L 1 U 1130/14

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 17 U 8689/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 1130/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. Juli 2014 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) bzw. Nr. 2110 (band-scheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätig-keiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufle-ben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1950 geborene Kläger absolvierte ab 1965 eine Ausbildung zum Fräser und war zunächst mit Unterbrechung durch den Wehrdienst in diesem Beruf tätig. Seit 1976 war er als Berufskraftfahrer bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Er beantragte am 11. Dezember 2008 die Anerkennung einer BK 2108 bzw. 2110 und legte seine beruflichen Tätigkeiten seit dem 1. September 1965 dar. In einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 4. August 2009 ermittelte der Technischer Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten hinsichtlich der BK 2108 nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) eine Gesamtbelastung in Höhe von 44,5 MNh. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. K. verneinte in einer Stellungnahme vom 8. Juni 2010 das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108 und 2110. Nach den Konsensempfehlungen liege eine Konstellation B 10 vor. Der Gewerbearzt Dipl.-Med. S. empfahl in seiner Stellungnahme vom 9. August 2010 keine Anerkennung der Berufskrankheiten, weil das gleichzeitige Vorkommen von Beschwerden sowohl im Bereich der LWS als auch der HWS und das Auftreten der Beschwerden in zeitlicher Nähe zueinander für eine schicksalhafte Erkrankung spreche. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2010 sowohl die Anerkennung einer BK 2108 als auch einer BK 2110 ab. Es spreche mehr für das Vorliegen anlagebedingter Ursachen der Wirbelsäulenerkrankungen.

Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren hat der Kläger beim Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten von Dr. W. eingeholt. In ihrem Gutachten vom 21. Januar 2014 bejaht die Sachverständige das Vorliegen einer Konstellation B 9 nach den Konsensempfehlungen zur Beurteilung bandscheibenbe-dingter Berufserkrankungen. Gegebenenfalls komme auch eine Zuordnung zur Konstellation B 10 in Betracht. Als konkurrierende Ursache für die Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers wurde eine bestehende asymmetrische lumbosakrale Übergangsstörung benannt. Weitere ana-tomische Besonderheiten der Wirbelsäule wurden erörtert. Nach den vorliegenden Befunden sah die Sachverständige keinen wahrscheinlichen Zusammenhang zwischen den lumbalen Bandscheibenveränderungen und einer BK 2108/2110. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. Juli 2014 unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Dr. W. die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Das Gutachten von Dr. W. sei nicht objektiv und gehe auf die tatsächlichen Ursachen seiner Erkrankung nicht ein. Sie begründe ihre Aus-führungen zur Kausalität der Erkrankung nicht näher.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 28. Juli 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 8. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 aufzuheben und das Vorliegen einer BK 2108 und BK 2110 festzustellen, hilfsweise, ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG durch Dr. B. einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.

Der Senat hat im Berufungsverfahren ein orthopädisches Zusammenhangsgutachten von Dr. K. eingeholt. Dieser gelangt in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine verschleißbedingte Bandscheibenerkrankung im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, eine idiopathische Skoliose im Thorakolumbalbereich der Wirbelsäule und eine lumbosakrale Übergangsstörung vorliege. Bildtechnisch sei das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Verschleißerkrankung der Segmente L4/5 und L 5/S1 nachgewiesen. Auch die mittlere und untere Halswirbelsäule zeige erhebliche verschleißbedingte Veränderungen. Die erforderliche klinische Symptomatik für eine bandscheibenbedingte Erkrankung habe nicht nachgewiesen werden können. Insbesondere habe sich ein provozierbarer Segmentschmerz nicht nachweisen lassen. Als konkurrierende Ursachen ließen sich eine links konvexe Thorakalskoliose mit lumbaler Gegenkrümmung sowie eine Übergangsstörung im Segment L5/S1 finden. Dies spreche für eine schicksalhafte Ursächlichkeit der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. Ebenso sei das erforderliche Schadensbild für eine BK 2110 nicht zu sichern. Angesichts der geforderten jahrelangen und immer wiederkehrenden Schwingungen der gesamten Lendenwirbelsäule sei es mit einem belastungskonformen Scha-densbild nicht zu vereinbaren, wenn die Belastung nur in einem oder zwei Bewegungsseg-menten Spuren hinterließe. Auch hier bestünden zudem konkurrierende Ursachen in Form einer skoliotischen Fehlform der Wirbelsäule wie einer lumbosakralen Übergangsstörung.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Gutachten des Facharztes für Neurochirurgie Dr. B. vom 30. Januar 2017 eingeholt. Danach finden sich beim Kläger im Bereich der LWS und HWS ausgeprägte degenerative Veränderun-gen multisegmental. Hinsichtlich des Krankheitsverlaufes sei bemerkenswert, dass der Kläger nur wenig wegen akuter Dorsalgien oder lumbo-pseudoradikulärer Beschwerden die Arbeit habe niederlegen müssen. Die behandelnden Ärzte hätten sich zu dem nie veranlasst gesehen die bildgebende Diagnostik durch Schichtbildverfahren wie CT oder MRT zu ergänzen. Der klinische Untersuchungsbefund unter Einbeziehung der bildgebenden Diagnostik spreche für ein schicksalhaftes degeneratives Wirbelsäulenleiden im HWS wie im LWS Bereich. Dafür sprächen die lokalisatorischen Schwerpunkte der Verschleißerscheinung in den unteren Seg-menten der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte. Ein Zusammenhang mit der geltend gemachten BK 2108 oder 2110 bestehe nicht.

Der Kläger hält das Gutachten von Dr. B. für unzureichend. Wahrscheinlich sei das Gutachten vor dem Hintergrund der Androhung eines Ordnungsgeldes oberflächlich zusammengestellt worden. Die zeitliche Einordnung des Krankheitsverlaufs durch den Sachverständigen sei unzutreffend. Das Gutachten sei erst mehr als ein halbes Jahr nach der Untersuchung des Klä-gers am 25. Juli 2016 am 30. Januar 2017 abgesetzt worden. Ein eigenes MRT oder CT sei nicht erstellt worden. In einer Besprechung am 25. Juli 2016 habe der Sachverständige hinge-gen geäußert, dass es nicht verständlich sei, warum in der Vergangenheit derartige Aufnah-men vom Kläger nicht angefertigt worden seien. Ohne entsprechende bildgebende Verfahren durch CT und MRT sei heute überhaupt keine Beurteilung mehr möglich, ob eine Berufskrankheit vorliege. Es sei daher ein neues Gutachten unter Anfertigung eines CT und MRT durch Dr. B. in Nürnberg einzuholen. Hilfsweise sei Dr. B. zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

Der Berichterstatter hat den Sachverständigen Dr. B. im Erörterungstermin am 17. Oktober 2017 ergänzend zu seinem Gutachten gehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift verwiesen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass nach den Konsensempfehlungen nur ein asymmetrisch entwickelter Übergangswirbel der Annahme einer BK 2108 entgegenstehe. Der Übergangswirbel bei ihm sei normal und symmetrisch entwickelt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des im Erörterungstermin vom 17. Oktober 2017 erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter durch Urteil entscheiden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers (§§ 143, 151 SGG) hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht Gotha hat die Klage zu Recht abgewiesen und einen Anspruch des Klägers auf Feststellung einer BK 2108 und BK 2110 abgelehnt.

Der Bescheid vom 8. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule nach Nr. 2108 bzw. 2110 der Anlage 1 zur BKV.

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer in den §§ 2, 3 und 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 1 der BKV sind Berufskrankheiten die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten (sogenanntes Lis-tenprinzip). In der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet.

Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R - Juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - Juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Ausgehend hiervon war der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen grundsätzlich auch ihrer Art nach gefährdenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 ausgesetzt. Diese Einwirkungen sind nach Überzeugung des Senats jedoch nicht als wesentliche Ursache der unstreitig bei dem Kläger bestehenden Erkrankung der Lendenwirbelsäule wahrscheinlich zu machen.

Ausgehend von den auf der Grundlage der Angaben des Klägers und seiner Arbeitgeber erfolgten Berechnungen des TAD erfüllt dieser die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 2108. Hiernach unterlag er einer beruflichen Hebe- und Tragebelastung, die der TAD ausweislich seines Berichtes vom 4. August 2009 im Ausmaß von 44,5 Meganewtonstunden (MNh) ermittelt hat. Der TAD der Beklagten hat sich zur Kodifizierung der Hebe- und Tragebelastung des Klägers des sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD-Modell) bedient. Nach der Rechtsprechung (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 10/14 R - Juris) ist dieses Modell eine geeignete Grundlage zur Konkreti-sierung der im Text der BK 2108 mit unbestimmten Rechtsbegriffen umschriebenen Einwirkungen. Die so ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder Vorschläge zu ver-stehen. Für Männer legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis den Wert von 25 MNh fest, der hier mit 44,5 MNh erheblich überschritten wurde. Es kommt daher im zu entscheidenden Fall nicht darauf an, ob bereits ein geringerer, ggf. hälftiger Wert dieses Orientierungswertes aus-reicht, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen. Aus dem Vorliegen der ar-beitstechnischen Voraussetzungen kann allerdings angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden. Vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG, Urteil vom 25. April 2015 - B 2 U 10/14 R - Juris).

In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden, insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule, in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Da diese Bandscheibenerkrankungen in Berufsgruppen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, ebenso vorkommen wie in solchen, die schwere körperliche Arbeit geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhangs nicht begründen (vgl. Merkblatt zur BK 2108, Bekanntmachung des BMAS, BArbBl. 10/2006, S.30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK 2108 war die medizinische Wissenschaft gehalten, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung bei den bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule durch die auf Anregung vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen-schaften eingerichtete interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Bolm-Audorff u.a., Medizinische Beurteilungskriterien für bandscheibenbedingte Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Konsensempfehlung zur Zusammenhangsbegutachtung, Trauma- und Berufskrankheit, Heft 3/2005, S. 216). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversi-cherung gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die hinzugezogenen Sachverständigen und die Gerichte diese Konsensempfehlungen zugrunde legen. Diese Konsensempfehlungen stellen nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch körperliche berufliche Belastungen dar.

Unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung ist nach den Konsensempfehlungen, Unterpunkt 1.3, der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens, d.h. einer Höhenminderung der Bandscheibe bezie-hungsweise eines Bandscheibenvorfalls. Zwingend hinzutreten muss immer eine damit einhergehende klinische Symptomatik. Grundsätzlich sind dabei heranzuziehen die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder sowie, wenn ein Bandscheibenschaden sich bereits länger davor manifestiert hat, die zum Zeitpunkt der Erstmanifestation erstellten Röntgenbilder (vergleiche Ziffer 1.2 der Konsensempfehlungen).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule beim Kläger nicht nachgewiesen. Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlung des gesamten Verfahrens und insbesondere aus den eingeholten Gutachten. Beim Kläger liegt nach übereinstimmender Auffassung aller Ärzte eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Insoweit führt der Sachverständige Dr. K. in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 aus, dass sich im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers eine Verschmälerung der Bandscheibenfläche L4/5 und L5/S1 im Sinne einer Diskose zeigt und im Segment L 4/5 sich zudem eine erstgradige Spondulose und eine erstgradige Sklerose der Grund- und Deckenplatte findet. Dies gilt ebenfalls für das Segment L5/S1. Jedoch konnte die für die Annahme einer Bandscheibenerkrankung nach den Konsensempfehlungen erforderliche klinisch segmentale Symptomatik beim Kläger nicht nachgewiesen werden. Dr. K. führt in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 insoweit aus, dass sich ein provozierbarer Segmentschmerz nicht nachweisen und sich auch keine typische Nervenwurzelreizung in den Segmenten L4/5 und L5/S1 feststellen ließ. Die festgestellte klinische Symptomatik entsprach vielmehr einem diffusen sogenannten pseudoradikulären Rückenschmerz. Entscheidend gegen das Vorliegen eines belastungskonformen Schadensbildes für die BK 2108 (dies gilt genauso für die BK 2110) spricht jedoch, dass die verschleißbedingten Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule stärker ausgeprägt sind, als die im Bereich der Lendenwirbelsäule. Typische bildgebende Veränderungen im Sinne einer sogenannten Begleitspondylose ließen sich röntgenologisch nicht sichern. Die klinischen Symptome sprechen gegen einen segmentalen Bezug einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Mitkonkurrierende Ursachen sind im Falle des Klägers sowohl eine Skoliose mit lumbaler Gegenkrümmung als auch eine asymmetrische lumbosakrale Übergangsstörung im Segment L5/S1. Derartige konkurrierende Ursachenfaktoren schließen nach den Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung die Anerkennung einer BK 2108 aus (vgl. Grosser in Grosser und andere, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule BK 2108", 1. Auflage Frankfurt 2014 S. 94). Diese Einschätzung steht mit dem Gutachten von Dr. W. vom 21. Januar 2014 im Einklang. Auch diese stellte in ihrem Gutachten erhebliche degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule fest. Im Bereich der Lendenwirbelsäule beschreibt sie einen asymmetrischen lumbosakralen Übergangswirbel. Dies steht auch im Einklang mit den Ausführungen des Beratungsarztes Dr. K. vom 8. Juni 2010, der das gleichzeitige Vorkommen von Beschwerden sowohl im Bereich der Lendenwirbelsäule als auch der Halswirbelsäule als Zeichen für ein schicksalhaftes degeneratives Erkrankungsgeschehen ansieht.

Auch der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragte Neurochirurg Dr. B. bewertet in seinem Gutachten vom 30. Januar 2017 das Wirbelsäulenleiden des Klägers im HWS- wie im LWS-Bereich als schicksalhaft degenerativ. Zur Begründung verweist er auf die lokalisatorischen Schwerpunkte der Verschleißerscheinungen in den unteren Segmenten der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte. Dr. B. beschreibt Fehlhaltungen im lumbosakralen Übergangsbereich. Auch eine rechts konvexe skoliotische Verformung in den unteren Segmenten im LWS-Bereich wird beschrieben.

Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme vom 23. März 2017 das Gutachten von Dr. B. für unverwertbar bzw. unzureichend hält, vermag er mit seinen Angriffen nicht durchzudringen. Die Untersuchung des Klägers erfolgte zwar bereits am 25. Juli 2016 und die schriftliche Ab-fassung des Gutachtens erst am 30. Januar 2017 und damit 6 Monate später. Dies führt jedoch nicht zur Unverwertbarkeit des Gutachtens. Am 25. Juli 2016 wurde ein aktueller neuroorthopädischer Befund erhoben. Dieser Befund konnte unproblematisch notiert werden und stand damit bei der Abfassung des Gutachtens zur Verfügung. Im Gegensatz zu einem psychiatri-schen Gutachten steht die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nicht im Vordergrund. Kernaufgabe des neurochirurgischen Sachverständigen ist es, die vorhandenen insbesondere bildgebenden Befunde entsprechend den Konsensempfehlungen auszuwerten.

Auch die inhaltlichen Angriffe gegen das Gutachten von Dr. B. überzeugen nicht. Die zeitliche Einordnung des Krankheitsverlaufes ist zutreffend erfolgt. Soweit Dr. B. von Rückenbe-schwerden zwischen dem 35. bis 40. Lebensjahr in seinem Gutachten berichtet, ist dies bereits deshalb zutreffend, da sich entsprechende Hinweise in den Akten befinden. Die Sachverständige Dr. W. in ihrem Gutachten vom 21. Januar 2014 führt aus, dass der Kläger ihr gegenüber von Wirbelsäulenbeschwerden mit Schmerzen im Nacken und Kreuz etwa ab dem Jahre 1990 berichtet habe. Diese Beschwerden hätten im Laufe der Zeit zugenommen und er habe orthopädische Behandlungen in Anspruch genommen. Aktenkundig ist der Bericht der Orthopädin Frau Dr. L. aus dem Jahre 2001 (Blatt 111 des Verwaltungsvorgangs). Da bereits aufgrund der festgestellten konkurrierenden Ursachenfaktoren nach den Konsensempfehlungen die Anerkennung einer BK 2108 ausgeschlossen ist, kommt es nach Auffassung des Senats allerdings nicht darauf an, inwieweit ein mögliches, sehr frühzeitiges Auftreten einer bandscheibenbedingten Erkrankung für eine schicksalhafte Ursächlichkeit spricht. Soweit der Kläger bemängelt, dass der Sachverständige Dr. B. kein CT oder MRT angeordnet hat und er die Bewertung der alten Röntgenaufnahmen der HWS und der LWS als unzureichend ansieht, ist zu beachten, dass nach den bereits zitierten Konsensempfehlungen und zwar hier deren Ziffer 1.2 im Rahmen der Begutachtung grundsätzlich heranzuziehen sind die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder sowie, wenn ein Bandscheibenschaden sich bereits längere Zeit davor manifestiert hat, die zum Zeitpunkt der Erstmanifestation erstellten Röntgenbilder. Dies ist hier erfolgt. Hinsichtlich der Halswirbelsäule wurde zudem am 2. März 2009 eine MRT Aufnahme angefertigt, welche von allen Sachverständigen ausgewertet worden ist. Insofern ist es nicht zutreffend, dass ohne entsprechende bildgebende Verfahren wie CT und MRT zum jetzigen Zeitpunkt keine Beurteilung möglich ist, ob eine BK 2108 vorliegt. Da der Kläger bereits im Jahre 2009 seine gefährdende Tätigkeit aufgegeben hat, kommt neuen Aufnahmen nur noch eine eingeschränkte Aussagefähigkeit zu. In seiner ergänzenden Anhörung vor dem Berichterstatter am 17. Oktober 2017 hat Dr. B. dazu ausdrücklich ausgeführt, dass aus aktuellen Aufnahmen hinsichtlich der Berufsbedingtheit der Erkrankung keine weiteren Rückschlüsse zu erwarten sind.

Die ergänzende Anhörung vor dem Berichterstatter am 17. Oktober 2017 hat bestätigt, dass die beim Kläger vorhandene lumbosakrale Übergangsstörung der Anerkennung einer BK 2108 und 2110 entgegensteht. Dr. B. hat in dieser Anhörung das Vorhandensein eines zusätzlichen sechsten Lendenwirbels beim Kläger erläutert. Dies führt zu einer verstärkten Abnutzung der Bandscheibe. Denn nach den Ausführungen von Dr. B. ist das Segment dieses Lendenwirbels von minderwertiger Substanz, degeneriert deshalb schneller und verursacht eine statische Fehlfunktion und Fehlbelastung der darüber liegenden Lendenwirbel. Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 22. Februar 2018 darauf hinweist, dass nach den Konsens-empfehlungen nur ein asymmetrischer Übergangswirbel als Konkurrenzursache anzusehen sei, ist dies zwar zutreffend. Im Fall des Klägers liegt jedoch kein normal symmetrisch entwickelter weiterer Lendenwirbel vor. Dr. B. hat im Rahmen seiner Anhörung am 17. Oktober 2017 ausgeführt, dass im Bereich des zusätzlichen sechsten Lendenwirbels sich eine verstärkte Abnutzung der Bandscheibe und miteinander verwachsene Gelenke (Spondylarthrose) finden. Ein alterstypischer Zustand in diesem Bereich findet sich damit gerade nicht. Auch Dr. K. beschreibt in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 (ebenso wie Dr. W. in ihrem Gutachten vom 21. Januar 2014) das Vorliegen eines asymmetrischen lumbosakralen Übergangswirbels.

Hinsichtlich der BK 2110 fehlt es ebenfalls an einem belastungskonformen Schadensbild. Erneut ist auf die von den Sachverständigen festgestellte konkurrierende Ursache zu verwei-sen. Hinzu kommt, dass die der BK 2110 zu Grunde liegenden Schwingungsbelastungen alle Bewegungssegmente im unteren Rumpfbereich erfassen. Angesichts der geforderten jahrelangen und immer wiederkehrenden Schwingungen der gesamten Lendenwirbelsäule ist es nach den Ausführungen von Dr. K. in seinem Gutachten vom 19. Mai 2015 mit einem belas-tungskonformen Schadensbild nicht vereinbar, wenn die Belastungen nur an einem oder zwei Bewegungssegmenten Spuren hinterlassen. Zu erwarten sind vielmehr Texturstörungen an so gut wie sämtlichen LWS-Bandscheiben. Typische Zeichen einer Diskose finden sich im Fall des Klägers jedoch nach allen Sachverständigen nur in den Lendenwirbelsäulensegmenten L4/5 und L5/S1.

Der Antrag ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG von Dr. B. in Nürnberg einzuholen ist abzulehnen. Das Antragsrecht ist insoweit durch Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG durch Dr. B. verbraucht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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