L 14 AL 7/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 5003/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 7/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Tragfähigkeit der Existenzgründung beim Gründungszuschuss.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Fotografin.

Die 1976 geborene Klägerin hat im Jahr 2004 eine dreijährige Berufsfachschulausbildung zur Kommunikationsdesignerin erfolgreich abge-schlossen. In der Zeit vom 1. Juni 2004 bis 31. Dezember 2008 war sie bei "die h gmbh" als Bildbearbeiterin und Fotografin beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde auf Wunsch der Klägerin aufgelöst. Mit Bescheid vom 30. Januar 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30. Mai 2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin unter Berücksichtigung einer 12-wöchigen Sperrzeit Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 26. März 2009 bis (ursprünglich) 24. Dezember 2009 mit einem täglichen Leistungssatz von 26,69 Euro.

Am 7. Mai 2009 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Fotografin. Hierzu vermerkte die Mitarbeiterin der Beklagten S:

"Frau H. hat sich im Ergebnis des letzten Gespräches zur Aufnahme einer selbst. Tätigk. entschieden, Kond. genannt, speziell 90 Tage Frist, Antrag GZ/Freiwill. Weiterbeschäft. ausgeh., spätestens zum 010909 "

Am 2. Juli 2009 vermerkte die Mitarbeiterin C:

"Kd. über Handy erreicht, Vorberitungen der Selbständigkeit laufen, Kd. bereitet Businessplan vor, geht davon aus, dass Beginn im August erfolgt (Designerin/Fotograf)."

Am 9. September 2009 schloss die Klägerin mit der Beklagten eine neue Eingliederungsvereinbarung mit der Zielsetzung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ab. Dazu vermerkte Mitarbeiterin C:

"Kd. hat die Unterlagen schon fast vollständig, leider ist ein Auftrag weggebrochen Kd. kommen Zweifel, hält aber an der Zielsetzung der Selbständigkeit fest. Empfohlen, Anträge pers. in der Mstr. abzugeben." In dem von der Klägerin bei der Beklagten am 21. September 2009 eingereichten Formularantrag kündigte sie an, die selbständige Tätigkeit am 1. Oktober 2009 aufzunehmen. Dem Antrag beigefügt waren u. a. eine Stellungnahme der T Sgesellschaft PG vom 17. September 2009 zur Tragfähigkeit der Existenzgründung, eine Bescheinigung des Finanzamtes F-K der steuerlichen Anmeldung der selbständigen Tätigkeit zum 1. Oktober 2009 sowie ein von der Klägerin erstellter Businessplan nebst Anlagen.

Nach ihrem Businessplan wollte sich die Klägerin als "konventionelle und künstlerische Portraitfotografin/-designerin" in der Designbranche ansiedeln. Gegenstand ihrer Arbeit sollte insbesondere die ansprechende Gestaltung von Produkten, Marken- und Firmenauftritten zu Werbezwecken sein (siehe zu Ziffer 5. Markt/Branche). Sowohl Privatpersonen als auch Gewerbetreibenden sollten mit einer "besonderen Bildsprache als Werbemedium" gewonnen werden. (siehe zu Ziffer 6. Tätigkeit/Zielgruppe). Dazu beabsichtigte sie, ihre vorhandenen privaten und geschäftlichen Räumlichkeiten nutzen. Zu den Gründungskosten heißt es im Businessplan: "In der Gründungsphase müssen Investitionen getätigt werden. Die Finanzierung dieses Kapitalbedarfs erfolgt durch vorhandenes Eigenkapital". Unter Kapitals- und Finanzierungsplanung lautet es weiter: "Für die Umsetzung meiner Geschäftsidee ist kein Kapitalsbedarf- und Finanzierung nötig".

Mit Bescheid vom 25. September 2009 hob die Beklagte hierauf die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 1. Oktober 2009 auf.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und führte zur Begründung aus, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit kein Anspruch auf Alg für die Dauer von mindestens 90 Tagen bestanden habe.

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 12. Oktober 2009 machte die Klägerin geltend: Ihre zuständige Sachbearbeiterin habe gesagt, dass der Eingang ihres Antrages "innerhalb der Frist von 90 Tagen Restanspruch" liegen müsse, nicht aber der Beginn ihrer Selbständigkeit. Nur aus diesem Grund habe sie ein "beliebiges" Datum zur Aufnahme ihrer Selbständigkeit gewählt. Sie habe schon gute Auftragsangebote und sei fest davon überzeugt, dass ihr Einstieg in die Selbständigkeit gut verlaufen werde. Ihre Selbständigkeit werde sie nun auf den 22. September 2009 zurückverlegen. Sie habe bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung am 22. September 2009 professionell und selbständig gearbeitet. So habe sie ihre Unternehmenserscheinung überarbeitet. Dazu gehörten die Gestaltung der Kommunikationsmittel (Firmenzeichen, Geschäftspapiere, Werbemittel, Internetauftritt, Schrift, Farbe, Form etc.) als auch das Produktdesign. Sie habe sich zudem mit diversen Fotografen getroffen. Bei jedem Treffen sei es um Aufträge im Bereich der Portraitfotografie gegangen, wobei jedes Gespräch mit einem positiven Resultat und guten Aussichten auf erfolgreiche Tätigkeiten geendet habe. Sie habe Firmen wie M M und S angeschrieben, um ihre Leistungen anzubieten. Im September 2009 sei sie auch schon als Fotografin tätig geworden und habe ein Auftragshonorar in Höhe von 280,00 Euro erzielt (siehe Rechnung Nr. 001, Bl. 40 der Verwaltungsakten). Da die Erarbeitung der Unternehmengrundlagen sehr zeitaufwendig sei, habe sie nur einen begrenzten finanziellen Spielraum. Die Festkosten, die sie monatlich zu tragen habe, könne sie mit der derzeitigen Auftragslage noch nicht decken. Zum Nachweis ihrer Aktivitäten reichte die Klägerin zwei Bewerbungsschreiben und eine Rechnung ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Die von der Klägerin eingereichten Unterlagen reichten nicht aus, eine Aufnahme der selbständigen Tätigkeit bereits am 22. September 2009 zu belegen. Die Klägerin sei nicht falsch beraten worden. Bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ab 1. Oktober 2009 habe ein Restanspruch auf Alg von 84 Tagen bestanden. Bei dem Beratungsgespräch am 7. Mai 2009 sei sie darauf hingewiesen worden, dass die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zum 1. September 2009 erfolgen solle. Im Übrigen könne die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu einem Zeitpunkt, an dem ein Anspruch auf Alg von mindestens 90 Tagen noch bestanden habe, nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden.

Am 2. Dezember 2009 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt und zur Begründung ausgeführt hat: Sie habe am 7. Mai 2009 bei der Beklagten einen Gründungszuschuss beantragt. In den folgenden Monaten habe sie bei der Beklagten ein Seminar für Existenzgründer besucht und mit dem Coach W einen Businessplan erarbeitet. Im September 2009 habe sie u. a. den Businessplan überarbeitet, ihre Homepage mit Hilfe eines Bekannten programmiert und gestaltet, Visitenkarten und Briefpapier erstellt und sich verschiedenen potentiellen Arbeitgebern vorgestellt. Damit sei sie wöchentlich 30 bis 35 Stunden beschäftigt gewesen. Als Zeitpunkt der Aufnahme der Selbständigkeit habe sie deswegen den 1. Oktober 2009 angegeben, weil zum Zeitpunkt der Abgabe des Antrages am 22. September 2009 noch einige vorbereitende Tätigkeiten zu erledigen gewesen seien. Sie sei erstmals am 18. September 2009 als selbständige Fotografin nach außen in Erscheinung getreten; an diesem Tag habe sie sich mit einem potentiellen Auftraggeber getroffen, der ihr dann auch einen Auftrag erteilt habe. Sie sei auch hauptberuflich tätig gewesen, weil sie insgesamt mehr als 15 Stunden wöchentlich für ihre selbständige Tätigkeit aufgewendet habe.

Im bereits seit Ende 2009 geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht (siehe Beiakte S 58 AL 5003/09 ER) hatte die Klägerin mit weiterem Schriftsatz und einer Eidesstattlichen Versicherung vom 2. Dezember 2009 ergänzend angegeben: Am 24. September 2009 habe sie ihren ersten Auftrag als selbständige Fotografin ausgeführt (siehe Rechnung Nr. 001, a.a.O.). Aufträge könne sie zurzeit nur sehr eingeschränkt ausführen. Ihr Equipment bestehe aus einer Kamera, die sie im Januar (2009) gekauft habe und für die sie monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 145,00 Euro leiste. Für das übrige Equipment (portable Hintergründe, Objektive, Lichtanlage) wolle sie einen Kredit aufnehmen, sobald sie über den Gründungszuschuss ein festes Einkommen nachweisen könne. Insbesondere eine Lichtanlage, die mindestens 1.000 Euro koste, sei für ihre Arbeit essentiell. Da sie über kein Vermögen und keine Sicherheiten verfüge, sei sie auf den Gründungszuschuss angewiesen, um einen Kredit zu erhalten. Derzeit müsse sie sich vor jedem Auftrag das passende Equipment leihen. Damit sei eine spontane Auftragsannahme nicht möglich. Durch die hohen Leihgebühren und den mit der Leihe verbundenen Zeitaufwand verringere sich zudem die Gewinnspanne erheblich. Ohne Gründungszuschuss werde sie deshalb die Selbständigkeit voraussichtlich in den nächsten Monaten beenden müssen. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2009 hatte das Sozialgericht die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung eines Gründungszuschusses für die Zeit ab 2. Dezember 2009 verpflichtet. Auf die Beschwerde der Beklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 23. Februar 2010 den Beschluss des Sozialgerichts aufgehoben und den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hatte der erkennende Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Existenzgründung nicht tragfähig erscheine und zudem ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht sei.

In dem Beschwerdeverfahren hatte die Klägerin eine weitere Eidesstattliche Versicherung vom 15. Februar 2010 zu den Akten gereicht. Darin hatte sie u. a. erklärt: Sie habe in ihrem Businessplan deshalb kein Bedarf an Fremdkapital angegeben, weil sie den Gründungszuschuss als Eigenkapital für spätere Investitionsmöglichkeiten angesehen habe. Den Gründungszuschuss habe sie insbesondere benötigt, um von einer Bank einen Kredit in Höhe von zwei bis dreitausend Euro zu erhalten. Am Anfang ihrer Selbständigkeit habe sie mit dem vorhandenen Fotoequipment ausreichend arbeiten können, da die ersten Aufträge eine geringere Ausrüstung erfordert hätten. Es sei ihr auch wichtig gewesen, den Markt erst zu erforschen, bevor sie weitere Investitionen tätige. Da sie mit der jetzigen Auftragslage erkenne, in welche Richtung sie sich mit ihrer Selbständigkeit bewege, um den erzielten Erfolg zu erlangen, sei sie nunmehr bereit, in eine spezielle Fotoausrüstung zu investieren. Es handele sich bei dieser Investition um eine Lichtanlage, die es ihr ermögliche, umfangreichere Fotoaufträge anzubieten bzw. anzunehmen. Die Kosten der Lichtanlage einschließlich Zubehör beliefen sich auf etwa 1.500 Euro.

Entsprechend dem Hinweis des Sozialgerichts in den Gründen des genannten Beschlusses vom 14. Dezember 2009 hatte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Dezember 2009 die Bewilligung von Alg auch für die Zeit vom 14. bis 30. September 2009 aufgehoben und die Klägerin mit den Bescheiden vom 20. Januar 2010 zur Erstattung von gewährtem Alg und Beiträgen zur Kranken,- Pflege- und Rentenversicherung für den genannten Zeitraum aufgefordert.

Als Reaktion auf den Beschluss des Senats vom 23. Februar 2010 hat die Klägerin im Klageverfahren eine schriftliche Erklärung ("Erläuterung") zur Tragfähigkeit ihres Businessplanes im Wesentlichen mit dem Inhalt eingereicht, dass sie nunmehr eine günstigere Lichttechnik erworben und diese mit Hilfe eines durch einen Freund gewährten Darlehens in Höhe von 700 Euro finanziert habe.

Mit Urteil vom 10. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung eines Gründungszuschusses für den Zeitraum ab 14. September 2009 verurteilt und zur Begründung ausgeführt. Die Klägerin habe ihre selbständige Tätigkeit bereits am 14. September 2009 aufgenommen. Über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch wäre sie jedenfalls so zu stellen, als habe sie sich zum Erhalt der 90 Tage Restanspruchsdauer bereits vor dem 1. Oktober 2009 aus dem Alg-Bezug abgemeldet. Die Existenzgründung sei zudem tragfähig. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt sei insoweit der Zeitpunkt der Antragstellung bzw. des Beginns der Tätigkeit. Ausgangspunkt für den Nachweis der Tragfähigkeit sei deshalb die zeitnahe Einschätzung der T GmbH. Dass diese Einschätzung fehlerhaft gewesen sei oder die Klägerin falsche Angaben zu ihrer Geschäftsidee gemacht habe, sei nicht festzustellen. Allenfalls könne moniert werden, dass ihre Angaben im Gründungskonzept keine betriebswirtschaftlich konzise Darlegung beinhalteten. Dies werde aber von Kleinselbständigen im Kreativbereich weder in § 57 SGB III noch sonst erkennbar verlangt. Dazu sei eine fachkundige Stelle da, deren Kompetenz "nicht durch abstrakte Ausführungen, wie sich ein Landessozialgericht die Finanzierung vorstellt", in Frage gestellt werden könne. Die im Beschwerdeverfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Klägerin gebe die für Kleinselbständige typische Situation wieder, dass keine Kapitaldecke vorhanden sei und dann je nach Markt- oder Auftragslage ggf. Investitionen zu tätigen seien, die mit Hilfe eines Kleinkredits realisiert werden müssten. Um von einer Bank einen solchen Kredit zu erhalten, sei aber der Nachweis regelmäßiger Einkünfte erforderlich, zu denen in der Startphase eines Selbständigen regelmäßig nicht die Gewinne, sondern der Gründungszuschuss gehöre. Es obliege der unternehmerischen Entscheidung des Existenzgründers, mithilfe der sozialen Absicherung über den Gründungszuschuss auch Investitionen in dem von der Klägerin dargelegten Rahmen zu finanzieren. Aufgrund ihrer in den Jahren 2004 bis 2008 gesammelten Vorerfahrungen verfüge die Klägerin zudem über kreatives Potential und handwerkliches bzw. technisches Wissen, welches sie befähige, ihre Geschäftsidee umzusetzen und auf Widrigkeiten der Auftragslage schnell zu reagieren.

Mit der am 10. Januar 2011 beim LSG Berlin-Brandenburg eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend: Die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit am 14. September 2009 sei nicht nachgewiesen. Unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin vom 15. Februar 2010 müsse zudem davon ausgegangen werden, dass im Businessplan falsche Angaben hinsichtlich des Kapitalbedarfs gemacht worden seien. So sei nunmehr doch benötigtes Fremdkapital in die Rentabilitätsberechnung nicht eingeflossen. Damit sei aber auch die Stellungnahme der fachkundigen Stelle nicht verwertbar, die auf den unzutreffenden Angaben der Klägerin beruhe. Die Klägerin habe den Kapitalbedarf offensichtlich falsch eingeschätzt; daher könne auf eine Prognoseentscheidung zum Zeitpunkt der Tätigkeitsaufnahme nicht zurückgegriffen werde. Dass es erst um den Aufbau einer tragfähigen Existenz gehe, zeige auch die Eingliederungsvereinbarung der Klägerin mit dem JobCenter F-K vom 25. Januar 2011.

Mit Bescheid vom 12. März 2012 hat die Beklagte der Klägerin Alg für die Zeit ab 1. März 2012 für die Dauer von 360 Tagen bewilligt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die beigezogene Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin S 58 AL 5003/09 ER und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (sog. unechte Leistungsklage, § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -) zulässig, aber nicht begründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gründungszuschuss zu. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2009 erweist sich im Ergebnis als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 57 Abs. 1 SGB III in der hier maßgeblichen, ab 1. August 2006 geltenden und auf das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706) zurückgehenden Fassung (im Folgenden: a.F.). Danach haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss.

Der Anspruch wird nach § 57 Abs. 2 S. 1 SGB III a.F. geleistet, wenn der Antragsteller

(1.) bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit

(a) einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch oder

(b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungs-maßnahme nach diesem Buche gefördert worden ist,

(2.) bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt,

(3.) der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und

(4.) seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Die Klägerin hatte bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Alg und damit auf eine Entgeltersatzleistung im Sinne von § 57 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 lit.) a SGB III a.F. Dabei kann dahinstehen, ob die Aufnahme ihrer selbständigen Tätigkeit am 14. September oder am 1. Oktober 2009 erfolgte. Auch wenn die Klägerin ihre selbständige Tätigkeit erst am 1. Oktober 2009 aufgenommen hätte, wäre ein enger zeitlicher Zusammenhang (vgl. dazu u. a. BSG, Urteil vom 5. Mai 2010 – B 11 AL 11/09 R – SozR 4-4300 § 57 Nr. 6) zwischen dem Bezug des Alges und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit dennoch zu bejahen. Denn aufgrund des rückwirkenden Aufhebungsbescheides vom 29. Dezember 2009 bestand eine Lücke beim Alg nur für den Zeitraum vom 14. bis 30. September 2009 und somit nur für einen Zeitraum von weniger als drei Wochen.

Die Klägerin hatte auch zum Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch einen Anspruch auf Alg für mindestens 90 Tage. Auch in diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin die selbständige Tätigkeit am 14. September oder am 1. Oktober 2009 aufgenommen hat. Denn auch bei einer Aufnahme am 1. Oktober 2009 hätte ihr ein Anspruch auf Alg für mindestens 90 Tage zugestanden, weil die Beklagte mit Bescheid vom 29. Dezember 2009 die Bewilligung von Alg rückwirkend für den Zeitraum vom 14. bis 30. September 2009, also für 17 Tage, aufgehoben hatte. Damit stand ihr am 1. Oktober 2009 noch ein Restanspruch sogar für 101 Tage zu.

Der Gewährung des Gründungszuschusses steht aber entgegen, dass die Klägerin die Tragfähigkeit der Existenzgründung nicht nachgewiesen hat. Die in § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB III a.F. statuierte Nachweispflicht dient dem Zweck, nur solche Existenzgründungen zu fördern, die tragfähig sind, das heißt erwartungsgemäß für den Antragsteller auf Dauer eine ausreichende Lebensgrundlage bilden werden. Der Nachweispflicht des Antragstellers steht eine entsprechende Prüfungspflicht der Beklagten gegenüber, der insoweit kein Beurteilungsspielraum zusteht. Dabei ist maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier der Widerspruchsbescheid vom 4. November 2009. Denn die Entscheidung über die Tragfähigkeit der Existenzgründung ist ihrem Wesen nach eine Prognoseentscheidung, die gemäß dem Zweck des Gründungszuschusses, die Sicherung des Lebensunterhalts und die soziale Sicherung in der Anfangszeit der Unternehmensgründung zu ermöglichen, in zeitlicher Nähe zur Aufnahme der beabsichtigen Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ergehen muss (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11. Dezember 2009 – L 3 AL 28/08 – m. w. N., juris).

Zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2009 hatte die Klägerin die Tragfähigkeit ihrer Existenzgründung nicht nachgewiesen. Der Senat ist vorliegend nicht gehindert, über die Tragfähigkeit der Existenzgründung der Klägerin bezogen auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung der Beklagten zu entscheiden, obwohl die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid keine Entscheidung über die Tragfähigkeit getroffen hat. Denn die Entscheidung über die Tragfähigkeit der Existenzgründung unterliegt im vollen Umfang (auch) der gerichtlichen Kontrolle.

Die von der Klägerin bei der Beklagten eingereichte Stellungnahme der T GmbH vom 17. September 2009 ist auf der Grundlage des von ihr erstellten Businessplans zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung nicht geeignet, weil in dem Businessplan wesentliche Angaben zum Kapitalbedarf fehlen und zudem unzutreffend ausgeführt wird, dass die in der Gründungsphase zu tätigenden Investitionen durch "vorhandenes Eigenkapital" finanziert werden bzw. für die Umsetzung der Geschäftsidee kein "Kapitalbedarf- und Finanzierung nötig" ist. Demgegenüber gab die Klägerin in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht (S 58 AL 5003/09 ER) und dem sich daran anschließenden Beschwerdeverfahren an, dass sie im Januar (2009) eine Kamera gekauft habe, für die sie noch monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 145,00 Euro leisten müsse, und sie zudem für das übrige Equipment einen Kredit in Höhe von 2.000 bis 3.000 Euro aufnehmen wolle, sobald sie über den Gründungszuschuss ein festes Einkommen nachweisen könne. Insbesondere eine Lichtanlage, die einschließlich Zubehör etwa 1.500 Euro koste, sei für ihre Arbeit essentiell.

Dieses Konzept weicht aber erheblich von dem im Businessplan dargestellten Kapital- und Finanzierungsplan ab, wonach die Finanzierung des Kapitalbedarfs für zu tätigende Investitionen durch vorhandenes Eigenkapital erfolgen sollte. Damit erweist sich die Stellungnahme der T GmbH vom 17. September 2009 als ungeeignet, die Tragfähigkeit der Existenzgründung der Klägerin nachzuweisen. Vor dem Hintergrund, dass der Klägerin tatsächlich kein Eigenkapital für (weitere) Investitionen zur Verfügung stand, hätte sie in ihrem Businessplan darlegen müssen, welcher Investitionsbedarf bestand (portable Hintergründe, Objektive, Lichtanlage), wieviel Kapital dafür benötigt wird und wie die Finanzierung erfolgen soll. Ferner hätte die Klägerin auch angeben müssen, dass sie für die von ihr angeschaffte Kamera noch monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 145,00 Euro zu leisten hatte. Dazu enthält der Businessplan keine Angaben; auch die als Anlage beigefügte Rentabilitätsvorschau weist keine monatlichen Ratenzahlungen für die Anschaffung der Kamera oder geplante Ausgaben insbesondere für die Anschaffung einer Lichtanlage aus.

Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Soweit sie vorträgt, sie habe den Gründungszuschuss als Eigenkapital für spätere Investitionsmöglichkeiten angesehen, kann dies nach ihrem weiteren Vorbringen nur so verstanden werden, dass der Gründungszuschuss zum Nachweis ihrer Kreditwürdigkeit notwendig gewesen sei, um ein Bankdarlehen für die Anschaffung der benötigten Fotoausrüstung zu erhalten. Dies hätte aber – wie bereits dargelegt – im Businessplan dargelegt werden müssen. Im Übrigen dient der Gründungszuschuss in erster Linie der Sicherung des Lebensunterhalts und der sozialen Sicherung und nicht der Deckung von Betriebsausgaben im Rahmen der selbständigen Tätigkeit.

Soweit sie weiter vorträgt, dass am Anfang ihrer Selbständigkeit das vorhandene Fotoequipment ausreichend gewesen sei und sie erst später erkannt habe in welche Richtung sie sich mit ihrer Selbständigkeit bewege, führt dies ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. Denn im Hinblick darauf, dass das Vorhaben der Klägerin von Anfang an die konventionelle und künstlerische Portraitfotografie einschließlich designerischer Weiterverarbeitung zum Gegenstand hatte und zudem auf die "ansprechende Gestaltung von Produkten, Marken- und Firmenauftritten" mittels einer "besonderen Bildsprache" gerichtet war, kann nicht nachvollzogen werden, auf welche Weise sie dieses Vorhaben ohne die von ihr nunmehr benannte spezielle Kameraausrüstung umsetzen wollte. Jedenfalls wich der Plan, ein Darlehen in Höhe von 2.000 bis 3.000 Euro für Investitionen aufzunehmen wesentlich von dem bei der Beklagen eingereichten Businessplan ab, sodass aus der positiven Stellungnahme der T GmbH vom 17. September 2009 keine Erfolgsprognose für das Gründungsvorhaben der Klägerin abgeleitet werden konnte.

Auch der Umstand, dass die Klägerin in der Folgezeit eine Lichtanlage für 700 Euro mit der Hilfe eines Darlehens eines Freundes erworben hatte, ist nicht von rechtlicher Bedeutung. Denn für die zu treffende Prognoseentscheidung sind allein die tatsächlichen Verhältnisse zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt zu berücksichtigen. So wird eine aufgrund der zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt gegebenen Umstände zutreffend erfolgte negative Prognoseentscheidung nicht dadurch unrichtig, dass sich die beabsichtigte Existenzgründung im Nachhinein wider Erwarten doch als tragfähig erwiesen hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11. Dezember 2009 – L 3 AL 28/08 – m. w. N., juris), was im Übrigen vorliegend auch nicht der Fall war.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis zur Hauptsache.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorgelegen haben.
Rechtskraft
Aus
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