L 5 KR 504/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1501/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 504/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die HFNC-Beatmung Frühgeborener unter 1.500 gr ist als künstliche Beatmung iSd DKR (2009) 1001h zu kodieren und abzurechnen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.2015 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten auch der Berufung.

III. Der Streitwert der Berufung wird auf 9.150,41 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird zugelassen

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf weitere Vergütung von Krankenhausleistungen iHv 9.150,41 EUR für die Behandlung des bei der Beklagten familienversicherten frühgeborenen M. C. in der Zeit vom 27.12.2009 bis 1.3.2010.

1. Die Klägerin ist als Universitätsklinikum in A-Stadt in der Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts ein als Leistungserbringer zugelassenes Krankenhaus. Dort wurde die gesetzlich bei der Beklagten krankenversicherte, 1979 geborene I. C. 2009 in der 33. Schwangerschaftswoche von ihrem Sohn C. (im Folgenden: C.) entbunden. Dieser hatte ein Geburtsgewicht von 1.335 Gramm.

C. musste künstlich beatmet werden wegen Frühgeburtlichkeit. Zur künstlichen Beatmung setzte die Klägerin ein Beatmungsgerät ein, welches angereichertes, angewärmtes und angefeuchtete Atemgas erzeugt und dieses unter Beatmungsdruck setzt. Zur Atmung selbst wurde zunächst im Wege eines Tubus an das Beatmungsgerät angekoppelt, also mit Hilfe eines Beatmungsendschlauches, welcher in seinen Rachen (nicht in seine Luftröhre) eingebracht war. Sodann kam zur Ankoppelung vom 28.12.2009 0:15 Uhr bis 30.12.2009 23:59 Uhr (71,2 h) eine Atemmaske zum Einsatz. Anschließend wurde bis 1.1.2010, 9:00 Uhr (33,5 h) mit Hilfe einer High-Flow-Nasenkanüle (HFNC) über Brille angekoppelt. Die nachfolgende Low-Flow-Beatmung vom 1.1.2010 bis 3.1.2010 ist nicht streitgegenständlich. wurde bis 26.1.2010 auf der Neugeborenen-Intensivstation, ab 26.1.2010 auf der Neugeborenen-Station und ab 25.2.2010 auf der Kinderstation behandelt.

2. Für die notwendige Behandlung stellte die Klägerin nach erfolglos versuchter konsensualer Abrechnung am 13.9.2012 insgesamt 39.951,85 EUR in Rechnung. Hieraus ist allein strittig, ob die Klägerin über die Beatmungszeit von bis 30.12.2009 von 71,2 h hinaus auch die Beatmung in Ankoppelung über HFNC vom 30.12.2009, 23:59 Uhr bis 1.1.2010, 9:00 Uhr, also über weitere 33,5 h, als künstliche Beatmung qualifizieren darf. Denn dann ist die Klägerin zum Ansatz und zur Abrechnung der DRG P03B berechtigt, welche eine Beatmungsdauer von mehr als 95 Stunden mit schweren Problemen voraussetzt. Dadurch würde die strittige weitere Vergütung iHv 9.150,41 EUR begründet.

Die Beklagte hielt allein die Zeit bis 30.12.2009 23:59 Uhr über 71,2 h als künstliche Beatmung ansetzbar und damit den Ansatz der um die Streitsumme niedriger zu vergütenden DRG P64Z für zutreffend. Sie berief sich dazu auf eingeholte Stellungnahmen des MDK. Die nasale Gabe von Atemgas über eine Nasenbrille mit hohem Fluss entspreche nicht der Definition der "maschinellen Beatmung", die in der Kodierrichtlinie DKR 1001 niedergelegt ist. Dem widersprach die Klägerin. Bei dem frühgeborenen sei während der streitauslösenden Beatmung bis 1.1.2010, 9:00 Uhr mit Hilfe der bereits vorher eingesetzten Beatmungsmaschine über 33,5 h hinweg ein messbarer Druck von 4,5 bis 4,8 cm Wassersäule aufgebaut gewesen. Dieser Druck habe sich über die Ankoppelung per HFNC bis zu den unteren Atemwegen fortgepflanzt und habe dort zu einem positiven ausdehnenden Druck geführt (positive endexpiratoric pressure - PEEP). Zugleich habe die kontrollierte Erwärmung und Anfeuchtung des Atemgases die Schleimhäute des geschützt, wobei zugleich ein Wärmeverlust des Frühgeborenen habe verhindert werden können. Die Beklagte schloss sich dem nicht an und vergütete für die erbrachten Behandlungen 30.801,44 EUR.

3. Mit beim Sozialgericht München am 27.12.2013 eingegangener Klage hat die Klägerin Zahlung des Differenzbetrages von 9.150,41 EUR beantragt. Auch die 33,5 h der Überdruckbeatmung per HFNC-Brille sei der maschinellen Beatmung zuzuordnen, so dass die DRG P03B zutreffend sei. Die Beklagte hat eingewandt, dass die DKR zur künstlichen Beatmung streng nach dem Wortlaut auszulegen seien. Erst 2013 seien die DKR wegen eines Urteils (LSG Saarbrücken, 14.12.2011 - L KR 76/10), welches eine maschinenwirksame Einflussnahme auf den Körper verlangt hatte, geändert worden. Frühestens mit dieser, zeitlich später gelegenen Änderung, sei das HFNC-System als maschinelle Beatmung anzusehen sowie ansetz-, kodier- und abrechenbar

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung der Patientenakten ein Sachverständigengutachten des Neonatologen Dr. C. M., F. eingeholt. Dieser hat auch für den Behandlungszeitraum die HFNC-Beatmung als vergütungsrelevante Zeit der maschinellen Beatmung angesehen. Die Klägerin habe für durchgehend das identische, spezielle Frühgeborenen-Beatmungsgerät benutzt, Überwachung und Pflegeintensität seien jeweils identisch gewesen. Mit dem auch durch die HFNC aufgebauten dauerhaften positiven Beatmungsdruck sei verlorene Gasaustauschfläche rekrutiert und die Atemarbeit erleichtert worden. Auch wenn zunächst der durch HFNC erzeugte Atemwegsdruck variabel und unreguliert zu sein scheine, sei die Atemdruckwirkung wissenschaftlich anerkannt.

Die Beklagte hat sich dem gegenüber auf eine Stellungnahme des MDK Bayern vom 30.7.2015 bezogen. Danach würden bei der HFNC offene Nasenkanülen eingesetzt und wegen dieser Offenheit sei nur ein variabler und unregulierter Atemdruck zu erzeugen. Künstliche, maschinelle Beatmung im Sinne der DKR und zur Abrechnung nach DRG P03B liege beim nur Einblasen von Atemgemisch nicht vor.

Mit Urteil vom 1.10.2015 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Unstreitig habe der stationären umfangreichen Behandlung bedurft, so dass auch die medizinische Notwendigkeit Form der der Behandlungsform nicht in Frage stehe. Streitgegenstand sei allein die zutreffende Abrechnung und Vergütung. Zwar sei der medizinischen Regelung zur nichtinvasiven Beatmung von Früh- und Neugeborenen im Jahre 2011 Rechnung getragen worden durch Einfügung weiterer OPS - Operationen- und Prozeduren - Schlüssel zur Rubrik 8-711 "maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen". Aber diese eingefügte Position 8-711.4 Atmungsunterstützung durch Anwendung von High- Flow Nasenkanülen (HFNC- System) könne erst ab 2011 Anwendung finden. Der weitere Vergütungsanspruch ergebe sich aber aus den überzeugenden und wissenschaftlich begründeten Ausführungen des Dr. M ... Für das Gericht stehe deshalb durch Sachverständigenbeweis fest, dass eine Beatmungszeit von über 95 h und damit die DRG P03B im vorliegenden Fall korrekt sei.

4. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Nicht die zugesprochene DRG P03B, sondern die DRG P64Z entspreche nach den DKR der ansetzbaren Beatmungszeit. Die medizinischen Begriffe im Operationen- und Prozedurenschlüssel - OPS, die DKR und die Fallpauschalenvereinbarung (FPV) einschließlich des Diagnoseschlüssels ICD-10-GM seien wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems stets eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Hier sei DKR 1001h ("Maschinelle Beatmung") aus dem Jahre 2009 anzuwenden, welche die spätere Erweiterung um die HFNC (noch) nicht beinhaltet habe. Weiter habe das Sozialgericht die Stellungnahme des MDK (Dr. C. A.) übergangen. Diese habe dargelegt, dass es am wissenschaftlichen Nachweis für einen dauerhaften Atemdruck durch HFNC entsprechend dem Druck mit CPAP-Beatmungsverfahren (Abkürzung: "continuous positive, airway pressure") mit Maske fehle. Auch unterscheide das OPS 8-71 erst seit 2011 zwischen CPAP in der Ziffer 8-711.0 und HFNC in der Ziffer 8-771.4. Die Kodierrichtlinie DKR 1001h sei 2013 im Letzten Abschnitt zur CPAP überarbeitet worden. Jedoch beziehe sich CPAP ausschließlich weiterhin auf die Codes 8-711.0, nicht aber auf die Codes 8-771.4. Dies begründe die Nichtberücksichtigung der HFNC-Beatmungszeit und entspreche auch der Entscheidung des LSG Hamburg zu Neugeborenenbeatmung vom 27.3.2014 - L 1 KR 119/12.

Der Senat hat ein weiteres Sachverständigen-Gutachten des Dr. T. eingeholt, der die Beatmung mit HFNC als nicht maschinelle Beatmung angesehen hat, weil der Beatmungsdruck nicht kontinuierlich sicher gehalten werden könne. Es liege insoweit Atemunterstützung nicht vor, sondern eine modifizierte Form der Sauerstoffgabe.

Dagegen hat die Klägerin unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Leiters der Neonatologie der Klägerin, Prof. F., vom 21.2.2017 eingewandt, Dr. T. sei Anästhesist und Notfallmediziner ohne neonatologische Expertise. Studien belegten den Druckaufbau durch HFNC bei kleinen Frühgeborenen, zT sei es sogar zu Lungenrissen und Magenrupturen gekommen. Über HFNC sei abhängig vom Gewicht der Neugeborenen der Druck einzustellen. Dazu sei die folgende Tabelle entwickelt worden:

- Tabellengrafik -

Dr. T. hat hierzu repliziert, die Druckerzeugung durch HFNC sei eine nicht erwiesene Hypothese. Eine Sauerstoffinsufflation über Sonden sei eben keine künstliche Beatmung. Die Klägerin hat ein in einem vergleichbaren Rechtsstreit erstelltes Gutachten des Dr. L. vorgelegt. Die Beklagte hat ihren Standpunkt weiter erläutert und ergänzend auf ergangene Rechtsprechung, insbesondere den Beschluss des BSG, 10.3.2017 - B 1 KR 82/14 B zur HFNC-Beatmung von Erwachsenen verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Beklagtenakten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte, statthafte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klägerin einen weiteren Vergütungsanspruch iHv 9.150,41 EUR nebst Zinsen zugesprochen, weil aus der Behandlung des frühgeborenen auch die Zeit bis 1.1.2010, 9:00 Uhr, also weitere 33,5 h als Beatmungszeit anzuerkennen sind.

1. Rechtsgrundlage des strittigen weiteren Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V iVm den weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zur Vergütungshöhe (st. Rspr., vgl. BSG, 19.2.2017 - B 1 KR 18/17 R, Rn. 12). Das setzt voraus, dass die Behandlung des mit der Geburt bei der Beklagten familienversicherten (§ 10 SGB V) iSd § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich war. Dies ist vorliegend der Fall, was die Beklagtenakten sowie die gesamte medizinische Dokumentation belegen. Zwischen den Beteiligten ist zudem nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen Anspruch auf die in Anwendung der einschlägigen DRG zutreffend festzusetzende Vergütung hat. Damit erübrigten sich insoweit nähere Rechtsgrundlagenlistungen, Prüfungen und Sachaufklärungsmaßnahmen (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B. BSG, Urt. vom 21.4.2015 - B 1 KR 8/15 R; BSG SozR 4-2500 § 129 Nr. 7 Rn. 10; BSG SozR 4-2500 § 130 Nr. 2 Rn. 15; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr. 4 Rn. 8 - zitiert jeweils nach Juris); zudem ist dieses bündige Vorgehen geboten gem. §§ 128 Abs. 1 S. 2, 202 SGG iVm 313 Abs. 3 ZPO, § 202 SGG (BSG, 10.8.1995 - 11 RAr 91/94, BeckRS 1995, 30756157 und 3.5.2010 - B 8 SO 50/09 B, BeckRS BeckRS 2010, 69617, Rn. 6 unter Zitat von BVerfGE 83, 24, 35; 86, 133, 145 f; 96, 205, 216 f sowie mwN).

2. Streitentscheidend ist die Qualifizierung und DRG-Zuordnung der Kodierung der HFNC-Beatmung des vom 30.12.2009, 23:59 Uhr bis 1.1.2010, 9:00 Uhr über infolge Überschreitens einer vollen Stundenzahl eine Zeitdauer von 33,5 h (zur Vorgehensweise bei der Vergütungsbemessung und DRG-Zuordnung ausführlich BSG, 26.9.2017 - B 1 KR 9717 R). Dazu ist in Auswertung der medizinischen Dokumentation festzustellen was folgt:

C. ist vorzeitig in der 33. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen. Sein Geburtsgewicht von 1.335 Gramm hatte in seinen ersten Lebenstagen nicht wesentlich zugenommen. Er bedurfte der Behandlung und Pflege in einer Intensivstation für Frühgeborene. wies eine (noch) nicht entwickelte Lunge auf und bedurfte der Atemunterstützung mittels Beatmungsmaschine/-gerät.

Kurz nach der Geburt wurde deshalb an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Dieses erzeugte ein für Frühgeborene spezifisch angereichertes sowie angewärmtes und angefeuchtete Atemgas. Zugleich produzierte dieses Gerät einen spezifisch für eingestellten Beatmungsdruck. Dieses Gerät wurde sowohl in der unstreitig vergüteten Zeit, als auch im hier strittigen Zeitraum eingesetzt. Der auf dieses Gerät bezogene pflegerische Aufwand unterschied sich in der vergüteten Zeit nicht von der strittigen Zeit.

An dieses Beatmungsgerät wurde zunächst im Wege eines Tubus angeschlossen. Dieser Beatmungsendschlauch wurde in seinen Rachen eingebracht, nicht aber in seine Luftröhre. Sodann kam zur gebotenen Minimierung der intubationsspezifischen Infektionsgefahr als Anschluss an die Beatmungsmaschine vom 28.12.2009 0:15 Uhr bis 30.12.2009 23:59 Uhr eine Atemmaske zum Einsatz. Daran anschließend wurde bis 1.1.2010, 9:00 Uhr mit Hilfe einer HFNC-Nasenkanüle über Brille angeschlossen. In Anwendung der oben erwähnten Tabelle wurde dazu für ausgehend von seinem Gewicht ein Beatmungsdruck von 4,5 bis 4,8 cm Wassersäule angewandt.

Sodann folgte eine Low-Flow-Beatmung vom 1.1.2010 bis 3.1.2010. wurde bis 26.1.2010 auf der Neugeborenen-Intensivstation, ab 26.1.2010 auf der Neugeborenen-Station und ab 25.2.2010 auf der Kinderstation behandelt.

Auf diese gesamte, erforderliche, wirtschaftliche, notwendige Behandlung durch die Klägerin hatte einen Sachleistungsanspruch, die tatbestandlichen Voraussetzungen gem. §§ 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, 39, 109, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 SGB V sind erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten nicht strittig ist.

3. Die Beatmung des ist zutreffend im Fallpauschalen-Katalog der anzuwendenden Version 2009 der DRG P03B zuzuordnen - "Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1000 bis 1499 g mit signifikanter OR-Prozedur oder Beatmung ) 95 Stunden, ...". Unzutreffend ist die Zuordnung zur DRG P64Z "Neugeborenes, Aufnahmegewicht 1250 -bis1499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung ) 95 Stunden". Denn zur unstrittigen Beatmungszeit von 77 h sind die weiteren 33,5 h HFNC-Beatmung hinzuzurechnen. Der hier einschlägigen Begriff der "Beatmung" richtet sich nach der folgenden Definition der DKR (2009) 1001h - Maschinelle Beatmung:

1Maschinelle Beatmung ("künstliche Beatmung") ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. 2Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. 3Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. 4Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:

a) Vorliegend wurden Atemgase zugeführt, welche in der Beatmungsmaschine aufbereitet waren.

b) Diese Atemgase wurden maschinell auf Druck gebracht, zur Vermeidung von Austrocknung der Frühgeborenenlunge maschinell angefeuchtet und um einer Auskühlung über die Lungen zuvorzukommen maschinell angewärmt sowie im Sauerstoffgehalt geregelt.

c) Die so maschinell aufbereiteten Atemgase wurden zuerst per Tubus, sodann per Atemmaske und daran anschließend per HFNC-Nasenkanülen-Brille als jeweilige Anschlussvorrichtung dem zur Atmung zugeführt, zu welcher er mangels Entwicklung in der Schwangerschaft nicht in der Lage war. Der Vorhaltungsaufwand, der pflegerische und der Überwachungsaufwand für waren bei allen drei Formen des Beatmungs-Anschlusses im Wesentlichen gleich.

d) In der HFNC-Phase erhielt die Atemgase mit einem Überdruck, welcher nach dem Körpergewicht und dem Flow entsprechend der hierzu entwickelten Tabelle - enthalten in der Stellungnahme des Prof. F. - spezifisch mit 4,5 bis 4, 8 cm Wassersäule berechnet und eingestellt worden ist.

e) Dies hat zu einem positiven ausdehnenden Druck geführt (PEEP) und damit die Gasaustauschfläche der Frühgeborenenlunge des erweitert sowie dessen Atemzugvolumen und Atemarbeit mit dem gleichen Effekt versehen, wie zuvor mit der Beatmung durch Rachentubus und Atemmaske.

Der Senat folgt insoweit ist dem überzeugenden erstinstanzlich eingeholten Sachverständigen des Neonatologen Dr. C. M. sowie der in der Berufung vorgelegten ebenfalls überzeugenden Stellungnahme des Prof. F. Beide sind auf die hier relevante neonatologische Intensivbehandlung von Frühgeborenen spezialisierte Experten mit jahrelanger, umfangreicher praktischer klinischer Erfahrung sowie in der entsprechenden Forschung anerkannte Fachleute. Ihrer Einschätzung zur Beurteilung des Druckaufbaues bei besonders früh Geborenen mit geringem Geburtsgewicht, welche sie detailreich und spezifisch dargelegt haben, kommt deshalb besonderer Wert zu. Beide widerlegen die Behauptung, dass über nicht geschlossene Nasenkanülen kein Druckaufbau in der Lunge erfolgen kann durch das Aufführen von Bläheffekten, welche bei Überdruck zu Verletzungen, zu Rupturen der Lunge und des Magens, geführt hatten. Die Druckeinstellung und Kalibrierung nach dem dokumentierten Tabellenwerk in Abhängigkeit vom speziellen Gewicht der Frühgeborenen ist als weiteres Indiz für die Beatmungswirkung im HFNC-Verfahren zu werten.

Nicht gefolgt kann hingegen den Einschätzungen des MDK sowie des in der Berufung vom Senat beauftragen Dr. T. Namentlich Dr. C. A., aber auch Dr. T. lassen in ihren Ausführungen die Expertise zu neonatologischen Intensivbehandlung von Frühgeborenen vermissen. Ihre Überlegungen, dass Nasenkanülen in offener Anwendung zur Atemdruckgenerierung ungeeignet sind, entbehren nicht einer gewissen Folgerichtigkeit, sind aber nicht auf die Spezifka der Beatmung von Frühgeborenen mit einem Gewicht unter 1.500 Gramm anwendbar. Außer Betracht wird nämlich gelassen, dass deren Lungen und Atemfähigkeit (noch) nicht entwickelt sind, dass Nasen-, Rachen und Atemwege winzig sind und dass Atemzüge nur in minimalem Ausmaß für den kleinen, unterentwickelten Neugeborenen erforderlich und durchführbar sind.

Aus der gebotenen Wortlautsubsumtion ergibt sich somit, dass Gase dem mittels einer mechanischen Vorrichtung - aus dem Beatmungsgerät über Schlauch und Nasenkanüle - in die Lunge bewegt worden sind DRK (2009) 1001h (Satz 1). Mittels des spezifischen Atemdruckes wurde die eigene Atemleistung des zumindest unterstützend verstärkt DRK (2009) 1001h (Satz 2). Satz 3 enthält zur Intubation nur eine Regelfallbestimmung und setzt eine Intubation oder Tracheotomierung nur in der Regel voraus, sodass Ausnahmen wie vorliegend nicht ausgeschlossen sind. Die fortlaufende Beatmung ist erfolgt. Der weitere Satz 4 konkretisiert erläuternd den in Satz 3 aufgeführten Regelfall und schließt damit die Sonderbehandlung in Fällen Frühgeborener mit besonders geringem Geburtsgewicht bis 1.500 Gramm nicht aus. Damit ist die Definition der künstlichen, maschinellen Beatmung erfüllt.

Die weitergehenden Ausführungen, welche im Laufe des Verfahrens zur DKR 1001 - Maschinelle Beatmung) sowie zum OPS 8-711 und zu deren Änderungen nach 2009 erfolgt sind, führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Kodierrichtlinien sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines Vergütungssystems stets eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG, 10.3.2017 - B 1 KR 82/14 B, BeckRS 2015, 67247, Rn.7). Wenn eine Beatmungsmaßnahme bereits der Definition in DKR 1001 unterfällt, dann dürfen die weiteren Ausführungen zur Kodierung keine Einschränkung enthalten, was die DKR 1001 unter "Kodierung" selbst belegt mit den Worten: "Wenn eine maschinelle Beatmung die obige Definition erfüllt, ist ...". Das Nämliche gilt für die weiteren Darlegungen unter Berechnung der Dauer, Beginn, Ende, Verlegte Patienten, Intubation sowie unter Kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck.

4. Der Senat lässt vorliegend weder die Entscheidung des LSG Saarbrücken, 14.12.2011 - L KR 76/10, noch die des BSG, 10.3.2015 - B 1 KR 82/14 B unbeachtet.

Beide Entscheidungen kann entnommen werden, dass die jeweilige Wortlautauslegung vom Leitbild der Eisernen Lunge als Prototyp der maschinellen Beatmung beeinflusst ist. Die Entscheidungen schließen die vorliegende Beurteilung nicht aus, weil sie einen anderen Sachverhalt betreffen. Dort war die intensivmedizinische Behandlung Erwachsener zu beurteilen. Hier aber geht es um beatmungsmedizinische Spezifika der neonatologischen Intensivbehandlung Frühgeborener mit geringem Geburtsgewicht und mit in der Folge nicht ausgeprägtem Lungen und Atemvermögen.

Zusammenfassend ist zu bestätigen, dass maschinelle Beatmung iSd DKR (2009) 1001h vorliegt, wenn Frühgeborene mit einem Gewicht unter 1.500 Gramm im Wege des HFNC-Systems über Nasensonden beatmet werden.

5. Darüber hinaus begründet sich der Zahlungsanspruch der Klägerin auch daraus, dass die Beatmungsbehandlung in der Zeit ab 30.12.2009, 23:59 Uhr bis 3.1.2010 wenn nicht als künstliche Beatmung, so zumindest als Entwöhnung von der Beatmung anzusehen und der vergütungsrelevanten Beatmungsdauer des hinzuzuzählen ist (BSG, B 1 KR 18/17 R, BeckRS 2017, 142709, Rn. 15). Denn war mittels Beatmungsmaschine und Tubus gleich nach seiner Geburt sowie anschließend mittels Beatmungsmaschine und Maske bis 30.12.2009, 23:59 Uhr beatmet worden. Ohne Beatmungsgshilfe ist erst ab 3.1.2010 geblieben. Die Zeit vom 30.12.2009, 23:59 Uhr bis 3.1.2010 ist damit als Zeit der Beatmung - Entwöhnung zu qualifizieren, da wegen der gleichsam von Geburt ab nicht möglichen Eigenatmung an die künstliche Beatmung gewöhnt war und von dieser hinweg zur eigenen Atmung geführt werden musste (BSG aaO, Rn. 16).

Der Berufung der Beklagten bleibt somit vollumfänglich der Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Zinsentscheidung folgt aus der tatbestandlichen Erfüllung von Verzug iVm den einschlägigen Pflegesatzbestimmungen und ist zwischen den Beteiligten auch dem Umfang und der Höhe nach nicht strittig.

Der Streitwert entspricht sowohl der erstinstanzlichen Festsetzung als auch der strittigen Forderungshöhe, §§ 47 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 GKG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved