L 8 SO 8/16 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 13 SO 14/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 SO 8/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Beschwerdeverfahren eine Leistungspflicht der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ag.) zur Zahlung existenzsichernder Leistungen streitig.

Die Umstände der Einreise der Antragsteller (im Folgenden: Ast.) mit rumänischer Staatsangehörigkeit in das Bundesgebiet sind bisher nicht abschließend zu klären gewesen. Die Antragstellerin zu 1. ist die Mutter der elf, neun, sieben und fünf Jahre sowie sieben Monate alten Ast. zu 2. bis 5. Der Ast. zu 5. ist in Deutschland geboren worden. Der seit Oktober 2014 mit der Ast. zu 1. verheiratete Ehemann und Vater der Ast. zu 2. bis 5 befindet sich nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen einer zwischen dem ...und ... 2014 in B. begangenen Straftat und anschließender Verlegung seit Februar 2015 in einer Justizvollzugsanstalt in B. Die Familie lebte zunächst in einer von diesem mit Mietvertrag vom 22. August 2014 angemieteten Drei-Zimmer-Wohnung in Sachsen-Anhalt, ohne hierfür Miete zu zahlen, bis sie durch gerichtlichen Beschluss zur Räumung der Wohnung verpflichtet wurden. Ein Mietvertrag über die Wohnung unter der aktuellen Adresse liegt dem Senat nicht vor. Im Oktober 2014 soll eine Rückreise der Familie nach R. für die Eheschließung erfolgt sein.

Der zuerst angegangene Träger der Grundsicherung lehnte hier Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) unter Hinweis auf die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab (Bescheid vom 3. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2015). Im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens ist die Beschreibung einer schlechten Ernährungssituation der hier betroffenen Kinder festgestellt worden. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2015 bewilligte die Familienkasse S.-T. Kindergeld für die Ast. zu 2. und 3. in Höhe von 188,00 EUR monatlich und für die Ast. zu 3. und 4. in Höhe von 219,00 EUR monatlich. Am 12. Oktober 2015 ging auf einem Girokonto der Ast. zu 1. die Nachzahlung von Kindergeld in Höhe von 6.312,00 EUR ein. Am 6. November 2015 wurden diesem Konto 789,00 EUR gutgeschrieben.

Die Ast. beantragten am 1. und 11. Dezember 2015 bei der Ag. Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII). Die Ag. lehnte den Antrag vom 1. Dezember 2015 mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 ab. Die Voraussetzungen von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften des SGB XII lägen nicht vor, da eine dauerhafte Erwerbsminderung nicht festgestellt worden sei. Mit Bescheid vom 22. Januar 2016 lehnte die Ag. den Antrag vom 11. Dezember 2015 mit der Begründung ab, nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII hätten Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

Am 10. Februar 2016 haben die Ast. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Halle gestellt, mit welchem sie die Verpflichtung der Ag. zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe erstrebt haben. Grundlage des Anspruchs sei unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2015 (- B 4 AS 44/15 -, juris) § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII.

Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 26. Februar 2016 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden, da die Ast. noch am 12. Januar 2016 über ein Guthaben in Höhe von 2.480,22 EUR verfügt hätten. Insbesondere der Verbleib der Nachzahlung der Familienkasse sei ungeklärt. Es sei von mindestens zwei Girokonten der Ast. zu 1. auszugehen.

Die Ast. haben am 15. März 2016 Beschwerde bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt gegen den ihnen am 2. März 2016 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Ausgehend von einem monatlichen Bedarf der Familie in Höhe von 2.066,39 EUR sei von einer Vermögenslosigkeit auszugehen. Im Übrigen seien die Schonbeträge nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII zu berücksichtigen. Die Ast. zu 2. bis 5. besuchten eine allgemeinbildende Schule. Insoweit verweisen sie auf die die Ast. zu 2. bis 5. betreffenden Schulbescheinigungen.

Die Ast. beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. Februar 2016 aufzuheben und die Ag. zu verpflichten, ihnen ab dem 10. Februar 2016 Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die Ag. beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Ag. hält eine eigene Leistungspflicht nicht für gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Ag. Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.

II.

Die Beschwerde der Ast. gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ist insbesondere nicht § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt, soweit die Berufung nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die von den Ast. vor dem Sozialgericht begehrten Leistungen auf der Grundlage eines monatlichen Bedarfs in Höhe von 2.066,39 EUR, die auch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind, überschreiten die maßgebende Grenze für eine zulassungsfreie Berufung in der Hauptsache. Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).

Es fehlt hier an einem Anordnungsanspruch der Ast. für die begehrte Regelungsanordnung.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht die isolierte Anfechtungsklage die zutreffende Klageart ist, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach Satz 4 dieser Vorschrift gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Abs. 1 und 3, die §§ 932, 938, 939 und 945 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 920 Abs. 2 ZPO sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Der Senat berücksichtigt zunächst, dass das BSG einen Leistungsanspruch für nichtfreizügigkeitsberechtigte Unionsbürger im Einzelfall aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII abgeleitet hat (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, a.a.O.). Der Senat hat gewisse Bedenken in Bezug auf die mit dieser Zuordnung verbundene Eingliederung voll erwerbsfähiger Personen in das SGB XII. In Bezug auf die Einreise mit dem Ziel des Sozialleistungsbezuges lässt sich der gesetzgeberische Wille § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in hinreichender Klarheit entnehmen. Eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift ist vom Bundesverfassungsgericht bisher nicht festgestellt worden.

Gleichzeitig lässt die Entscheidung des BSG Raum für eine besondere Betrachtung des Einzelfalls. Der Senat schließt sich insoweit dem LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 13. April 2016 - L 15 SO 53/16 B ER -, juris) an, dass die vom BSG angenommene Ermessensreduzierung auf Null nur in Fällen eines abschließend geklärten Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers anzunehmen sein kann. Bereits daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Senat prüft damit nur einen Leistungszeitraum von drei Monaten ab der Entscheidung des Senats, in denen der Ag. Gelegenheit gegeben wird, weitere Ermittlungen zu dem aufenthaltsrechtlichen Status der Ast. durchzuführen.

Folgt man der Rechtsprechung des BSG, sieht der Senat auch im Rahmen der vom BSG für notwendig und möglich erachteten verfassungskonformen Auslegung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII eine den Vorgaben der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2, 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz entsprechende Sicherung des Existenzminiums für den Zeitraum des vorläufigen Rechtsschutze durch Leistungen in Höhe des nach § 1a Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vorgesehenen unabweisbar gebotenen Bedarfs als hinreichend gesichert an. Das für die Ast. zu 2. bis 5. jeweils gewährte Kindergeld (190,00 EUR, 190,00 EUR, 196,00 EUR, 221,00 EUR und 221,00 EUR, insgesamt 1.018,00 EUR) deckt den laufenden Bedarf der Ast. zu 2. bis 5. insoweit hier vollständig ab. Laufende Kosten der Unterkunft sind im vorliegenden Verfahren nicht nachgewiesen worden. Durch die Adressenänderung ist belegt, dass die bisherige Wohnung aufgegeben worden ist. Legt man die vollständige Verwendung des Kindergeldes für die Ast. zu 2. bis 5. zugrunde, ergibt sich ein im einstweiligen Rechtsschutz zu berücksichtigender monatlicher Bedarf der Ast. zu 1. nach dem entsprechend zu berücksichtigenden Bedarf aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG in Höhe von 216,00 EUR. Die Berücksichtigung eines Schonvermögens in entsprechender Anwendung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII hält der Senat hier nicht für geboten. Damit kann die Ast. 1, unterstellt, die Angaben zu ihrem Vermögen sind vollständig, ihren notwendigen Bedarf für den vom Senat angesetzten Zeitraum von drei Monaten aus ihrem Vermögen insbesondere aus der Kindergeldnachzahlung decken.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.

.
Rechtskraft
Aus
Saved