L 9 AL 291/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 AL 5/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 291/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Ermittlung des Zweijahreszeitraums gemäß § 151 Abs. 4 SGB III.
2. Über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch können nicht die persönlichen Umstände des Betroffenen abweichend von der Realität fingiert werden.
3. § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III kommt nicht zum Tragen, wenn ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen und dabei – anders als im vorangegangenen Arbeitsverhältnis – eine Teilzeitbeschäftigung vereinbart wird.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit betrifft das Begehren des Klägers, ab dem 01.11.2013 höheres Arbeitslosengeld (ALG) zu erhalten.

Der 1958 geborene Kläger ist gelernter Bierbrauer. Vom 01.04.1993 bis 30.11.2010 war er als Braumeister bei einer Brauerei in seinem Heimatort A-Stadt beschäftigt. Danach bezog er ALG bei einem Bemessungsentgelt von 112,15 EUR (Anspruchsentstehung am 01.12.2010, Anspruchsdauer 450 Tage, kalendertägliche Leistung 51,68 EUR).

Ab 01.11.2011 stand er wieder in einem Arbeitsverhältnis als Braumeister bei einer Brauerei in Bad K ... Dabei handelte es sich im Gegensatz zu der vorherigen Stelle nur um einen Teilzeitarbeitsplatz (30 Wochenstunden). Insoweit erhielt er die so genannte Entgeltsicherung nach § 421 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) in der seinerzeit geltenden Fassung. Diesen neuen Arbeitsplatz verlor er durch betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 31.10.2013. Am 11.10.2013 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von ALG. Mit Bescheid vom 26.11.2013 bewilligte ihm die Beklagte ALG ab dem 01.11.2013 in Höhe von 38,71 EUR pro Tag (Anspruchsentstehung am 01.11.2013, Anspruchsdauer 480 Tage; Leistungssatz 67%). Der Höhe des ALG lag ein Bemessungsentgelt von 90,49 EUR zugrunde. Dieses Bemessungsentgelt hatte sich aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers im Zeitraum vom 01.11.2011 bis einschließlich 31.10.2013 errechnet.

Am 02.12.2013 legte der Kläger gegen den Bewilligungsbescheid vom 26.11.2013 Widerspruch ein. Er brachte vor, er falle unter die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs. 4 SGB III, so dass als Bemessungsentgelt dasjenige Entgelt heranzuziehen sei, welches der Bemessung des ALG zuletzt bis zum 30.10.2011 zugrunde gelegen habe. Mithin müsse auch das ALG ab dem 01.11.2013 nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 112,15 EUR festgelegt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie erläuterte, der Bemessungsrahmen umfasse die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.10.2013. Des Weiteren gehörten die Entgeltabrechnungszeiträume vom 01.11.2012 bis 31.10.2013 zum Bemessungszeitraum. Innerhalb des Bemessungszeitraums errechne sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt von 90,49 EUR. Der Anwendungsbereich des § 151 Abs. 4 SGB III sei nicht eröffnet. Die in dieser Vorschrift geregelte Rückwärtsfrist beginne am 31.10.2013 zu laufen und ende am 01.11.2011. Der letzte Tag des vorangegangenen Leistungsbezugs sei der 31.10.2011 gewesen, so dass innerhalb der Frist kein Leistungstag liege.

In der Folgezeit ergingen diverse Änderungsbescheide zum Bewilligungsbescheid vom 26.11.2013:
- Änderungsbescheid vom 04.03.2014 und Änderungsbescheid vom 17.03.2014: Erste Reduzierung des Leistungssatzes wegen studierendem Sohn sowie Rückgängigmachung dieser Änderung.
- Änderungsbescheid vom 09.09.2014 und Änderungsbescheid vom 12.09.2014: Zweite Reduzierung des Leistungssatzes wegen studierendem Sohn sowie Rückgängigmachung dieser Änderung.
- Zwei Änderungsbescheide vom 16.12.2014 - Maßnahme der beruflichen Weiterbildung ab 01.12.2014; erster Bescheid: Bewilligung von ALG für noch unbestimmte Dauer der Maßnahme; zweiter Bescheid: Bewilligung von ALG nach Beendigung der Weiterbildungsmaßnahme.
- Zwei Änderungsbescheide vom 05.03.2015 - Verlängerung der Weiterbildungsmaßnahme (Ende aber immer noch offen); Regelungen analog der Bescheide vom 16.12.2014 (für Zeit nach Beendigung der Maßnahme bis 20.05.2015).
- Änderungsbescheid vom 08.04.2015: Weiterbildungsmaßnahme war zum 07.04.2015 beendet worden. Bewilligung für die Zeit der Maßnahme.

Am 03.01.2014 hat der Kläger beim Sozialgericht Regensburg Klage erhoben. Er hat vorgetragen, bereits im Mai 2013 habe sich die wirtschaftlich schwierige Lage seines damaligen Arbeitgebers abgezeichnet. Daher habe er bei seinem "Betreuer" in der Agentur für Arbeit, Herrn J. G., angefragt, wie lange sein "Bestandsschutz" bei der Bemessung des ALG noch laufen würde, d.h. bis wann die Kündigung erfolgen müsse, damit sich das ALG noch nach dem alten Arbeitsverhältnis richten würde. Herr G. habe diese Frage weitergeleitet, worauf noch im Mai 2013 von einer anderen Person zuhause zurückgerufen worden sei. Dabei sei ausdrücklich bestätigt worden, dass bei einer Kündigung zum 31.10.2013 noch das alte Arbeitsentgelt maßgebend sei. Diese Auskunft sei der Ehefrau des Klägers erteilt worden. In den Verwaltungsakten finde sich zwar kein Gesprächsvermerk. Herr G. habe aber bestätigt, dass ein solcher Rückruf im System der Beklagten ersichtlich sei. Daraufhin habe der Kläger seinen Arbeitgeber "überredet", die Kündigung noch bis 31.10.2013 hinauszuzögern. Der Vortrag des Klägers vor dem Sozialgericht hat geoffenbart, wie er dazu kommt zu glauben, innerhalb der Zwei-Jahres-Frist liege doch ein Tag des Leistungsbezugs: Er habe, so der Kläger, in einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) gelesen, der Termin zur mündlichen Verhandlung führe zu einem Beginn der rückwärts gerichteten Frist des § 137 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) nach § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Auch auf der Grundlage von § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III müsse das höhere Bemessungsentgelt von 112,15 EUR zur Anwendung gelangen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29.10.2015 abgewiesen. In der Begründung hat es geschrieben, der Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltabrechnungszeiträume vom 01.11.2012 bis einschließlich 31.10.2013. In diesem Bemessungszeitraum seien in 365 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 33.029,18 EUR erzielt worden. Hieraus ergebe sich ein Bemessungsentgelt von 90,49 EUR. Daraus wiederum resultiere eine Leistung von 38,71 EUR pro Tag. Ein höherer Anspruch stehe dem Kläger nicht zu. § 151 Abs. 4 SGB III sei nicht einschlägig. Dazu müsste der Kläger im Zeitraum vom 01.11.2011 bis 31.10.2013 mindestens für einen Tag ALG bezogen haben. Das sei nicht der Fall. Der Fristberechnung, so wie sie von dem Bevollmächtigten des Klägers unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH vorgenommen worden sei, schließe sich das Gericht nicht an. § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III verhelfe dem Kläger ebenfalls nicht zu höherem ALG. Bei Anwendung dieser Norm müsse eine fiktive Bemessung nach § 152 SGB III vorgenommen werden. Auf der Basis von Qualifikationsgruppe II komme der Kläger nur auf ein Bemessungsentgelt von 89,83 EUR. Mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könne keine Korrektur in seinem Sinn erreicht werden.

Am 09.12.2015 hat der Kläger Berufung eingelegt. Gestützt hat er das Rechtsmittel darauf, das Sozialgericht habe seine vom BGH abweichende Fristberechnung nicht begründet. Auch habe es Reichweite und Grenzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verkannt. Bei Zugrundelegung seiner Ansicht, die Behörde dürfe nicht zu einer Leistung verurteilt werden, die geltendem Recht widerspreche, bliebe für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch faktisch kein Anwendungsbereich mehr.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29.10.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2013 zu verurteilen, ihm ab 01.11.2013 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts von 112,15 EUR zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Die Akten haben vorgelegen, sind als Streit-stoff in das Verfahren eingeführt worden und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Die Berufung ist zwar zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage in vollem Umfang abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres ALG, als es die Beklagte festgestellt hat.

Die Grundregel der Leistungsbemessung enthält § 149 SGB III:
Das Arbeitslosengeld beträgt
1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegattin, Ehegatte, Lebenspartnerin oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz),
2 ...

des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Zu Unrecht moniert der Kläger, die Beklagte habe der ALG-Berechnung ein zu niedriges Bemessungsentgelt zugrunde gelegt. Das Bemessungsentgelt wird in § 151 SGB III geregelt. Für den vorliegenden Fall sind die Absätze 1 und 4 relevant:
(1) 1Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. 2Arbeitsentgelte, auf die die oder der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.
...
(4) Haben Arbeitslose innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Arbeitslosengeld bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist.
...

Dem Kläger missfällt, dass die Beklagte das Bemessungsentgelt allein auf der Basis von § 151 Abs. 1 SGB III ermittelt hat. Diese Herangehensweise hat dazu geführt, dass maßgebend für die Höhe des ALG allein diejenigen Einkünfte gewesen sind, welche der Kläger in dem vom 01.11.2011 bis 31.10.2013 währenden Arbeitsverhältnis erzielt hat. Diese lagen deutlich niedriger als in dem davorliegenden Arbeitsverhältnis bei der L. Brauerei. Sein Bemühen, über § 151 Abs. 4 SGB III die aus dem Arbeitsverhältnis bei der L. Brauerei erzielten (höheren) Einkünfte als Basis der ALG-Bemessung zu installieren, schlägt fehl. Denn der Kläger hat nicht, wie es § 151 Abs. 4 SGB III verlangt, innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs ALG bezogen.

Nach wie vor erschließt sich dem Senat nicht, wie der Kläger hat vertreten können, innerhalb der Zwei-Jahres-Frist liege ein Bezug von ALG vor. Berufen hat er sich insoweit auf einen Beschluss des BGH vom 05.06.2013 - XII ZB 427/11 zu der in § 137 Abs. 2 Satz 1 FamFG geregelten Frist. Diese Entscheidung lautet auszugsweise wie folgt: "Die Zweiwochenfrist gemäß § 137 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG nach den Allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung, mithin gemäß § 222 ZPO iVm § 188 Abs. 2 BGB zu berechnen. Diese Regelungen sind auf rückwärts zu rechnende Fristen entsprechend anzuwenden (Staudinger/Repgen BGB [2009] § 187 Rn. 7). Der Termin zur mündlichen Verhandlung führt zu einem rückwärtsgerichteten Beginn der Frist gemäß § 187 Abs. 1 BGB und endet daher um 0.00 Uhr des seiner Benennung entsprechenden Wochentages. Vom Terminstag (Donnerstag, 20. Januar 2011) zurück gerechnet, hätte der Schriftsatz in der Folgesache Güterrecht somit zur Wahrung der Frist vor dem 6. Januar 2011 (0.00 Uhr), mithin noch am Mittwoch, dem 5. Januar 2011 beim Familiengericht eingehen müssen (vgl. Krause NJW 1999, 1448, 1449; Staudinger/Repgen BGB [2009] § 187 Rn. 7; OLG Braunschweig FamRZ 2012, 892, 893; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 892)."

§ 137 Abs. 2 Satz 1 FamFG hat folgenden Wortlaut:
Folgesachen sind
1. Versorgungsausgleichssachen,
2. Unterhaltssachen, sofern sie die Unterhaltspflicht gegenüber einem gemeinschaftlichen Kind oder die durch Ehe begründete gesetzliche Unterhaltspflicht betreffen mit Ausnahme des vereinfachten Verfahrens über den Unterhalt Minderjähriger,
3. Ehewohnungs- und Haushaltssachen und
4. Güterrechtssachen,

wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und die Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig gemacht wird.

Aus der Entscheidung des BGH lässt sich das vom Kläger gewünschte Ergebnis, dass innerhalb der Zwei-Jahres-Frist ein Bezug von ALG vorgelegen habe, nicht ansatzweise ableiten. Dazu hat der Vorsitzende dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unter dem Datum 28.09.2018 Folgendes geschrieben: "Sie behaupten, innerhalb des Zweijahreszeitraums des § 151 Abs. 4 SGB III habe der Kläger sehr wohl Arbeitslosengeld bezogen. Das ist nicht richtig. Der von Ihnen angeführte BGH-Beschluss widerspricht dem Vorgehen der Beklagten nicht. Denn auch der BGH erkennt an, dass die Rückwärtsfrist um 24.00 Uhr des Tages beginnt, der dem Tag des auslösenden Ereignisses (im BGH-Fall der Termin für die Scheidungssache, hier die Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld) unmittelbar vorangeht. Das Fristende fällt sowohl nach BGH-Lesart als auch nach der Handhabung der Beklagten auf den Tag, 0.00 Uhr, der seiner Benennung nach dem Tag des auslösenden Ereignisses entspricht. Im BGH-Fall ging es um eine nach Wochen berechnete Frist, so dass die Benennung nach Wochentagen maßgebend war. Im hier vorliegenden Fall ist die Frist dagegen nach Jahren bemessen, so dass der in der Vergangenheit liegende Endzeitpunkt durch das Datum definiert wird. Für den Fall des Klägers bedeutet das, dass die zweijährige Rückwärtsfrist mit dem Tag vor dem Entstehen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld beginnt, konkret am 31.10.2013, 24.00 Uhr. Das Ende der nach Jahren bemessenen Rückwärtsfrist fällt auf den 01.11.2011, 0.00 Uhr. Der 01.11.2011 ist der Tag, der dem Tag der Anspruchsentstehung, also dem 01.11.2013, der Benennung nach entspricht. Man stellt zwar fest, dass der Vorbezug von Arbeitslosengeld unmittelbar an den Zwei-Jahres-Zeitraum grenzt. Innerhalb des Zwei-Jahres-Zeitraums wurden aber keine Leistungen bezogen. Die rechtliche Handhabung des BGH entspricht vollumfänglich der der Beklagten. Ein anderer Eindruck könnte bei Ihnen möglicherweise dadurch entstanden sein, dass im BGH-Fall nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben des FamFG die Handlung (Anhängigmachen einer Folgesache) außerhalb, und zwar vor der Zwei-Wochen-Frist erfolgen musste, während hier gemäß § 151 Abs. 4 SGB III die maßgeblichen Umstände (Vorbezug von Arbeitslosengeld) gerade innerhalb der zweijährigen Zeitspanne liegen müssen."

Daran hält der Senat ohne Einschränkung fest. Womöglich hat der Kläger den Fehler begangen, nicht die Entstehung des ALG-Anspruchs (am 01.11.2013), sondern die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als Startpunkt für die Rückwärtsfrist anzusehen. So mag er gedacht haben, das Arbeitsverhältnis habe am 31.10. sein Ende gefunden, weswegen mit dem vorhergehenden Tag die Rückwärtsfrist beginne. Das wäre grob falsch. Fristauslösend ist ausschließlich - wie es § 151 Abs. 4 SGB III explizit regelt - die Entstehung des Anspruchs und die erfolgte am 01.11.2013. Ob man den Anlauf der Rückwärtsfrist nun auf § 187 Abs. 1 oder 2 BGB stützen möchte, bleibt einerlei. Für den Kläger spricht, dass er in der mündlichen Verhandlung signalisiert hat, er nehme von seiner falschen Argumentation Abstand.

Unverständlich mutet an, dass der Kläger nach wie vor den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für seine Zwecke zu instrumentalisieren versucht. Er behauptet, aufgrund einer falschen Auskunft der Agentur für Arbeit habe er sein Arbeitsverhältnis zu der Bad K.er Brauerei erst mit Ablauf des 31.10.2013 beendet, und damit zu spät, um noch von dem höheren Arbeitsentgelt aus dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis profitieren zu können. Er müsse, so meint der Kläger, so gestellt werden, als habe er das Arbeitsverhältnis zu der Bad K.er Brauerei schon vorher beendet.

Ein derartiges Ansinnen ist abwegig. Auch dazu hat der Vorsitzende gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schreiben vom 28.09.2018 Stellung bezogen: "Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hilft dem Kläger nicht weiter. Damit können nur Versäumnisse bei Verfahrenshandlungen überwunden werden. Aber nicht einmal die Verfügbarkeit als materielle Leistungsvoraussetzung für das Arbeitslosengeld kann über ihn fingiert werden - auch nicht eine unterbliebene oder verspätete Arbeitslosmeldung. Umso weniger ist der sozialrechtliche Herstellungsanspruch geeignet, quasi die Biografie des Betroffenen abweichend von der Realität zu gestalten. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers gehört zu den persönlichen Lebensumständen. Es steht außer Frage, dass diese nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch "verschoben" werden dürfen."

Auch daran hält der Senat in vollem Umfang fest. Zwar hat der Kläger insoweit Recht, als er die BSG-Rechtsprechung zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch kritisiert. Nachvollziehbar erscheint seine Ansicht, würde man die Vorgabe des BSG, mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch dürfe kein Zustand hergestellt werden, der dem geltenden Recht widerspreche, wirklich eins zu eins umsetzen, dann bliebe für Korrekturen kaum Raum. Beispielsweise verstoße auch die Fiktion einer rechtzeitigen Antragstellung mittels sozialrechtlichem Herstellungsanspruch streng genommen gegen das geltende Recht. Auch der Senat hält die Formulierung des BSG, mit dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch dürfe kein Zustand hergestellt werden, der dem geltenden Recht widerspreche, nicht wirklich für geeignet, dessen Anwendungsbereich klar zu definieren. Allerdings zieht der Kläger daraus falsche Konsequenzen. Denn er meint, wenn die Vorgabe des BSG schon nicht zur Abgrenzung tauge, dann müssten sämtliche Umstände, die irgendwie pflichtwidrig durch Behörden beeinflusst seien, "korrigiert" werden können. Damit liegt er falsch. An dieser Stelle sei nochmals betont, dass über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch keinesfalls die Biografie des Klägers abweichend von der Realität gestaltet werden kann.

Auch wenn der Kläger in zweiter Instanz nicht mehr in diese Richtung argumentiert hat, weist der Senat darauf hin, dass § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III nur dann zur Anwendung gelangt, wenn innerhalb eines Arbeitsverhältnisses eine Reduzierung der Arbeitszeit erfolgt. Diese Sonderregelung soll dagegen nicht zum Tragen kommen, wenn, wie es beim Kläger der Fall war, ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen und dabei eine Teilzeitbeschäftigung vereinbart wird (vgl. Coseriu in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/ders., SGB III, 6. Auflage 2017, § 150 Rn. 64, 66).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Von der Verhängung von Verschuldenskosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG hat der Senat nur im Rahmen seines Ermessens angesehen. An der vom Gesetz als Tatbestandsmerkmal geforderten Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung fehlt es jedenfalls nicht.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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