S 19 SO 207/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 207/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 239/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten rückwirkend einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen. Der am 00.00.0000 geborene Kläger leidet an einer Schizophrenie paranoider Form, einem Hodgkin-Lymphom sowie einer Hypothyreose. Bei ihm war zunächst ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Er bezieht von der DRV Rheinland eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Am 21.09.2012 teilte er der Beklagten mit, er habe gegen einen Bescheid der Schwerbehindertenstelle des Kreises Düren Widerspruch eingelegt und begehre die Anerkennung des Merkzeichens "G". Sollte dieses rückwirkend bewilligt werden, beantrage er rückwirkend einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen. Mit Bescheid vom 17.04.2014 erkannte der Kreis Düren – Schwerbehindertenstelle – ab dem 22.05.2012 einen GdB von 80 sowie die Merkzeichen "G" und "B" an. Unter dem 07.05.2014 wurde dem Kläger ein entsprechender Schwerbehindertenausweis ausgestellt, den er der Beklagten in Ablichtung übersandte. Mit Änderungsbescheid vom 30.05.2014 erkannte die Beklagte ab 17.04.2014 einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung an. Mit weiterem Bescheid vom 10.07.2014 lehnte sie die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung für die Zeit vor dem 17.04.2014 ab. Zur Begründung führte sie aus, ein solcher Mehrbedarf könne erst ab Nachweis der Zuerkennung des Merkzeichens "G" anerkannt werden. Ein Nachweis sei indessen erst mit Bescheid der Schwerbehindertenstelle vom 17.04.2014 erbracht worden. Der Kläger legte am 18.07.2014 Widerspruch ein und verwies auf den am 21.09.2012 beantragten Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2014 (den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 12.11.2014) wies der Kreis Düren den Widerspruch unter Vertiefung der bisherigen Ausführungen zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 05.12.2014 Klage erhoben und gleichzeitig Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts begehrt.

Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen nach sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2014 zu verpflichten, ihm für die Zeit vor dem 17.04.2014 einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen.

II.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO wird für diesen Fall ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt nach Wahl des beantragenden Beteiligten beigeordnet.

Im vorliegenden Fall waren Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet bereits deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil die unter dem gleichen Aktenzeichen erhobene Klage zwar zulässig, aber unbegründet ist.

Die angefochtenen Bescheide beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, weil sie nicht rechtswidrig sind. Er hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung für die Zeit vor dem 17.04.2014.

Eine Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Beklagten ergibt sich nicht bereits daraus, dass sie über den Änderungsbescheid vom 30.05.2014 hinaus über die Gewährung eines Mehrbedarfs für die Zeit vor dem 17.04.2014 gleichsam isoliert entschieden hat. Denn bei einem Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand, so dass auch isoliert hierüber entschieden werden kann (BSG, Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R = SozR 4-3500 § 30 Nr 4).

Die Kammer kann es weiter dahin stehen lassen, ob der Gewährung eines Mehrbedarfs für die Zeit vor dem 17.04.2014 (jedenfalls teilweise) der Änderungsbescheid vom 30.05.2014 entgegen steht, der bestandskräftig und damit bindend (§ 77 SGG) geworden ist. Denn selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, so ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen für die Zeit vor dem 17.04.2014.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII (in der ab dem 07.12.2006 geltenden Fassung). Danach wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe für Personen anerkannt, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind, und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen.

Der Kläger hat zwar die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII noch nicht erreicht und er ist angesichts der von der DRV Rheinland im Rentenverfahren getroffenen Feststellungen auch voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Einen "Nachweis" über die Feststellung des Merkzeichens "G" indessen hat er erst mit Vorlage des Bescheides der Schwerbehindertenstelle des Kreises Düren vom 17.04.2014 bei der Beklagten erbracht.

Bereits der Wortlaut der Vorschrift spricht für diese Auslegung. "Nachgewiesen" ist die Zuerkennung erst mit Vorlage des entsprechenden Bescheides der Versorgungsverwaltung bzw. mit Vorlage des Schwerbehindertenausweises, mag die Zuerkennung selbst auch Rückwirkung entfalten. Hätte der Gesetzgeber allein auf den Zeitpunkt der materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" abstellen wollen (wie er es etwa im Hinblick auf den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII getan hat), hätte die Verwendung einer anderen Formulierung nahe gelegen. Insbesondere hätte das Gesetz diese Berechtigung nicht umständlich mit dem "Nachweis" umschreiben müssen. Auch die Gesetzesbegründung streitet für die hier vertretene Auslegung. Mit der ab dem 07.12.2006 geltenden Neuregelung sollte vermieden werden, dass der Mehrbedarf erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises und damit regelmäßig erst mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides in Anspruch genommen werden kann (siehe die Begründung zu § 30 SGB XII im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, BT-Drs. 16/2711, S. 11). Den Hilfebedürftigen sollte also aus der Zeit, welche zwischen Zugang des Feststellungsbescheides der Versorgungsverwaltung und der Ausstellung des Ausweises mit dem Merkzeichen "G" vergeht, keine leistungsrechtlichen Nachteile erwachsen. Dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung auch die rückwirkende Zuerkennung eines Mehrbedarfs für die Zeit vor Vorlage des Feststellungsbescheids der Versorgungsverwaltung ermöglichen wollte, fehlen in der Gesetzesbegründung jegliche Anhaltspunkte. Dem entsprechend besteht in der jüngeren Rechtsprechung der Landessozialgerichte Einigkeit, dass Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII frühestens mit Zugang des Feststellungsbescheides bei dem Hilfebedürftigen besteht (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.04.2015 – L 20 SO 426/12 = juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.05.2014 – L 9 SO 55/14 B = juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.09.2013 – L 2 SO 404/13 = juris).

Dass der Kläger bereits am 21.09.2012 eine entsprechende Feststellung beantragt hatte, ändert hieran nichts. Denn ein Nachweis über die Zuerkennung des Merkzeichens "G" lag erst mit Vorlage des Bescheides der Schwerbehindertenstelle des Kreises Düren bei der Beklagten (die jedenfalls nicht vor dem 17.04.2014 erfolgt ist) vor.

Prozesskostenhilfe war auch nicht deshalb zu gewähren, weil es sich um eine Rechtsfrage handelt, welche höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. Denn nur schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 = juris, Rdnr. 28; BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 BvR 1807/07 = juris, Rdnr. 23). Diese Rechtsprechung zwingt indessen nicht dazu, bei jeder Rechtsfrage PKH zu gewähren, die höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, sondern es muss sich um eine "schwierige" Rechtsfrage handeln. Maßgeblich ist insoweit, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen schwierig erscheint (BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990, a.a.O., Rdnr. 29; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.09.2013 – L 6 AS 1085/13 B = juris). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs handelt es sich vorliegend nicht um eine "schwierige" ungeklärte Rechtsfrage. Denn im Hinblick auf den klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung und die von den Landessozialgerichten bislang – soweit ersichtlich – einheitliche Auslegung erscheint die vom Kläger zu Grunde gelegte Auslegung zwar nicht schlechthin unvertretbar, jedoch fernliegend. Für diese Annahme spricht aus Sicht des Gerichts auch, dass in den genannten Entscheidungen der Landessozialgerichte eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erfolgt ist, obwohl das BSG diese Rechtsfrage zu dem ab 07.12.2006 geltenden Recht noch nicht entschieden hat (die Entscheidung des 8. Senats vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R = SozR 4-3500 § 30 Nr. 4 betraf die bis zum 07.12.2006 geltende, hier nicht einschlägige Rechtslage). Überdies hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in seiner o.g. Entscheidung vom 08.05.2014 (Az.: L 9 SO 55/14 B = juris) selbst im Hinblick auf diese höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfrage die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht für erforderlich gehalten.
Rechtskraft
Aus
Saved