S 23 AS 2298/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 2298/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu 60 %. Außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die rückwirkende Gewährung von Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 aufgrund eines Überprüfungsantrages.

Die am 00.00.1958 geborene Klägerin bezieht seit dem Jahr 2005 von der Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnt seit dem 01.08.2007 eine 70 qm große Wohnung zu einem Grundmietpreis von 285,60 Euro. Die Betriebskostenvorauszahlung belief sich in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 auf 80,- Euro. Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheiden vom 28.10.2009, 22.07.2010 und 27.07.2010 im streitigen Zeitraum die aus ihrer Sicht angemessenen Kosten der Unterkunft unter Anwendung einer Obergrenze für Ein-Personen-Haushalte in Höhe von 300,- Euro für Grundmiete und kalte Betriebskosten. Der Obergrenze lag die Annahme zu Grunde, dass für eine Person eine Wohnfläche von höchstens 45 qm angemessen sei.

Unter dem 14.05.2012 beantragte die Klägerin zunächst die Überprüfung aller seit dem 01.01.2011 erteilten Bescheide nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Sie ergänzte ihren Antrag unter dem 18.06.2012 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2012 (Az.: B 4 AS 109/11 R), wonach bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ab dem 01.01.2010 nicht mehr auf die Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsgesetz (WohnungsbindG), sondern auf die Werte der Nr. 8.2 der Wohnraumnutzungsbestimmungen zurückzugreifen ist, so dass die Wohnflächengrenze für Ein-Personen-Haushalte für streitige Zeiträume ab 01.01.2010 nicht mehr 45 qm sondern 50 qm beträgt. Danach sei die Beklagte seit dem 01.01.2010 verpflichtet gewesen, ihr Kosten der Unterkunft für eine Wohnfläche von 50 qm zu gewähren. Für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 30.06.2012 sei ein Betrag in Höhe von 835,06 Euro nachzuzahlen, ab dem 01.07.2012 seien monatlich weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 33,33 Euro zu zahlen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30.07.2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass gemäß § 44 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 1 SGB II der Zeitraum ab dem 01.01.2011 zu überprüfen sei. In diesem Zeitraum seien die angemessenen Unterkunftskosten gewährt worden.

Mit dem hiergegen am 27.08.2012 eingelegten Widerspruch vertrat die Klägerin die Ansicht, dass die Beklagte zum 01.10.2010 eine Fläche von 50 qm für eine Ein-Personen-Wohnung als angemessen anzuerkennen habe. Die Bescheide für die Zeit ab dem 01.10.2010 seien fehlerhaft und zurückzunehmen.

Die Beklagte gab dem Widerspruch der Klägerin teilweise mit Bescheid vom 27.09.2012 statt und berechnete die Leistungen ab dem 01.01.2011 unter Berücksichtigung der nunmehr aufgrund der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angehobenen Obergrenze für angemessene Unterkunftskosten für Ein-Personen-Haushalte in Höhe von 326 Euro für Kaltmiete und Betriebskosten neu. Die Klägerin erhalte eine Nachzahlung in Höhe von 570,30 Euro.

Unter dem 08.10.2012 stellte die Klägerin einen neuerlichen Antrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010. Auch für diesen Zeitraum sei eine Wohnfläche von 50 qm als angemessen anzuerkennen.

Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin vom 27.08.2012, soweit ihm nicht mit Bescheid vom 27.09.2012 abgeholfen worden war, als unbegründet zurück. Sie erklärte sich bereit, 60 % der nachgewiesenen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II gelte § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X, der die Rücknahme von rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakten regele, mit der Maßgabe, dass Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu einem Jahr vor der Rücknahme erbracht würden. Der Überprüfungsantrag sei am 14.05.2012 gestellt worden. Dieser wirke bis auf den 01.01.2011 zurück. Für die Zeit ab dem 01.01.2011 sei abgeholfen worden.

Mit Bescheid vom 05.12.2012 lehnte die Beklagte zudem den Antrag nach § 44 SGB X vom 08.10.2012 ab. Eine Überprüfung des Zeitraums vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 sei gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i. V. m. § 44 SGB X nicht möglich.

Mit der am 31.12.2012 erhobenen Klage begehrt die Klägerin eine Nachzahlung von Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung einer Wohnflächengröße von 50 qm nunmehr für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010. Die Anwendung des § 40 Abs. 1 SGB II verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Anhand der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16.05.2012 sei eindeutig feststellbar, dass der Beklagten bereits seit dem 12.12.2009 bewusst gewesen sei, dass sie ab dem 01.01.2010 für Alleinstehende eine Wohnfläche von 50 qm anzuerkennen habe. Gleichzeitig müsse sie, die Klägerin, davon ausgehen, dass Menschen in gleicher Situation bereits seit dem 01.01.2010 Unterkunftskosten für eine Wohnungsgröße von 50 qm erstattet bekämen. Es könne nicht im Interesse des Gesetzgebers sein, der Beklagten die Möglichkeit zu geben, mehrere Jahre die der Entscheidung des BSG zugrunde liegende Verordnung zu missachten, diese erst nach der letztinstanzlichen Entscheidung umzusetzen und somit für einen langen Zeitraum Ausgaben zu sparen. Aus einem Bescheid des Beklagten vom 12.11.2010, der Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht Detmold mit dem Aktenzeichen S 7 AS 180/11 gewesen sei, ergebe sich zudem, dass sie bereits am 10.08.2010 einen Antrag nach § 44 SGB X auf Überprüfung der ab 01.08.2007 berücksichtigten Unterkunftskosten wie Kaltmiete, Neben- und Heizkosten gestellt habe. Sie habe also nicht erst am 14.05.2012 einen Überprüfungsantrag für das Jahr 2010 gestellt, sondern bereits am 10.08.2010. Im Verfahren S 7 AS 180/11 seien Leistungen für das Jahr 2011 zusätzlich gewährt worden, über Unterkunftskosten für das Jahr 2010 sei hingegen nicht verhandelt worden. Die Anwendung des § 40 Abs. 1 SGB II sei daher hier nicht rechtskonform, es dürfe ausschließlich § 44 SGB X zur Anwendung kommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.07.2012 in Gestalt des Bescheides vom 27.09.2012, dieser in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2012 zu verurteilen, die Bescheide vom 28.10.2009, 22.07.2010 und 27.10.2010 teilweise zurückzunehmen und ihr für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 26,00 Euro zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 sei einer Überprüfung im Rahmen eines im Jahr 2012 gestellten Antrages nach § 44 SGB X nicht mehr zugänglich. Dem Gleichheitsgrundsatz werde in der Verwaltungspraxis Rechnung getragen. Es seien niemandem, der im Jahr 2012 einen Überprüfungsantrag gestellt habe, höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für bestandskräftig geregelte, vor dem 01.01.2011 abgeschlossene Zeiträume gewährt worden. Ob die Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II verfassungskonform sei, sei von der Beklagten nicht zu beurteilen, sie habe diese anzuwenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da der angefochtene Bescheid vom 30.07.2012 in Gestalt des Bescheides vom 27.09.2012, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2012 rechtmäßig ist. Denn die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 26,00 Euro aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der streitgegenständliche Zeitraum war aufgrund der Vorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II einer Überprüfung und Nachbewilligung von Leistungen nicht mehr zugänglich.

Streitgegenständlich sind hier höhere Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010. Zwar hat die Klägerin mit der Klageschrift vom 31.12.2012 zunächst höhere Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 31.12.2010 beantragt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie ihr Begehren aber auf den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.09.2010 erstreckt. Es kann offen bleiben, ob hierin eine Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG oder lediglich eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG liegt. Denn die Kammer hält eine Klageänderung jedenfalls für sachdienlich, da sie dazu führt, dass der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt und endgültig bereinigt werden kann, so dass ein neuer Prozess vermieden wird (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 99, Rn. 10).

Dahinstehen kann auch, ob der bestandskräftig gewordene Bescheid vom 05.12.2012, mit dem der neuerliche Antrag der Klägerin nach § 44 SGB X vom 08.10.2012, ihr für den streitgegenständlichen Zeitraum Kosten der Unterkunft nach einer Wohnfläche von 50 qm zu bewilligen, der begehrten Entscheidung entgegen steht. Der Bescheid vom 05.12.2012 ist nicht etwa nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens und damit auch des Klageverfahrens geworden, da er zum Einen nicht während des Vorverfahrens gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 30.07.2012 in der Gestalt des Bescheides vom 27.09.2012, sondern vielmehr nach Erlass des entsprechenden Widerspruchsbescheides vom 03.12.2012 ergangen ist. Zum Anderen ändert der Bescheid vom 05.12.2012 die angefochtenen Bescheide vom 30.07.2012 und 27.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2012 nicht ab. Er trifft vielmehr eine Entscheidung über einen neuen Antrag nach § 44 SGB X.

Denn eine Nachzahlung der begehrten Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum ist - unabhängig davon ob sie der Klägerin in Anwendung der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16.05.2012 zugestanden hätte - nicht mehr möglich. Einer Entscheidung nach § 44 Abs. 1 SGB X darüber, ob der Klägerin in der Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 Leistungen zu Unrecht vorenthalten wurden und die insoweit ergangenen Bescheide rechtswidrig waren, bedarf es nicht.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X. Nach Satz 2 der Vorschrift wird dabei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, gemäß § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X anstelle der Rücknahme der Antrag.

Zwar ist nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X die Erbringung von Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme möglich. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X gilt aber im Bereich des SGB II nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt. Dies gilt nach § 77 Abs. 13 SGB II für Anträge die - wie hier - ab dem 01.04.2011 gestellt worden sind. Da nach § 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet wird, in dem der Antrag gestellt wurde, ist ausgehend von der Antragstellung am 14.05.2012 die Rücknahme und Nachbewilligung von SGB II-Leistungen hier nur für einen Zeitraum ab dem 01.01.2011 möglich. Leistungen für die Zeit ab dem 01.01.2011 hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden aber gerade nachbewilligt.

Die Kammer hat keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II. § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II greift nicht in Freiheitsgrundrechte, insbesondere nicht in Art. 14 Abs. 1 GG, ein, denn die steuerfinanzierten Leistungen nach dem SGB II sind nicht vom Schutzbereich der Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes umfasst. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG verlangt nur die Gewährung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Die rückwirkende Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, da hierdurch lediglich eine nachträgliche Entschädigung, nicht jedoch eine gegenwärtige Existenzsicherung erreicht werden kann. Dies gilt erst recht, wenn die Leistungsgewährung, wie es im Rahmen der Anwendung des § 44 SGB X der Regelfall ist, zunächst bestandskräftig abgelehnt wurde. In diesem Fall ist eine vollständige Wiederherstellung des Zustandes, der bestanden hätte, wenn die Leistungen nicht rechtswidrigerweise abgelehnt worden wären, auch nicht aufgrund von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 oder Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verfassungsrechtlich geboten. Dem Grundgesetz ist keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt zu entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl. Hessisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 15.01.2013, Az. L 6 AS 364/12; Aubel a.a.O., Rn. 24 m.w.N.). Dies hat das Bundessozialgericht im Hinblick auf die einschränkende Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X bereits mit seiner Entscheidung vom 23.07.1986 (Az. 1 RA 31/85) klargestellt. Danach stellt die Beschränkung eines rückwirkenden Rentenanspruchs durch den gesetzlichen Rentenversicherungsträger auf einen Zeitraum von nur vier Jahren - unter Beachtung der die Versichertengemeinschaft berührenden Interessen - eine zulässige Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums dar. Das Bundessozialgericht verweist insoweit insbesondere darauf, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zukommt. Das gilt insbesondere für Regelungen, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Insoweit umfasst Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auch die Befugnis, Rentenansprüche und Anwartschaften zu beschränken; sofern dies einem Zweck des Gemeinwohls dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Leistungen zu kürzen, den Umfang von Ansprüchen oder Anwartschaften zu vermindern oder diese umzugestalten. Diese Rechtsprechung lässt sich erst recht auf die Leistungen nach dem SGB II übertragen, die - wie oben bereits ausgeführt - als steuerfinanzierte Leistungen gerade nicht vom Schutzbereich der Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes umfasst sind. Sofern der Gesetzgeber Sozialleistungen aus Steuermitteln gewährt, ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung und auch der Einschränkung derselben zuzubilligen. Dementsprechend wendet das Bundessozialgericht die Parallelvorschrift zu § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Bereich der Sozialhilfe, § 116 a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), analog im Asylbewerberleistungsrecht an, ohne die Verfassungsmäßigkeit der Regelung in Frage zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2013, Az.: B 7 AY 6/12 R). Das BSG nimmt insoweit insbesondere Bezug auf den Beweggrund für den Gesetzgeber zur Einführung der Regelungen des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II und des § 116 a SGB XII. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei die Vier-Jahres-Frist des § 44 Abs. 4 SGB X für die Leistungen, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhaltes dienten und dabei in besonderem Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollten (sog. Aktualitätsgrundsatz) zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr sei sach- und interessengerecht (BT-Drucks.17/3404, S.114, 129).

Entgegen der Auffassung der Klägerin begegnet auch die Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II im konkreten Fall keinen Bedenken. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Anwendung der Regelung durch die Beklagte hier gegen Art. 3 GG verstoßen sollte. Konkrete Beispiele dafür, dass anderen Leistungsempfängern im Kreis Minden-Lübbecke, die im Jahr 2012 die Überprüfung ihrer bestandskräftigen Entscheidungen hinsichtlich der Bewilligung von Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 beantragt haben, für diesen Zeitraum höhere Kosten der Unterkunft bewilligt wurden, hat die Klägerin nicht vorgetragen, solche sind auch nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht auf alle Anträge, die ab dem 01.04.2011 gestellt wurden, angewandt hat, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Es mag zwar sein, dass es Fälle gibt, in denen Leistungsempfänger im Kreis Minden-Lübbecke Kosten der Unterkunft in Anwendung der zitierten BSG-Rechtsprechung unter Berücksichtigung einer neuen Obergrenze auch für die Zeit vor dem 01.01.2011 erhalten haben, dies beschränkt sich dann aber auf Fälle, in denen die entsprechenden Bewilligungsentscheidungen noch nicht bestandskräftig waren. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Soweit die Klägerin sich in ihrem Schriftsatz vom 17.10.2013 darauf bezieht, dass sie am 10.08.2010 einen Antrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der Überprüfung der ab dem 01.08.2007 berücksichtigten Unterkunftskosten gestellt habe, der auch Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht Detmold mit dem Aktenzeichen S 7 AS 180/11 gewesen sei, kann dies nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Denn das Verfahren S 7 AS 180/11 ist mit Vergleich vom 05.07.2011 abgeschlossen worden, die Beteiligten haben den Rechtsstreit in vollem Umfang übereinstimmend für erledigt erklärt. Auch wenn im Rahmen dieses Vergleichs Leistungen nur für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2011 nachbewilligt wurden, bedeutet dies nicht, dass über die Leistungen für das Jahr 2010 nicht bestandskräftig entschieden worden wäre. Denn mit dem Abschluss des Verfahrens ist der dort streitgegenständliche Bescheid vom 22.09.2010 in Gestalt des Bescheides vom 12.11.2010, dieser in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2011 bestandskräftig geworden.

Soweit die Klägerin vorträgt, es könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, der Beklagten die Möglichkeit zu geben, mehrere Jahre die der Bundessozialgerichtsentscheidung zugrunde liegende Verordnung zu missachten, um diese dann erst nach der letztinstanzlichen Entscheidung umzusetzen, ist dem entgegen zu halten, dass die Beklagte § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II als Vorschrift zwingenden Rechts bei der Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes zu beachten hat. Der Beklagten kommt insoweit kein Ermessen zu (vgl. insoweit zur Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X BSG, Urteil vom 23.07.1986, Az. 1 RA 31/85). Abgesehen davon kann der Beklagten auch keineswegs vorgeworfen werden, sie habe geltendes Recht missachtet. Vielmehr war die Anwendung der vom BSG seinem Urteil vom 16.05.2012 zugrunde gelegten Wohnraumnutzungsbestimmungen im Rahmen der Bemessung der angemessenen Wohnfläche nach dem SGB II lange Zeit umstritten. Erst seit der zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts werden in Nordrhein-Westfalen der Wohnflächengrenze für Ein-Personen-Haushalte für streitige Zeiträume ab dem 01.01.2010 nicht mehr 45 qm sondern 50 qm zugrunde gelegt.

Kann die Klägerin aufgrund der Regelung des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht (mehr) erhalten, kann sie auch kein rechtliches Interesse an einer Rücknahme gem. § 44 Abs. 1 SGB X haben. Denn § 44 Abs. 1 SGB X zielt im Ergebnis auf die Ersetzung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, mit dem eine (höhere) Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, durch einen eine (höhere) Leistung gewährenden Verwaltungsakt ab. Einem Antragsteller, der über § 44 Abs. 4 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X zugebilligt werden. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs. 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.2013, Az. B 7 AY 6/12 R). Wenn Leistungen rückwirkend nicht zu erbringen sind, ist also auch kein Raum für eine isolierte Rücknahme, so dass die Klage insgesamt abzuweisen ist (vgl. BSG, a.a.O.). Zwar wird nach dem Wortlaut allein auf die Frist zur rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen verwiesen und keine Rücknahmefrist geregelt. Die Klägerin hat nach Sinn und Zweck der Vorschrift aber auch keinen Anspruch auf isolierte Rücknahme. Ein durch tatsächliches Leisten zu vollziehender Verwaltungsakt ist nicht mehr zu erlassen, wenn er nicht ausgeführt werden darf. Er wäre wirkungslos. Von der Verwaltung darf keine unnötige, überflüssige Tätigkeit verlangt werden, die hier auch die - mitunter recht schwierige und aufwändige - Prüfung der Unrichtigkeit einbezöge (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 15.01.2013, Az. L 6 AS 364/12 B; Eicher/Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 40, Rn. 26 m.w.N.; Aubel in: jurisPK-SGB II, 3. Auflage 2012, § 40, Rn. 26).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kammer hat insoweit berücksichtigt, dass die Klägerin im Widerspruchsverfahren zum Teil obsiegt hat.

Die Berufung war nicht zuzulassen.

Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- EUR nicht übersteigt. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 312,00 Euro und erreicht nicht die Berufungssumme. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II anhand der zitierten Rechtsprechung ohne weiteres beantwortet werden kann. Soweit die Anwendung der Vorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II im konkreten Fall von Seiten der Klägerin bemängelt wird, kann dieser Frage eine grundsätzliche Bedeutung nicht zukommen. Auch die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGG sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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