L 4 AS 772/15 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AS 3081/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 772/15 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung und Erstattungsforderung von Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU) für den Monat September 2012 wegen der Anrechnung eines Betrages in Höhe von insgesamt 177,01 EUR aus einem Guthaben einer Betriebskostenabrechnung des Jahres 2011.

Der 1965 geborene Kläger erhielt im Jahr 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Mit Bescheid vom 1. Juni 2012 bewilligte der Beklagte für die die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2012 Leistungen in Höhe von monatlich 720,38 EUR (Regelleistung: 374,00 EUR; KdU: 346,38 EUR). Der Kläger bewohnt eine 48,34 qm große Mietwohnung. Neben der Grundmiete von 189,25 EUR muss er für die Heizung 144,00 EUR und für die Betriebskosten monatliche Vorauszahlungen in Höhe von 78,50 EUR, d.h. insgesamt 411,75 EUR aufwenden. Die monatliche Differenz von 65,37 EUR zu den bewilligten KdU bestritt der Kläger selbst.

Am 25. Juni 2012 ging beim Beklagten eine Betriebskostenabrechnung des Vermieters des Klägers (Wohnverein D. eG) vom 22. Juni 2012 ein, die für das Jahr 2011 ein Guthaben von 245,38 EUR auswies. Die Auszahlung des Guthabens solle am 31. Juli 2012 erfolgen. Mit Änderungsbescheid vom 4. Juli 2012 reduzierte der Beklagte zunächst die Bewilligung für August 2012 auf 540,88 EUR und bezifferte den Anspruch auf KdU für diesen Monat auf 168,88 EUR. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte geltend: Der Beklagte habe im Jahr 2011 KdU-Leistungen nur in Höhe von 350,24 EUR gezahlt. Die Differenz zur tatsächlichen Miete habe er vom Regelbedarf zahlen müssen. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für 2011 könne daher nicht angerechnet werden. Am 13. August 2012 legte der Kläger Kontoauszüge vor, nach denen das Betriebskostenguthaben in Höhe von 245,38 EUR am 3. August 2012 gutgeschrieben wurde. Daraufhin hob der Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2012 den Bescheid vom 4. Juli 2012 auf. Bereits mit Schreiben vom 6. September 2012 hatte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung und Erstattung eines Betrages von 177,01 EUR für September 2012 angehört.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 2. Oktober 2012 verlangte der Beklagte die Rückzahlung von 177,01 EUR für September 2012 unter Hinweis auf die erhaltene Betriebskostenerstattung aus dem Jahr 2011. Hiergegen legte der Kläger am 5. Oktober 2012 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2012 zurückwies.

Hiergegen hat der Kläger am 14. Dezember 2012 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt: Er habe im Jahr 2011 die vom Beklagten festgestellten unangemessenen KdU teilweise selbst getragen. Hieran dürfe der Beklagte nach Eingang des Betriebskostenguthabens nicht partizipieren. Zwar habe er eine Kostensenkungsaufforderung vom Beklagten erhalten, habe die verbrauchsabhängigen monatlichen Vorauszahlungen tatsächlich aber nicht verringern können. Durch sein sparsames Verhalten sei es zu dem Betriebskostenguthaben gekommen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG – Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 185/10 R, juris) dürfe eine Anrechnung von Guthaben nicht erfolgen, wenn diese aus Regelleistungszahlungen entstanden seien.

Der Beklagte hat geltend gemacht, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen nach § 22 Abs. 3 SGB II als Einkommen zu werten seien.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Oktober 2015 abgewiesen, die Berufung nicht zugelassen und zur Begründung ausgeführt: Der Bescheid vom 2. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2012 sei rechtmäßig. Der Beklagte habe nach § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Leistungsbewilligung für September 2012 in Höhe von 177,01 EUR zurücknehmen können. Die Anhörung sei korrekt erfolgt. Bei der Leistungsbewilligung für September 2012 sei das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung 2011 in Höhe von 245,38 EUR anfänglich nicht berücksichtigt worden. Derartige Guthaben minderten jedoch nach § 22 Abs. 3 SGB II den Bedarf für KdU. Eine Rückzahlung oder Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen seien daher für den Folgemonat als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II zu bewerten (BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 4 AS 139/11 R, juris). Dies habe auch die Aufhebung des fehlerhaften Änderungsbescheides vom 4. Juli 2012 von Seiten des Beklagten gerechtfertigt, da die Rückzahlung nicht im Juli 2012, sondern erst im August 2012 auf dem Konto des Klägers einging. Die Frage, ob die Deckelung der KdU im Jahr 2011 rechtmäßig gewesen sei oder nicht, sei für den Erstattungsanspruch im September 2012 nicht entscheidend. Auch die Tatsache, dass der Kläger das Guthaben durch eigenes Einkommen bzw. aus dem Regelbedarf erwirtschaftet habe, spiele für die Frage der prinzipiellen Anrechnung des Guthabens auf KdU keine Rolle. Wie das Einkommen bei Betriebskostenguthaben entstanden sei, sei für die Verrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II ebenfalls ohne Bedeutung. Aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 22 Abs. 3 SGB II könne keine Parallele zu Guthaben aus Stromabrechnungen hergestellt werden, die aus dem Regelbedarf zu zahlen seien. Für eine teleologische Reduktion der Norm bleibe kein Raum (vgl. SG Dresden, Urteil vom 29. Juni 2010, S 40 AS 390/09; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Januar 2010, L 3 AS 3759/09, juris). Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides beruhe auf § 45 Abs. 1, 2 SGB X. Bei der Bedarfsberechnung für September 2012 sei unberücksichtigt geblieben, dass dem Kläger am 3. August 2012 ein Guthaben von 245,38 EUR zugeflossen sei. Dieser Betrag sei als Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II zu werten. Im Folgemonat minderten sich daher die Kosten für Unterkunft und Heizung (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 4 AS 139/11 R, juris). Wie das Einkommen erwirtschaftet worden sei, spiele nach der BSG-Rechtsprechung keine Rolle. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da er die Rechtswidrigkeit zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Schließlich enthielten die jeweiligen Bewilligungsbescheide den Hinweis, dass die jährlichen Heiz- und Nebenkostenabrechnung unverzüglich beim Beklagten vorzulegen seien.

Der Kläger hat gegen den am 30. Oktober 2015 zugestellten Beschluss 23. November 2015 Beschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Ihm müsse das Guthaben, das er sich durch sparsames Verhalten selbst aus dem Regelsatz und den bewilligten KdU erwirtschaftet habe, verbleiben. Diesen Fall habe das BSG zudem noch nicht entschieden. Nach der zutreffenden Auffassung des SG Potsdam (Urteil vom 14. Juni 2013, S 42 AS 1322/10) und des SG Chemnitz (Urteil vom 31. Januar 2013, S 40 AS 5401/11) sei unter Hinweis auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung dem Leistungsempfänger freigestellt, selbst den Ausgleich verschiedener Bedarfspositionen durchzuführen. So schließe der Regelbedarf ausdrücklich einen Ansparbetrag mit ein. Es könne keinen Unterschied machen, ob der Kläger ausdrücklich aus seinem Grundbedarf die jeweils genannten Bereiche bezahle oder ggf. zu Lasten des Regelbedarfs zusätzliche Zahlungen für die KdU vornehme und hieraus eine Rückzahlung oder ein Gutachten erhalte. Dies stehe mit dem Urteil des BSG vom 15. April 2008 (B 14/7b AS 58/06 R) im Einklang. Rückzahlungen von Betriebs- und Heizkosten seien daher nicht als Einkommen zu berücksichtigen, wenn sie auf Zahlungen aus den Regelleistungen beruhten.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. Oktober 2015 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil vom 22. Oktober 2015 zu Recht nicht zugelassen. Gemäß § 144 Abs. 1 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG, wenn der Wert des Streitgegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Streitgegenstand ist ein Rücknahme- und Erstattungsbescheid in Höhe von 177,01 EUR. Die Beschwerdewertgrenze ist daher nicht erreicht.

Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

a) Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie wirft keine bislang ungeklärten Rechtsfragen auf, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und -fähig sein. Klärungsbedürftigkeit besteht dann nicht, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden ist, oder wenn zur Auslegung vergleichbarer Regelungen schon höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte dafür geben, wie die konkret aufgeworfene Frage zu beantworten ist (vgl. Meyer/Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 160 RN 8). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sich ihre Beantwortung ohne weiteres aus dem Gesetz und der dazu bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt.

Dieser Fall liegt hier vor. Zur Problematik von Betriebskostenguthaben und ihrer Behandlung im Rahmen von § 22 Abs. 3 SGB II liegt eine umfangreiche Rechtsprechung des BSG vor. In dem grundlegenden Urteil vom 12. Dezember 2013 (B 14 AS 83/12 R, juris) hat das BSG sowohl für § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. als auch für § 22 Abs. 3 SGB II n.F. festgestellt, dass Betriebskostenerstattungen den Bedarf für Unterkunft und Heizung nur in dem Maße reduzieren, in dem die Minderung der "Aufwendungen" für Unterkunft und Heizung "auf ihn durchschlägt". Gemeint sind damit die "tatsächlichen Aufwendungen", so dass es auf die Frage der Angemessenheit der KdU in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Der 14. Senat des BSG stimmt in dieser Entscheidung dem vorausgegangenen Urteil des 4. Senates des BSG vom 22. März 2012, B 4 AS 139/11 R, juris ausdrücklich zu. Hiernach kommt es für die Anrechnung nicht darauf an, von wem konkret die Betriebskostenvorauszahlung in der Vergangenheit aufgebracht worden ist und auf wen der zurückzuerstattende Betrag damit konkret entfällt. Für diese Lösung spricht unter anderen ihre Praktikabilität. Auch soweit Betriebskostenrückerstattungen teilweise dem Leistungsberechtigten zuzuordnen sind, wird zu dessen Gunsten die Verrechnung mit den tatsächlichen und nicht nur mit den angemessenen Unterkunftsaufwendungen vorgenommen und damit ein ausgewogener Ausgleich der beiderseitigen Interessen erreicht (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, a.a.O.). Das Urteil des BSG vom 23. August 2011 (B 14 AS 185/10 R) über Stromkostenvorauszahlungen ist auf den Sachverhalt nicht übertragbar. Stromkosten, sofern sie nicht der Beheizung der Wohnung dienen, sind nicht den KdU, sondern dem Regelbedarf zuzuordnen. Im Übrigen ergibt sich diese Wertung auch aus § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB II, nach dem Kosten für Haushaltsenergie ausdrücklich nicht von Guthaben oder Rückzahlungen erfasst werden sollen.

b) Es besteht auch keine Divergenz iSv § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Ein Abweichen des Urteils von einer Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt oder des BSG ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Es liegt insbesondere keine Divergenz zu der Rechtsprechung des BSG zu Betriebskostenguthaben vor (vgl. BSG, Urteile vom 22. März 2012, B 4 AS 139/11 und vom 2. Dezember 2014, B 14 AS 56/13 R, juris). Einen Verfahrensmangel iSv 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG hat der Kläger nicht geltend gemacht.

c) Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde beruht auf der entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 193 Abs. 1 SGG.

d) Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Denn der Rechtsverfolgung fehlt die erforderliche Erfolgsaussicht. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Auf die oben genannten Ausführungen zur fehlenden Erfolgsaussicht der Klage nimmt der Senat Bezug.

e) Der Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde und die Versagung der Prozesskostenhilfe ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht wird das Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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