erwidert.

In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Behördenakten auch in den Verfahren L 16 AS 167/12 und L 16 AS 199/12 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 24.10.2012 entscheiden. Die Kläger sind in der Ladung darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entscheiden werden kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Kläger ist gemäß
§§ 143, 151 SGG zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.
Bezüglich des hier zugrundeliegenden Streitgegenstands ist zu beachten, dass die Kläger weder im Klage- noch im Berufungsverfahren einen eindeutigen prozessualen Antrag gestellt haben. Vielmehr haben sie sich gegen die Entscheidungen und das Verhalten des Beklagten im Allgemeinen gewandt und - wie in allen anderen anhängigen Verfahren
- ihre Forderungen auf Aufhebung aller Sanktionen und Versagungen, Auszahlung des Einstiegsgeldes und künftiges Verhalten des Beklagten in ihrem Sinne wiederholt. Der Senat geht im Rahmen der nach § 123 SGG vorzunehmenden Auslegung des Klageantrags davon aus, dass es sich dabei nicht um prozessuale Anträge, sondern um einen Vortrag zur Erläuterung ihrer Forderungen bezogen auf den jeweils konkret zugrundeliegenden Streitgegenstand handelt, wie er sich aus den angefochtenen Entscheidungen des Beklagten ergibt. Danach ist, nachdem die Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.01.2012 erhoben haben, zunächst der Bescheid vom 14.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2012 als Streitgegenstand zugrundezulegen. Nachdem die Kläger darüber hinaus auch ihre Anträge auf Einstiegsgeld und Umzugskostenzuschuss wiederholt haben und das Sozialgericht im angefochtenen Urteil vom 09.05.2012 hierüber entscheiden hat, legt der Senat im vorliegenden Fall nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz zugunsten der Kläger auch im Berufungsverfahren diesen Streitgegenstand zu Grunde. Das bedeutet auch, dass die Berufung insgesamt zulässig ist, obwohl allein aufgrund der Entscheidung vom 14.12.2012 eine Berufungsfähigkeit nicht gegeben wäre.

Allerdings hat das Sozialgericht die Klage zu Recht als teilweise unzulässig abgewiesen. Dies gilt zum einen für die Klage des Klägers zu 1) gegen die gegenüber der Klägerin zu 2) ergangenen Absenkungsentscheidung vom 14.12.2011, da es sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um individuelle Leistungsansprüche handelt, so dass nur dasjenige Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, dessen Leistung aufgrund der Absenkung gemindert wird, durch die Entscheidung auch rechtlich beschwert ist (BSG, seit Urteil vom 07.11.2006
- B 7b AS 8/06 R). Klagebefugt ist damit bezüglich der hier ausschließlich gegenüber der Klägerin zu 2) festgestellten Absenkung des Arbeitslosengelds auch nur die Klägerin
zu 2). Bezüglich der von den Klägern wiederholt gestellten Anträge auf Aufhebung sämtlicher Sanktionen und der Komplettentsagung sowie Auszahlung des Einstiegsgeldes und Umzugskosten wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im Urteil vom 13.02.2012 verwiesen und gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darlegung abgesehen. Der Antrag auf Gewährung von Einstiegsgeld ist inzwischen Gegenstand eines weiteren Berufungsverfahrens, das beim Senat anhängig ist (Az.: L 16 AS 591/12).

Der einzige danach inhaltlich zu überprüfende Sanktionsbescheid vom 14.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2012 gegenüber der Klägerin zu 2) ist rechtmäßig ergangen und verletzt die Klägerin zu 2) nicht in ihren Rechten.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte gemäß § 48 SGB X die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wegen des ab 01.04.2011 in § 32 SGB II geregelten Tatbestands des Meldeversäumnisses in den Monaten Januar 2012 bis einschließlich Februar 2012 jeweils in Höhe von 10 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs aufgehoben und für den Monat März eine Absenkung der noch zu bewilligenden Leistungen festgestellt. Diese Entscheidung ist rechtmäßig ergangen und verletzt die Klägerin zu 2) nicht in ihren Rechten. Die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 14.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.01.2012 beurteilt sich dabei nach § 40 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 21.07.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.09.2011, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Grundlage für die hier streitgegenständliche Absenkungsentscheidung vom 14.12.2011 war § 32 Abs. 1 SGB II in der Fassung ab 01.04.2011. Danach mindert sich das Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld jeweils um 10 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs des Leistungsberechtigten, wenn dieser trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht nachkommt. Bei der Verpflichtung, diese Termine wahrzunehmen, handelt es sich um eine Obliegenheit des Leistungsberechtigten, die zum einen an die allgemeine Obliegenheit zum persönlichen Erscheinen und zu Untersuchungen (§§ 61f. SGB I) anknüpft zum anderen an die allgemeine Meldepflicht im § 309 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), dessen entsprechende Anwendung der Gesetzgeber in § 59 SGB II angeordnet hat und die sich als Ausformung der umfassenden Mitwirkungsobliegenheit des § 2
SGB II über die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hinaus auch auf Sozialgeldbezieher bezieht (Berlit in Lehr- und Praxiskommentar (LPK) - SGB II, § 32, Rn. 5).

Das bedeutet zunächst, dass - anders als bei den "arbeitsbezogenen" Pflichtverletzungen nach § 31 SGB II - unerheblich ist, ob der Leistungsberechtigte erwerbsfähig ist oder nicht. Auch Sozialgeldbezieher sind danach verpflichtet einer Aufforderung des Trägers, sich bei ihm zu melden, nachzukommen.

Unabhängig davon geht der Senat davon aus, dass die Klägerin zu 2) erwerbsfähig gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 SGB II ist (und damit auch grundsätzlich einen Leistungsanspruch nach dem SGB II hat). Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Klägerin zu 2) nicht erwerbsfähig wäre. Nach dem Bescheid des Zentrums Bayern für Familie und Soziales vom 17.07.2009 leidet die Klägerin zu 2) gerade an keinerlei schwerwiegenden Beeinträchtigungen; die Behörde hat in diesem Bescheid ausdrücklich die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) abgelehnt, weil die festgestellten Gesundheitsstörungen (Burnout, Bronchialasthma und Wirbelsäulenbeschwerden) auch in ihrer Gesamtheit keinen höheren Grad der Behinderung als 10 begründen könnten. Eine andere Feststellung ergibt sich auch nicht aus dem Bewilligungsbescheid vom 11.02.2009, mit dem die Klägerin zu 2) für die Zeit ab 09.01.2009 bis 30.06.2009 Leistungen als nicht erwerbsfähige Sozialgeldempfängerin erhalten hat. Der Bewilligungsbescheid enthält keine über die Bewilligungsdauer hinausgehende Regelung beziehungsweise Zusicherung gemäß § 34 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). So hat auch parallel hierzu der Beklagte seit Beginn des Leistungsbezugs versucht, die Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin zu 2) zu klären, und ihr erstmals am 20.03.2009 einen Gesundheitsfragebogen und Schweigepflichtentbindungen übersandt, was von den Klägern bereits damals ebenso als unzulässige Schikane abgelehnt wurde wie eine Untersuchung durch den ärztlichen Dienst.

Liegen danach bereits keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin zu 2) nicht erwerbsfähig wäre, gilt das erst recht für die Wahrnehmung von Vorspracheterminen, denen auch nicht erwerbsfähige Leistungsbezieher nachkommen müssen, wenn sie im Einzelfall keinen wichtigen Grund nachweisen können, der sie daran hindern würde. Auch eine ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit ist nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen (BSG, Urteil vom 09.11.2010 - B 4 AS 27/10 R). Bezogen auf die streitgegenständlichen Termine liegen aber keinerlei ärztliche Atteste vor. Aufgrund der Weigerung der Klägerin zu 2), eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen, kann auch nicht festgestellt werden, ob die im Attest vom 26.01.2012 geschilderten Probleme die Klägerin auch an einer Wahrnehmung der Meldetermine gehindert haben. Die Nichterweislichkeit dieser Tatsache (krankheitsbedingte Unfähigkeit, den Meldetermin wahrzunehmen, als wichtiger Grund gemäß § 32 SGB II) geht danach aufgrund der vom Gesetzgeber dem Leistungsberechtigten auferlegten Darlegungs- und Beweislast (Berlit in LPK - SGB II, § 31, Rn. 69) insofern zulasten der Klägerin zu 2), als auch nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin zu 2) krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen wäre, zu den mitgeteilten Vorspracheterminen zu erscheinen.

Die Klägerin zu 2) ist mit Einladungsschreiben vom 16.11.2011 aufgefordert worden, am 21.11.2011 beim Beklagten einen Termin zur Besprechung ihrer beruflichen Situation wahrzunehmen.

Dieser Termin diente einem in der Aufforderung konkret bezeichneten, nach § 309 SGB III (analog) zulässigen Zweck. Insbesondere war es aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin zu 2) seit der Antragstellung im Jahre 2009 nicht mehr beim Beklagten vorgesprochen hat, dringend erforderlich, mit ihr ein Gespräch über ihre berufliche Situation zu führen. Auch eine unverhältnismäßige Einladungsdichte liegt nicht vor. Denn einerseits lagen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, die Klägerin zu 2) könne nicht erwerbsfähig oder gar dauerhaft nicht vorsprachefähig sein. Der Beklagte musste also davon ausgehen, dass die Klägerin zu 2) auch in eine Arbeit vermittelt werden kann. Auch soweit Vermittlungshindernisse oder gesundheitliche Einschränkungen tatsächlich bestehen, wäre es erforderlich gewesen, diese zu besprechen und zu klären, welche Tätigkeiten die Klägerin zu 2) danach noch ausüben kann oder ob zunächst Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§ 16 Abs. 1 SGB II) durchzuführen sind. Hierzu hat der Beklagte regelmäßig Eingliederungsvereinbarungen abzuschließen (§ 15 SGB II). Nachdem die Klägerin zu 2) sich bisher aber stets geweigert hatte, beim Beklagten vorzusprechen, war es diesem auch nicht möglich, festzustellen, ob und in welchem Umfang sie möglicherweise tatsächlich in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist und welche Bemühungen um Arbeit von ihr aufgrund ihrer Einschränkungen verlangt werden können. Daher war auch der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung entgegen der gesetzlichen Verpflichtung noch nicht möglich. Die Verpflichtung des Beklagten zur Vermittlung trotz festgestellter Leistungseinschränkungen besteht aber sogar bei Sozialgeldbeziehern und Hilfebedürftigen, die bei einem Leistungsvermögen von mehr als drei Stunden und weniger als sechs Stunden täglich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 01.07.2010 - L 11 AS 162/09 -).Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum mehrfach monatlich Einladungen ausgesprochen hat, um die Klägerin zu 2) zu einem pflichtgemäßen Verhalten zu bewegen.

In der Rechtsfolgenbelehrung ist die Klägerin zu 2) jeweils darauf hingewiesen worden, dass sich bei einer Verletzung der Meldepflicht das Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld für die Dauer von drei Monaten um 10 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs mindert, dass sich bei Überschneidungen der Sanktionszeiträume Minderungen addieren können und Minderungen wegen Meldepflichtverletzungen zu Minderungen nach § 31 SGB II hinzutreten können. Eine weitergehende Rechtsfolgenbelehrung dahingehend, in welchen konkreten Monaten sich unter Berücksichtigung der bisherigen Absenkungen welche konkreten Absenkungsbeträge ergeben, kann bereits deshalb nicht verlangt werden, weil der exakte Zeitpunkt einer möglichen Absenkung zum Zeitpunkt der Einladung aufgrund der Regelung in § 31 b Abs. 1 S. 1 SGB II noch gar nicht feststeht.

Die Klägerin zu 2) ist diesem Termin wie bislang allen Terminen trotz Kenntnis über die Rechtsfolgen ferngeblieben, ohne auch nur in einem Fall einen wichtigen Grund darlegen oder gar nachweisen zu können (vgl. hierzu die Entscheidungen des Senats vom gleichen Tag, Az.: L 16 AS 167/12 und L 16 AS 199/12).

Der Beklagte hatte daher zu Recht eine weitere Minderung des Arbeitslosengelds II um 10 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs für die Dauer von drei Monaten festzustellen
(§ 32 Abs. 1 S. 1 SGB II: "jeweils"). Die weiteren formalen Voraussetzungen in § 32
Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit § 31 a Abs. 3 und § 31 b SGB II sind ebenfalls erfüllt. Der Beklagte hat die Klägerin zu 2) im Bescheid vom 14.12.2011 darauf hingewiesen, dass ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen beantragt werden können. Er hat als Beginn der Minderung den Beginn des Kalendermonats festgestellt, der auf das Wirksamwerden des die Pflichtverletzung feststellenden Verwaltungsaktes folgt und die Feststellungsfrist von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung eingehalten.

Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass die Addition von Sanktionsbeträgen vom Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich zugelassen und vorgesehen ist, was sich aus der Gesetzesbegründung zu § 32 SGB II ergibt, in der es heißt: "Die bei Meldeversäumnissen schwierig anzuwendende Vorschrift der wiederholten Pflichtverletzung wird gestrichen. Gleichzeitig wird in Abs. 1 klargestellt, dass sich die Sanktionszeiträume und
-beträge wegen Meldeversäumnissen überlappen können. Dies kann bei mehreren in kurzen Abständen eingetretenen Meldeversäumnissen im Ergebnis zu einer Addition der Sanktionsbeträge führen" (BT-Drucksache 17/304, Seite 112).

Dass der Gesetzgeber damit für die Absenkungen nach § 32 SGB II ausdrücklich auch das mit Urteil des BSG vom 09.11.2010 (a.a.O.) zur Rechtslage bis 31.03.2011 postulierte Erfordernis einer Feststellung einer Sanktion durch Bescheid vor der Feststellung einer neuen erhöhten Sanktionsstufe aufgegeben hat, zeigt sich nachdrücklich darin, dass er dieses Erfordernis für die arbeitsbezogenen Pflichtverletzungen in § 31 SGB II ausdrücklich in den Gesetzestext übernommen hat (§ 31 a Abs. 1 S. 4 SGB II), ohne in § 32 Abs. 2 SGB II hierauf Bezug zu nehmen. Dass es sich dabei um kein redaktionelles Versehen gehandelt hat, zeigt sich in der o.g. Begründung zu § 32.

Entsprechend geht auch die Kommentierung davon aus, dass damit wiederholt Meldeversäumnisse nach § 32 SGB II festgestellt und addiert werden können, ohne dass - bezogen auf einen Absenkungszeitraum - bereits vor Eintritt einer wiederholten Pflichtverletzung ein Absenkungsbescheid ergangen ist.

So führt Berlit in LPK - SGB II, § 32, Rn. 11 aus: "Weil eine "Sanktionsverschärfung" wegen wiederholter Meldeversäumnisse nicht mehr erfolgt, ist es auch unerheblich, ob bei einem weiteren Meldeversäumnis die zeitlich davor liegenden Versäumnisse bereits festgestellt worden sind. Bei zahlreichen Meldeversäumnissen in zeitlich dichter Folge können die kumulierenden Effekte solcher parallelen, auch überlappenden Leistungsminderungen in der Addition der Minderungen dazu führen, dass die Leistungen ganz oder weit gehend wegfallen". Sonnhoff in jurisPK-SGB II (3. Aufl. 2012, § 32) geht ebenfalls davon aus, dass es bei mehreren aufeinanderfolgenden Verstößen zu einer Kumulierung mit der Folge einer Addition der Kürzungen und somit zu einer gravierenden und einschneidenden Leistungskürzung kommen kann. Allerdings sei in diesen Fällen vor der kumulierten Minderung eine besonders sorgfältige Prüfung des Leistungsträgers erforderlich, ob ein wichtiger Grund bestanden habe. Und auch Burkiczak (in BeckOK SGB II § 32) ist der Meinung, dass wiederholte "einfache" Sanktionen möglich sind und die Sanktionshöhe dadurch auf ein Mehrfaches von 10 v.H. steigen kann, soweit sich die Sanktionszeiträume überlappen.

Soweit einzig Valgolio (in Hauck/Noftz, SGB II K § 32) darauf hinweist, dass in diesen Fällen der vorangegangene Minderungszeitraum nicht um die zusätzliche Minderung von
10 v.H. durch einen weiteren parallelen Sanktionsbescheid ergänzt, sondern die ursprüngliche Entscheidung entsprechend des Urteils des BSG vom 09.11.2010 (a.a.O.) durch einen neuen, die höhere Minderungsstufe ergänzenden Änderungsbescheid abgelöst werden müsse, lässt sich dies vor dem Hintergrund der eindeutigen Formulierung in
§ 32 SGB ("jeweils") jedenfalls nicht mit einer Auslegung dahingehend in Einklang bringen, es müsse nach wie vor eine Absenkung festgestellt worden sein, bevor ein weiterer Absenkungsbescheid für diesen Zeitraum ergehen könne. Auch die Warnfunktion entfällt in diesem Fall, weil es eine wiederholte Pflichtverletzung, die - wie nach wie vor bei § 31
SGB II geregelt - zu einer höheren Sanktionsstufe führt, nicht mehr gibt. Dem Erfordernis, jede Pflichtverletzung und die hieraus resultierende reduzierte Leistung mit einander ablösenden Änderungsbescheiden gemäß § 48 SGB X festzustellen, hat der Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass er im Bescheid vom 14.12.2011 - wie bereits bei den vorangegangenen Bescheiden - jeweils ausdrücklich auf die vorangegangenen Absenkungen Bezug genommen und darauf hingewiesen hat, dass die Absenkung zu den bereits festgestellten dazu tritt.

Zwar können sich dadurch - wie im vorliegenden Fall - bei sehr knapper Terminsetzung unter Umständen auch weiterreichende Leistungseinschränkungen als bisher ergeben, was mit der erklärten Absicht des Gesetzgebers kollidieren könnte, die bisherigen Sanktionstatbestände im Wesentlichen beizubehalten und die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen nahezu unverändert zu übernehmen. So sollte mit der Neustrukturierung vor allem eine Entzerrung und bessere Übersichtlichkeit der Sanktionsregelungen auch im Interesse einer vereinfachten Verwaltungspraxis geschaffen werden (BT-Drucksache 17/304, Seite 110f.). Auch bleibt Sinn und Zweck der Regelung weiterhin nicht die Sanktionierung im Sinne einer Bestrafung pflichtwidrigen Verhaltens, sondern eine Konsequenz aus einer Obliegenheitsverletzung zu ziehen, die eine Verhaltensänderung bewirken soll.

Andererseits ist - anders als bei dem Stufenschema steigender Sanktionsbeträge in § 31 SGB II - bei den Absenkungen aufgrund von Meldeversäumnissen diese Warnfunktion bereits mit der jeweiligen Einladung erfüllt, wie auch nach dem eindeutigen Wortlaut jedes Meldeversäumnis jeweils ein Absenkung um 10 v.H. nach sich zieht. Die Klägerin zu 2) wurde in den den streitgegenständlichen Absenkungsbescheiden zugrunde liegenden Einladungen auch jeweils auf diese Rechtsfolge hingewiesen. Eine andere Auffassung würde zum einen den Wortlaut und der Gesetzesbegründung widersprechen, zum anderen unterstellen, dass dem Leistungsträger bei der Entscheidung über die Absenkung ein Ermessen zusteht. Denn nur in diesem Fall wäre eine darüber hinausgehende Warnfunktion dahingehend, dass der jeweils anstehende Verstoß tatsächlich sanktioniert wird, erforderlich.

Nicht zuletzt zeigt auch der Verweis auf § 31 a Abs. 3 SGB II in § 32 Abs. 2 SGB II, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass durch eine Überschneidungen beziehungsweise Addition von Absenkungen auch Absenkungen im Umfang von mehr als
30 v.H. zu Stande kommen können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird es nach § 160 Abs. 1 und 2 SGG nicht zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved