S 4 AS 2983/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2983/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Berücksichtigung fiktiven Einkommens - hierzu gehört auch der Verweis auf eine mögliche Rentenantragstellung - verstößt gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2012 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) aufgrund einer unterlassenen Antragstellung bzw. Mitwirkungshandlung des Klägers bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) im Streit.

Der ... 1982 geborene, erwerbs- und vermögenslose Kläger befand sich im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten, zuletzt aufgrund Bewilligungsbescheid vom 30.06.2011 für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011, in Höhe monatlicher Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von 364,00 Euro. Der Beklagte erhielt hierbei ein ärztliches Gutachten von Mai 2011 zur Kenntnis, wonach die Leistungsfähigkeit des Klägers für länger als sechs Monate, jedoch nicht auf Dauer, aufgehoben sei. Mit E-Mail vom 12.07.2011 erkundigte sich der Beklagte daraufhin bei der DRV, ob die Rentenanwartschaftszeit erfüllt sei. Am 14.07.2011 erhielt der Beklagte die Nachricht, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung derzeit erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 19.07.2011 wurde der Kläger daraufhin gemäß § 12a Satz 1 SGB II aufgefordert, als vorrangige Sozialleistung eine Rente wegen verminderter Er-werbsfähigkeit bei der DRV zu beantragen.

Die DRV beantragte mit Schreiben vom 05.09.2011 wiederum bei dem Beklagten eine Auskunft über den Alg II-Bezug zum Abschluss des bei ihr anhängigen Verfah-rens. Der Beklagte teilte der DRV am 09.09.2011 mit, dass Leistungen nach dem SGB II gewährt würden, und machte insoweit einen Erstattungsanspruch gem. § 5 SGB II in Verbindung mit §§ 103 f. SGB X geltend.

Am 14.11.2011 teilte die DRV dem Beklagten mit, dass der Rentenantrag abgelehnt worden sei, da der Kläger seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekom-men sei.

Mit Bescheid vom 22.11.2011 entzog der Beklagte dem Kläger daraufhin die Leis-tungen ab dem 01.12.2011 mit dieser Begründung die Bewilligung von Arbeitslosen-geld II unter Hinweis auf die §§ 60 und 66 SGB I. Zur Ausübung des Ermessens wurde darauf hingewiesen, dass der Beklagte zu wirtschaftlichem Handeln verpflich-tet sei und auch im Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler nur bei nachgewie-sener Hilfebedürftigkeit und in rechtmäßiger Höhe Leistungen erbringen könne.

Der Kläger wies mit seinem Widerspruch vom 23.12.2011 darauf hin, dass er auffor-derungsgemäß einen Rentenantrag bei der DRV gestellt habe und erst anschließend eine Frist versäumt habe, weil ein Schreiben der DRV vom 05.10.2011 ihm erst 10 Tage später zugestellt worden und eine Antwort in der Frist damit nicht mehr möglich gewesen sei, zumal er krank gewesen sei. Zwischenzeitlich habe die DRV jedoch alle angeforderten Unterlagen erhalten. Schließlich fehle es auch an den Vorausset-zungen einer vorherigen Anhörung und eines Hinweises gem. § 66 Abs. 3 SGB I.

Mit Bescheid vom 28.12.2011 wurde dem Widerspruch des Klägers daraufhin statt-gegeben und der angegriffene Bescheid aufgehoben.

Mit weiterem Bescheid vom 30.12.2011 wurde auf den Fortbewilligungsantrag des Klägers Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 30.06.2012 Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlichen 374,00 Euro be-willigt.

Am 04.01.2012 teilte die DRV dem Beklagten erneut mit, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten bislang nicht nachgekommen sei. Dem Kläger sei mit Schreiben vom 05.10.2011 dargelegt worden, dass ein Bedarf für eine Reha-Maßnahme beste-he. Die Zustimmungserklärung zur Durchführung des Heilverfahrens sei trotz Erinne-rung vom 28.10.2011 nicht zugesandt worden, weswegen der Rentenantrag am 10.11.2011 wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt worden sei. Der Kläger habe mit-geteilt, dass er die vorgeschlagene medizinische Rehabilitation in G. wegen der Ent-fernung von über 200 km nicht durchführen könne. Daraufhin sei ihm mit Schreiben vom 29.12.2011 mitgeteilt worden, dass für die Durchführung des Heilverfahrens auch eine Klinik in der näheren Umgebung ( ...) in Frage komme; dem Kläger sei eine 2-wöchige Frist zur Abgabe der Zustimmungserklärung gegeben worden.

Mit weiterem Bescheid vom 09.01.2012 wurden dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2012 bis zum 30.06.2012 insgesamt monatliche Leistungen von 720,00 Euro (Regelbedarf 374,00 Euro und Kosten der Unterkunft 346,00 Euro) bewilligt.

Der Kläger übersandte in der Folgezeit seine Zustimmungserklärung nicht an die DRV, weswegen diese den Kläger mit Schreiben vom 24.02.2012 darauf hinwies, dass der Ablehnungsbescheid vom 10.11.2011 insoweit bis zur Nachholung der Mit-wirkungspflichten weiterhin Bestand habe.

Mit Bescheid vom 28.02.2012 hob der Beklagte daraufhin die Bewilligung von Leis-tungen nach dem SGB II ab dem 01.04.2012 ganz auf, da der Kläger seiner Mitwir-kungspflicht gegenüber der DRV nicht genügt habe. Damit habe er nicht alle Mög-lichkeiten genutzt, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln (hier: aus einem Ren-tenbezug) zu sichern. Die Entscheidung beruhe auf den §§ 2 und 9 SGB II sowie § 40 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 48 SGB X.

Der Kläger begründete seinen am 02.04.2012 eingelegten Widerspruch damit, dass die DRV die Sachlage völlig neu bewertet und für 13 Jahre zurückliegende Zeiten neue Nachweise angefordert habe. Auf seine Nachfragen, wieso bereits nachgewie-sene und überprüfte Versicherungszeiten erneut nachgewiesen werden müssten, habe die DRV dann wegen nicht vorgelegter Nachweise mit einer Verneinung erfor-derlicher Mitwirkungshandlungen reagiert. Außerdem sei die Aufhebung durch den Beklagten grob rechtswidrig. Erneut sei das Verfahren nach § 66 SGB I missachtet und auch eine erforderliche Anhörung nicht durchgeführt worden.

Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 13.04.2012 darauf hin, dass der Aufhebungsbescheid nicht auf § 66 SGB I, sondern auf § 9 SGB II beruhe. Auf die entsprechenden Ausführungen im Aufhebungsbescheid dürfe insoweit verwiesen werden. Dem Kläger sei die Nachholung der Mitwirkung möglich, wofür er eine Frist bis zum 15.05.2012 (einschließlich Erbringung des diesbezüglichen Nachweises) erhalte.

Am 19.06.2012 wies der Kläger den Beklagten darauf hin, dass er den Reha-Antrag gestellt habe und der diesbezügliche Nachweis von dem Beklagten selbst bei der DRV eingeholt werden könne.

Mit Schreiben vom 21.06.2012 teilte die DRV dem Beklagten mit, dass eine ca. 5-wöchige Leistung zur medizinischen Rehabilitation bewilligt worden sei. Telefonisch wurde dem Beklagten von der DRV am 10.07.2012 mitgeteilt, dass sowohl ein Reha- als auch ein Rentenverfahren durchgeführt worden seien und die Mitwirkungspflicht erst am 30.05.2012 durch Vorlage der Zustimmungserklärung erfüllt worden sei.

Daraufhin wurden mit Bescheid des Beklagten vom 11.07.2012 die Leistungen nach dem SGB II in der zuvor erfolgten Höhe für die Zeit vom 30.05.2012 bis zum 30.06.2012 wieder bewilligt.

Der darüber hinausgehende Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbe-scheid vom 13.07.2012 mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe nicht rechtzeitig seine Zustimmung zu der erforderlich Rehamaßnahme erklärt, weswegen er bereite Mittel nicht eingesetzt habe.

Der Kläger hat am 16.08.2012 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und seinen Rechtsstandpunkt wiederholt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28.02.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 13.07.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und beruft sich eben-falls auf seinen bereits aktenkundigen Rechtsstandpunkt.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Akten des SG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Streitgegenständlich ist allein die Leistungsgewährung nach dem SGB II für den Zeit-raum vom 01.04.2012 bis zum 29.05.2012, weil nur für diesen Zeitraum noch eine Lücke in der Leistungsbewilligung vorliegt.

Nachdem mit bestandskräftigen Bescheiden vom 30.12.2011 und vom 09.01.2012 die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Leistungszeitraum 01.01.2012 bis 30.06.2012 erfolgte, ist eine Rechtsgrundlage für eine teilweise Auf-hebung dieser Bewilligung für die Zeit vom 01.04.2012 bis zum 29.05.2012 nicht er-kennbar.

Die Gewährung von Arbeitslosengeld II erfolgt durch einen Verwaltungsakt mit Dau-erwirkung, dessen Aufhebung sich bei einer wesentlichen Veränderung der Verhält-nisse, die bei seinem Erlass herrschten, nach den Voraussetzungen von § 48 SGB X richtet. War der Verwaltungsakt bereits bei seiner Bewilligung rechtswidrig, ist die Rücknahme des Verwaltungsaktes nach den Voraussetzungen des § 45 SGB X zu-lässig.

Vorliegend geht der Beklagte von der grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 48 SGB X aus. Dem ist zuzustimmen, weil nach Lage der Akten von einer erforderlichen Mit-wirkungshandlung des Klägers auszugehen ist, die zum Zeitpunkt der Bewilligungen vom 30.12.2011 und vom 09.01.2012 noch erfüllt werden konnte. Jedenfalls ist inso-weit ersichtlich keiner der Tatbestände erfüllt, die nach § 45 Abs. 2 SGB X die Rück-nahme der Bewilligung wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zulassen.

Allerdings sind auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 SGB X nicht erfüllt. Nach § 48 Abs. 1 SGB X in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Ver-mögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Arbeitslosen-geld II. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum entsprechend den Fest-stellungen in den Bewilligungsbescheiden vom 30.12.2011 und vom 09.01.2012 er-werbsfähig und hilfebedürftig und danach anspruchsberechtigt nach dem SGB II; zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen in den beiden Bewilligungsbescheiden und die angefügten Berechnungsbögen Bezug genommen.

Demgegenüber lässt sich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne der Tatbestandsalternativen in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht feststellen. Der Beklagte möchte sich insoweit nicht auf eine konkrete Variante des § 48 SGB X festlegen, sondern zitiert diese Vorschrift nur allgemein in Zusammenhang mit den §§ 2, 9 SGB II und § 40 Abs. 1 SGB II. Sofern der Beklagte dies näher damit begründet, dass der Kläger "bereite Mittel" der DRV nicht verwendet habe und daher seine Hilfebedürftig-keit im Sinne von § 9 SGB II nachträglich entfallen sei, ist dies unzutreffend.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

"Zu berücksichtigendes Einkommen" liegt aber nur dann vor, wenn dieses ohne we-sentliche Zwischenschritte ohne Weiteres auch tatsächlich dem Zugriff des Hilfebe-dürftigen unterliegt, was bei einer Rentenantragstellung und danach noch zu prüfen-den Frage der Bewilligung von Rente nicht zutrifft. Dies zeigt sich im vorliegenden Fall besonders deutlich daran, dass dem Kläger auch nicht die anvisierte Rente, sondern zunächst eine Reha-Maßnahme von der DRV bewilligt worden ist.

Die von dem Beklagten danach vorgenommene Berücksichtigung fiktiven Einkom-mens verstößt gegen den Bedarfsdeckungsgrundsatz. Bei § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 3 Abs. 3 SGB 2 handelt es sich um Grundsatznormen und nicht um eigenständige Ausschlusstatbestände mit Regelungscharakter, sodass diese selbst dann nicht als Rechtsgrundlage für die Minderung von Grundsicherungsleistungen herangezogen werden können, wenn andere Sozialleistungen vorwerfbar nicht in Anspruch ge-nommen werden können (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 05.10.2012 – L 9 AS 3208/12 ER-B – juris, m.w.N., für die Minderung von Sozialgeld um einen fiktiven Unterhaltsvorschuss, welcher mangels Mitwirkung der Mutter be-standskräftig abgelehnt war).

Die Vorschrift des § 9 SGB II zur Hilfebedürftigkeit bringt zum Ausdruck, dass SGB II-Leistungen nicht für denjenigen erbracht werden sollen, der sich nach seiner tatsächlichen Lage selbst helfen kann. Dabei wird an die tatsächliche Lage des Hilfebedürftigen angeknüpft. Ansprüche eines Leistungsberechtigten gegenüber Dritten zählen nur dann zum berücksichtigungsfähigen Einkommen i. S. von § 9 Abs. 1 SGB II, wenn diese in angemessener Zeit durchzusetzen sind. Dies ist bei einem Anspruch auf vorgezogene Rente nicht der Fall. Insoweit kann aber nur der tatsächliche Bezug einer in den Blick genommenen Rente und nicht die bloße Innehabung eines solchen Anspruchs zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II führen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.04.2012 – L 19 AS 544/12 B ER –, juris).

Das Bundessozialgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass bei der Frage der Berücksichtigung "bereiter Mittel" im Sinne von § 9 SGB II die tatsächlichen Verhält-nisse den Vorrang vor den normativen Verhältnissen haben (BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 89/12 R –, juris m.w.N.; vorgesehen für BSGE; BSG, Urteil vom 12.06.2013 – B 14 AS 73/12 R –, juris; BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 R –, BSGE 108, 258-267).

Unabhängig hiervon sind die angegriffenen Bescheide des Beklagten auch bereits deswegen rechtswidrig, weil die nach § 24 Abs. 1 und 2 SGB X erforderliche Anhö-rung unterblieben und dies nicht nach § 41 Abs. 1 und 2 SGB X unbeachtlich ist. Den obigen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass insbesondere geänderte Einkom-mensverhältnisse im Sinne von § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X nicht die Anhörung entbehr-lich machten. Ein Nachholung der Anhörung kann in der Durchführung des Klagever-fahrens nicht gesehen werden, weil dies voraussetzen würde, dass die beklagte Be-hörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung einräumt und danach zu erkennen gibt, ob sie nach Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlasse-nen Verwaltungsakt festhält (BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 37/09 R –, juris; BSG, Urteil vom 31.10.2002 - B 4 RA 15/01 R = SozR 3-1300 § 24 Nr. 22; BSG vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R).

Das Vorgehen des Beklagten ist darüber hinaus aus mehreren weiteren Gesichts-punkten zweifelhaft. Zum einen erscheint es treuwidrig im Sinne eines Verstoßes gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, nach den Bewilligungen mit Be-scheiden vom 30.12.2011 und vom 09.01.2012 in der Gestalt des Änderungsbe-scheides vom 17.01.2012 erst am 28.02.2012 eine angebliche weiterhin vorhandene wesentliche Verletzung von Mitwirkungspflichten anzunehmen, welche dem Beklag-ten indes schon am 04.01.2012 mitgeteilt worden war.

Zum anderen weist der Beklagte durch das mehrfache Abstellen auf die Mitwirkung des Klägers selbst auf das Verfahren nach § 66 SGB I hin, welches dem Schutz des Leistungsbeziehers dient und welches vorliegend ersichtlich nicht eingehalten wurde (Fristsetzung, Anhörung, Ermessen).

Auch wenn das Verfahren nach § 12a SGB II insofern als vorrangig anzusehen sein sollte, wäre doch festzustellen, dass der Beklagte auch hiervon keinen Gebrauch gemacht hat. Das Verfahren nach § 66 SGB I ist jedenfalls nicht deswegen ausge-schlossen, weil eine Mitwirkungshandlung gegenüber einer anderen Behörde - an-geblich - nicht vorgenommen wurde (Lilge in Berliner Kommentar zum Sozialrecht, SGB I, 2. Aufl. 2009, § 66 Rn. 38). Auch die Bestimmung des § 12a SGB II begrün-det im Übrigen keinen Leistungsausschluss und gibt damit keine Handhabe, einen Erst- oder Folgeantrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit dem Verweis auf vorrangige Leistungen abzulehnen (Landessozial-gericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.04.2012 – L 19 AS 544/12 B ER –, juris).

Hierauf muss allerdings nicht näher eingegangen werden, ebenso wenig wie auf den erfolgten Verstoß gegen die Beratungs- und Fürsorgepflichten, da in dem angegriffe-nen Bescheid nicht darauf hingewiesen wurde, dass eine Nachholung der Mitwirkung zur umgehenden Wiederbewilligung existenzsichernder Leistungen führen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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