L 2 AS 300/15 B ER und L 2 AS 301/15 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 55 AS 309/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 300/15 B ER und L 2 AS 301/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 11.02.2015 werden zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht mit dem angefochtenen Beschluss die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) abgelehnt.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes setzt mithin neben einem Anordnungsanspruch - im Sinne eines materiellrechtlichen Anspruches auf die beantragte Leistung - einen Anordnungsgrund - im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der vom Gericht zu treffenden Regelung - voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Bereits das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs im o.g. Sinne im Hinblick auf § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Dabei kann dahin stehen, ob sie hilfebedürftig gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist, weil ein möglicher Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch bei bestehender Hilfebedürftigkeit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen ist. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind nach dieser Vorschrift Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Diese Regelung findet auf die Antragstellerin Anwendung. Denn ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitsuche ist nicht ersichtlich.

Die am 00.00.1965 geborene Antragstellerin ist italienische Staatsbürgerin. Nach eigenen Angaben reiste sie gemeinsam mit ihrer am 00.00.1995 geborenen Tochter N und ihrem am 00.00.1997 geborenen Sohn F im Juni 2012 in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) ein. Seither lebt sie mit diesen in einer gemeinsamen Wohnung in P. Die Kinder der Antragstellerin sind jeweils geringfügig beschäftigt und beziehen seitens des Antragsgegners Arbeitslosengeld II gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Antragstellerin übt seit Juni 2012 keine Erwerbstätigkeit aus.

Die Antragstellerin ist damit weder als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) in der bis zum 08.12.2014 geltenden Fassung bzw. nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU in der ab dem 09.12.2014 geltenden Fassung noch als Selbständige nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Sie ist auch nicht als Nicht-Erwerbstätige nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU in Verbindung mit § 4 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil es ihr - unabhängig vom Vorliegen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes - bereits an ausreichenden Existenzmitteln im Sinne der Norm fehlt.

Auch auf eine Freizügigkeitsberechtigung auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 FreizügG/EU in Verbindung mit § 3 Abs. 2 FreizügG/EU kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Familienangehörige sind gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU der Ehegatte, der Lebenspartner und die Verwandten in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, die noch nicht 21 Jahre alt sind sowie gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU die Verwandten in gerader aufsteigender und in gerader absteigender Linie der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen oder ihrer Ehegatten oder Lebenspartner, denen diese Personen oder ihre Ehegatten oder Lebenspartner Unterhalt gewähren. Da die Antragstellerin nicht Verwandte ihrer Kinder in absteigender, sondern in aufsteigender Linie ist, scheidet zunächst eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU aus. Des Weiteren gewähren ihr ihre Kinder keinen Unterhalt, so dass auch eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU nicht einschlägig ist.

Ihr Aufenthaltsrecht kann sich daher allenfalls aus einer Arbeitsuche im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 FreizügG/EU in der bis zum 08.12.2014 geltenden Fassung bzw. nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 a) FreizügG/EU in der ab dem 09.12.2014 geltenden Fassung ergeben. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 FreizügG/EU in der bis zum 08.12.2014 geltenden Fassung waren Unionsbürger unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, die sich zur Arbeitsuche aufhalten wollen. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 a) FreizügG/EU in der ab dem 09.12.2014 geltenden Fassung sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Eine aktive Arbeitsuche im Sinne der o.g. Vorschriften in der Zeit ab Juni 2012 hat die Antragstellerin jedoch nicht glaubhaft gemacht. Letztlich hat sie eine solche noch nicht einmal vorgetragen. Insbesondere konkrete Bewerbungsbemühungen hat sie weder dargelegt noch dokumentiert.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch auf EU-Bürger anwendbar, die sich ohne materielles Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhalten. Der Senat verbleibt insoweit bei seiner Auffassung, die er in den Beschlüssen vom 03.12.2014 zum Az. L 2 AS 1623/14 B ER (bei juris Rn. 5 ff.), vom 04.02.2015 zum Az. L 2 AS 2224/14 B ER (bei juris Rn. 13), vom 25.02.2015 zum Az. L 2 AS 113/15 B ER (bei juris Rn. 5 ff.), vom 09.04.2015 zum Az. L 2 AS 2247/14 B ER (bei juris Rn. 10), vom 16.04.2015 zum Az. L 2 AS 2299/14 B ER (bei juris Rn. 9) und vom 29.04.2015 zum Az. L 2 AS 2388/14 B ER (bisher unveröffentlicht) dargelegt hat. Mithin ist der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf die Antragstellerin anzuwenden, weil er auch Ausländer bzw. EU-Bürger erfasst, die - wie die Antragstellerin - wirtschaftlich inaktiv sind, ohne über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel (im Sinne des § 4 Satz 1 FreizügG/EU) zu verfügen.

Des Weiteren ist nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in Sachen Dano (Urteil vom 11.11.2014 - Az.: C-333/13, zitiert nach curia.europa.eu) der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jedenfalls in Bezug auf Ausländer, bei denen - wie bei der Antragstellerin - eine Arbeitsuche nicht festgestellt werden kann, nicht europarechtswidrig. Auch insoweit verbleibt der Senat bei seiner Auffassung, die er in den Beschlüssen vom 03.12.2014 zum Az. L 2 AS 1623/14 B ER (bei juris Rn. 9 ff.), vom 04.02.2015 zum Az. L 2 AS 2224/14 B ER (bei juris Rn. 14) sowie vom 25.02.2015 zum Az. L 2 AS 113/15 B ER (bei juris Rn. 9 ff.), vom 09.04.2015 zum Az. L 2 AS 2247/14 B ER (bei juris Rn. 11), vom 16.04.2015 zum Az. L 2 AS 2299/14 B ER (bei juris Rn. 10) und vom 29.04.2015 zum Az. L 2 AS 2388/14 B ER (bisher unveröffentlicht) dargelegt hat.

Auch das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) steht der Geltung des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht entgegen. Die Bundesregierung hat am 19.12.2011 (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31.1.2012 in BGBl. II 144, berichtigt durch Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 03.4.2012 in BGBl. II 470) gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA einen Vorbehalt nach Art. 16 Abs. b EFA angebracht. Dieser ist auch wirksam. Der Senat verbleibt insoweit bei seiner der Rechtsauffassung, die er im Beschluss vom 16.04.2015 zum Az. L 2 AS 2299/14 B ER (bei juris Rn. 12) mit Verweis auf die Rechtsprechung des BSG (Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 in der Fassung des Beschlusses vom 11.02.2015, Az.: B 4 AS 9/13 R, bei juris Rn. 23) dargelegt hat (siehe zum Meinungsstand umfassend Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW], Beschluss vom 14.01.2015, Az.: L 19 AS 2186/14 B ER, bei juris Rn. 18).

Da die Antragstellerin ferner eine Beschäftigungssuche mit dadurch begründeter Verbindung zum Arbeitsmarkt nicht glaubhaft gemacht hat, kommt es auf die vom Bundessozialgericht (BSG) im Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 in der Fassung des Beschlusses vom 11.02.2015 (Az.: B 4 AS 9/13 R) aufgeworfene Frage, ob der Leistungsausschluss auch für solche Arbeitsuchende europarechtskonform ist, die eine Verbindung zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates haben, weil sie - wie im Fall der den Vorlageschluss betreffenden Klägerinnen - bereits kurzfristige Beschäftigungen in Deutschland ausgeübt haben, im vorliegenden Rechtsstreit nicht an. Aus diesem Grund besteht auch kein Anspruch auf eine vorläufige Gewährung von Leistungen nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Ein den hier vorliegenden Sachverhalt betreffendes Verfahren ist beim EuGH (derzeit) nicht anhängig.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe konnte keinen Erfolg haben, weil es, wie vorstehend ausgeführt, an hinreichenden Erfolgsaussichten des einstweiligen Rechtsschutzgesuchs fehlt (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO).

Die Kosten des diesbezüglichen Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO).

Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren konnte ebenfalls wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussichten nicht erfolgen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved