S 33 SO 31/14

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Stade (NSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
33
1. Instanz
SG Stade (NSB)
Aktenzeichen
S 33 SO 31/14
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2014 verurteilt, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.293,96 EUR als Leistung gemäß § 74 SGB XII auszuzahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Übernahme von Bestattungskos-ten auf Grundlage von § 74 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die Klägerin, geboren im August 1933, lebt in H. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten in einem Wohn- und Pflegezentrum und bezieht von diesem laufend Hilfe zur Pflege nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und eine Alters- und eine Witwenrente. Am 22. August 2012 verstarb ihr Ehemann. Ausweislich der an die Klägerin adressierten Rechnungen des beauftragten Bestattungsunternehmens I. fielen für die Beerdigung Kosten in Höhe von 2.293,96 EUR an. Aus einem Vermerk im Verwaltungsvorgang des Beklagten geht hervor, dass sich am 10. September 2012 die Tochter und Betreuerin der Klägerin beim Beklagten meldete und sich bezüglich einer eventuellen Übernahme der Bestattungskosten erkundigte. Ein förmlicher Antrag wurde in der Folgezeit nach Aktenlage jedoch nicht gestellt.

Die Rechnung des Bestattungsunternehmens wurde nicht beglichen, so dass das Unterneh-men die Klägerin mit Schreiben vom 03. Juli 2013 anmahnte und eine Frist bis zum 14. Juli 2013 setzte. Da diese erfolglos blieb, erwirkte das Bestattungsunternehmen einen Mahnbe-scheid und erhob, nachdem die Klägerin gegen diesen Widerspruch einlegte, schließlich mit Schriftsatz vom 02. Juli 2014 Klage zum Amtsgericht J., die dort unter dem Aktenzeichen K. geführt wird. Dem Gericht ist nicht bekannt, ob dieses zivilgerichtliche Verfahren mittlerweile abgeschlossen ist.

Am 01. Oktober 2013 meldete sich die Tochter der Klägerin beim Beklagten und fragte nach dem Stand der Bearbeitung ihres Antrags. Nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass ein Antrag nicht vorliege, stellte die Klägerin am 14. November 2013 auf dem vorgesehenen Formblatt einen Antrag auf Übernahme der Kosten der Bestattung ihres Ehemannes im August 2012. Mit dem hier klagegegenständlichen Bescheid vom 20. November 2013 lehnte der Beklagte eine Übernahme mit der Begründung ab, der Antrag sei zu spät gestellt worden und der Anspruch aus § 74 SGB XII verwirkt. Bei verspäteter Antragstellung könne nach der Rechtsprechung regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Kostentragung doch zumutbar sei. Nachdem der Beklagte den am 19. Dezember 2013 eingelegten Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2014 als unbegründet zurückgewiesen hatte, hat die Klägerin am 14. März 2014 Klage erhoben.

Sie trägt vor, ihre Tochter habe einen Antrag schon im Jahr 2012 gestellt und es sei ihr unver-ständlich, dass beim Beklagten ein ursprünglicher Antrag nicht vorliege. Mindestens sei der Antrag aber im Telefonat am 10. September 2012 mündlich fristgerecht geltend gemacht wor-den. Die Rechnung des Bestattungsunternehmens sei weiterhin offen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Februar 2014 zu verurteilen, die Be-stattungskosten für den verstorbenen Ehemann in Höhe von 2.293,96 EUR sowie die durch die Verzögerung entstandenen weiteren Kosten zu übernehmen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bleibt dabei, dass eine Kostenübernahme nicht in Betracht komme, da die Kostenüber-nahme nicht binnen einer angemessenen Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht bean-tragt worden sei, so dass grundsätzlich Zweifel an der Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt seien. Im Telefonat vom 10. September 2012, in dem sich die Klägerin allgemein erkundigte, könne kein mündlicher Antrag gesehen werden, denn es sei in der Sozialhilfepraxis nicht unüblich, dass zunächst Anfragen gestellt würden und dann tatsächlich keine Antragstellung vorgenommen würde.

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2015 war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage hat in Bezug auf die eigentlichen Bestat-tungskosten Erfolg.

Die angegriffene Ablehnungsentscheidung des Beklagten erweist sich als rechtswidrig und beschwert daher die Klägerin im Sinne des § 54 Abs 2 SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf Übernahme der für die Beerdigung ihres Ehemannes im August 2012 angefallenen Bestat-tungskosten auf Grundlage des § 74 SGB XII. Sie hat jedoch keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten, die durch das Mahnverfahren und das Klageverfahren des Bestattungsunter-nehmers gegen sie entstanden sind. Gemäß § 74 SGB XII werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Klägerin ist als Ehefrau auf Grundlage der §§ 1360 ff BGB zur Tragung der Bestattungs-kosten verpflichtet. Die Kostentragung ist ihr unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und der Fälligkeit der weiterhin offenen Rechnungen nicht zuzumuten. Ihr Ren-teneinkommen aus Alters- und Witwenrenten reicht schon zur Deckung ihres eigenen Le-bensunterhalts nicht aus. Sie bezieht Hilfe zur Pflege vom Beklagten. Vermögen, insbesondere in Gestalt eines Bestattungsvorsorgevertrags, ist nicht vorhanden.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Anspruch nach § 74 SGB XII auch nicht durch die verspätete Antragstellung verwirkt. Zwar ist dem Beklagten darin zuzustimmen, dass ein förmlicher Antrag nach Aktenlage tat-sächlich erst am 14. November 2013 und damit mehr als 13 Monate nach Anfall der Beerdi-gungskosten gestellt worden. Dies führt jedoch unter Berücksichtigung der Umstände dieses Falls nicht zu einer Verwirkung des Anspruchs. Maßgeblich für diese Bewertung ist, dass sei-tens der Klägerin durchgängig Bedürftigkeit bestand und die Rechnung des Bestattungsunter-nehmens weiterhin offen ist. Eine Kostentragung ist ihr heute nicht eher zumutbar als im Au-gust 2012. Aus der späten Antragstellung kann nicht schematisch abgeleitet werden, dass allein wegen des Zeitablaufs die Kostentragung nunmehr zumutbar sei, zumal der Anspruch nach § 74 XII nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht fristgebunden ist. Das Gericht teilt die Auffassung des Beklagten, dass ein Leistungsantrag, nicht nur im Rahmen des § 74 SGB XII, grundsätzlich innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens gestellt werden muss, schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität. Das Gericht teilt daher mit dem Beklagten die Auffassung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein, die der Beklagte zur Begründung seiner Rechtsauffassung heranführt. Das besagte Landessozialgericht führt im Beschluss vom 21. Juli 2008 - L 9 SO 10/07 PKH unter Rand-nummer 10 (juris.de) zutreffend aus, dass regelmäßig Zweifel an der Unzumutbarkeit der Kos-tentragung im Sinne des § 74 SGB XII angezeigt seien, wenn die Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt würde. Aus der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass sich als angemessener Zeitrahmen ein Zeitraum von ein bis zwei Monaten nach dem Todesfall darstellen würde (vgl dortige Rn 11; kritisch dazu Greiser in: jurisPK-SGB XII, § 74, Rn 15). Die Formulierung, dass regelmäßig Zweifel angezeigt seien, erlaubt allerdings eine abwei-chende Beurteilung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalls, wenn ein atypischer Sachverhalt vorliegt. Der Sachverhalt, über den hier zu entscheiden war, bietet Anlass für die Abweichung vom Regelfall und macht deutlich, dass eine schematischen Betrachtungsweise in Bezug die Frist im Rahmen des § 74 SGB XII nicht durchgängig angezeigt ist. Maßgeblich ist für die Einschätzung für das Gericht, dass sich im vorliegenden Fall ein Handeln Dritter, hier ihrer als Betreuerin eingesetzten Tochter, für die Klägerin nach-teilig auswirkt und die Klägerin selbst - obwohl ihr freilich das Handeln ihrer Vertreterin rechtlich zugeordnet werden muss - sich altersbedingt vermutlich gar nicht um die Kostenregelung kümmern konnte. Offenbar hat sich die Tochter der Klägerin allerdings nicht mit der erforderli-chen Sorgfalt um die Angelegenheiten ihrer Mutter gekümmert und eine rechtzeitige Antrag-stellung schlicht und einfach vergessen. Erst als das Bestattungsunternehmen anfing, seine Forderungen durchsetzen zu wollen, ist die Tochter wieder aktiv geworden. Die "Quittung" für das Verhalten der Tochter würde jedoch die Klägerin tragen müssen, wenn die Bestattungs-kosten von ihr getragen werden müssen, obwohl sie dazu objektiv wirtschaftlich nicht in der Lage war und auch weiterhin nicht ist. Der Fall wäre anders und schematischer zu beurteilen, wenn die späte Antragstellung allein auf Verschulden der Klägerin persönlich zurückzuführen wäre und die Rechnung des Bestattungsunternehmens in der Zwischenzeit durch eigene An-strengung zB in Raten hätte abgetragen werden können. Beides ist hier nicht der Fall. Die Kostentragung war damals und ist aktuell für die Klägerin unzumutbar.

Soweit die Klägerin auch die Übernahme der entstandenen weiteren Kosten, dh der Mahnkos-ten und Kosten des Zivilrechtsstreits aufgrund der Beitreibung durch das Bestattungsunter-nehmen, geltend macht, kann das Gericht indessen keine Grundlage für eine Übernahme durch den Beklagten erkennen. Denn die Kosten wären für die Klägerin ohne weiteres ver-meidbar gewesen. Sie hätte es nicht bis zum Erlass eines Mahnbescheids und nach Wider-spruchseinlegung eines zivilgerichtlichen Verfahrens ankommen lassen müssen, da ihre zivil-rechtliche Zahlungspflicht gegenüber dem Bestattungsunternehmen aus Sicht des erkennen-den Gerichts unstreitig ist. Durch die frühzeitige Anerkennung der Forderung zB in Form eines notariellen Schuldanerkenntnisses hätte die Klägerin die weiteren Schritte des Bestattungsun-ternehmens vermeiden und allen Beteiligten ersparen können. Es handelt sich nicht um Kos-ten, die unmittelbar in Folge der Weigerung des Beklagten entstanden sind, die Bestattungs-kosten zu übernehmen. Zwar ist auch insoweit anzunehmen, dass nicht die Klägerin selbst die Handelnde war, sondern die Tochter als ihre Betreuerin. Es erscheint jedoch nicht ge-rechtfertigt, diese vermeidbaren Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Es ist Sache der Klägerin und ihrer Tochter untereinander, wie mit diesen weiteren Kosten umgegangen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Obwohl die Klage teilweise verloren wurde, erscheint es billig und gerecht, aus Veranlassungsgesichtspunkten heraus eine vollumfängliche Kostenerstattung durch den Beklagten vorzusehen.
Rechtskraft
Aus
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