L 4 AS 564/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 13 AS 3162/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 564/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweites Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – wegen der Anrechnung von Pflegegeld von Herrn M. für den Zeitraum vom 1. September 2009 bis zum 30. April 2011 in Höhe von 5.878,83 Euro.

Die Klägerin stand bis zum 31. Juli 2014 im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Der Leistungsbezug endete mit der Eheschließung der Klägerin mit Herrn M. am XXX Juli 2014. Mit Bescheid vom 26. März 2009 wurden der Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 2009 bis zum 31. Oktober 2009 Leistungen in Höhe von 514,46 Euro monatlich bewilligt. Ursprünglich wohnte die Klägerin mit ihrer am XXX 1929 geborenen Mutter, C.Z., von der die Klägerin ebenfalls Leistungen der Pflegekasse (Pflegegeld) erhielt, und ihrem Sohn S.L. zusammen. Der Sohn zog zum 1. September 2010 aus. Die Mutter der Klägerin ist am XXX Mai 2010 verstorben.

Im Rahmen der Einleitung eines Mietkostensenkungsverfahrens teilte der Sohn der Klägerin dem Beklagten am 16. Februar 2011 mit, dass die Klägerin die Wohnung nicht mehr alleine bewohne, sondern sie sich die Wohnung mit ihrem Lebensgefährten teile.

Die Klägerin nahm selbst dazu am 2. März 2011 Stellung und führte aus, sie pflege ihren 75- jährigen und an Demenz erkrankten Lebensgefährten in der Wohnung. Diese sei behindertengerecht. Der Beklagte legte eine Meldebescheinigung vom 22. Juni 2010 vor über den am 1. September 2009 erfolgten Einzug des am XXX 1936 geboren M.G. M. bei der Klägerin.

Am 6. April 2011 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit, Herr M. sei am 1. Juni 2010 eingezogen, nachdem er seine Wohnung in der M1 aufgegeben habe. Die geänderte Anmeldebescheinigung vom 31. März 2011 bezüglich des erfolgten Einzugs zum 1. Juni 2010 wurde beigefügt. Dazu führte er aus, es habe nicht geklärt werden können, warum beim Einwohneramt zunächst ein anderes Datum eingetragen worden sei. Es liege keine Lebensgemeinschaft mit Herrn M. vor. Man sei lediglich bekannt. Die Mitteilung, es handele sich um den Lebensgefährten der Klägerin sei aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten zustande gekommen.

Am 21. April 2011 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, Herr M. sei ausgezogen und wohne jetzt zusammen mit dem Sohn der Klägerin in einer Wohnung im gleichen Haus, ebenfalls B ... Herr M. werde weiter von der Klägerin gepflegt. Sie erhalte ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 430,- Euro.

Die Klägerin wurde aufgefordert, eine geänderte Meldebestätigung vorzulegen. Eine solche wurde vom 10. Mai 2011 vorgelegt, die den Eintrag enthielt, der Einzug des Herrn M. bei S.L. sei zum 1. Juni 2010 erfolgt.

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 12. April 2011 für den Bewilligungszeitraum ab dem 1. Mai 2011 erhielt die Klägerin den Bewilligungsbescheid vom 6. Mai 2011 unter Berücksichtigung des Pflegegeldes als Einkommen. Gleichzeitig ergingen mehrere Änderungsbescheide, die die Zeiträume ab dem 1. September 2009 betrafen. Der Beklagte passte die Leistungsbewilligung der Meldebestätigung vom 22. Juni 2010 an und berücksichtigte die Haushaltsgemeinschaft mit Herrn M. rückwirkend zum 1. September 2009.

Die Klägerin legte am 15. Juni 2011 Widerspruch ein und stellte gleichzeitig unter Wiederholung am 29. Juni 2011 Überprüfungsanträge im Hinblick auf die Änderungsbescheide vom 6. Mai 2011. Die Klägerin führte aus, das Pflegegeld sei nicht anzurechnen, unabhängig davon, ob ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Pflegepersonen und Pflegebedürftigen vorliege. Auch die Absenkung der Mietkosten sei rechtswidrig. Die Klägerin sei auf die Wohnung angewiesen. Ein Umzug sei nicht zumutbar gewesen.

Mit Bescheid vom 22. Juni 2011 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung in Höhe von insgesamt 5.878,83 Euro für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 30. April 2011 teilweise auf und forderte die infolge des nicht rechtzeitig mitgeteilten Einzugs von Herrn M. und des seit August 2010 erhaltenen Pflegegeldes eingetretene Überzahlung von der Klägerin zurück.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und wandte auch hiergegen ein, dass die Anrechnung des Pflegegeldes zu Unrecht erfolgt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Als Rechtsgrundlage führte er § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf. Die Klägerin habe entgegen ihrer Pflicht aus § 60 SGB I eine wesentliche Änderung in ihren Verhältnissen nicht rechtzeitig mitgeteilt.

Hiergegen hat die Klägerin am 20. September 2011 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Im Wesentlichen trägt sie vor, der Argumentation des Beklagten sei nicht zu folgen. Es könne nicht bei der Anrechnung von Pflegegeld danach differenziert werden, ob die pflegende Person mit der pflegebedürftigen Person in einem Verwandtschaftsverhältnis stehe. Eine solche Ungleichbehandlung gegenüber anderen Pflegepersonen sei nicht gerechtfertigt. Gem. § 19 SGB XI würden Pflegepersonen nicht erwerbsmäßig im Sinne des § 14 SGB XI pflegen, wenn die Pflege im häuslichen Bereich erfolge. Die Pflegetätigkeit gelte als ehrenamtlich. Ein Arbeitsverhältnis liege nicht vor. Dabei sei es gleichgültig, ob es sich um Familienangehörige handele oder um Familienfremde. Dem Willen des Gesetzgebers entspreche es, die häusliche Pflege zu ermöglichen. Sofern das Pflegegeld als Einkommen anzurechnen sei, würde die Bereitschaft sinken, diese verantwortungs- und anspruchsvolle Tätigkeit zu übernehmen. Die Pflege würde mit dem Pflegegeld ohnehin nicht angemessen honoriert.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und sich zur Begründung auf die Ausführungen in seinen Bescheiden berufen.

Das Gericht hat am 6. Mai 2014 und am 3. November 2015 zwei mündliche Verhandlungen durchgeführt.

Mit Urteil vom 3. November 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die zulässige Klage sei nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 22. Juni.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2011 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zu Recht und mit zutreffender Begründung habe der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes rückwirkend für die Zeit ab dem 1. September 2009 bis zum 30. April 2011 teilweise aufgehoben und die errechneten überzahlten Leistungen in Höhe von 5.878,83 Euro zurückgefordert. Soweit mit der Klage vorgetragen werde, der Beklagte habe zu Unrecht bereits ab dem 1. September 2009 die Minderung der Leistungen für Unterkunft und Heizung wegen des Einzugs von Herrn M. berücksichtigt und die geänderte Meldebestätigung des Herrn M. belege, dass dieser erst ab dem 1. Juni 2010 bei der Klägerin eingezogen sei, könne die Kammer die geänderte Meldebestätigung vom 31. März 2011 nicht zu Grunde zu legen. Die Klägerin habe im Termin der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2014 erklärt, Herr M. sei von seinem Sohn rückwirkend ohne ihr Wissen für die Wohnung der Klägerin angemeldet worden, obwohl er bis zum 30. Juni 2010 noch seine eigene Wohnung hatte. Das Gericht habe berücksichtigt, dass die Klägerin immerhin die nach ihren Angaben durch den Sohn des Klägers zustande gekommene fehlerhafte Meldebescheinigung bei dem Beklagten zu ihrem Leistungsfall vorgelegt habe. Auch sei die geänderte Meldebestätigung vom 31. März 2011 im Zusammenhang mit der Vorlage einer anderen Meldebestätigung für Herrn M. zu betrachten. Die Klägerin habe im weiteren Verfahren eine Meldebestätigung des Herrn M. anlässlich seines Auszugs aus ihrer Wohnung und dem Einzug von Herrn M. in die Wohnung des Sohnes vom 10. Mai 2011 vorgelegt, die wiederum auch nicht stimmen könne, da hier die Angabe enthalten ist, dass der Einzug in die Wohnung des S.L. am 1. Juni 2010 erfolgt sei. Hieraus leite die Kammer ab, dass die Meldebestätigungen im vorliegenden Fall keine zuverlässigen Hinweise auf die tatsächlichen Wohnverhältnisse gäben, da die enthaltenen Einzugsdaten wiederholt Unstimmigkeiten offenbarten, die nicht weiter aufgeklärt werden könnten. Da die Einwohnerämter die Daten offenbar schlicht nach den Angaben der dort vorsprechenden Personen bestätigten, erschienen die Meldebestätigungen im vorliegenden Falle angesichts der wiederholten Änderungen fragwürdig. Hinzu komme, dass Herr M. eine Bestätigung abgegeben habe, dass die Klägerin ihn seit dem 30. Oktober 2009 pflege. Die Klägerin müsse sich daher an den Angaben in der ersten Meldebescheinigung festhalten lassen, die sie dem Beklagten vorgelegt habe.

Soweit im Wesentlichen mit der Klage die Anrechnung des Pflegegeldes gerügt werde, könne sich das Gericht der Ansicht der Klägerin, die Anrechnung müsse auch bei der Pflege von nicht Familienangehörigen unterbleiben, ebenfalls nicht anschließen. Rechtsgrundlage für die Anrechnung des Pflegegeldes sei § 11 Abs. 1 SGB II. Eine Ausnahme von den Anrechnungsvorschriften sei bei dem Erhalt von Pflegegeld im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 der ALG II-VO in der hier gültigen Fassung vom 17. Dezember 2007 seien nicht steuerpflichtige Einnahmen einer Pflegeperson für Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung als Einkommen nicht zu berücksichtigen. Die Steuerfreiheit von Einnahmen von Pflegepersonen sei in den §§ 3 Nr. 36 i.V.m. 33 Abs. 2 Satz 1 EStG geregelt. Danach seien Einnahmen für Leistungen der Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung steuerfrei, wenn diese Leistungen zur Grundpflege entweder von Angehörigen des Pflegebedürftigen erbracht würden oder von anderen Personen, die damit eine sittliche Pflicht gegenüber dem Pflegebedürftigen erfüllten, d.h. von Personen, die sich dieser Pflicht aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen könnten. Eine solche sittliche Pflicht im Sinne des EStG bestehe, wenn sich die pflegende Person nach dem Urteil von billig und gerecht denkenden Menschen zur Pflege verpflichtet halten könnte. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Falle nicht gegeben. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Übernahme der Pflegetätigkeit für Herrn M. keine Angehörige im oben genannten Sinne gewesen. Die Eheschließung sei erst am 12. Juli 2014 erfolgt.

Für ein bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorliegendes Verhältnis dergestalt, dass nach dem Urteil von gerecht und billig denkenden Menschen eine sittliche Pflicht für die Klägerin zur Übernahme der Pflege von Herrn M. bestanden hätte, bestünden keine Anhaltspunkte. Die Klägerin habe anlässlich der Kenntnis vom Einzug des Herrn M. in ihre Wohnung stets angegeben, dass Herr M. in keiner näheren Beziehung zu ihr stehe, insbesondere dass keine Lebensgemeinschaft mit Herrn M. bestünde. Im Verhandlungstermin vom 6. Mai 2014 habe die Klägerin beschrieben, wie das Verhältnis zu Herrn M., den sie schließlich am 12. Juli 2014 geheiratet habe, entstanden sei. Das Gericht entnehme diesen Ausführungen, dass sich zwischen der Klägerin und Herrn M. eine vertrauensvolle Beziehung entwickelt habe. Dass sich daraus aus Sicht der Klägerin ergeben haben könne, dass sie die Pflege von Herrn M. selbstverständlich übernehme, rechtfertige nicht den Schluss, dass diese Sichtweise sich für andere Menschen ebenso aufgedrängt hätte. Für die Annahme einer sittlichen Pflicht im Sinne des Einkommenssteuergesetzes reiche es nicht aus, dass die Pflege aufgrund einer langjährigen vertrauensvollen Beziehung auf Bitten der zu pflegenden Person übernommen werde (vgl. Hess. FG, Urteil vom 20.9.2000, 5 K 1668/00).

Auch gehe der Anreiz, pflegebedürftige Menschen mit Pflegeleistungen zu versorgen, nicht verloren, würde die Anrechnung des an die nicht privilegierten Pflegepersonen weitergeleiteten Pflegegeldes bestätigt werden. Der Gesetzgeber habe im Anwendungsbereich des SGB II die hier genannten Vorschriften zur Anrechnung von laufenden Einnahmen aus nicht selbständiger Arbeit bzw. sonstigem Einkommen geschaffen, die nicht außer Acht zu lassen seien. Den Vorschriften des SGB II liege der Gedanke zu Grunde, dass Leistungsempfänger grundsätzlich dazu zu motivieren seien, ihren Leistungsbezug zu beenden oder zu verringern und im Rahmen der Freibeträge hierzu ausreichenden finanziellen Anreiz erhielten, eine Tätigkeit aufzunehmen, wovon auch die Aufnahme einer Pflegetätigkeit nicht ausgeschlossen sei. Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, es sei vielleicht nicht anfangs, aber später eine solche sittliche Verpflichtung in jedem Falle entstanden, da sich das Verhältnis der Klägerin zu Herrn M. jedenfalls so entwickelt habe, dass daraus später die Eheschließung resultiert sei, könne das an der hier vorgenommenen Würdigung nichts ändern. Einen objektivierbaren Anhaltspunkt für eine sittliche Verpflichtung, die eine Vielzahl von Personen zur Übernahme der Pflegetätigkeit veranlasst haben würde, sei aus der späteren Eheschließung nicht abzuleiten. Die Motivation für die 2014 erfolgte Eheschließung zwischen der 1955 geborenen Klägerin und dem 1936 geborenen Kläger sei nicht bekannt. Gegebenenfalls könne der Versorgungsgedanke für die Klägerin eine Rolle gespielt haben, der möglicherweise bereits vor der Eheschließung durch die in Aussicht genommene Ehe (Verlöbnis) eine sittliche Pflicht begründen könne. Dies müsse allerdings dem Bereich der Vermutung überlassen bleiben und könne keine Grundlage sein, zu einem für die Klägerin günstigen Ergebnis zu gelangen. Zudem sei ein konkreter Zeitpunkt nicht festzustellen, zu dem sich das Verhältnis zwischen der Klägerin und Herrn M. so angenähert haben könnte, dass hieraus eine sittliche Verpflichtung zur Übernahme der Pflegetätigkeit abgeleitet werden könnte. Besondere nach Außen erkennbare Umstände, um ein solches Verhältnis anzunehmen, dass eine sittliche Pflicht zur Übernahme der Pflegetätigkeit auslösen könnte, seien nicht ersichtlich. Ein solches Verhältnis habe spätestens mit der Eheschließung als nach Außen erkennbare Handlung zur Bekundung eines Einstandswillens vorgelegen. Die Kammer habe sich nicht veranlasst gesehen, über einen früheren Zeitpunkt Ermittlungen anzustellen, weil das – wenn auch sich erst später ergebende – Näheverhältnis nicht kausal gewesen sein dürfte für die Übernahme der Pflegetätigkeit des Herrn M. durch die Klägerin, denn die Pflegetätigkeit habe sie bereits 2009 aufgenommen, zu einer Zeit also, in der nach ihren eigenen Angaben lediglich ein gutes Bekanntschaftsverhältnis zu Herrn M. bestanden habe, aus dem jedenfalls keine Einstandspflicht des Herrn M. für die Klägerin resultieren könne. Aus diesem Grunde sei seitens des Beklagten schließlich auch nicht vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft für die Zeit der gemeinsamen Wohnung ausgegangen worden. Um gänzlich die Gefahr der Anrechnung der Rente von Herrn M. zu vermeiden, sei Herr M. in die Wohnung des Sohnes gezogen, die im gleichen Haus wie die Mietwohnung der Klägerin liege. Dies könne den Ausführungen der Klägerin im Termin am 6. Mai 2014entnommen werden. Dort habe sie erklärt, das Arbeitsamt habe ihr gesagt, wenn Herr M. bei ihr angemeldet und wohnen bleibe, bekomme sie kein Geld. Dementsprechend sei der Umzug von Herrn M. in die Wohnung des Sohnes lediglich der Klarstellung halber vorgenommen worden, um weitere Auseinandersetzung mit dem Beklagten wegen des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft zu vermeiden. Aus welchen Gründen denn nun doch nachträglich das Verhältnis zwischen der Klägerin und Herrn M. so beschrieben werde, dass zwischen ihnen eine so enge Bindung bestanden habe, dass die Übernahme der Pflegetätigkeit einer sittlichen Pflicht entsprechen würde, erschließe sich dem Gericht nicht. Die Klägerin müsse sich insoweit an ihren Ausführungen festhalten lassen.

Am 23. Dezember 2015 hat die Klägerin gegen das ihr am 30. November 2015 zugestellte Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen führt ergänzend aus, die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung nach § 40 SGB II i.V.m. § 330 SGB III und § 48 Abs. 1 SGB X seien nicht erfüllt. Es sei bereits keine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten. Herr M. sei nicht bereits am 1. September 2009 in die Wohnung der Klägerin eingezogen. Das Gericht habe einerseits den vorliegenden Meldebestätigungen aufgrund von Widersprüchlichkeiten jegliche Aussagekraft abgesprochen, aber dann selbst die Meldebestätigung vom 22. Juni 2010 als Beleg für das Einzugsdatum gewertet. Wenn das Gericht die Angaben für widersprüchlich gehalten habe, hätte es den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Es liege auch keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB X vor. Da Herr M. faktisch keine Miete gezahlt habe, habe die Klägerin als juristischer Laie nicht gewusst, dass sie seinen Einzug überhaupt hätte angeben müssen. Zudem verbiete sich eine Berücksichtigung des Pflegegeldes nach § 13 Abs. 5 SGB XI und nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 der Arbeitslosengeld-II-Verordnung (Alg-II-VO) in der Fassung vom 17. Dezember 2007. In diesem Zusammenhang könne es nicht darauf ankommen, ob die Pflegeperson ein Angehöriger oder eine sonstige nahestehende Person sei. Dies habe das Bundesverwaltungsgericht auch zur früheren Rechtslage während der Geltung des Bundessozialhilfegesetzes so entschieden. Eine solche Unterscheidung widerspreche dem Sinn und Zweck der Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 der Alg-II-VO. Da der Einsatz der Pflegeperson auch bei einer Weiterleitung des Pflegegeldes nicht angemessen wirtschaftlich entlohnt werde und eine stationäre Unterbringung des zu Pflegenden wesentlich teurer werden würde, sei eine sozialrechtliche Begünstigung des Pflegegeldes im Rahmen der Einkommensanrechnung angemessen. Es gebe keinen sachlichen Grund dies bei Familienangehörigen anders zu bewerten als bei sonstigen ehrenamtlichen Pflegepersonen. Darüber hinaus habe für die Klägerin ein sittliche Pflicht zur Pflege nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 Alg-II-VO i.V.m. §§ 3 Nr. 36, 33 Abs. 2 Satz. 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) bestanden, weshalb sie wie eine Angehörige zu behandeln sei. Aufgrund der langen Bekanntschaft, seiner vorhergehenden Hilfe ihrer Mutter gegenüber und aufgrund ihrer generellen Lebenshaltung habe diese Pflicht bei der Klägerin von Anfang an subjektiv bestanden. Nach dem Einzug von Herrn M. in die Wohnung ihres Sohnes habe diese Pflicht dann auch objektiv bestanden, denn Herr M. habe im Hinblick auf die Pflege durch die Klägerin seine Wohnung aufgegeben. Schließlich habe auch die Rechtsprechung der Finanzgerichte für die Annahme einer sittlichen Pflicht zur Pflege nach §§ 3 Nr. 36 i.V.m. 33 Abs. 2 EStG weniger hohe Anforderungen an die Zwangsläufigkeit der sittlichen Pflicht gestellt als in anderen Fallgestaltungen des § 33 EStG. Bei der Erbringung von Pflegeleistungen halte es der Bundesfinanzhof für geboten, keine allzu hohen Anforderungen an die Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen zu stellen, da das Ziel, die Pflege von Schwerpflegebedürftigen zu begünstigen, anderenfalls nicht angemessen erreicht werden könne.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgericht Hamburg vom 3.11.2015 sowie den Bescheid vom 22.6.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.9.2011 aufzuheben.

Der Vertreter des Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie auf das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus, es habe mehrfach widersprüchliche Angaben zum Einzugstermin von Herrn M. gegeben. Da Herr M. ab dem 30. September 2009 Pflegegeld von seiner Krankenkasse erhalten habe und zu Pflegezwecken bei der Klägerin eingezogen sei, dürfte der Einzug am 1. September 2009 richtig sein. Überdies sei der Klägerin grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB X vorzuwerfen, da die Klägerin gewusst habe, dass sie jede Veränderung ihrer Verhältnisse und damit auch den Einzug von Herrn M. in ihrer Wohnung hätte angeben müssen.

Die Beteiligten haben sich am 4. Juli 2016 (Beklagte) und am 10. August 2016 (Klägerin) mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Unterlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Weiter haben dem Gericht vorgelegen die Verfahrensakten L 4 AS 565/15 – 569/15, in denen es ebenfalls um die Frage der Anrechnung von Pflegegeld für weitere Bewilligungszeiträume ging. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Für weitere Einzelheiten zum Sachverhalt wird hierauf Bezug genommen. Auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2016 wird hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Die Berufung ist aber unbegründet.

Zu Recht hat der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 30. April 2011 teilweise aufgehoben und den bereits geleisteten Betrag von 5.878,83 Euro zurückgefordert. Der Senat folgt der Begründung der mit der Berufung angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts und sieht nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Mit Blick auf das Berufungsvorbringen ist lediglich folgendes zu ergänzen:

1. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren ausführt, dass der Einzug des Herrn M. zum 1. September 2009 nicht mit Widersprüchlichkeiten in den Meldebestätigungen begründet werden könne, so vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Die Klägerin hatte ausgeführt, dass es nur eine entgegenstehende Meldebestätigung zu der am 22. Juni 2010 erfolgten Meldebestätigung gebe. Die Bestätigung vom 31. März 2011 belege nämlich, dass Herr M. erst am 1. Juni 2010 bei ihr eingezogen sei. Sie hat aber außerdem noch am 10. Mai 2011 eine weitere Meldebestätigung vorgelegt, wonach Herr M. am 1. Juni 2010 in die Wohnung ihres Sohnes S.L. gezogen sei. Abgesehen davon, dass das im Widerspruch zu ihrem eigenen Vortrag steht, wonach Herr M. erst am 20. April 2011 zu ihrem Sohn gezogen sei, ist diese Meldebestätigung schon deshalb falsch, weil Herr Liszewski ausweislich des in der Akte befindlichen Mietvertrages überhaupt erst zum 1. September 2010 in diese Wohnung eingezogen ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die Meldeämter offenbar ohne weitere Überprüfung Meldebestätigungen mit dem gewünschten Datum ausstellen, worauf auch das Sozialgericht bereits zu Recht hingewiesen hatte. Nach allem erscheint der 1. September 2009 als einzig sinnvolles Einzugsdatum, so dass das Gericht weiterhin von diesem Termin ausgeht.

2. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die von ihr getätigten Einnahmen aus der Pflege von Herrn M. nicht anrechenbar gewesen seien. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Alg-II-VO 2008 vom 17. Dezember 2007 (BGBl- I S. 2942) können entsprechende Einnahmen nur anrechnungsfrei bleiben, wenn sie steuerfrei waren. Hierzu hat das Sozialgericht zutreffen darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen von §§ 3 Nr. 36 i.V.m. §§ abs. 2 EStG im Falle der Klägerin und vor allem nach ihren eigenen Bekundungen nicht erfüllt waren. Dies wäre nämlich nur dann der Fall gewesen, wenn sie – da sie zum streitgegenständlichen Zeitpunkt keine Angehörige von Herrn M. war – die Leistungen zur Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung auf Grund einer sittlichen Pflicht erbracht hätte. Das ist hier aber nicht der Fall, denn die Klägerin konnte nach dem Urteil aller billig und gerecht denkenden Menschen nicht für verpflichtet gehalten werden, Pflegetätigkeit gegenüber Herrn M. zu erbringen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es aufgrund der langjährigen Bekanntschaft der Klägerin mit Herrn M. und ihrer eigenen Lebenseinstellung durchaus verständlich ist, wenn die Klägerin bereit gewesen ist, die Pflege und Betreuung von Herrn M. zu übernehmen. Das reicht jedoch nicht aus, um eine sittliche Verpflichtung der Klägerin anzunehmen; denn diese muss einer Rechtspflicht gleichkommen oder zumindest ähnlich sein (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom12.11.2014 – Az.: L 6 AS 491/11 und Hessisches FG, Urteil vom 20.9.2000 – Az.: 5 K 1668/00 m.w.N.). In wieweit in diesem Falle ein sittliche Erwartung an die Klägerin formuliert werden könnte, die Pflegetätigkeit aufzunehmen, nachdem sie im Verfahren stets betont hatte, Her M. und sie seien lediglich gute Bekannte und würden nur aus Zweckmäßigkeitsgründen zusammen wohnen, ist nicht ersichtlich.

3. Im Übrigen ist auch die von der Klägerin befürchtete Zweckvereitelung, wenn es zu einer Anrechnung käme, nach der Systematik des Grundsicherungsrechts nicht ausreichend, um eine vollständige Anrechnungsfreiheit zu rechtfertigen. Es ist der Klägerin zwar zuzugestehen, dass die ehrenamtliche Pflege von erkrankten oder pflegebedürftigen Personen gesellschaftlich anzuerkennen ist und gefördert werden sollte. Der Anreiz für Bezieher von staatlichen Leistungen, weiterhin durch eine Tätigkeit Einnahmen zu erzielen, wird im Rahmen des SGB II aber durch die Freibetragsregelungen gesteuert. Ein ausreichender Grund, gerade und nur bei Pflegetätigkeiten einen anderen Maßstab anzulegen, ist nicht ersichtlich (vgl. Hess LSG, Urteil vom 12.11.2014 a.a.O.).

4. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB XI, wonach Leistungen der Pflegeversicherung als Einkommen bei Sozialleistungen unberücksichtigt bleiben, sind ebenfalls nicht erfüllt. Denn bei den Einnahmen der Klägerin handelt es sich nicht um Leistungen der Pflegeversicherung, sondern um Zahlungen von Herrn M.; nur dieser ist Leistungsempfänger nach dem SGB IX und in der Verwendung des nur ihm als Leistung der Pflegeversicherung gewährten Pflegegeldes weitgehend frei. Schon aus diesem Grunde kann die Vorschrift des § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB IX auf die der Klägerin zufließenden Zahlungen nicht, und auch nicht entsprechend, angewendet werden: Die Klägerin selbst erhält kein Pflegegeld, sondern Arbeitsentgelt oder freiwillige Anerkennungszahlungen von Herrn M., auch wenn dieser seine entsprechenden Aufwendungen aus dem von ihm bezogenen Pflegegeld finanziert.

5. Schließlich lagen auch die subjektiven Voraussetzungen für eine rückwirkende Korrektur der Leistungsbewilligungen im streiten Zeitraum vor. Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Klägerin entweder vorsätzlich oder jedenfalls grob fahrlässig die Einnahmen aus ihrer Pflegetätigkeit nicht angegeben hat und auf diese Weise die Rücknahmevoraussetzungen aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB X erfüllt hat. Sie hat damit die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Die Klägerin hätte die Zahlung des Pflegegeldes auch dann angeben müssen, wenn sie der Auffassung gewesen sein mag, eine Anrechnung habe nicht zu erfolgen, um dem Beklagten eine entsprechende Prüfung zu ermöglichen. Die eigene rechtliche Bewertung, welche Auswirkungen der Zufluss bestimmter Einnahmen habe, ist kein ausreichender Grund, Fragen falsch oder unvollständig zu beantworten. Auch der Umstand, dass die Klägerin aus P. stammt und der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig ist, vermag daran nichts zu ändern. Die Klägerin wusste als langjährige Bezieherin von SGB II Leistungen, dass sie alle Veränderungen ihrer Lebensumstände mitteilen muss. Das ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass sie den Tod ihrer Mutter und den Auszug ihres Sohnes umgehend mitgeteilt hat, um weiterhin entsprechende Leistungen für Unterkunft und Heizung zu erhalten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr.1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
Saved