L 7 AS 1793/13 NZB

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 49 AS 2742/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1793/13 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es ist eine Frage grundsätzlicher Bedeutung, ob das Nichterreichen wesentlicher Lernziele i.S.d. § 28 Abs. 5 SGB II nur dann anzunehmen ist, wenn eine konkrete Versetzungsgefahr aktuell droht. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, ob der nach den nicht revisiblen schulrechtlichen Bestimmungen im Freistaat Sachsen mögliche Notenausgleich gemäß § 28 Abs. 2 SOMIA (ähnlich auch § 27 Abs. 2 SOGY und § 29 Abs. 2 BGySO) für eine nur mangelhafte Leistung in einem Fach, der eine Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe erlaubt, gegen einen Anspruch auf Lernförderung spricht oder die Erforderlichkeit einer Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II ausschließt.
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27. August 2013 zugelassen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Zulassung der Berufung. In der Sache begehrt die Klägerin die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) für Nachhilfe in Mathematik im zweiten Schulhalbjahr 2011/2012.

Die 2001 geborene Klägerin lebt mit ihrem Bruder im Haushalt ihrer Eltern. Die Familie bezieht laufend Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten.

Sie besuchte im Schuljahr 2011/2012 die 5. Klasse der Mittelschule K. Laut Jahresendzeugnis der 4. Klasse der Grundschule hatte die Klägerin nur in Mathematik eine 4, sonst überwiegend die Note 2. Nach dem Halbjahreszeugnis der 5. Klasse hatte sie in den Kopfnoten jeweils eine 2, ebenso in Deutsch, Englisch, Kunst, Musik, Geschichte, Biologie und Ethik, in den Fächern Geographie, Sport sowie Technik und Computer jeweils die Note 3 und in Mathematik wiederum die Note 4. Die Schule bestätigte, dass bei der Klägerin die Notwendigkeit von Lernförderung im Fach Mathematik bestehe. Das Erreichen wesentlicher Lernziele (im Regelfall die Versetzung) sei gefährdet; es bestehe eine positive Versetzungsprognose im Falle der Erteilung von Lernförderung, die Leistungsschwäche sei nicht auf unentschuldigte Fehlzeiten o.Ä. zurückzuführen und geeignete kostenfreie schulische Angebote bestünden nicht.

Am 20.03.2012 hat die Klägerin, vertreten durch die Eltern, beim Beklagten Leistungen für eine angemessene Lernförderung beantragt und neben der Bestätigung der Schule eine Angebot für Einzelnachhilfeunterricht à 60 Minuten/Woche mindestens dreimal im Monat für 20,00 EUR pro Stunde vorgelegt.

Mit Bescheid vom 10.04.2012 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe zur Lernförderung ab. Außerschulische Lernförderung sei als Mehrbedarf nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich. Das wesentliche Lernziel sei regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein ausreichendes Leistungsniveau. Nach den vorliegenden Zeugnissen liege bei der Klägerin keine Versetzungsgefährdung vor. Das Leistungsniveau sei ausreichend. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Lernförderung seien demnach nicht erfüllt. Der dagegen gerichtete Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.04.2012). Die erforderliche und auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung der Versetzungsgefährdung falle zu Lasten der Klägerin aus. Es werde nicht verkannt, dass sie in Mathematik über kein befriedigendes Leistungsniveau verfüge, insbesondere dort deutliche Schwächen zeige. Gleichwohl könne eine Versetzungsgefährdung nicht erkannt werden. Der Einschätzung der Schule könne unter Beachtung der sonstigen Zensuren der Halbjahresinformation nicht gefolgt werden, weil davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin nach den Versetzungsbestimmungen in § 28 der Schulordnung für Mittel- und Abendschulen (vom 11.07.2011; berichtigt 19.08.2011, SächsGVBl. S. 365 (SOMIA); zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.06.2012; SächsGVBl. S. 348, 374) selbst eine Note 5 in Mathematik noch mit einer Note 2 in Deutsch würde ausgleichen können.

Dagegen hat die Klägerin am 04.05.2012 beim Sozialgericht Dresden Klage erhoben.

Auf entsprechenden Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 18.05.2012 im Verfahren S 38 AS 2575/12 ER den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung verpflichtet, der Klägerin vorläufig bis zum Ablauf des Schuljahres 2011/2012 die Kosten für die außerschulische Lernförderung im Fach Mathematik mit einem Umfang von 60 Minuten/Woche zu bewilligen. Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 24.05.2012 vorläufig eine angemessene ergänzende Lernförderung, zahlte für die seit 01.03.2012 erfolgte Nachhilfe 280,00 EUR an die Mutter der Klägerin aus und erteilte einen Gutschein für den weiteren Unterricht über 140,00 EUR.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat vorgetragen, ihr derzeitiger Notendurchschnitt in Mathematik sei 4,2; zuletzt habe sie die Note 5 erreicht. Die Defizite könnten auch durch Lernversuche mit den Eltern seit der 4. Klasse nicht beseitigt werden. Der ausgewählte Anbieter biete auch für andere bedürftige Schüler im Zuständigkeitsbereich des Beklagten Nachhilfeunterricht an, dessen Kosten in den bewilligten Fällen vom Beklagten auch übernommen würden. Gemäß § 28 Abs. 5 SGB II stehe Schülerinnen und Schülern ein Anspruch auf ergänzende angemessene Lernförderung zu, soweit diese geeignet und erforderlich sei, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Wesentliches Lernziel sei die Vermeidung einer Versetzungsgefahr sowie das zumindest sichere Erreichen der Note "ausreichend" in den Grundfächern. Aufgrund der erheblichen Schwächen der Klägerin im Fach Mathematik und dem bisherigen Notenstand sei das Erreichen der Note "ausreichend" in Mathematik zum Schuljahresabschluss erheblich gefährdet. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Eltern mit durchschnittlichen Einkünften ihrem Kind eine Lernförderung im Fach Mathematik bezahlen würden, damit das Klassenziel, zumindest die Note 4, sicher erreicht werde. Soweit der Beklagte meine, es bestehe keine akute Versetzungsgefahr, stehe dies im Widerspruch zur Schulbestätigung vom 05.03.2012. Im Übrigen bestehe gleichwohl ein Anspruch auf Lernförderung. § 28 Abs. 5 SGB II verweise auf die wesentlichen Lernziele nach den schulrechtlichen Bestimmungen. Die SOMIA bestimme nicht ausdrücklich die wesentlichen Lernziele. Durch eine Gesamtbetrachtung werde deutlich, dass nicht nur die Versetzung, sondern das Erreichen von ausreichenden Noten in allen Fächern, insbesondere in den in § 28 Abs. 3 Nr. 1 SOMIA genannten Grundfächern, sein soll (§§ 28Abs. 1, 40 Abs. 1 SOMIA). Der Notenausgleich solle die Ausnahme sein. Auch werde nach § 22 Abs. 4 Nr. 3 SOMIA bei Teilleistungsschwächen ein besonderer Förderbedarf gesehen. Insoweit sei nach den landesrechtlichen Bestimmungen ein wesentliches Lernziel auch die Beseitigung von Teilleistungsschwächen wie die der Klägerin im Fach Mathematik. Stelle man allein auf die Versetzungsgefahr ab, würde eine vom Gesetzgeber gewünschte frühzeitige Beseitigung von Lernschwächen nicht mehr zu erreichen sein. Gerade die strengen Anforderungen an das Bestehen der Abschlussprüfung und die hohe Wertigkeit des Faches Mathematik bedingten eine frühzeitige Beseitigung dieser Lerndefizite. Würden Leistungsschwächen in der Klassenstufe 5 nicht beseitigt, fehlten Grundkenntnisse für die folgenden Jahrgangsstufen, die später kaum mehr nachzuholen seien. Dem ist der Beklagte entgegen getreten, da offensichtlich unter Anwendung des sog. Notenausgleichs keine Versetzungsgefahr bestehe. Eine Verschlechterung des Leistungsniveaus im Laufe des Schuljahres sei nicht festzustellen. Lernförderung sei in der Regel nur kurzzeitig möglich und sei nicht als dauerhafte Leistung ausgestaltet, um überhaupt eine bestimmte Schulform für den betreffenden Schüler zu ermöglichen. Sollten tatsächlich elementare Grundkenntnisse im Fach Mathematik fehlen, sei wohl eher eine Wiederholung der 5. Klasse angezeigt.

Der Nachhilfeunterricht ist vom 01.03.2012 bis 22.07.2012 erteilt worden. Die Klägerin hat im Jahresendzeugnis der Klasse 5 im Fach Mathematik eine 4 erreicht und ist in die Klasse 6 der Mittelschule versetzt worden.

Nach mündlicher Verhandlung hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 27.08.2013 abgewiesen, weil die schlechten Leistungen der Klägerin deren Versetzung nicht unmittelbar gefährdeten. Selbst eine Note mangelhaft in Mathematik, die ihr noch nicht akut drohe, könnte sie durch die vergleichsweise guten Noten, insbesondere in Deutsch, ausgleichen. Die schlechten Leistungen in Mathematik wirkten sich auch noch nicht negativ auf ihre Leistungen in anderen Schulfächern mit naturwissenschaftlichem Bezug aus. In Biologie habe sie eine 2 geschafft. Angesichts ihrer sonst guten Leistungen vermöge das Gericht auch nicht die aktuelle Gefahr einer sozialen Ausgrenzung zu erkennen. Eine pathologische Schwäche im Sinne einer Dyskalkulie liege bei der Klägerin nicht vor. Eine Bewilligung von Leistungen komme auch nicht mit Blick darauf in Betracht, dass Eltern von Kindern, die keine Grundsicherungsleistungen beziehen, dem Kind in einer vergleichbaren Situation Nachhilfeunterricht verschaffen würden. Es möge denkbar sein, dass an den Entwicklungsperspektiven ihrer Kinder interessierte Eltern bei einer Note 4 in Mathematik so handeln würden. Indes gebe es keine Erkenntnisse, dass dies in der Gesellschaft den Regelfall darstelle, insbesondere nicht bei gering verdienenden Eltern. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.

Gegen das am 04.10.2013 zugestellte Urteil hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 22.10.2013 beim Sächsischen Landessozialgericht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, mit der sie einen Verfahrensmangel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht. Die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes werde gerügt, u.a. weil das Gericht mutmaße, dass Eltern überwiegend in vergleichbaren Fällen ihren Kindern keine Lernförderung zukommen lassen würden. Das Sozialgericht hätte weitergehende Ermittlungen zum durchschnittlichen Elternverhalten bei leistungsgeminderten Schülern in vergleichbaren Situationen anstellen müssen. Weiterhin habe das Gericht gemutmaßt, dass der Klägerin keine mangelhafte Benotung im Fach Mathematik drohe. Dies sei angesichts des klägerischen Vortrages nicht nachvollziehbar. Es werde nicht definiert, ab wann aus Sicht des Gerichts eine "akute" Versetzungsgefahr bestehe. Insoweit seien weitere Ermittlungen anzustellen gewesen, z.B. durch eine Anfrage bei der Schule oder dem Nachhilfelehrer. Höchstrichterlich sei die Auslegung des § 28 Abs. 5 SGB II noch nicht geklärt. Landesrechtliche Bestimmungen könnten zudem unterschiedliche Lernziele statuieren, so dass länderübergreifende Vorgaben zu entwickeln seien. Auch komme der Frage, welches Gewicht der Versetzungsgefahr im Vergleich zu den weiteren landesrechtlichen Lernzielen beizumessen sei, grundsätzliche Bedeutung zu. Das Sozialgericht stelle bei fehlender unmittelbarer Versetzungsgefahr (Notenausgleich) und bei bestehender Gefahr einer nur ungenügenden Note in einem Hauptfach auf eine aktuelle Gefahr einer sozialen Ausgrenzung und auf ggf. negative Auswirkungen in anderen Fächern ab. Dieses Tatbestandsmerkmal finde sich in § 28 Abs. 5 SGB II nicht. "Wesentliches Lernziel" sei nach den schulrechtlichen Vorschriften auch die Beseitigung von Teilleistungsschwächen. Bei der Klägerin habe die erhebliche Gefahr bestanden, das Lernziel "ausreichend" im Pflichtfach Mathematik nicht zu erreichen (so auch Beschluss vom 18.05.2012). Gerade die differierenden Entscheidungen in der selben Angelegenheit bei unveränderter Sachlage zeigten exemplarisch die schwierige Auslegungsproblematik des § 28 Abs. 5 SGB II.

Sie beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 27.08.2013 zuzulassen und das Verfahren als Berufungsverfahren fortzuführen.

Der Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Akte des Beklagten zu Bildung und Teilhabe (grün) verwiesen.

II.

Die statthafte und zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde ist begründet.

Die Berufung bedarf vorliegend gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes den Wert von 750,00 EUR nicht übersteigt. Auch betrifft der Rechtsstreit nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung bei einer Klage, die – wie hier – einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt betrifft, der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt. Streitgegenstand im Klageverfahren beim Sozialgericht ist die (endgültige) Gewährung von Leistungen zur Lernförderung für die Klägerin im 2. Schulhalbjahr des Schuljahres 2011/2012 in Höhe von insgesamt 420,00 EUR. Die Berufung hätte somit der ausdrücklichen Zulassung bedurft, die vom Sozialgericht nicht ausgesprochen wurde.

Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Indivi¬dualinteresse genügt nicht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 144 RdNr. 28). Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist, wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist, wenn sie so gut wie unbestritten ist, wenn sie praktisch außer Zweifel steht oder wenn sich für die Antwort in anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (vgl. BSG, Beschluss vom 22.07.2013 – B 9 SB 15/13 B, juris, RdNr. 5 m.w.N.). Die für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage muss nicht nur klärungsbedürftig, sondern im vorliegenden Rechtsstreit auch klärungsfähig sein, d.h. sie muss entscheidungserheblich sein (Leitherer, a.a.O., § 144 RdNr. 28 und § 160 RdNr. 9 ff. m.w.N.).

Vorliegend handelt es sich um eine Rechtssache grundsätzlicher Bedeutung, weil weder eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Auslegung von § 28 Abs. 5 SGB II vorliegt noch geklärt ist, welches im Freistaat Sachsen die nach den schulrechtlichen Be¬stimmungen wesentlichen Lernziele sind.

Ob das Nichterreichen wesentlicher Lernziele i.S.d. Vorschrift – wie der Beklagte und das Sozialgericht wohl meinen – nur dann anzunehmen ist, wenn eine konkrete Versetzungsgefahr aktuell droht (vgl. Voelzke in Hauck/Noftz. SGB, 11/13, § 28 SGB II, RdNr. 80), ist zu klären. In der veröffentlichten Rechtsprechung wird auch vertreten, dass nicht nur die Versetzung in die nächste Klassenstufe ein wesentliches Lernziel sei, sondern auch das Erreichen eines ausreichenden Leistungsniveaus, etwa um ausreichende Leistungen beizubehalten (so Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 26.03.2014 – L 6 AS 31/14 B ER, RdNr. 29 m.w.N.; Sozialgericht Dresden, Urteil vom 06.01.2014 – S 48 AS 5789/12; Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 20.12.2013 – S 19 AS 1036/12, RdNr. 32, m.w.N.; Sozialgericht Darmstadt, Urteil vom 16.12.2013 – S 1 AS 467/12; RdNr. 45; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.02.2012 – L 7 AS 43/12 B ER, RdNr. 30 f., alle juris; vgl. auch Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, 44. update 8/15, § 28 RdNrn. 54, 55; Brose; die Lernförderung nach dem Bildungspakte: Eine Zwischenbilanz, in NZS 2013, 51, 54;). Grundsätzlich zu klären ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob der nach den nicht revisiblen schulrechtlichen Bestimmungen im Freistaat Sachsen mögliche Notenausgleich gemäß § 28 Abs. 2 SOMIA (ähnlich auch § 27 Abs. 2 Schulordnung Gymnasien (SOGY) vom 03.08.2004, zuletzt geändert durch Artikel 4 der Verordnung vom 16.07.2010, SächsGVBl. S. 228, und § 29 Abs. 2 Schulordnung Berufliche Gymnasien (BGySO) vom 10.11.1998, zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 13.08.2014, SächsGVBl. S. 461) für eine nur mangelhafte Leistung in einem Fach, der eine Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe erlaubt, obwohl in dem betreffenden Fach gerade keine ausreichenden Leistungen erreicht worden sind, gegen einen Anspruch auf Lernförderung spricht oder die Erforderlichkeit einer Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II ausschließt.

Als klärungsbedürftig könnte sich ferner erweisen, ob und falls ja unter welchen Voraussetzungen sich der Leistungsträger – wie hier – über die Einschätzung der die Klägerin unterrichtenden Lehrkräfte, die die Notwendigkeit von Lernförderung und eine Gefährdung des Erreichens wesentlicher Lernziele bestätigt hatten, hinwegsetzen dürfen, obwohl der Gesetzgeber davon ausging, dass Lernförderbedarfe im Rahmen der pädagogisch ohnehin gebotenen Diagnoseaufgaben der Lehrkräfte an Schulen festgestellt werden (BT-Drucks. 17/3404 S. 105; vgl. Lenze in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013 § 28 RdNr. 27, Becker, Die neuen Leistungen für Bildung und Teilhabe im SGB II, in SGb 2012, 185, 186). So wird insbesondere in der Literatur teilweise vertreten, der (Schul-)Verwaltung sei wegen der Komplexität bei der Bewertung schulischer Leistungen insoweit ein Beurteilungsspielraum im Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung zuzubilligen, soweit prüfungsspezifische Bewertungen betroffen seien und sich die Leistungsverwaltung die Einschätzung der Lehrkörper über die Eignung und Erforderlichkeit von Lernförderung zu eigen mache (vgl. Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 28, RdNr. 148 m.w.N.). Die Einschätzung der Lehrkraft sollte grundsätzlich übernommen werden (Adolph, a.a.O., RdNr. 56). Die Amtsermittlung der Leistungsbehörde (und des Sozialgerichts) müsse unter Einbeziehung der Schule und der Lehrkräfte stattfinden, da sie über die notwendige Sachkunde verfügten, um eine Prognose zu ermöglichen und es seien sachverständige Zeugenauskünfte der unterrichtenden Lehrkräfte einzuholen (Luik in Eicher SGB II, 3. Aufl. 2013, § 28 RdNrn. 40 und 44). Andere vermuten, dass die Jobcenter mangels Sachkompetenz faktisch die Entscheidung den Schulen überlassen (vgl. Brose, a.a.O, S. 55).

Zu erwägen ist zudem, ob die Entscheidung des Sozialgerichts von der Entscheidung des 2. Senats des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18.12.2014 – L 2 AS 1285/14 B ER abweicht. So hat das Sozialgericht einen Anspruch auf Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II deswegen abgelehnt, weil die Versetzung der Klägerin nicht unmittelbar gefährdet gewesen sei, da sie selbst eine mangelhafte Note im Mathematik mit anderen guten Noten ausgleichen könne. Dem gegenüber hat das Sächsische Landessozialgericht im o.g. Beschluss ausgeführt, dass unter Inanspruchnahme der außerschulischen Lernförderung ausreichende Lernergebnisse einschließlich der Versetzung in die jeweils nächste Klassenstufe und damit perspektivisch einen Schulabschluss zu erreichen sei. Die Mittelschule ver-mittele eine allgemeine und berufsvorbereitende Bildung einschließlich des Erlernens elementarer Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben und schaffe hiermit die Voraussetzungen für eine berufliche Qualifizierung, die sich im Erwerb eines Schulabschlusses (qualifizierter Hauptschulabschluss oder Realschulabschluss) manifestiere. Diese Formulierung legt nahe, dass der 2. Senat des Landessozialgerichts – anders als das Sozialgericht – davon ausgeht, dass wesentliches Lernziel die Note "ausreichend" in allen Fächern beinhaltet.

Offen bleiben kann daher, ob tatsächlich ein Verfahrensmangel i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG vorliegt, weil keine Befragung der Lehrkräfte an der Schule zum Förderbedarf der Klägerin erfolgte, und ob darauf die Entscheidung des Sozialgerichts beruhen könnte, da nach alledem die Berufung zuzulassen ist.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Anders Schneider-Thamer Wagner
Rechtskraft
Aus
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