L 1 AS 3579/15 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1995/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 3579/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens fehlt, wenn der im SGB-II-Leistungsbezug stehende Antragsteller eine unverzügliche (d.h. unter Abkürzung der normalen Bearbeitungszeit) Abänderung seiner Leistungsbewilligung begehrt und deren besondere Dringlichkeit dem Antragsgegner nicht dargelegt hat. Die (ggf. nochmalige) Kontaktierung des Antragsgegners mit dem Ziel, auf die Dringlichkeit besonders hinzuweisen, stellt keine unzumutbare Obliegenheit dar.
Tatbestand:

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach § 172 Abs. 1, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der seit dem 25.10.2013 geltenden Fassung statthaft. Die Berufung in der Hauptsache bedürfte nicht der Zulassung (Abs. 3 Nr. 1). Das Sozialgericht Ulm (SG) hat auch nicht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, sondern die Erfolgsaussicht des Begehrens auf einstweiligen Rechtsschutz (Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a). Die Beschwerde wurde zudem form- und fristgerecht (§ 173 i.V.m. § 64 Abs. 3 SGG) eingelegt. Sie ist daher zulässig.

Sie ist aber nicht begründet, denn das SG hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgelehnt.

Nach § 73a SGG i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe (PKH), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 81, 347, 357). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Rechtsschutzverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG NJW 1997, 2102, 2103; Bundesgerichtshof NJW 1998, 1154; Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27. November 1998 - VI B 120/98 = juris) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl BVerfG NJW-RR 2002, 1069; NJW 2003, 2976, 2977). Darüber hinaus soll die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Verfahren zu verlagern. Dieses Verfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. März 2000, 1 BvR 2224/98, NJW 2000, 2098).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Nach summarischer Prüfung hatte das einstweilige Rechtsschutzverfahren der Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war unzulässig. Das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass bereits das allgemeine Rechtsschutzinteresse fehlte. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG ausdrücklich an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist lediglich ergänzend auszuführen, dass es der Antragstellerin - entgegen ihrer Auffassung - zumutbar gewesen wäre, vor der Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes beim SG am 10.07.2015, sich wegen der (am 26.06.2015 per Telefax durch Herrn B. von der C. Ost-Württemberg und am 30.06.2015 persönlich) begehrten Abänderung des Bescheids vom 06.05.2015 zum 01.07.2015 erneut an den Antragsgegner zu wenden. Denn aus der Beschwerdebegründung geht hervor, dass es ihr im Wesentlichen um höhere Leistungen ab dem Monat Juli 2015 ging. Das Kindergeld für den Monat Juli 2015 wäre jedoch erst am 16.07.2015 ausgezahlt worden. Bereits mit Bescheid vom 14.07.2015 hat der Antragsgegner aber das Kindergeld nicht mehr bedarfsmindernd berücksichtigt. Er hat damit zeitnah, und damit noch in der normalen Bearbeitungszeit, den (Abänderungs-)Antrag der Antragstellerin durch Verwaltungsakt beschieden. Wäre es der Antragstellerin darauf angekommen, bereits eine Entscheidung des Antragsgegners im Zeitraum vom 01.07. bis 13.07.2015 zu erhalten, hätte sie diesen nochmals kontaktieren und auf die Dringlichkeit ihres Anliegens hinweisen müssen. Wenn der Antragsteller - wie vorliegend - bereits laufende SGB-II-Leistungen bezieht, handelt es sich im Hinblick auf die (nochmalige) Kontaktierung des Antragsgegners mit dem Ziel, auf die Dringlichkeit besonders hinzuweisen, auch nicht um eine unzumutbare Obliegenheit.

Nur ausnahmsweise kann in einem solchen Fall ein Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bestehen, wenn die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, bei der Behörde kein Gehör zu finden (vgl. Udsching in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl. 2011; Kap. V RdNr. 46). Denn in der Regel ist es dem Antragsteller zuzumuten, Kontakt mit der Behörde aufzunehmen, das Begehren darzulegen und die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes anzukündigen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.04.2012 - L 7 AS 372/12 B = juris m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Denn zu beachten ist, dass die Antragstellerin bereits seit dem 01.06.2015 SGB II-Leistungen i.H.v. monatlich 727,76 EUR bezog (Bescheid vom 06.05.2015), somit ihr Bedarf gesichert war. Es ging ihr lediglich um die Nichtanrechnung von Kindergeld ab Juli 2015, mithin um weitere Leistungen i.H.v. 154,00 EUR monatlich. Eine "existenzielle Wichtigkeit" - wie von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren behauptet -, die ein Abwarten einer Entscheidung des Antragsgegners innerhalb einer normalen Bearbeitungszeit unzumutbar gemacht hätte, kann vor diesem Hintergrund nicht erkannt werden. Darüber hinaus hat die Antragstellerin den Antragsgegner nicht auf die von ihr angenommene "existenzielle Wichtigkeit" hingewiesen. Insoweit hat der Antragsgegner keine Veranlassung für die Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegeben.

Hinzu kommt, dass die vollständigen PKH-Unterlagen erst am 17.07.2015 beim SG eingegangen sind und zu diesem Zeitpunkt auch keine Erfolgsaussicht in der Sache bestand, da der Antragsgegner bereits mit Bescheid vom 14.07.2015 die begehrten höheren Leistungen an die Antragstellerin gewährt hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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