L 3 AS 148/15 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 37 AS 333/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 148/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II ist es rechtlich irrelevant, wenn das Unvermögen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen auf anderen Faktoren, wie etwa der Kindererziehung, beruht.
2. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG und die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung, die insgesamt 120 Tage oder 240 halbe Tage im Jahr nicht überschreitet, sowie zur Ausübung studentischer Nebentätigkeit (vgl. § 16 Abs. 3 AufenthG) genügt den Anforderungen zur rechtlichen Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II.
I. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Februar 2015 aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 vorläufig monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 661,14 EUR für die Antragstellerin zu 1 (399,00 EUR Regelbedarf, 143,64 EUR Mehrbedarf für Alleinerziehende und 118,50 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung) sowie in Höhe von 352,50 EUR für den Antragsteller zu 2 (234,00 EUR Sozialgeld und 118,50 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung) zu gewähren sowie die Beiträge der Kranken- und Pflegeversicherung der Antragstellerin zu 1 in Höhe von 76,83 EUR (62,80 EUR Krankenversicherung und 14,03 EUR Pflegeversicherung) zu übernehmen.

II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Instanzen zu erstatten.

III. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt J M , G , L , ab Antragstellung bewilligt. Derzeit sind weder Raten zu zahlen noch Zahlungen aus dem Vermögen zu leisten.

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Februar 2014, mit dem ihr Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 zu gewähren, abgelehnt worden ist. Die am 1991 geborene Antragstellerin zu 1 ist Staatsangehörige der Republik Indonesien. Sie hält sich seit 2013 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Seit 1. September 2013 ist sie als Studentin an der W Hochschule Z im Studiengang Versorgungs- und Umwelttechnik immatrikuliert und verfügt über eine derzeit bis zum 31. März 2015 befristete Aufenthaltserlaubnis für Studenten nach § 16 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthaltG). Ihr sind die Ausübung einer Beschäftigung, die insgesamt 120 Tage oder 240 halbe Tage im Jahr nicht überschreiten darf, sowie studentische Nebentätigkeiten gestattet. Die Antragstellerin zu 1 ist derzeit wegen der Betreuung und Erziehung ihres am 2014 geboren Kindes, dem Antragsteller zu 2, vom Studium beurlaubt. Bis zur Beurlaubung wurde ihr Studium durch die Republik Indonesien finanziert, danach jedoch eingestellt. Für ihre Wohnung im Studentenwohnheim hat die Antragstellerin zu 1 für sich und das mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Kind eine Warmmiete in Höhe von monatlich 237,00 EUR aufzubringen. Zudem hat sie für ihre freiwillige Mitgliedschaft als Studentin bei der AOK Plus einen monatlichen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 76,83 EUR (62,80 EUR Krankenversicherung; 14,03 EUR Pflegeversicherung) zu zahlen. Über Einkünfte und Vermögen verfügen die Antragsteller nicht. Die Gewährung von Eltern- oder Kindergeld wurde abgelehnt. Die Antragsteller führen vor dem Amtsgericht Z (Az. 9 F 1241/14) eine Klage gegen einen deutschen Staatsangehörigen auf Feststellung des Bestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses. Am 30. Oktober 2014 beantragte die Antragstellerin zu 1 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und das mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Kind. Mit Bescheid vom 20. Januar 2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Antragstellerin zu 1 habe keinen Anspruch auf Leistungen, weil ihr Aufenthaltstitel an ein Studium gebunden sei und die Aufenthaltserlaubnis daran gekoppelt sei, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten könne und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sei. Gegen den Bescheid vom 20. Januar 2015 haben die Antragsteller am 2. Februar 2015 Widerspruch eingelegt und am gleichen Tag vor dem Sozialgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihnen vorläufig für die Monate Februar und März 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 1.013,64 EUR zu gewähren sowie den Versicherungsschutz zur Kranken- und Pflegeversicherung vorläufig sicherzustellen. Aufgrund ihrer Beurlaubung vom Studium sei sie nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Wegen der Erziehung ihres Kindes erbringe sie tatsächlich keine Studien- und Prüfungsleistungen. Sie befänden sich zurzeit in einer existenziellen Notlage. Mit Beschluss vom 12. Februar 2015 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Es bestehe kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Antragstellerin zu 1 sei nicht arbeitssuchend, sondern halte sich zum Zwecke des Studiums in der Bundesrepublik Deutschland. Es sei unerheblich, dass ihr die Ausübung einer Beschäftigung im Rahmen von § 16 Abs. 3 AufenthG während des Studiums gestattet sei. Im Übrigen liege ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II vor, da die Antragstellerin zu 1 nicht glaubhaft gemacht habe, dass sie das Studium tatsächlich nicht betreibe. Gegen den ihnen am 17. Februar 2015 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 24. Februar 2015 Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt. Der Antragsgegner verweigere ihnen zu Unrecht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Antragstellerin zu 1 ist der Auffassung, dass sie erwerbsfähig sei, da ihr die Aufenthaltserlaubnis eine Erwerbstätigkeit von bis zu 240 halben Tagen gestattete. Es liege auch kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II vor, da sie das Studium derzeit aus Gründen der Betreuung und Erziehung ihres Kindes tatsächlich nicht betreibe und im laufenden und kommenden Semester auch keine Studien- und Prüfungsleistungen ablegen werde. Die Antragsteller beantragen, 1. den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 12. Februar 2015 aufzuheben. 2. den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen in Höhe von 1.013,64 EUR monatlich für den ZR 02/2015 bis 03/1015 zu gewähren, 3. den Antragsgegner zu verpflichten, den Versicherungsschutz zur Kranken- und Pflegeversicherung vorläufig für den ZR 02/2015 bis 03/2015 sicherzustellen. Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Gründe:

1. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

Ein Anordnungsanspruch in diesem Sinne ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 7. Januar 2009 – L 3 B 349/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 23, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 21. Oktober 2013 – L 3 AS 1428/13 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 17, m. w. N.; Krodel, NZS 2002, 234 ff., m. w. N.).

Glaubhaftmachung ist die Beweisführung aufgrund überwiegender Wahrscheinlichkeit, was anstelle des Vollbeweises einen geringeren Wahrscheinlichkeitsgrad zulässt (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 1. August 2005 – L 3 B 94/05 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 34; Greger, in: Zöller, ZPO [30. Aufl., 2012], § 294 Rdnr. 1). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Beschwerdegericht die Rechtssache im gleichen Umfang wie die erste Instanz prüft und nicht auf eine bloße Kontrolle der Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt ist. Vielmehr trifft das Beschwerdegericht eine eigenständige Entscheidung, bei der gemäß § 202 SGG i. V. m. § 571 Satz 1 ZPO neue Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen sind (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 7. Januar 2009 – L 3 B 349/08 AS-ER – FEVS 61, 132 = JURIS-Dokument Rdnr. 24, m. w. N.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl. 2012], § 176 Rdnr. 4).

Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2012 – L 3 AS 943/12 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 30, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 6. März 2014 – L 3 KG 2/14 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 36 m. w. N.). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen oder glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 27. Dezember 2012, a. a. O.; Sächs. LSG, Beschluss vom 6. März 2014, a. a. O.; Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG [10. Aufl., 2012], § 86b Rdnr. 27a).

Hieran gemessen haben die Antragsteller entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

a) Nach der in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarische Prüfung hat die Antragstellerin zu 1 glaubhaft gemacht, dass ihr und ihrem mit ihr in Bedarfsgemeinschaften lebenden Kind für den streitbefangenen Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 einstweilig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehen, da ihr derzeit keine bedarfsdeckende Mittel zur Verfügung stehen. Es ist davon auszugehen, dass sich der Bescheid des Antragsgegners vom 20. Januar 2015 in einem Hauptsacheverfahren als rechtswidrig und die Antragsteller in ihren Rechten verletzend erweisen wird, soweit ihnen dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts verwehrt werden.

Entgegen der Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Beschluss vom 12. Februar 2015 ist die Antragstellerin zu 1 nicht allein deshalb von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sie sich zum Zwecke des Studiums in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und lediglich über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG verfügt. Die Antragstellerin zu 1 hat glaubhaft gemacht, dass sie Leistungsberechtigte im Sinne von § 7 SGB II ist und nicht nach § 7 Abs. 5 SGB II als Studierende von Leistungen ausgeschlossen ist. Sie kann für sich und gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II für das mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Kind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltend mache.

(1) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind nach § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthalt sich allein zum Zwecke der Arbeitssuche ergibt und ihre Familienangehörigen, 3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt Satz 2 Nr. 1 nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II unberührt.

Vorliegend hat die Antragstellerin zu 1 ihre Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 SGB II glaubhaft gemacht.

Sie ist nicht bereits § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen, da sie sich als Ausländerin nicht zur Arbeitssuche, sondern zum Zwecke des Studiums, aufhält und über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG verfügt. Die Antragstellerin zu 1 gehört bereits nicht zu der § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB II genannten Personengruppe und jedenfalls nach Ablauf der ersten drei Monate ihres Aufenthalts auch nicht mehr unter die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II bezeichneten Gruppe.

Im Übrigen erfüllt die 24-jährige Antragstellerin zu 1 die Voraussetzungen an die Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie hat seit dem 2013 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist auch erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II.

Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer im Sinne von Absatz 1 nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ist ausreichend (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II).

Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin zu 1 wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande wäre, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Unabhängig davon, dass sich die Antragstellerin zu 1 selbst für erwerbsfähig hält, ist es für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II rechtlich irrelevant, wenn das Unvermögen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen auf anderen Faktoren, wie etwa der Kindererziehung, beruht (vgl. Blüggel, in: Eicher, SGB II [3. Aufl., 2013], § 8 Rdnr. 28). Insoweit unterscheidet sich der Begriff der Erwerbsfähigkeit in § 8 SGB II von dem der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 138 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), wo unter anderem auch die Verfügbarkeit gefordert wird (vgl. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III).

Der Antragstellerin zu 1 ist die Erwerbstätigkeit als Ausländerin aus rechtlicher Sicht nicht verwehrt. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG und die Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung, die insgesamt 120 Tage oder 240 halbe Tage im Jahr nicht überschreitet, sowie zur Ausübung studentischer Nebentätigkeit (vgl. § 16 Abs. 3 AufenthG) genügt den Anforderungen zur rechtlichen Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB II (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 12. Februar 2010 – L 1 SO 84/09 B ER, L 1 SO 95/09 B – JURIS-Dokument Rdnr. 33).

Die Antragstellerin zu 1 hat auch glaubhaft gemacht, dass sie hilfebedürftig ist, da sie ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II).

(2) Die Antragstellerin zu 1 hat auch glaubhaft gemacht, dass sie als Studentin nicht nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist.

Nach § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG) oder der §§ 51, 57 und 58 SGB III dem Grunde nach förderfähig ist, über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keine Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Zwar handelt es sich bei dem von der Antragstellerin zu 1 absolvierten Studium der Versorgungs- und Umwelttechnik an der W Hochschule Z ein Grunde nach förderfähiges Studium. Die Antragstellerin zu 1 ist aber noch bis zum 31. August 2015 von der Hochschule beurlaubt. Die Einlegung eines genehmigten Urlaubssemesters muss zwar nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach gemäß § 2 BAföG entfällt. Dies gilt etwa dann, wenn auch während der Phase der Beurlaubung gleichwohl eine Teilnahme an Veranstaltungen erfolgt oder Prüfungen abgelegt werden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 102/11 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 27 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 19; BSG, Urteil vom 22. August 2012 – B 14 AS 197/11 R – JURIS-Dokument Rdnr. 16 ff.;). Ein Studierender ist aber während eines Urlaubssemesters dann nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen, wenn er in dieser Zeit aus organisationsrechtlichen Gründen der Hochschule nicht mehr angehört oder die organisationsrechtliche Zugehörigkeit zwar weiterhin vorliegt, er sein Studium jedoch tatsächlich nicht betreibt (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012, a. a. O, Rdnr. 17; BSG, Urteil vom 22. August 2012, a. a. O., Rdnr. 18). Die Antragstellerin zu 1 hat glaubhaft an Eides Statt versichert, dass sie aufgrund der Betreuung und Erziehung ihres Kindes, das Studium derzeit nicht betreibt und in der Zeit der Beurlaubung auch Studien- und Prüfungsleistungen nicht ablegen wird.

b) Die Antragsteller haben das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Wie die Antragstellerin zu 1 an Eides Statt versichert hat, erhält sie keine finanzielle Unterstützung aus ihrem Heimatland mehr. Sie hat auch durch Vorlage ihrer Kontoauszüge glaubhaft dargetan, dass sie inzwischen ihre finanziellen Mittel aufgebraucht hat. Ausweislich der eingereichten Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts Z vom 4. Februar 2015 kann sie Unterhaltsansprüche für das Kind derzeit nicht realisiert. Die Gewährung von Kindergeld wurde mit Bescheid vom 17. September 2014 abgelehnt und Elterngeld mit Bescheid vom 2. Dezember 2014 verwehrt. Insofern ist die von der Antragstellerin zu 1 behauptet existentielle Notlage der Bedarfsgemeinschaft offensichtlich.

c) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind auch antragsgemäß einstweilig in Höhe von monatlich 1.013,64 EUR antragsgemäß für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 zu gewähren. Auszugehen war hierbei von einem Regelbedarf der Antragstellerin zu 1 in Höhe von 399,00 EUR (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II), einem Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von 143,64 EUR (vgl. § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II), dem Sozialgeld für den Antragsteller in Höhe von 234,00 EUR (vgl. §23 Nr. 1 SGB II) sowie der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 237,00 EUR (vgl. § 22 Abs. 1 SGB II).

d) Während des Bezuges von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, besteht zudem die Verpflichtung des Antragsgegners nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II zur Übernahme der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 76,83 EUR. Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB II ist für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, für die Dauer des Leistungsbezugs der Beitrag zu übernehmen. Die Antragstellerin zu 1 ist als Studentin bei der AOK-Plus freiwillig versichert und hat Beiträge in Höhe von 62,80 EUR für die Krankenversicherung und 14,03 EUR für die Pflegeversicherung zu erbringen. Ihr Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners, den Versicherungsschutz zur Kranken- und Pflegeversicherung vorläufig für den Zeitraum 1. Februar 2015 bis zum 31. März 2015 sicherzustellen, war entsprechend sachgerecht auf Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung auszulegen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

3. Den Antragstellern war ab Antragstellung Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, da sie die Kosten des Verfahrens nicht aufbringen können (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO). Dies ergibt sich glaubhaft aus der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Beschwerde ist auch nicht mutwillig und ohne Aussicht auf Erfolg (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 und § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO), was sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt. Die Vertretung der Antragsteller durch eine Prozessbevollmächtigte erscheint erforderlich (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO).

4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Scheer

Höhl

Krewer
Rechtskraft
Aus
Saved